Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland sind gerne bereit, sich in den Medien zu äußern. Doch das kann sie in Einzelfällen dazu verleiten, die Bedeutung der eigenen Forschung zu überhöhen, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Hans Peter Peters im Interview.
„Totale Harmonie zwischen Forschenden und Medien ist gar nicht wünschenswert“
Herr Peters, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung unter anderem damit, wie Forschende in den Medien auftreten. Sehen wir hierzulande im Fernsehen und in Zeitungen zu viele oder zu wenige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?
Zu viele sind es keinesfalls. Ein Großteil der Themen, für die sich die Öffentlichkeit interessiert – von politischen Fragen über Gesundheitsthemen bis hin zu Naturkatastrophen – werden schließlich wissenschaftlich beforscht. Daher ist es sinnvoll, dazu wissenschaftliche Experten zu befragen. Außerdem interessieren sich viele Leute für Wissenschaft als Quelle von Wissen über die Welt, egal ob das Ergebnis praktisch brauchbar ist oder nicht. Auch diese Neugier wollen die Medien stillen.
Sind es also vielleicht sogar zu wenige wissenschaftliche Expertinnen und Experten?
Das kommt darauf an. Natürlich sind nicht alle Arten von Sendungen geeignet, um vernünftig über wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskutieren. Zu sogenannten Aufregerthemen oder gezielt geschürten Kontroversen in Talkshows werden Forschende eher selten eingeladen – und da wollen sich die meisten auch gar nicht einbringen. Wer sich aber über Wissenschaft informieren will, findet in der deutschen Medienlandschaft insgesamt ein reichhaltiges Angebot.
Wie steht es denn generell um das Interesse der Forschenden, an Medienbeiträgen mitzuwirken?
Zahlreiche Umfragen belegen eine – zumindest verbal geäußerte – große Bereitschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit den Medien zusammenzuarbeiten. Sie erwarten sich davon einen Nutzen und viele sehen eine Verantwortung zur Kommunikation mit der Bevölkerung, da ihre Forschung ja meistens von Steuergeldern finanziert wird. Aber natürlich differenzieren sie im Einzelfall: Ist das ein Thema, mit dem ich mich ausreichend auskenne? Kann ich zu diesem Zeitpunkt schon eine fundierte Einschätzung abgeben? Ist das Medium seriös und liegt mir das Format, zum Beispiel ein Interview vor der Kamera? Solche Erwägungen sind sicher auch sinnvoll.
Wieso hat man trotzdem manchmal den Eindruck, dass Personen befragt werden, die auf einem Feld gar keine ausreichende Expertise haben?
Ich würde sagen, wer im Wissenschaftsjournalismus arbeitet, hat üblicherweise einen guten Überblick und findet die geeigneten Fachleute. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ressorts haben es natürlich etwas schwerer. Dann kommt es auch mal zu einer „Gelegenheitsauswahl“ – man nimmt also eine Person, die man selbst schon aus den Medien kennt oder deren Namen man erst kürzlich in einer Pressemitteilung gelesen hat.
Was können Forschende tun, die ihre Arbeit publik machen wollen, aber nicht von Redaktionen angefragt werden?
Es ist zunächst einmal einleuchtend, dass bestimmte Forschungsgebiete für Medienschaffende interessanter sind als andere. Wenn ich mich wissenschaftlich mit Pegida befasse oder mit dem Klimawandel, dann ist meine Chance, angefragt zu werden, wesentlich höher, als wenn ich komplexe mathematische Fragestellungen erforsche, die kaum jemand versteht. Gegen den fehlenden Nachrichtenwert der eigenen Forschung kommt man schwer an. Aber natürlich gibt es neben der Themenrelevanz noch weitere Möglichkeiten, warum Redaktionen Forschende interessant finden können: etwa wenn sie Preise gewinnen, eine ungewöhnliche Biografie mitbringen oder skurrile Experimente anstellen.
