Der Bundestag debattiert heute über einen Koalitionsantrag, der die Wissenschaftskommunikation in Deutschland stärken soll. Ernst Dieter Rossmann, Vorsitzender des Bildungsausschusses im Parlament, spricht im Interview über die Hintergründe und die Ziele des Antrags.
Stärkung der Wissenschaftskommunikation ist Thema im Bundestag
Herr Rossmann, heute wird ein Antrag der Regierungsfraktionen in den Bundestag eingeführt, der sich mit dem Thema Wissenschaftskommunikation befasst. Wieso gibt es diesen Antrag?
Die Initiative geht auf den Koalitionsvertrag zurück: Darin steht ausdrücklich, dass die Wissenschaftskommunikation gestärkt werden soll. Das ist auch ein Auftrag an die regierungstragenden Fraktionen im Parlament. Deshalb haben wir einen Koalitionsantrag erstellt, der Positionen markieren, die parlamentarische Debatte zum Thema befruchten und die Regierung konstruktiv kritisch begleiten und anspornen soll. Dass dieses Thema überhaupt im Koalitionsvertrag auftaucht, liegt an unserer Beobachtung, dass sich Kommunikationswelten stark verändern und wir aus vielen Gründen ein Interesse daran haben müssen, gute und umfassende Wissenschaftskommunikation zu stärken.
Mit welcher Zielsetzung wird so ein Antrag gestellt?
Das Ziel ist immer, dass wir intern eine Art Grundverständnis zu einem Thema entwickeln. In der Politik werden Entscheidungen häufig als Kompromiss zwischen verschiedenen Werten und Interessen gefällt. Zunehmend werden diese Entscheidungen, etwa über wichtige Zukunftsfragen, durch wissenschaftliche Erkenntnisse beeinflusst. Wir wollen dabei helfen, dass Forschende ihre qualitativ hochwertigen und fundierten Befunde in die Diskussion einbringen und damit nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in der Politik Gehör finden.
Wie sieht der Antrag konkret aus?
Der Antrag beschreibt zunächst einmal unser Grundverständnis von Wissenschaftskommunikation und deren Aufgaben sowie die Chancen und Gefährdungen, die wir in diesem Bereich aktuell und auf die Zukunft bezogen sehen. Im zweiten Teil geht es um sechs Handlungsfelder, die sich in den letzten Jahren beispielhaft positiv entwickelt haben. Zum Schluss stellen wir dann dreizehn konkrete Forderungen – einige sind im weiteren Umfeld von Wissenschaftskommunikation angesiedelt und relativ weit weg von den zentralen Konfliktpunkten, die es in der Debatte um die Stärkung Wissenschaftskommunikation derzeit gibt, und andere setzen ganz konkret dort an.
Welche Forderungen sind denn eher konfliktfrei?
Aus dem weiteren Umfeld von Wissenschaftskommunikation ist hier zu nennen, dass die Arbeit des Projekts „Haus der Kleinen Forscher“ weiter zu sichern ist. Oder auch, dass das Programm zur Förderung von Citizen Science weiter zu entwickeln ist, und dass durch gute Wissenschaftskommunikation die Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft und Forschung zu erhöhen ist.
Und welche Dinge gehen in den kritischen Bereich?
Dort sehe ich vor allem drei Kernpunkte. Zum ersten wollen wir, dass der Wissenschaftsrat sich der Wissenschaftskommunikation annimmt und einen Status-quo-Bericht erarbeitet. Der könnte dann künftig auch fortgeschrieben werden und die Entwicklung evaluieren, und auch konkrete Empfehlungen zur Stärkung und Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen geben. In der zweiten Forderung geht es um den Wissenschaftsjournalismus, den wir mit hoher Anerkennung begleiten. Wir sprechen dessen wichtigen Auftrag, aber auch die aktuellen Probleme im Antrag sehr offen an und fordern Initiativen ein, um strukturbildende und innovative Projekte zu fördern. Hier präsentieren wir noch keine abschließende Konzeption, sondern regen einen strategischen Dialog im nächsten Jahr darüber an. So sollte etwa die Idee einer „Agentur für Wissenschaftskommunikation“ oder auch einer Stiftung für Wissenschaftsjournalismus in der vom BMBF vorgeschlagenen #factorywisskomm diskutiert werden. In diesen Vorschlag setzen wir große Erwartungen und erhoffen uns davon Wege, wie der Wisssenschaftsjournalismus gefördert werden kann, ohne zum Staatsjournalismus zu werden.
