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„TikTok ist ein großer Spielplatz“

Niklas Kolorz gewann als erster TikToker den Grimme Online Award. Welches Zeichen die Verleihung gesetzt hat und wie er es schafft komplexe wissenschaftliche Inhalte in nur einminütigen Videos zu vermitteln, verrät er im Interview.

Niklas Kolorz ist Wissenschaftsjournalist und als selbständiger Content-Creator auf zahlreichen sozialen Plattformen aktiv. Mit dem WWF Deutschland engagiert er sich für Naturschutz. Er war Mitgründer des Podcasts „ÜberLeben“ und dreht Dokumentationen. Bevor er sich mit YouTube und TikTok der Wissenschaftskommunikation zuwandte, war er journalistisch im E-Sport und Gaming aktiv. Für seinen TikTok-Kanal wurde ihm 2021 der Grimme Online Award verliehen, als erstem Kanal auf der Content-Plattform überhaupt.

Herr Kolorz, in einem Interview haben Sie gesagt, dass Ihr Wirtschaftsinformatikstudium eines der langweiligsten Dinge war, die Sie jemals gemacht haben. Was finden Sie an der Wissenschaftskommunikation spannend?

Ich finde, das Interessante an der Wissenschaftskommunikation ist, dass viel Raum für Veränderungen herrscht. In den letzten Jahren ist auch viel passiert. Zudem erreiche ich auf TikTok junge Leute, die sich mit vielen Themen, die ich behandle, noch nie auseinandergesetzt haben. Sie erlangen durch meine Videos einen anderen Zugang zu diesen Fächern als sie das in der Schule könnten. Ich hoffe, eine Generation mitformen zu können, die sagt: „Hey, durch dich habe ich meine Begeisterung für Astronomie oder für Astrophysik entdeckt“. Das ist etwas Schönes, denn ich zeige jungen Leuten eine Begeisterung auf, von der sie gar nicht wussten, dass sie sie hatten.

 

@niklaskolorz Kälter als das Herz deiner Ex 🥶 #mindblownuniversity ♬ original sound – NiklasKolorz

Warum haben Sie sich für TikTok als Format entschieden?

Ich selbst genieße TikTok als Medium. Als ich anfing TikTok-Videos zu machen war meine Hauptintention, meine Begeisterung mit Leuten zu teilen. Dass das so eine Resonanz und positives Feedback bekommen würde, hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. Anfangs hatte ich viele Content-Ideen zu verschiedenen Themen. Wissenschaftskommunikation hat dabei das meiste Feedback erzielt. Ich vermute, weil es das damals auf der Plattform so gut wie gar nicht gab. Ich hatte eine Nische gefunden und eine Lücke ausgefüllt. Die Leute wollten mit Wissen, Inhalt und einem Ahaeffekt aus dem Video herausgehen. Sie wollten nicht nur – böse gesagt – stumpfe Unterhaltung.

Wie genau sah diese Resonanz auf ihre ersten Videos aus?

Bereits nach wenigen Tagen hatte ich das erste virale Video mit fast einer Millionen Ansichten, obwohl ich damals nur etwa 300 Follower*innen auf meinem Kanal hatte. Das ist ein krasser Kontrast zu YouTube oder zu Instagram, wo man anfangs sehr hart für seine Reichweite kämpfen muss. Auf diesen Plattformen kann es durchaus passieren, dass ein Video auch mal null Views hat. Bei TikTok gibt es das gar nicht. Das Video hat sofort 100, 200 Aufrufe – ganz egal was der Inhalt ist. Der Algorithmus spielt das Video aus und je nachdem wie die erste Gruppe an Leuten dieses Video bewertet – also wie lange sie es schauen, ob sie es liken oder kommentieren – wird es an weitere Leute ausgespielt.

„Ich zeige jungen Leuten eine Begeisterung auf, von der sie gar nicht wussten, dass sie sie hatten." Niklas Kolorz

Gibt es Kommentare oder Reaktionen, die Sie überraschen?

Generell bin ich überrascht, wie viel Feedback und wie viel Neugierde es gibt. Mittlerweile bekomme ich bis zu 150 Fragen am Tag. Viele Erwachsene würden sagen, die Antwort könnte man ja einfach googlen, aber das ist nicht das, was die Leute von mir möchten. Sie möchten, dass ich diese Leistung erbringe, verschiedene Bücher und Artikel zusammenzufassen und in einem Video umzusetzen.

Also fließen diese Fragen in die Themenfindung für die Videos ein? 

Mittlerweile nehme ich größtenteils die Fragen mit rein. Es ist toll, so mit der Community zusammenarbeiten zu können. Generell versuche ich, Fragen zu finden, die junge Leute sich häufig noch nicht gestellt haben – oder schon, aber nicht weiter darüber nachdenken. Das sind nicht immer naturwissenschaftliche Themen. In einem Video ging es beispielsweise darum, wieso die Zeichen auf der Tastatur so angeordnet sind, wie sie es sind.

