Mit der jüngst beschlossenen „Zukunftsstrategie Forschung und Innovation“ will die Bundesregierung ihre Forschungs- und Innovationspolitik neu ausrichten. Dass die Wissenschaftskommunikation in diesem Papier nur am Rande erwähnt wird, wundert Jens Rehländer nicht. Der Kommunikationsleiter bei der Volkswagenstiftung kommentiert die Zukunftsstrategie im Gastbeitrag.
Strategie ohne Vision
Dass in der mehr als 80 Seiten umfassenden „Zukunftsstrategie Forschung und Entwicklung“ das Kapitel über Wissenschaftsvermittlung gerade mal zwei Seiten füllt, zudem ganz zum Schluss, erstaunt mich nicht. Gewiss, die Zukunftsstrategie der Bundesregierung, ja: die Wissenschaft insgesamt, so heißt es politisch korrekt im Text, „profitiert von den Ideen, Denkanstößen und Gedanken der Menschen in unserem Land.“ Aber im Alltag eben doch nur am Rande. Dass Bürger*innen nachweisbar Einfluss nehmen könnten auf die Agenda milliardenschwerer Flaggschiff-Forschung, wäre mir neu. Trotzdem wird dem Partizipationsgedanken, insbesondere bei „großen Forschungsvorhaben mit starkem Gemeinwohlbezug“, verhältnismäßig viel Raum gegeben. Ob man darin aber mehr sehen darf als eine kalkulierte Geste, wird sich zeigen. In der realen Welt der harten Wissenschaft jedenfalls werden Phänomene wie Citizen Science, Reallabore und Public Engagement weiterhin als eher kurios wahrgenommen – wobei jene durchaus lobenswerten Ausnahmen, die im Papier als BMBF-geförderte Projekte gelistet sind, aus meiner Sicht eben doch nur die Regel bestätigen.
Überhaupt kommt das Kapitel eher wie ein Rechenschaftsbericht daher. In der Bilanz hätte man sich Hinweise gewünscht, wo das BMBF strategische Schwerpunkte bei seinen Bewilligungen setzt. Vor allem fehlt in der „Zukunftsstrategie“ an dieser Stelle genau das: eine vorwärts gerichtete Vision. Dabei mangelt es ja nicht an akuten Herausforderungen für die Wissenschaftskommunikation (wobei ich ChatGPT nur als die jüngste nenne)! Andererseits kann man dem BMBF wahrlich nicht vorwerfen, es würde zu wenig tun im Kontext Wissenschaftskommunikation. Selbst wenn man die schon seit mehr als 20 Jahren mit eher vager Wirkung durchgehaltenen Wissenschaftsjahre abzieht, bleiben auf der Haben-Seite auf jeden Fall die #FactoryWisskomm sowie der im Text formulierte Vorsatz, „die Weiterentwicklung von Wissenschaftskommunikation evidenzorientiert voranzubringen“ – mit „fächerübergreifender Forschung“.
Letzteres ist die VolkswagenStiftung schon 2021 angegangen: 15 Mio. Euro Förderung für die Entwicklung von vier Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung. Wobei hier (ganz wichtig!) nicht die Anhäufung weiterer akademischer Wissensbestände im Fokus steht, sondern die erlebbare Verbindung von Theorie und Praxis – inklusive Partizipation, natürlich. Dass das BMBF diesen Impuls aufgreift und qualitative Indikatoren für gute Wissenschaftskommunikation entwickeln lassen will, ist sehr erfreulich.
Auch beim „Innovationsfonds Wissenschaftsjournalismus“, den die VolkswagenStiftung zusammen mit fünf anderen Stiftungen unter dem Dach und der inhaltlichen Federführung der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) fördert, ist das BMBF beteiligt: mit der komplementären Förderung einer transformativen Begleitforschung. Auch darauf wird in der zweiseitigen Leistungsbilanz hingewiesen.
Bleibt als Joker für zukunftsgewandte Entwicklung noch die #FactoryWisskomm. Dass das BMBF diese „Diskursplattform“ für alle Akteursgruppen in der Wissenschaftskommunikation mit viel Engagement und Mühe 2020 zum Laufen gebracht hat, verdient große Anerkennung. Die Resonanz war gewaltig, Enthusiasmus und Arbeitseinsatz der beteiligten Expert*innen auch. Gegenwärtig läuft ein Follow-up, das im September 2022 mit einer Netzwerkveranstaltung startete und in dem Mitglieder der Community sich bemühen, die Ideen und Vorschläge aus der ersten Runde in die Praxis zu transferieren.
So zweifellos verdienstvoll der Impuls des BMBF hier auch ist: Man würde der #FactoryWisskomm mehr Unterstützung und Akzeptanz auf Seiten der Leitungsebenen großer Wissenschafts- und Forschungsorganisationen wünschen. Hier droht erneut die historische Chance verpasst zu werden, Kräfte zu bündeln, gemeinsam Sichtbarkeit zu erhöhen und mehr Einfluss in öffentlichen Debatten zu gewinnen. Stattdessen bleibt es bei der Kleinstaaterei: Nur vier Monate nach dem Ergebnisordner der ersten #FactoryWisskomm etwa publizierte der Wissenschaftsrat sein eigenes Positionspapier zur Wissenschaftskommunikation. 2020 hatte die Allianz der Wissenschaftsorganisationen einen „10-Punkte-Plan zur Wissenschaftskommunikation“ vorgelegt, 2022 folgte ein Papier „zur Partizipation in der Forschung“. Und wenn wir tiefer hineinblicken in den Maschinenraum der Scientific Community, stoßen wir neben vielem anderen auf das Leitbild „Gute Wissenschaftskommunikation“, das sich die TU Dortmund in diesen Tagen verordnet hat.
Dass wir seit Jahren auf einen Flickenteppich unkoordinierter Aktivitäten bei der Evaluierung und Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation blicken, kann man als Konsequenz des wissenschaftlichen Föderalismus gutheißen. Man kann aber auch den Verschleiß an Expertise und Arbeitszeit bedauern, aus dem sich sehr viel mehr Wirkung generieren ließe, wenn man besser abgestimmt vorginge.
Wenn ich also zum Schluss selbst eine Zukunftsstrategie für die Wissenschaftskommunikation formulieren dürfte, dann lautete diese so: Bildung einer unabhängigen Steuerungsgruppe „Wissenschaftskommunikation“, die im wettbewerblichen Verfahren die wirkungsvollsten Beiträge in Forschung und Praxis identifiziert und mit einem Qualitätssiegel auszeichnet – getragen und leidenschaftlich unterstützt von Wissenschaft, Wissenschaftspolitik, Förderern, Medienleuten und Partner*innen in der Zivilgesellschaft.
Zu visionär? Vielleicht. Trotzdem: Wer macht mit?
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