Der dritte Punkt ist, dass die Wissenschaft selbst die Kommunikation als wichtigen Schwerpunkt sieht und Ideen entwickelt, wie man sich zu aktuellen Themen und Zukunftsfragen im konkreten Bedarfsfall künftig noch besser, fundierter und schneller äußern kann. Das ist dringend notwendig, wie beispielsweise manche Verwirrungen und Irrungen rund um die Feinstaubdebatte gezeigt haben. Hier fordern wir im Zusammenwirken mit den Akademien der Wissenschaften ein strukturbildendes Konzept, welche Rolle diese hier noch prägnanter übernehmen könnten. Ein solches Akademiekonzept sollte auch eine Plattform einschließen, auf der sich die Kompetenzen aus Wissenschaft und Forschung einerseits sowie Medien und Journalisten andererseits noch besser verbinden. Aus sozialdemokratischer Sicht darf ein solches Akademiekonzept jedenfalls kein wissenschaftlich-akademischer Closed Shop sein, sondern muss die Expertise aus dem Journalismus und der ganzen Vielfalt der neuen Medienwelt mit einbeziehen.
Natürlich gehört die Reflektion zum Stand der Umsetzung von guter Wissenschaftlichkeit dazu, aber die wünschenswerten Sonderforschungsbereiche für Wissenskommunikation sollten an anderer Stelle angesiedelt sein. Wir brauchen einen Ort der intensiven Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Bereich der Wissenschaftskommunikation mit Blick auf eine verbesserte Praxis und Auseinandersetzung mit den Zukunftsfragen der Wissenschaftskommunikation.
In einigen Bereichen unterscheidet sich ihr Antrag ja vom kürzlich erschienenen Grundsatzpapier des BMBF. Wie beurteilen sie das Zusammenspiel zwischen beiden Papieren?
Das Grundsatzpapier des BMBF ist ein erster sehr ordentlicher Aufschlag und es enthält gute Ideen. Als Parlamentsfraktionen haben wir aber den Anspruch, einen Schritt weiterzugehen, indem wir bestimmte Dinge konkret zur Umsetzung einfordern sowie eine dringende Klärung von anderen wichtigen Punkten. Vor allem die drei schon erwähnten „kritischen“ Punkte sollten Einzug in die im kommenden Jahr folgende Debatte zur Wissenschaftskommunikation finden. Die Bereitschaft zu einer solchen Debatte hat das Ministerium ja bereits signalisiert. Insofern passen das Papier und unser Antrag gut zusammen.
In den Einschätzungen des BMBF-Papiers kam immer wieder die Kritik auf, dass die Förderung von Wissenschaftskommunikation in der Bewilligung von Projektgeldern dazu führen könnte, dass Lautsprecher gefördert werden und das Resultat vielleicht zwar mehr, aber nicht unbedingt bessere Wissenschaftskommunikation ist. Wie denken Sie darüber?
Ich sehe hier zwei Gefahren. Eine ist, dass die fundierte Stimme der Wissenschaft in unserer heutigen Kommunikationslandschaft nicht mehr gehört wird, weil alle, auch inkompetente, Stimmen als gleichberechtigt wahrgenommen werden und es schwierig wird, die Qualität und Wahrhaftigkeit von Informationen zu bestimmen. Hier muss sich wissenschaftliche Autorität aufbauen können, ohne das Primat der demokratischen Politik in Frage zu stellen.
Die andere Gefahr ist die, dass „Lautsprecher“ gefördert werden, bei denen die wissenschaftliche Arbeit durch kommunikative Leistung verdrängt wird und damit letztlich auch die Reputation des wissenschaftlichen Teils der Wissenschaftskommunikation beschädigt wird. Das darf nicht passieren. Aber ich bin zuversichtlich, dass es gelingen wird, dies zu verhindern. Grundsätzlich brauchen wir dazu einen Kulturwandel innerhalb der Wissenschaft. Die Zeit des Elfenbeinturms ist vorbei. Die Kommunikation nach außen muss im System allgemein an Bedeutung gewinnen. Wissenschaft soll nicht nur für wenige Expertinnen und Experten zugänglich sein, sondern muss Einzug in die breite Öffentlichkeit finden und helfen, eine mündige Gesellschaft zu bilden. Hier spielt der Wissenschaftsjournalismus natürlich auch eine große Rolle.
Wissenschaftskommunikation muss quasi „Chefsache“ werden und innerhalb der Wissenschafts- und Forschungsbetriebe stärker anerkannt werden. Nur so kann sie erfolgreich sein. Diesen Kulturwandel können wir nur gemeinsam mit der Wissenschaft und deren Organisationen und Institutionen schaffen. Deshalb ist es wichtig, diese in die Prozesse mit einzubeziehen. Wir haben in Deutschland mit den außeruniversitären und den universitären Forschungseinrichtungen zwei Säulen in der Wissenschaftslandschaft, die auch die Kommunikation prägen. Hier wurde in der Vergangenheit schon viel erreicht. Es wird auch in Zukunft wichtig sein, beide Bereiche in die Entwicklung von Strategien einzubinden.
