Kann Wissenschaftskommunikation die Entfremdung von der Demokratie verringern? Ja, meinen unsere Gastautor*innen Katja Maasch und Manuel Steinert vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt – und sehen großes Potenzial in spielerischen Formaten wie Dorfgründungssimulationen und Escape Rooms.
Spielerisch die Demokratie stärken?
50 Prozent der AfD-Wähler*innen in Deutschland haben überwiegend Bekannte, die die gleiche politische Meinung vertreten wie sie selbst. Bei den Wähler*innen der Grünen sind es sogar 62 Prozent1. Dieses Studienergebnis unseres Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) mag erschrecken, doch es überrascht nicht.
Sucht man nach den Ursachen der seit einigen Jahren beschworenen „Krise der Demokratie“, stößt man immer wieder auf den gefühlten oder tatsächlichen Kontaktverlust. Ein Kontaktverlust zwischen gesellschaftlichen Gruppen, die sich zunehmend in ideologische und sozio-ökonomische „Blasen“ zurückziehen.
Zwar zeigen aktuelle Studien deutlich, dass sich eine grundsätzliche Spaltung der Gesellschaft in zwei große Lager bisher nicht erkennen lässt2. Doch das hindert „Polarisierungsunternehmer“3 wie populistische Parteien und Medien nicht daran, ein gesellschaftliches Klima der Spaltung bewusst anzuheizen.
Ein Gefühl, das ohnehin genährt wird vom medial vermittelten Eindruck, dass gewählte Entscheidungsträger*innen sich eher mit innerpolitischen Streitigkeiten beschäftigen, als mit der Lösung überwältigend anmutender Krisen. Und dabei Bürger*innen mit dem Eindruck zurücklassen, diesen Krisen einigermaßen hilflos als „kleines Rädchen im Getriebe“ ausgeliefert zu sein.
Darüber hinaus wächst die Gruppe derer, die das politische System aufgrund seiner langwierigen und nicht immer transparenten Aushandlungsprozesse in Frage stellen4. Besonders deutlich wird der Kontaktverlust zur Demokratie bei der jüngeren Generation. Nur 42 Prozent der 16- bis 29-Jährigen sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden5.
Wie Wissenschaftskommunikation ihre demokratische Verantwortung wahrnehmen kann
Mit dieser Ausgangslage sehen sich die Gesellschaftswissenschaften konfrontiert, deren Kontakte zur Gesellschaft sich allzu oft auf die eigene elitäre Bubble („die interessierte Öffentlichkeit“) beschränken. Dabei sind die Gesellschaftswissenschaften, wie die Demokratie selbst, einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck und verstärkten Angriffen ausgesetzt.
Was ist das Gegengift zu all diesen Entfremdungsdynamiken? Kaum überraschend lautet unsere Antwort „Wissen“! Wissen darüber, wie demokratische Prozesse funktionieren und welche Kompetenzen es braucht, um selbst Politik zu gestalten. In diesem Sinne hat die Wissenschaftskommunikation eine integrale demokratische Verantwortung. Dieser kann sie nur gerecht werden, wenn sie aktiv den Kontakt zur Gesellschaft sucht, Wissen im Austausch mit ihr produziert und dabei als Kontaktpunkt zur Demokratie fungiert.
Ein solcher Dialog erfordert eine Neujustierung der eigenen Rolle weg von einer belehrenden und hin zu einer zuhörenden und befähigenden Wissenschaftskommunikation. Ein herausfordernder Prozess, den wir am FGZ in verschiedenen Projekten ausloten.
Spielerisch zu mehr demokratischer Teilhabe
Als besonders erfolgreich haben sich Projekte erwiesen, die auf fiktive Szenarien basieren. Dabei werden wissenschaftliche Inhalte und Kontextwissen nicht vorgegeben, sondern als möglichst selbstbestimmte Auseinandersetzung angeboten. Solche spielerischen Ansätze bieten Schüler*innen, aber auch Erwachsenen einen geschützten Erprobungsraum, der – entkoppelt vom „Ernst des Lebens“ – Neugier und Freude an der Auseinandersetzung weckt. Konkrete Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten geben den Teilnehmenden die Möglichkeit, einen persönlichen Bezug zu den Inhalten herzustellen. Zwei dieser Räume möchten wir exemplarisch vorstellen. Die von dem Politikdidaktiker Andreas Petrik (FGZ Standort Halle) entwickelte Dorfgründungssimulation ist ein „soziales Experiment“. Dabei gründen Schulklassen unterschiedlicher Altersstufen und Bildungswege an zwei bis drei Tagen eine neue Gesellschaft in einem fiktiven, leerstehenden Bergdorf. Die Teilnehmenden müssen gemeinsam ihre jeweiligen Rollen und eine „Dorfverfassung“ aushandeln, in der die Einkommensverteilung, Lebensweise und das Herrschaftskonzept geregelt wird. Dabei lernen sie, wie politische Prozesse funktionieren, wie man Konflikte löst und wie sich persönliche Überzeugungen in politische Ansichten übersetzen.
