Die Nachfrage nach Fort- und Weiterbildungen in der Wissenschaftskommunikation steigt. Unser Gastautor Volker Hahn findet, dass die Rollenreflexion im Wisskomm-Kompetenzaufbau nicht zu kurz kommen darf.
So könnte Wisskomm entpolarisieren
Wissenschaftskommunikation boomt.
Jüngster Beleg: Der Deutsche Bundestag stimmte im Juni mit großer Mehrheit für den Antrag „Wissenschaftskommunikation systematisch und umfassend stärken“. Darin heißt es: „Um die Potenziale von Wissenschaftskommunikation auszuschöpfen ist es wichtig, die Bedeutung von Wissenschaftskommunikation anzuerkennen, sie zu professionalisieren und ihre Förderung zu verstärken.“
Wenn immer mehr Forschende Wissenschaft kommunizieren sollen, und wenn sie das gut machen sollen, dann wird Kompetenzaufbau zu einer Schlüsselaufgabe. Im Antrag heißt es dazu: „[…] braucht gelingende Wissenschaftskommunikation einen umfassenden Kompetenzaufbau, der sich systematisch an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf allen Karrierestufen richtet.“ In der #FactoryWisskomm widmet sich eine eigene Arbeitsgruppe dem Kompetenzaufbau. Und auf dem Weiterbildungsmarkt gibt es zahlreiche Anbieter wie das NaWik*, welche Forschenden beibringen, gut zu kommunizieren. All dies sind zweifellos erfreuliche Entwicklungen.
Grenzen wissenschaftlicher Aussagen erkennen
Ich kenne viele junge Forschende, die sich für Wissenschaftskommunikation begeistern. Sie wollen das Handwerk erlernen: Welche Kommunikationskanäle nutze ich? Wie erkläre ich komplizierte Sachverhalte verständlich und anschaulich? Wie geht gutes Storytelling? Alles sehr wichtig. Aber kaum jemand, so meine Beobachtung (und nicht nur meine1), macht sich hinreichend Gedanken über seine Rolle in politischen und politisierten Kontexten. Zwei Beispiele:
Während eines Medientrainings sprach ich eine junge Wissenschaftlerin auf einen Satz an, den sie an prominenter Stelle in ihr peer-reviewed paper geschrieben hatte; er lautete sinngemäß: Städtische Parks (in Südasien) müssen als Gemeingüter neu konzipiert werden, so dass alle Menschen kostenfreien Zutritt haben. Ich stellte die Frage, ob dies eine wissenschaftliche Aussage sei…
In einem anderen Fall fragte sich ein junger Biologe, ob er das Pflanzen der Douglasie, eines Nadelbaums aus Amerika, in unseren Wäldern empfehlen solle. Ich war der Meinung, dass dies keine rein wissenschaftliche Frage sei, da Forstwirtschaft und Naturschutz unterschiedliche Interessen hätten…
Beide Forschende reagierten irritiert und waren spürbar verunsichert. Daraus ist ihnen kein Vorwurf zu machen. Vielmehr zeigen diese (harmlosen) Beispiele eine mangelnde Auseinandersetzung mit den Grenzen wissenschaftlicher Aussagen.
Demokratische Relevanz erfordert kritische Reflexion
Wissenschaftler folgen – bewusst oder unbewusst – oft einem linearen Verständnis evidenzbasierter Politik: Wissenschaft sammelt Fakten, leitet daraus eindeutige Handlungsempfehlungen ab und die Politik setzt um. So forderte im Corona-Winter 2020/21 eine Gruppe Forscherinnen und Forscher unter dem Dach der Leopoldina einen umfassenden Lockdown. Die Virologin Melanie Brinkmann, „Mitwirkende“ der Stellungnahme, sagte dazu in den Tagesthemen: „Wenn die Politik sich an diese Ratschläge nicht hält, […] dann habe ich tatsächlich meinen Glauben an die Politik hier in Deutschland verloren.“ Ähnlich äußerte sich auch Christian Drosten. Wenig überraschend gab und gibt es scharfe Kritik an diesen Aussagen.
Das Berufen auf ‚die‘ Wissenschaft, der es zu folgen gelte, ist nach meiner Beobachtung allgegenwärtig. Der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Peter Strohschneider, analysiert in seinem neuen Buch mehrere solcher Fälle und brandmarkt sie als „autoritären Szientismus“.
Grundsätzlich ist es eine gute Sache, dass es in unserer Wissensgesellschaft die Erwartung gibt, die Politik solle Erkenntnisse aus der Forschung berücksichtigen. Das ist ein zentraler Grund für die zunehmende Bedeutung von Wissenschaftskommunikation. Aber die politische Relevanz wissenschaftlicher Themen führt zwangsläufig dazu, dass Aussagen Forschender kritisch beäugt werden – insbesondere von Personen, denen die politischen Implikationen nicht gefallen2. Das kann im Diskreditieren wissenschaftlicher Stimmen als „Alarmisten“ oder „Leugner“ münden, bis hin zu strafrechtlich relevanten Anfeindungen. Nicht umsonst gibt es seit einigen Monaten den Scicomm-Support. Wissenschaftler sollten nicht blauäugig in solche Diskussionen gehen und müssen deshalb mehr erlernen als nur das oben skizzierte Handwerkszeug.