Wie sieht denn Ihr Idealbild guter Wissenschaftskommunikation aus?
Gute Wissenschaftskommunikation ist für mich immer eine Kommunikation, die in der Sache fundiert ist, die relevante Fragen aufgreift, die zum besseren Verständnis und zur Einordnung von Sachverhalten führt sowie Orientierung liefert. Das gilt sowohl für die Zielgruppe Politik als auch für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Und schließlich ist eine gute Wissenschaftskommunikation eine, die Zuversicht in die Zukunft sowie Offenheit und Neugierde befördert.
Wenn es um die Förderung von Wissenschaftsjournalismus geht, meinen Sie damit die Stärkung des aktuellen Systems oder das Beschreiten neuer Wege?
Um das zu beantworten, müssen wir uns zunächst der Grundsatzfrage stellen, welche Rolle der Journalismus zukünftig angesichts gewandelter Medientechnologien und der neu strukturierten Öffentlichkeit allgemein in unserer Gesellschaft spielen kann und soll. Das kann ich als Bildungspolitiker und Wissenschaftler nicht alleine beantworten. Als System steht die Wissenschaft in einer besonderen Verantwortung, wenn es um Information, Aufklärung, Fakteneinordnung geht. Wissenschaft ist ein öffentliches Gut, sie muss sich in die Öffentlichkeit hinein vermitteln und durch Journalismus mit vermittelt werden, in klassischer Form und auch auf neuen Wegen. Die Herausforderung wird sein, den Wissenschaftsjournalismus in seiner Unabhängigkeit nicht anzutasten und ihn gleichzeitig zu fördern. Hier müssen wir einen Staatsjournalismus unbedingt vermeiden. Es gilt also, sich über neue Förderungsmöglichkeiten Gedanken zu machen, denn wir brauchen einen starken, modernen und auf vielen Kanälen wirksamen Wissenschaftsjournalismus.
Wichtige Aufgaben und Herausforderungen müssen gemeinsam angegangen werden. Nehmen Sie die Erfahrung mit der Feinstaub-Debatte: Wenn mehrere Institute parallel an der kritischen Aufarbeitung von Daten und an Faktenchecks arbeiten und es sehr lange dauert, bis Fundiertes der Öffentlichkeit kommuniziert wird, könnte eine „Taskforce“ oder eben eine Akademie für Wissenschaftskommunikation helfen, mit einer entsprechenden Einheit im Netzwerk von Wissenschaftsakademien und Forschungseinrichtungen. Aufgabe einer solchen Einheit wäre es unter anderem auch, Themen vorausschauend zu identifizieren und entsprechend ihre kommunikative Aufbereitung vorzubereiten.
Ein anderes Beispiel: Wir brauchen Synergien zwischen dem wissenschaftlichen, dem bürgerwissenschaftlichen und dem medialen Bereich. Schließlich bieten die Bürgerwissenschaften die Chance, auf einer sehr elementaren Ebene Fragen nach Relevanz und Nutzen in die Wissenschaft einzubringen. Hier braucht es aus meiner Sicht mehr Austausch. Bürgerwissenschaft ist in der Regel sehr konkret und lokal. Was bedeutet das für die regionale Wissenschaftskommunikation? Zugleich kann Bürgerwissenschaft auch eine Übersetzungsleistung von Wissenschaft mit vornehmen. Wie muss sie dabei medial unterstützt werden?
Was ist aus Ihrer Sicht der Vorteil von Bürgerwissenschaften?
Das große Potenzial sehe ich vor allem darin, dass sie die Fähigkeit hat, vielen Menschen die Prozesse und Methoden der Wissenschaft verständlich zu machen. Wir müssen als Gesellschaft lernen, mit der Relativität, die der Wissenschaft prinzipiell innewohnt, umzugehen und in diesem Sinne dann auch Unsicherheit aushalten zu können, ohne handlungsunfähig zu werden.
Was sind die nächsten Schritte, nachdem der Antrag debattiert wurde?
Ich erwarte einen konstruktiven und kritischen Dialog zu dem Papier. Mit dem Antrag und dem Grundsatzpapier des BMBF können wir jetzt daran arbeiten, das Jahr 2020 zu einem Jahr der Konzeptbildung, der Zuspitzung und der Konzentration auf Schlüsselprojekte der Wissenschaftskommunikation zu machen, damit dann möglichst viele unserer Punkte Einzug in die Realität erhalten – das wird dann die Aufgabe für die nächsten Jahre über 2020 hinaus sein.