Was haben Wissenschaft und Journalismus gemeinsam? Ein Gespräch mit Stefanie Molthagen-Schnöring über sich ändernde Rollen während der Pandemie, Anfeindungen gegen Forschende und wie Wissenstransfer zwischen Politik und Wissenschaft gelingen kann.
Sind Forschende bessere Journalist*innen?
Frau Molthagen-Schnöring, Sie zitieren in einem Ihrer Texte den Soziologen Niklas Luhmann, der sagte: „Was wir über die Gesellschaft, über die Welt wissen, in der wir leben, wissen wir über die Medien.“ Wissenschaftler*innen haben während der Pandemie eine entscheidende neue Rolle in den Medien eingenommen. Sie werfen die Frage auf, ob Forschende dadurch sogar die besseren Journalist*innen sein können. Können Sie das sein?
Nein, das können sie natürlich nicht. Die Frage war ein provokanter Einstieg in einen Text, der darlegen sollte, dass Wissenschaftler*innen vielen Mechanismen und Herausforderungen ausgesetzt sind, die denen von Journalist*innen ähnlich sind. Wissenschaftler*innen können ihre eigene Forschung mit viel Elan kommunizieren. Von Journalist*innen erwarten wir, etwas einzuordnen, etwas zu erklären und damit auch unser Wissen zu erweitern. Auch die inhaltliche Einordnung sollten besser Journalist*innen vornehmen, weil sie ihr Publikum in der Regel besser kennen als Forschende. Wir brauchen in jedem Fall weiterhin einen unabhängigen Wissenschaftsjournalismus.
Welche Ähnlichkeiten sehen Sie zwischen den Disziplinen Wissenschaft und Journalismus?
Die Wissenschaft und den Journalismus treibt die Neugierde an, Themen wirklich durchdringen zu wollen, auf der Suche nach der Wahrheit. Natürlich auf anderen Ebenen und mit anderen Funktionen. Sie haben am Anfang Luhmann zitiert. Der Systemtheorie zufolge ist die Wissenschaft das System, was für die Bereitstellung der Wahrheit zuständig ist, die Medien dienen wiederum der Verbreitung von Kommunikation und der Beobachtung von Gesellschaft.
Zudem sind beide Disziplinen immer schon in Kommunikation eingebunden. Nur hat sich das System der Wissenschaft bis jetzt sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Die Kommunikation lief häufig nur in der wissenschaftlichen Community ab und ging selten raus in Richtung Politik oder Öffentlichkeit. Das ist das Neue und Entscheidende, was in der Pandemie passiert ist. Wissenschaftler*innen sind mit dieser für sie häufig neuen Aufgabe konfrontiert gewesen, ihre Forschung nach außen verständlich zu vermitteln. Der Journalismus hatte diesen öffentlichen Auftrag schon immer. Da die meisten Wissenschaftler*innen aus Steuergeldern finanziert sind, sehe ich diesen öffentlichen Auftrag aber auch bei ihnen und eine Notwendigkeit, dass sie über ihre Forschung kommunizieren.
In letzter Zeit wurde vermehrt darüber diskutiert, wie Wissenschaftsjournalismus über Wissenschaft berichten sollte. Es gibt sowohl Vorwürfe, dass er zu wohlwollend als auch zu kritisch gegenüber der Wissenschaft sei. Was denken Sie darüber?
Erst einmal ist Wohlwollen an sich nicht schlecht. Das, was die Bild-Zeitung beispielsweise macht, ist alles andere als wohlwollend. Ich denke, dass der Journalismus nicht nur die Aufgabe haben sollte, kritisch zu hinterfragen. Das ist eine Aufgabe, aber Journalismus nimmt auch eine Informationsfunktion ein. Besonders bei der Kommunikation über Wissenschaft ist das wichtig, weil die Zusammenhänge sehr komplex sind. Zuerst muss eine Grundbasis an Informationen da sein, damit Menschen über ein Thema diskutieren können. Und diese Aufgabe, finde ich, erfüllen Wissenschaftsjournalist*innen sehr gut. Ich sehe eher das Problem, dass es zu wenige Wissenschaftsjournalist*innen gibt, die viel zu wenig Zeit haben, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Der Wissenschaftsjournalismus ist nicht das Ressort, in das besonders viel investiert wird. Mittlerweile gibt es glücklicherweise Aktivitäten wie den Innovationsfonds Wissenschaftsjournalismus, eine neue Initiative von Stiftungen und dem BMBF, um ihn zu stärken.
