Foto: David Pierce Brill Fotografie, Media Lab BAyern

„Rocking Science Journalism“ – Glück in der Nische

Neun Medien-Start-ups haben im Programm „Rocking Science Journalism“ Geschäftsideen für Wissenschaftsjournalismus entwickelt. Bei der Abschlussveranstaltung in München haben sie sich vorgestellt.

„Niemand interessiert sich für Wissenschaftsjournalismus“, sagt Lina Timm, und das ist schon ein bisschen hart, schließlich hat das Media Lab Bayern, das sie gegründet hat, und das sie leitet, in diesem Jahr ein Projekt genau dazu im Haus gehabt. Das wäre ein trauriges Fazit, doch Timm fährt fort: „Aber für die Themen der Wissenschaftsjournalisten, für die interessieren sich viele.“ Sie nennt ein paar: Klimawandel, Mikroplastik, Gesundheitsthemen und ja, auch Vogelbeobachtungen haben ihre Anhänger. „Das kann man sehr gut nutzen“, sagt Timm.

Zusammen mit der Robert Bosch Stiftung startete das Media Lab im Frühjahr ein Förderprogramm speziell für Teams, die neue Angebote im Wissenschaftsjournalismus schaffen wollen. Im Mai legten die Teams los, Ende November präsentierten neun von ihnen ihre Ideen bei einem Treffen in München. Darunter sind so unterschiedliche Dinge wie eine Podcast-Reihe für junge Frauen, eine sprachgesteuerte App für Rheumapatientinnen und -patienten, ein Umwelt-Labor für Community-Journalismus oder eine Plattform, auf der Schülerinnen und Schüler ihre Forschungsarbeiten einreichen und Rückmeldung von Forschenden erhalten, eine Art Peer-Review für den Nachwuchs.

Im Media Lab in München wurden bereits eine Reihe von Start-ups geboren. Was die Arbeit mit Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten besonders macht, erklärt die Leiterin des Projekts mit dem Namen „Rocking Science Journalism“, Pia Lexa so: „Die Teams sind viel interdisziplinärer. Etwa eine Hälfte sind Journalisten, die andere Hälfte Wissenschaftler und auch Künstler.“ In den bisherigen Start-up-Programmen sei es mitunter schwierig gewesen, etwas Heterogenität in die Journalistengruppen zu bringen.

„Wissenschaftsjournalisten brennen besonders leidenschaftlich für ihre Projekte.“ Pia Lexa, Media Lab Bayern
Außerdem brennen Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten ihrer Ansicht nach besonders leidenschaftlich für ihre Projekte. So sehr, dass sie darüber vernachlässigen, dass sie mit ihrer Idee auch einmal Geld verdienen sollen. Und noch eine besondere Herausforderung gab es, nämlich „einen Zeitrahmen für alle zu finden, weil sie alle Teilzeitgründer waren und nebenher noch ihrer normalen Erwerbsarbeit nachgehen mussten.“

Die Start-up-Expertinnen in München schleusten die Projektteilnehmenden durch die verschiedenen frühen Phasen einer Unternehmensgründung. „Wir haben sie rausgeschickt, um mit möglichen Nutzern zu sprechen“, sagt Lexa, „um zu lernen, was sie brauchen, welche Probleme sie haben und wie man ihr Leben leichter machen könnet.“ Diese Suche nach „Schmerzpunkten“, die ein Produkt eliminieren soll, bringt die Entwickler dazu, sehr Nutzerzentriert zu denken. Ansonsten drohe der „häufigste Start-up-Tod“, so Lexa: „man baut etwas Tolles, das aber keiner braucht.“

„Wissenschaftsjournalisten tun sich mit Geschäftsmodellen besonders schwer“ Lina Timm, Media Lab Bayern
Anhand von Interviews mit potenziellen Nutzerinnen und Nutzern validierten die Teams ihre Annahmen über ihr Kundensegment und erste Lösungsansätze. In der zweiten Phase ging es darum, die Idee weiter zu entwickeln und neue mögliche Nutzerinnen und Nutzer anzusprechen. Nebenbei unterstützte das Media-Lab die Teilnehmenden mit Schulungen in Marketing, Unternehmensentwicklung und der hartnäckigen Frage nach dem Geschäftsmodell. „Wissenschaftsjournalisten tun sich mit Geschäftsmodellen besonders schwer“, sagt Lina Timm. „Die meisten machen ihr Projekt aus Leidenschaft.“ Aber es reiche nicht, allein von seinem Projekt überzeugt zu sein, auch der Kunde müsse sich dafür begeistern. „Wenn der Nutzer das Produkt haben will, dann findet sich auch ein Weg, damit Geld zu verdienen“, sagt Timm. In Ermangelung eines Geschäftsmodells wichen viele Projektteilnehmende auf Stiftungen zur Finanzierung ihrer Idee aus. „Aber das ist kein Geschäftsmodell.“

