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So werden Brettspiele zu lebendigen Geschichtsbüchern

Mit einem Blick auf das Spielbrett beginnt die Reise durch die Geschichte. Doch warum sind moderne Brettspiele so faszinierend für die Forschung? Das Projekt „Boardgame Historian“ untersucht genau das.


Was genau verbirgt sich hinter dem Namen “Boardgame Historian”?

Lukas Boch (rechts) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der WWU Münster am Seminar für historische Theologie und ihre Didaktik. Aktuell promoviert er über das Mittelalter im modernen Brettspiel als (kirchen-)geschichtskulturelle Gattung.
Anna Falke (links) promoviert an der WWU Münster im Bereich Archäologie zu antiken Brücken im vorderen Orient. Durch ihre Arbeit im Bibelmuseum der WWU Münster hat sie sich intensiv damit beschäftigt, wie man historische Themen heutzutage noch zugänglich machen kann. Zusammen mit Lukas Boch hat sie das Projekt Boardgame Historian – Geschichte und Gesellschaft in analogen Spielen gegründet. Foto: @boardgamehistorian

Anna Falke: Als wir angefangen haben, haben wir uns damit beschäftigt, wie Geschichte in Brettspielen dargestellt wird. Also ein bisschen wie ein*e Brettspielhistoriker*in.

Lukas Boch: Wir sind letztlich eine Vernetzungsplattform für Wissenschaftler*innen, die Spaß daran haben, zu analogen Spielen zu forschen und gleichzeitig das Kulturgut vorantreiben möchten. Wir beschäftigen uns aber nicht schwerpunktmäßig mit historischen Spielen, das heißt Spiele, die im Mittelalter oder Antike gespielt wurden. Uns geht es um moderne Spiele, die nach dem Zweiten Weltkrieg, spätestens aber seit den 70er, 80er Jahren in Deutschland ihren Aufschwung genommen haben, also zum Beispiel die Siedler von Catan oder Carcassonne.

Wie kam es zu dem Projekt?

Falke: Das Projekt wurde Ende 2020 von Lukas und mir gegründet. Im Bereich der digitalen Spiele gibt es schon eine relativ große Forschungsgemeinschaft, die unter dem Titel Game Studies zusammengefasst werden kann. Wir spielen privat sehr gerne Brettspiele, weshalb uns aufgefallen ist, dass es für analoge Spiele noch gar nicht so richtig organisierte Forschung gibt. Wir haben da also eine Forschungslücke gesehen.

Welche Ziele verfolgen Sie mit „Boardgame Historian“?

Boch: Die deutsche Brettspiel-Szene hat ganz allgemein das Problem, dass ihr eine Lobby fehlt. Es gibt viele aktive Akteur*innen, die häufig für sich alleine, manchmal auch gegeneinander arbeiten. Aber es gibt nicht so etwas wie game, den Verband der Deutschen Games-Branche für digitale Spiele. Das wäre zukünftig sehr wichtig und damit auch ein Ziel, das wir unterstützen wollen.

Falke: Digitale Spiele sind seit 2008 als Kulturgut anerkannt und das ist bei Brettspielen noch nicht der Fall. Wobei Brettspiele ja viel älter sind und sich das daher ebenso anbieten würde. Das ist ein Ziel der ganzen Szene und natürlich auch etwas, was wir mit unserem Projekt auch erreichen wollen. Was uns ganz wichtig ist, ist dass wir nicht nur mit Wissenschaftler*innen arbeiten, sondern auch ganz gezielt mit der Öffentlichkeit und mit der Brettspiel-Szene.

Boch: Deswegen ist das Thema Wissenskommunikation in unserem Projekt fest verankert, da es gar nicht anders funktioniert. Wir müssen mit den Leuten zusammenarbeiten, mit Autor*innen, mit Verlagen, weil wir sonst gar nicht die Expertise hätten, über den Gegenstand zu sprechen.

„Das ist unser großes Anliegen, dass man sich über den Spaß am Spielen ein bisschen mehr mit dem Thema, was in so einem Brettspiel verhandelt wird, auseinandersetzen kann.“ Anna Falke

Warum sollte man Ihrer Meinung nach analoge Brettspiele nicht außen vor lassen, wenn es um Wissenschaftskommunikation geht?

Falke: Analoge Spiele sind ein populärkulturelles Medium, das sehr weit verbreitet ist. Ich glaube, so gut wie jede Familie hat Catan oder Carcassonne oder zumindest Kartenspiele zu Hause. Das heißt, viele Menschen haben in ihrem Alltag viele Berührungspunkte damit. Viele Spiele haben außerdem historische Themen als Setting. Das heißt, es gibt ganz viele Geschichtsbilder, die in solchen Spielen verarbeitet werden. Das ist unser großes Anliegen, dass man sich über den Spaß am Spielen ein bisschen mehr mit dem Thema, was in so einem Brettspiel verhandelt wird, auseinandersetzen kann.

Boch: Das Prinzip der Geschichtskultur sagt, dass unsere Vorstellung von der Vergangenheit durch ganz unterschiedliche Quellen konstituiert wird. Und das sind nicht nur Schulen und Universitäten, sondern gerade populärkulturelle Medien. Wir wollen herausfinden, wie Spielemacher*innen es eigentlich schaffen, eine historische Atmosphäre zu schaffen, die dann bei den Spielenden ein Gefühl von Authentizität erzeugt.