Man könnte bei Ihren Formaten vermuten, dass sie einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben. Wie sind Sie zur Wissenschaftskommunikation gekommen?

Ich habe erst eine journalistische Ausbildung gemacht und war im Bereich Gaming und E-Sports tätig. Davon war ich aber irgendwann inhaltlich frustriert. Ich fand es schade, meine journalistische Reichweite nur dafür zu nutzen. Die Themen Astrophysik und Astronomie sind ein privates Interesse von mir, daher hatte ich schon viel dazu gelesen. Mit dem WWF habe ich viel zu Natur und Artenschutz produziert und auch den ÜberLeben-Podcast mit angestoßen. Irgendwann kam mir der Gedanke: „Ok, jetzt nehme ich die Themen, die mich privat und beruflich sowieso immer umgeben und packe sie in kurze Videos.“

In den TikTok-Videos fassen sie sehr komplexe naturwissenschaftliche Phänomene in nur einer Minute zusammen. Wie gehen Sie dabei vor?

Ich versuche immer, die Leute zu flashen und für einen Aha-Effekt zu sorgen. Vor einiger Zeit habe ich ein Video zur Frage aufgenommen: Was würde passieren, wenn man die Erde in der Mitte aufschneidet? Dazu findet man im Netz viele Ideen und Theorien. Ich versuche den Leuten das Thema mithilfe ihrer Vorstellungskraft zu erklären: Wie würde sich dein Leben verändern? Wo müsstest du auf dem Planeten sein, um möglichst lange dieses Ereignis zu überleben? Die Erde wird nicht in zwei geschnitten werden, der praktische Nutzen dieser Videos ist natürlich nicht gegeben, aber die Vorstellungskraft hilft beim Verständnis.

„Die Leute wollten mit Wissen, Inhalt und einem Ahaeffekt aus dem Video herausgehen" Niklas Kolorz

Welche Tipps können Sie Leuten geben, die einen TikTok-Kanal gründen möchten?

Einfach mal ausprobieren und sich trauen, flexibel auf die Community reagieren: Was kommt an? Welche Themen bringe ich gut rüber? Im Zusammenspiel mit der Community sollte man seinen eigenen Content, seinen eigenen Kanal finden. TikTok ist ein großer Spielplatz und ermöglicht einem sehr schnell eine große Bühne. Das ist eine Chance, die man nicht unterschätzen sollte. Ich finde, die Einstiegsschwelle bei TikTok ist so niedrig wie noch nie für eine Social-Media-Plattform. Die App bietet selbst Leuten, die überhaupt keine Ahnung von Video-Creation haben, die nötigen Tools, weil man direkt Videos schneiden oder untertiteln kann.

Für Ihren TikTok-Kanal wurde Ihnen letztes Jahr der Grimme-Preis verliehen. Hat Sie der Preis überrascht?

Ja, sowohl die Nominierung als auch die Vergabe hat mich überrascht. Ich wurde von meiner ehemaligen Chefin beim WWF angemeldet und wusste davon überhaupt nichts. Plötzlich kam die Nominierung, worüber ich mich sehr gefreut habe. Ein paar Chancen hatte ich mir für den Publikumspreis ausgemalt. Aber was mich wirklich von den Socken gehauen hat, war der Jury-Preis. Das Grimme Institut hat mit der Verleihung ein Exempel statuiert, weil es der erste TikTok-Account war, der überhaupt diesen Preis bekam. Das ehrt und freut mich natürlich sehr.

Welches Zeichen wurde Ihrer Meinung nach mit der Verleihung gesetzt?

Ich glaube, es hat vielen gezeigt, wie wichtig diese Plattform ist. Sie wird nun als Videoplattform wahrgenommen, auf der nicht nur getanzt und geprankt wird. Entertainment ist ein großer Teil dieser Plattform, ganz klar. Aber auch Wissenschaftsredaktionen oder Wissenschaftler*innen können dort mit Wissenschaftskommunikation ein Publikum erreichen.

Sie nutzen viele Kanäle für Wissenschaftskommunikation: Ihre YouTube-Videos, die Fernsehsendung Tomorrow Now  und im Herbst wird auch ein Buch von Ihnen erscheinen. Haben Sie ein Lieblingsformat?

Jedes Format hat einen ganz eigenen Ablauf und eine eigene Bühne. Eine halbstündige Fernsehsendung schafft es natürlich viel tiefer in die Thematik einzusteigen als ich das in einem einminütigen TikTok kann. Aber das einminütige TikTok macht wahnsinnig viel Spaß, weil ich davon sieben pro Woche hochladen kann, während die halbstündige Fernsehsendung Monate in der Produktion braucht. Der TikTok-Kanal liegt mir ganz nah am Herzen, weil er mich selbstständig macht und ich in meinem eigenen Tempo meine Themen behandeln kann.