Die neun Projekte sind in den zurückliegenden Monaten sehr unterschiedlich weit gekommen. Während die beiden Macherinnen der Podcastreihe „Nackt & Neugierig“ bereits einige Folgen über diverse Plattformen anbieten und die anatomische Bilddatenbank von „Cat Medic“ bereits vermarktet wird, haben andere Teams kaum mehr als eine grobe Idee und vielleicht eine Webseite. Als Nächstes müssten die Teams, die bislang noch nicht so weit sind, funktionierende Prototypen ihrer Angebote bauen und versuchen, den eigenen Bekanntheitsgrad zu steigern.

„Wenn man sich für das erste Produkt nicht schämt, ist man zu spät damit rausgekommen.“ Lina Timm, Media Lab Bayern
Das Ziel dieser Entwicklungsphase sei, sagt Lina Timm, „mit wenig Geld herauszufinden, ob es einen Markt gibt und nicht erst mit dem fertigen Hochglanzprodukt. Wenn man sich für das erste Produkt nicht schämt, ist man zu spät damit rausgekommen.“ Als gutes Beispiel führt sie den Podcast „Nackt & Neugierig“ an, deren Macherinnen, zwei Radiojournalistinnen, mit einem schnell und grob produzierten Stück angefangen haben, das sie im Bekanntenkreis ausprobieren konnten. Nach der ersten positiven Resonanz nahmen die beiden weitere Stücke auf, dieses Mal mit höherem Anspruch an die Produktion.

Gerade aber die Idee, mit einem nicht perfekten Produkt zu starten, machte offenbar den Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten besonders schwer zu schaffen. Und immer wieder die Suche nach einem Geschäftsmodell. „Das gab es viele Reibungspunkte mit den meisten Teilnehmenden“, sagt Georg Dahm, der selbst mit seinem Kollegen Denis Dilba vor einigen Jahren ein digitales Wissensmagazin gestartet hatte – und damit scheiterte, weil sich nicht genug Leserinnen und Leser fanden. Dahm hat als Berater an dem Media-Lab-Projekt teilgenommen und seine eigene Erfahrung an die Teilnehmenden weitergegeben: „Es geht nicht darum, was du willst, sondern was die Leser wollen.“ Oder auch: „Du musst auf Facebook, Twitter und Instagram, auch wenn du Social Media nicht magst.“

Trotz dieser mentalen Hürden glaubt Dahm, dass dieses Projekt mehr gebracht hat, als zurückliegende Journalismus-Förderprogramme, die auch von der Robert-Bosch-Stiftung organisiert worden waren. Da gab es Finanzierungen für aufwendige Recherchevorhaben oder besondere Formen des digitalen Storytellings. „In diesen Projekten sind einige tolle Beiträge entstanden, die in den üblichen Medien abgespielt wurden“, sagt Dahm, „aber das war es dann auch“.

Mittlerweile hat er den Eindruck, dass etwas Leichtigkeit aufkomme im Wissenschaftsjournalismus, der sonst arg schwergewichtig daherkomme. „Ich habe in den sechs Monaten kein Gejammer gehört und keine Klagen über die Lage des Journalismus“, erzählt Dahm über die zurückliegende Projektphase. Nur „ab und an gab es mal verzweifeltes Gebrüll“ — wenn jemand aus dem Trainerteam mal wieder darauf herumritt, an die Nutzerinnen und Nutzer zu denken.

Die Projekte

  • Cat Medic, eine Bilddatenbank für anatomische Darstellungen für Fachverlage und Publikumsmedien
  • Nackt & Neugierig, ein Wissenschaftspodcast für junge Frauen
  • Besenkunst.de setzt wissenschaftliche Arbeiten in Kunst um.
  • Der Kopf isst mit, soll eine Kochshow mit Professorinnen und Professoren werden, die am Herd über ihre Arbeit sprechen
  • Die App „Rheuma Assistent“ bietet betroffenen Patientinnen und Patienten nicht nur die Möglichkeit per Sprachsteuerung ihren Krankheitsverlauf zu dokumentieren, sondern auch Hilfe und neue, journalistisch aufbereitete Informationen zum Thema Rheuma
  • Mikrobiomik wird eine interdisziplinäre Lernplattform für Mikrobiologie
  • Taoshub.com ist eine Plattform für die grafische Darstellung von wissenschaftlichen Publikationen.
  • Wunderding.org ist eine Lernplattform für Schülerinnen und Schüler, die dort zu ihren eigenen Projekten Peer-Reviews von Forschenden bekommen.
  • Das Eco Community Lab möchte Ansätze von Citizen-Science und -Journalismus verknüpfen