Es geht aber nicht nur um Selbstschutz. Es geht auch darum, die eigene Rolle im demokratischen Streit um tragfähige Problemlösungen zu reflektieren. Das Beispiel Corona zeigt, dass Kommunikation polarisieren kann (und Konflikte nicht löst), wenn sie vielschichtige gesellschaftliche Probleme auf reine Wissensfragen reduziert. Zwei Soziologen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, bringen es in ihren Buchtiteln provokativ auf den Punkt: „The Divide – How Fanatical Certitude is Destroying Democracy“ von Taylor Dotson und „Die Epistemisierung des Politischen – Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet“ von Alexander Bogner.
Entpolarisierende Wissenschaftskommunikation
Die gute Nachricht: Wissenschaftskommunikation kann auch entpolarisieren. Das zumindest ist das Ergebnis einer neuen Studie aus Karlsruhe. Senja Post und Nils Bienzeisler haben untersucht, wie die Art der Kommunikation das Vertrauen in Wissenschaftler beeinflusst. Das Ergebnis: Wissenschaftskommunikation, die sich um Trennung wissenschaftlicher und politischer Botschaften bemühte, wird eher und vor allem „gleichmäßiger“ vertraut – also nicht nur von einem politischen Lager. Bestätigen sich diese Befunde, lassen sich daraus Werkzeuge für entpolarisierende und vertrauensfördernde Kommunikation ableiten. Diese müssten sich den Titel des Post-Bienzeisler-Papers zum Leitmotiv machen: „… Disentangling Science from Politics“.
Ob man solche Kommunikationswerkzeuge nutzen möchte, muss jeder für sich selbst festlegen. Wer den Applaus politisch Gleichgesinnter sucht, entscheidet sich womöglich anders. Nur sollte man wissen, was man tut und sich bewusst entscheiden.
Kompetenzaufbau sollte Meta-Themen wie Rollenreflexion beinhalten
Womit wir wieder beim Kompetenzaufbau sind. Ich plädiere dafür, dass wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beim Erlernen des kommunikativen Rüstzeugs viel Raum geben für die Auseinandersetzung mit „Meta-Themen“ wie das oben ausgeführte. Dazu gehört meines Erachtens auch die Kommunikation von Perspektivenvielfalt, Unsicherheiten und Revisionsoffenheit im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess.
Zum Teil passiert das schon. Beispielsweise geht es im „WissKomm-Kolleg“ der Alfred-Toepfer-Stiftung und der Claussen-Simon-Stiftung um „Rollenklärung“ und die „Positionierung im System Wissenschaft – Medien – Politik – Zivilgesellschaft – Öffentlichkeit“. Doch welchen Stellenwert haben solche Meta-Themen innerhalb der zahlreichen Medien- und Wisskomm-Trainings verschiedenster Anbieter? Laut einer Studie zu „Science Communication Training in North America“ von 2020 nur einen sehr geringen: „Only a small minority of trainers explicitly addressed communication objectives beyond increasing scientific knowledge or understanding.“ Ob dieser Befund auch auf den deutschsprachigen Raum zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen.
Sollte ich also mit diesem Text Eulen nach Athen tragen … umso besser! Wenn nicht, so bekräftige ich mein Plädoyer, mehr dafür zu tun, dass Meta-Themen auch bei denen ankommen, die sie kommunikativ umsetzen müssen.
Wie könnte das aussehen? Beispielsweise könnte in einem Wisskomm-Training diskutiert werden, wie man mit einer politisch-normativen Frage umgeht („Was müssen wir jetzt machen?“). Und wie die idealtypischen Rollen, die Post und Bienzeisler experimentell verglichen haben („The Honest Broker versus the Epistocrat“3), in der Praxis umgesetzt werden können.
Fazit: Rollenreflexion ist Voraussetzung für gute Wissenschaftskommunikation auf allen Kanälen. Sie kann dazu beitragen, Kommunizierende vor Angriffen und unsachlichen Konflikten zu schützen. Und sie hilft uns, eine konstruktive Rolle im demokratischen Diskurs einzunehmen. Deshalb sollte sie integraler Bestandteil möglichst vieler Wisskomm-Trainings sein. So können wir der wachsenden Bedeutung der Wissenschaftskommunikation besser gerecht werden.
*Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) gGmbH ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.
Anmerkung der Redaktion: Üblicherweise verwenden wir den Genderstern. In diesem Gastbeitrag verzichten wir auf Wunsch des Autors darauf.
Die redaktionelle Verantwortung für diesen Gastbeitrag lag bei Michael Wingens. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.