Sie stellen fest, dass es in der Pandemie den Trend der Personalisierung gab, der sehr dazu beigetragen hat, Wissenschaft ein Gesicht zu geben, aber auch aufgrund von Anfeindungen dazu geführt hat, dass selbst Christian Drosten, der sehr engagiert war, sich zurückgezogen hat. Was sollte passieren, damit sich Wissenschaftler*innen nicht aus der Kommunikation zurückziehen?
Es ist nach wie vor wichtig für die Authentizität und Glaubwürdigkeit, dass Wissenschaftler*innen selbst diejenigen sind, die kommunizieren. Sie sollten dabei aber viel besser unterstützt werden. Aufgabe der Kommunikationsabteilungen in Forschungseinrichtungen und Hochschulen sollte sein, Wissenschaftler*innen auf das vorzubereiten, was kommen kann, wenn man mit Medien oder der Öffentlichkeit interagiert. Besonders belastend sind z.B. pöbelnde oder sogar drohende Reaktionen in den sozialen Medien.
In der FactoryWisskomm, in der ich auch beteiligt bin, haben wir eine Defense-Unit diskutiert, um Wissenschaftler*innen besser zu schützen. Denken Sie beispielsweise an den Fall, als die Bildzeitung Wissenschaftler*innen als „Lockdown-Macher“ verunglimpft hat. Hier haben sich, leider nicht unmittelbar, aber relativ schnell, Wissenschaftsorganisationen hinter ihre Wissenschaftler*innen gestellt. Ich denke, das muss noch viel stärker und viel proaktiver passieren. Nicht erst dann, wenn ein Krisenfall da ist.
Wo sehen Sie Unterschiede zwischen sozialen und klassischen Medien?
Die sozialen Medien haben einerseits den Vorteil, dass sie sehr unmittelbar sind. In der Corona-Pandemie war es aufgrund der hohen Dynamik wichtig, dass es direkte Statements von Forschenden gab und immer noch gibt. Bei Twitter oder anderen Medien können sich Wissenschaftler*innen im Prinzip tagesaktuell zu Wort melden. Zudem gibt es den Vorteil des direkten Austausches, der Sichtbarkeit, der Authentizität von Wissenschaft.
In der Pandemie wurden Forschende in die Politikberatung einbezogen. Wie kann der Transfer von Wissen zwischen Forschenden und Politiker*innen gelingen?
Grundsätzlich ist wichtig zu sagen: Die Rollen sind unterschiedlich. Einmal die Wissenschaft, die Forschungsergebnisse und Erkenntnisse in die Welt bringt und die Politik, die realpolitische Entscheidungen treffen muss, die häufig Verhandlungen bedürfen und sich nicht nur an einem wissenschaftlichen Ergebnis orientieren, sondern die Komplexität von unterschiedlichen Bereichen abbilden müssen. Wenn wir zum Beispiel an die Schulschließungen in der Corona-Pandemie denken, stand der Infektionsschutz auf der einen Seite, auf der anderen Seite war aber auch die Unterstützung von Schüler*innen sehr wichtig, die nicht zu Hause lernen können. Entsprechend durchaus unterschiedliche Erkenntnisse gilt es im politischen Bereich abzuwägen. Beide Seiten brauchen aber einen Verständigungsprozess, damit sie sich über die jeweiligen Rollen klar sind. Für die Wissenschaft besteht die große Herausforderung, ihre Fakten verständlich zu übersetzen, damit Politik und Öffentlichkeit die Zusammenhänge verstehen.
Und wie können Forschende diese Herausforderung lösen?
Indem Wissenschaftskommunikation zu einem konstitutiven Bestandteil der wissenschaftlichen Ausbildung wird. Das fängt schon damit an, dass es in jedem Studium Inhalte zu Wissenschaftsgeschichte und Erkenntnistheorie geben sollte. Viele Menschen sind ja sehr interessiert an Wissenschaft, wissen aber häufig gar nicht, wie ein wissenschaftlicher Prozess verläuft. Dieses Wissen ist fast noch wichtiger als die Erkenntnis an sich, denn Erkenntnisse ändern sich schnell. Und was das Thema der verständlichen Vermittlung betrifft, soll es ja nicht um Vereinfachung gehen, sondern darum, das Wissen anschlussfähig zu machen. Das können wir als Wissenschaftler*innen schon in unserem Alltag trainieren, wenn wir beispielsweise der Familie beim Kaffeetrinken erklären, was wir so tun.