Das Experiment steigert nicht nur das Vertrauen in die Politik, sondern auch in sich selbst und vermittelt die Erkenntnis, mitgestalten zu können. Gleichzeitig können die begleitenden Wissenschaftler*innen Erkenntnisse aus dem Experiment, etwa zu Grundprinzipien und Verfahren der Demokratie als friedlichem Konfliktlösungsmechanismus, in ihren Forschungsprozess aufnehmen. Genau das verstehen wir unter einer befähigenden und dialogischen Wissenschaftskommunikation.
Erkenntnisse aus den Escape Bubbles
Mit den Escape Bubbles haben wir noch einen weiteren spielerischen Ansatz ausprobiert. Dabei handelt es sich um zwei Rätselräume, die in unterschiedlichen Zeiten spielen: 2029 und 2035. Während 2029 die Demokratie kurz vor dem Untergang steht, ist sie 2035 bereits verloren. Über eine „Zeitmaschine“ müssen die beiden Gruppen zusammenarbeiten, um die Demokratie zu retten, indem sie Rätsel lösen und Hinweise austauschen. Dabei setzen sich die Teilnehmenden inhaltlich mit demokratischen Prozessen auseinander und lernen gleichzeitig demokratische Kompetenzen wie Konfliktfähigkeit, kritisches Denken und Teamarbeit anzuwenden.
Inzwischen haben wir bei den Escape Bubbles zwei interessante Beobachtungen gemacht. Die Teilnehmenden sind so mit den Rätselmechaniken beschäftigt, dass wissenschaftliche Inhalte zu den Themen Demokratie und Polarisierung während des Spielens nicht mehr gut aufgenommen werden. Und: Spieler*innen, die sich zuvor nicht kannten, haben während des Rätsellösens häufig engen Kontakt aufgebaut – manchmal gab es am Ende sogar ein gemeinsames Selfie.
Das zentrale Learning ist also, dass die Escape Bubbles besser als Begegnungsraum funktionieren, denn als Format der konkreten Inhaltsvermittlung. Mit diesem Wissen werden wir eine zweite Spielvariante entwickeln, in der das Diskutieren miteinander, um zur Lösung zu gelangen, einen größeren Stellenwert einnimmt.
In jedem Fall zeigen unsere Erfahrungen, dass spielerische Ansätze gemessen an ihrer Nachfrage und Resonanz zielführende Antworten auf die Frage sind, wie Wissenschaftskommunikation als Kontaktvermittlung zur Demokratie fungieren kann.
Mit Wissenschaftskommunikation die Demokratie retten?
Zu jedem hehren Ziel gehört – leider, möchte man sagen – ein realistisches Erwartungsmanagement. Wissenschaftskommunikation kann eine wichtige Rolle bei der Stärkung der Demokratie spielen. Wie gut ihr das gelingt, hängt vor allem davon ab, ob sie sich traut, ihre angestammten Räume zu verlassen. Das heißt, dass spielerische Formate über Multiplikator*innen Menschen erreichen müssen, die sich nicht zu den klassischerweise erreichten hochgebildeten, oftmals städtischen, gut situierten Milieus zählen.
In Zeiten von Fake News und Verschwörungstheorien ist es besonders wichtig, dass die Wissenschaft eine vertrauenswürdige Instanz bleibt. Sie kann helfen, Fakten von Fiktion zu trennen und Orientierung in einer komplexen Welt zu bieten. Die Wissenschaft kann ein „Fels in der Brandung“ sein und durch faktenbasierte Kommunikation einen kühlen Kopf bewahren.
Wenn es darüber hinaus gelingt, Entfremdungserscheinungen entgegenzuwirken und stattdessen zum Vertrauen beizutragen, dass der Einzelne kein kleines Rädchen außerhalb des großen Getriebes ist, sondern Teil eines wirkmächtigen Ganzen und selbst die Kraft hat, Veränderungen anzustoßen, dann ist viel gewonnen.
Die redaktionelle Verantwortung für den Artikel lag bei Anna Henschel. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.