Falke: Es gibt auch verschiedene Institutionen, die extra Spiele entwickelt haben, um damit Wissenschaft zu kommunizieren. Es gibt zum Beispiel das Entwicklerstudio Playing History aus Berlin. Die haben schon ganz viel mit Museen zusammengearbeitet und verschiedene Spiele entwickelt, die man auch zu Hause spielen kann und die wirklich Spaß machen. Ein gutes Beispiel wäre das vom Berliner Antike Kolleg entwickelte Spiel „Taskforce: Saving Antiquities“, indem man spielerisch etwas darüber lernt, wie Kulturgüterschutz eigentlich funktioniert.

„Wir wollen herausfinden, wie Spielemacher*innen es eigentlich schaffen, eine historische Atmosphäre zu schaffen, die dann bei den Spielenden ein Gefühl von Authentizität erzeugt.“ Lukas Boch

Denken Sie, es bleibt mehr hängen, was Spaß macht?

Falke: Auf jeden Fall. Ich glaube, dass die Menschen gerade durch den Spaßfaktor eher motiviert sind, sich mehr mit einem Thema mehr zu beschäftigen.

Boch: Bei unserem Projekt geht es eben nicht um Serious Games, uns geht es um sogenannte Consumer Games. Also um Spiele, die nicht maßgeblich für Bildungszwecke erstellt wurden, sondern eigentlich um Spiele, die wir ganz normal im freien Markt kaufen wollen. In Serious Games wird zwar viel akademisches Wissen integriert, aber es werden oft wichtige Aspekte der Spielentwicklung nicht beachtet. Das ist auch etwas, woran wir arbeiten, indem wir ein Netzwerk bilden und so die Kompetenzen der Leute aus dem Kultur-, Bildungsbereich sowie der Spieleentwickler*innen zusammenführen.

Ausstellung „Mönch ärgere dich nicht: kriegerische Nonnen, biertrinkende Menschen, Trinkfeste Brüder und geheimnisvolle Klöster“. Foto: @boardgamehistorian

Wie können Spiele dazu beitragen, ein besseres Verständnis für komplexe historische und gesellschaftliche Zusammenhänge zu fördern?

Boch: Ich nehme immer sehr gerne „Orléans“ als Beispiel. In dem Spiel hat man einen Beutel und in dem sind verschiedene Personen der mittelalterlichen Ständegesellschaft, also Mönche, Ritter, Gelehrte und so weiter enthalten. Einen Mönch kann man beispielsweise einsetzen, um Bier zu brauen. Da hat man direkt den Spaßfaktor, weil bierbrauende Mönche etwas sind, was heutzutage die Leute begeistert, aber natürlich hat man auch den historischen Zusammenhang, weil die Klöster im Mittelalter das Braurecht hatten. Allgemein ist es natürlich so, dass je mehr man ein Spiel mit Gimmicks versieht, desto näher kommt man an einen Simulationscharakter. Das dauert dann aber seine Zeit, wenn man die ganzen komplexen Regeln lesen und verstehen muss. Deswegen finde ich gerade niederschwellige Spiele, die durch ihre Mechaniken historische Komplexe zugänglich machen, sehr interessant.

Sammelband der Ausstellung. Bild: @boardgamehistorian

Sie kuratieren auch Ausstellungen, veröffentlichen wissenschaftliche Publikationen und organisieren Veranstaltungen. Wie waren die Rückmeldungen?

Falke: Wir haben 2022 im Museum Abtei Liesborn eine Ausstellung gemacht mit dem Titel „Mönch ärgere dich nicht: kriegerische Nonnen, biertrinkende Menschen, Trinkfeste Brüder und geheimnisvolle Klöster“. Es ging darum, wie die Klosterkultur des Mittelalters im modernen Brettspiel dargestellt wird. Die Ausstellung kam so gut an, dass wir daraus hinterher noch eine Rollup-Ausstellung gemacht haben, die schon an verschiedenen Standorten und Events gezeigt wurde. Durch die hohe Nachfrage haben wir gemerkt haben, dass viele Menschen Brettspielforschung als eine Art der Wissenschaftskommunikation wahrnehmen, durch die man nochmal neue Zielgruppen erreichen kann.

Boch: Aus dieser Ausstellung ist dann auch noch ein Sammelband entstanden. In dem haben Expert*innen aus verschiedenen Bereichen untersucht, wie Klöster und Klerus, in verschiedenen Spielgenres dargestellt werden. In diesem Buch haben wir auch darauf geachtet, nicht nur unsere wissenschaftlichen Beiträge zu veröffentlichen, sondern auch ein Interview mit einem Autoren und einen Werkstattbericht. Das heißt, Wissenschaftskommunikation, auch in Form von Publikationen, ist uns wichtig.


Weitere Informationen zur Arbeit von Lukas Boch und Anna Klara Falke finden Sie unter www.boardgamehistorian.de und in den sozialen Medien (Instagram: @boardgame_historian; X: @boardgamehisto).