Verführen die journalistischen Auswahlkriterien einige Forschende dazu, die Bedeutung ihrer Erkenntnisse zu übertreiben – Stichwort: „Wir arbeiten an der Heilung von Krebs“?
Die Gefahr besteht natürlich. Ich denke aber, dass Forschende und auch ihre Pressestellen sich in den meisten Fällen des Problems bewusst sind und sich deshalb von selbst zurückhalten. Sie wollen ja auch ihre Seriosität nicht aufs Spiel setzen. Aber wer aktiv die Öffentlichkeit sucht, der präsentiert sein Wissen schon eher so, dass es für Medienschaffende attraktiv klingt. Das kann in Einzelfällen dazu führen, dass man die Anwendungsrelevanz übertreibt oder Erkenntnisse als sicherer darstellt, als sie eigentlich sind. Das ist ein Aspekt dessen, was Peter Weingart als „Medialisierung der Wissenschaft“ bezeichnet hat: Die Wissenschaft passt sich zunehmend den Gesetzen der Medien an. Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus Frankreich zeigte beispielsweise, dass die Überschriften von Zeitungsartikeln mit den Jahren immer stärker sensationalisieren, und macht dafür auch Wissenschaftler und Pressestellen verantwortlich. Es gilt also, aufmerksam zu bleiben.
Es ist aber nicht mehr so, dass Forschende über Kolleginnen und Kollegen die Nase rümpfen, wenn diese sich gewissermaßen in die Niederungen der populären Kommunikation begeben?
Eher nein, aber es kommt darauf an, wie sich jemand präsentiert. Studien zeigen, dass wissenschaftliche Normen weiterhin für die öffentliche Kommunikation relevant sind. Wer sich unseriös äußert, zum Beispiel, weil er oder sie gar keine Expertise auf dem entsprechende Fachgebiet hat, muss also durchaus mit Kritik aus seiner Community rechnen. Auch wie stark man sich selbst vermarktet und mit welchem Medium man spricht, spielt eine Rolle.
Wir haben in unseren Studien Forschende gefragt, wie sie ihre Kontakte mit der Presse in den vergangenen drei Jahren erlebt haben, oder auch ihre letzte Zusammenarbeit mit den Medien. Die Erfahrungen sind zwar nicht immer nur positiv, doch nur wenige berichten von wirklich schlechten Erlebnissen. Oft werden die Kontakte als neutral empfunden. Aber natürlich kann es in Einzelfällen auch mal großen Ärger geben. Etwa, wenn eine Redaktion etwas abdruckt, was Forschende nur im Vertrauen mitteilen wollten, dies aber vielleicht nicht ausreichend deutlich gemacht haben. In der Regel verläuft die Zusammenarbeit aber erstaunlich reibungslos. Wenn es gar keine Reibungen gäbe, fände ich das auch problematisch.
Wieso?
Totale Harmonie zwischen Forschenden und Medienschaffenden ist gar nicht wünschenswert. Beide arbeiten in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mit unterschiedlichen Funktionen. In einer differenzierten Gesellschaft stoßen verschiedene Perspektiven aufeinander. Spannungen an den Grenzen von Teilsystemen – wie zwischen Wissenschaft und Journalismus – sind dann unvermeidbar. Wichtig ist, dass man es im Normalfall schafft, eine gemeinsame Sichtweise zu finden, etwa über legitime Vereinfachungen. Aber gelegentliche Konflikte zeigen, dass Wissenschaft und Journalismus ihre jeweiligen spezifischen Sichtweisen nicht aufgegeben haben.
Forschende nutzen zunehmend soziale Medien, um ihre Erkenntnisse selbst publik zu machen. Machen sie damit in Zukunft die journalistische Arbeit überflüssig?
