Das Technikradar untersucht, was die Deutschen über Technik denken. Dieses Jahr liegt der Fokus auf Bioökonomie. Die Soziologieprofessorin Cordula Kropp ordnet im Interview die neuen Erkenntnisse ein.
Technikradar 2020 – „Was sich verändert hat, ist der Fortschrittsglaube“
Worum geht es beim Technikradar 2020 und wie unterscheidet es sich vom letzten?
Das Technikradar untersucht seit 2018, was die Deutschen über Technik denken. Mit den regelmäßigen Befragungen sollen zum einen Veränderungen in der Wahrnehmung von Technik im Zeitverlauf erkennbar werden, zum anderen wechseln die Schwerpunktthemen im 2-Jahres-Rhythmus. Dieses Mal stand die Bioökonomie mit ihren verschiedenen Anwendungen im Zentrum. Welches Thema im Mittelpunkt steht, wird in der Projektgruppe von acatech, der Körber-Stiftung, ZIRIUS und einem beratenden Gremium aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern festgelegt.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse der diesjährigen Ausgabe aus Ihrer Sicht?
Unter dem Eindruck der vielen Fragen zur Bioökonomie und ihren zahlreichen Teilaspekten, wie neue Ernährungsweisen, die Nutzung nachwachsender Rohstoffe oder auch CrisprCas, haben sich die Befragten etwas positiver und technikaffiner gezeigt. Das Problemlösungspotenzial von Technik wird in diesem Jahr deutlich höher eingeschätzt als in den Vorjahren.
Bei den allgemeinen Fragen – die unabhängig vom Thema sind und jedes Jahr gestellt werden – hat sich gezeigt, dass die Wahrnehmung des Nutzens digitaler Möglichkeiten unverändert geblieben ist – während man beispielsweise den Nutzen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen heute positiver bewertet. Auch das ist ein spannendes Ergebnis des Technikradar 2020.
Außerdem haben wir zum zweiten Mal nach 2018 abgefragt, ob sich die Bevölkerung ausreichend gut über technologische Entscheidungen informiert fühlt und ob sie mehr Mitbestimmung bei Technikthemen wünscht. Hierbei zeigt sich: Nur 15 Prozent der Menschen fühlen sich von der Regierung ausreichend informiert, aber 70 Prozent möchten bei strittigen Themen mitreden – ähnlich wie schon 2018. Der Wunsch Technik mitzugestalten, ist also da und das stellt eine Veränderung gegenüber früheren Jahrzehnten dar.
Wieso wollen mehr Menschen denn mehr mitreden als früher?
Wir sehen, dass die Technikbegeisterung nicht von der Nutzungsintensität abhängt. Was sich verändert hat, ist der Fortschrittsglaube. Es ist nicht mehr fraglos für die Bevölkerung, dass technischer Wandel positiv ist. Es geht heute vielmehr darum, den Wandel zu gestalten – und zwar im Sinne der Gesellschaft und mit den Bürgerinnen und Bürger .
Das Technikradar beschäftigt sich auch mit dem Klimawandel. Wie ist die Einstellung der Bevölkerung in diesem Bereich?
Wir haben mit den Resultaten bestätigt, dass die Deutschen sich ein starkes Bekenntnis der Politik zum Klimaschutz wünschen. Und zwar durchaus auch, wenn diese Maßnahmen auf Kosten der Wirtschaft gehen würden.
Insgesamt muss man dazu aber sagen, dass es mich aber nicht überraschen würde, wenn die Corona-Pandemie und die daraus resultierende Wirtschaftskrise, dieses Ergebnis negativ beeinflussen würden. Wir haben schon in der Vergangenheit oft erlebt, dass das Umweltbewusstsein in Krisenzeiten geringer ist.
Aber die Daten, die wir vor der Corona-Pandemie erhoben haben zeigen, dass 70 Prozent der Bevölkerung sich wünschen, dass Deutschland mit gutem Beispiel vorangeht. Gleichzeitig wünschen sich 78 Prozent einen starken Industriestaat in Deutschland und nur ein gutes Drittel findet, dass der Staat die Menschen zu umweltgerechtem Handeln zwingen sollte. Das deutet darauf hin, dass die Leute hier zwar einen großen Bedarf sehen, sich aber selbst nicht wirklich einschränken wollen. Hier ist dann die große Frage, ob es ohne Zwänge gelingen kann. Das zeigt sich auch in einzelnen Themenbereichen, wie beispielsweise beim Fleischkonsum.