Definitiv nicht, ganz im Gegenteil! Über diese Frage diskutieren wir in der Kommunikationswissenschaft derzeit intensiv. Noch haben die sozialen Medien in Deutschland für die Wissenschaftskommunikation eine geringere Bedeutung als etwa in anderen Ländern. Blogbeiträge und Facebook-Postings sind in ihrem Impact und der Verbreitung nicht vergleichbar mit einem Text beispielsweise in der FAZ, in dem dieselbe Information steht. Man vertraut hierzulande noch darauf, dass ein externer Beobachter besser einschätzen kann, was wichtig ist. Das ist durch wissenschaftliche Selbstdarstellung erst einmal nicht zu ersetzen – schließlich denken ja die meisten Forschenden, dass ihre Arbeit relevant ist.
Absolut. Genau wie Pressemitteilungen macht so etwas Forschende für Medienschaffende sichtbarer. Sich selbst im Netz zu äußern, ist aber noch aus einem anderen Grund sinnvoll: Viele Rezipientinnen und Rezipienten begeben sich ja online aktiv auf die Suche nach Informationen, beispielsweise zu gesundheitlichen Fragen, oder weil sie ein starkes Interesse an Astronomie haben. Hier spielt die direkte Kommunikation von Forschenden eine viel größere Rolle. Man könnte sagen: Professionelle Wissenschaftsredaktionen setzen nach wie vor die Themen, über die man in der Öffentlichkeit spricht. Wenn es aber um detaillierte Erklärungen geht, die nicht unbedingt von breitem Interesse sind, kann die eigene Kommunikation von Forschenden einen wichtigen Beitrag zur Information der Öffentlichkeit leisten.
Forschende beklagen oft einen Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Wissenschaft. Wie können sie den Eindruck vermeiden, eine politische oder ökonomische Agenda zu verfolgen?
Die Wissenschaft als Institution genießt Umfragen zufolge nach wie vor ein sehr großes Vertrauen in Deutschland, insbesondere verglichen mit der Wirtschaft oder der Politik. Aber ich denke, blindes Vertrauen der Bevölkerung sollte auch gar nicht das Ziel sein. Denn natürlich haben Forschende oft eine Agenda: Sie möchten beispielsweise neue Fördermittel einwerben oder ihre Karriere vorantreiben. Deshalb darf das Medienpublikum ihre Äußerungen ruhig kritisch hinterfragen. Das setzt idealerweise natürlich ein hohes Maß an wissenschaftlicher Kompetenz voraus. Hier kann guter Wissenschaftsjournalismus unterstützen, indem er Ergebnisse einordnet und beispielsweise offenlegt, warum auch vorläufige Erkenntnisse wichtig sind oder eben nicht. Medien sollen also nicht nur Forschungsergebnisse für die Allgemeinheit übersetzen, sondern auch den Kontext liefern, damit sich das Publikum eine fundierte Meinung bilden kann. Das gilt übrigens auch für Forschende, die selbst kommunizieren.
Ist das Verhältnis zwischen Forschenden und den Medien in der Kommunikationswissenschaft schon ausreichend ergründet?
Ein Problem ist sicherlich, dass wir in der Forschung oft einfach über „die Wissenschaftskommunikation“ reden, ohne weiter zu differenzieren. Dabei ist es etwas völlig anderes, ob ich über schwarze Löcher forsche – was zwar viele Menschen interessiert, aber kaum praktische Konsequenzen hat – oder über medizinische Risiken. Das gilt auch innerhalb von Disziplinen: Soziologen können sehr abstrakte, systemtheoretische Fragestellungen untersuchen oder ganz konkret Wähler zu ihren politischen Motiven befragen. Die anschließende Kommunikation über diese Arbeiten hat einen unterschiedlichen Charakter. Das eine erscheint im Feuilleton, das andere im Politikteil. Deshalb sind pauschalisierende Aussagen in vielen Studien zur Wissenschaftskommunikation, die über unterschiedlichste Kommunikationssituationen mitteln, problematisch. Es liegt also noch einiges an Arbeit vor uns.