Wie stellt sich die Situation im Bezug darauf denn da?
Wenn es darum geht, selbst auf Fleisch zu verzichten, wollen das deutlich weniger Menschen tun, als angeben, dass man den Konsum zum Schutz der Umwelt einschränken sollte. Wir haben weiter gefragt, wie es mit In-vitro-Fleisch – also im Labor hergestelltes Fleisch – aussieht und da sind die Deutschen sehr verhalten. 60 Prozent halten es nicht für einen Lösungsansatz. Das hatten wir anders erwartet, weil das Thema Tierleid unmittelbar vor der Befragung stark im Fokus stand. Spannend ist dabei, dass es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Insgesamt sind Frauen eher bereit ihren Fleischkonsum einzuschränken, aber den Ansatz, invitro-Fleisch zur Verringerung von Tierleid und ökologischen Folgen zu betrachten, betrachten sie deutlich skeptischer als Männer. Hier zeigen Männer eine höhere Bereitschaft, was daran liegen könnte, dass es ihnen wichtiger ist, überhaupt Fleisch zu essen.
Gibt es auch bei der Technikaffinität bzw. Technikskepsis allgemein Unterschiede zwischen den Geschlechtern und sozialen Schichten?
Die Technikskepsis ist bei weiblichen Befragten und bei Befragten mit niedrigerem Bildungsniveau höher. Das sind stabile Ergebnisse. Umgekehrt ist es so, dass Technikutopie, also der Denkansatz, dass Technik für alles die Lösung darstellt, bei Männern stärker ausgeprägt ist – und auch hier insbesondere bei jenen mit niedrigem Bildungsniveau.
Nein, das ist grundsätzlich so. Die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Anwendungsbereichen ist sehr stark und es ist nicht so, dass Menschen in allen Bereichen entweder für oder gegen Technik sind. Die Haltung hängt immer von der konkreten Technologie und ihrer gesellschaftlichen Einbettung ab. Hier gibt allerdings einen Unterschied zwischen dem Themenfeld Digitalisierung – welches wir uns letztes Jahr angeschaut haben – und der Bioökonomie. Digitalisierung betrifft uns alle und alle haben Erfahrungen gemacht. Hier besteht ein Unterschied zur Bioökonomie, weil die Menschen damit noch weniger Erfahrungen gesammelt haben und es auch mehr um zukünftige Anwendungen geht. Das trägt dazu bei, dass man diesem Thema aufgeschlossener gegenübersteht und die Bioökonomie-Möglichkeiten weniger pauschal beurteilt. Die Menschen fühlen sich der Bioökonomie nicht ausgeliefert, was bei der Digitalisierung in Deutschland stark der Fall ist und einen negativen Effekt auf ihre Bewertung hatte.
Sie haben ja bereits erwähnt, dass die Corona-Pandemie einen Einfluss haben könnte. Wie beurteilen Sie dies?
Die These, die im Raum steht, ist, dass die Haltung zu Technik durch die Pandemie positiver wird – gerade im Bereich Digitalisierung. Ich bin da skeptisch, weil die Vergangenheit gezeigt hat, dass diese Effekte selten lange anhalten. Das beste Beispiel dafür ist BSE, eine Erkrankung, bei der eigentlich alle aufgehört hatten, Rindfleisch zu essen. Aber das hat nicht lange gehalten, die Aufmerksamkeitskonjunkturen sind kurz und schnell tritt Gewöhnung ein und heute ist alles wieder wie vor der Krise. Außerdem sind ja nicht alle Erfahrungen, die wir derzeit mit der Digitalisierung machen, positive Erfahrungen, sodass es sogar einen negativen Effekt geben könnte. Im Bezug auf das Thema Umwelt bin ich sogar besorgt, dass hier ein Schaden entsteht. Ein weiterer Bereich, den es betreffen könnte, ist die Globalisierung. Auch hier könnte die Krise zu einer höheren Skepsis führen und dazu, dass das Vertrauen, dass globale Wirtschaftssysteme funktionieren, sinkt – was wiederum auch Effekte auf die Haltung zu Technikthemen haben könnte.