Gezielte Falschmeldungen und Manipulation beeinflussen politische Debatten – vor allem in sozialen Medien. Die Kommunikationswissenschaftlerin Edda Humprecht erklärt im Interview, was Gesellschaften widerstandsfähig gegen Desinformation macht.
Resilienz gegen Desinformation im Netz
Was versteht man unter Desinformation?
Bei Desinformation handelt es sich um falsche oder irreführende Informationen, die mit der Intention produziert und in Umlauf gebracht werden, andere zu täuschen. Das unterscheidet sie von Falschinformationen, die zum Teil auch unwissentlich ohne Täuschungsabsicht verbreitet werden.
Welche gesellschaftlichen Konsequenzen hat Desinformation?
Studien zeigen, dass die Einstellungen und Verhaltensweisen von Bürger*innen durch Desinformation manipuliert werden. Das ist besonders in der Coronapandemie problematisch und auch in diesem Kontext viel untersucht worden. Während der Pandemie kamen besonders viele Falschinformationen auf, weshalb die Weltgesundheitsorganisation auch von einer „Infodemie“ spricht.
Desinformation wird vor allem zu Themen, die stark polarisieren, verbreitet. Vor der Pandemie waren das häufig falsche Behauptungen zum Klimawandel, also zur Frage, ob er menschengemacht ist. In Europa wurden besonders nach 2015 viele willentliche Falschinformationen zum Thema Migration in Umlauf gebracht. Desinformation spielte auch in Diskursen zum Brexit in Großbritannien oder zu Obamacare und Gesundheitsvorsorge in den USA eine Rolle.
Sie haben 2020 in einer Studie untersucht, ob manche Länder im Vergleich zu anderen resilienter gegenüber Desinformation sind. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „Resilienz“?
Wir verstehen Resilienz als die Fähigkeit von Gesellschaften, exogene Krisen zu überwinden und aus ihnen womöglich sogar gestärkt hervorzugehen. Im Zusammenhang mit der Studie beziehen wir den Begriff auf die Fähigkeit von Gesellschaften, einer massiven Verbreitung von Desinformation zu widerstehen.
Was sind die Ergebnisse der Studie?
Wir haben verschiedene Faktoren identifiziert, die zur Resilienz gegenüber Desinformation beitragen. Diese Resilienzfaktoren kann man drei verschiedenen Kategorien zuordnen: Politik, Medien und Information sowie Wirtschaft.
Und was ist die Rolle der Medien?
Die Medien- und Informationsnutzung und das Vertrauen in Nachrichtenmedien beeinflussen die Resilienz von demokratischen Gesellschaften gegenüber Falschnachrichten. Nachrichtenmedien sind in der Regel eine wichtige Anlaufstelle für Fact-Checking und verlässliche Informationen. Personen, die sich vermehrt aus alternativen Quellen informieren, sind anfälliger für Desinformation. Ein weiterer Faktor ist die Fragmentierung der Öffentlichkeit. In Ländern, in denen es keine großen, reichweitenstarken Medien gibt, hat es Desinformation leichter, weil sich Informations-Blasen bilden können und sich zu gesellschaftlichen Themen kein Konsens mehr ausbildet. In Ländern mit großen öffentlichen oder wie in Deutschland öffentlich-rechtlichen Medien haben Bürger*innen häufiger ein größeres Wissen über gesellschaftlich relevante Themen, was die Resilienz stärkt.
Auch das ökonomische Umfeld spielt eine Rolle. Desinformation wird häufig aus Profitgründen verbreitet. Je größer der Werbemarkt und die potenzielle Reichweite vor allem in den sozialen Medien sind, desto attraktiver ist das.
Wie sind Sie methodisch vorgegangen?
Wir haben basierend auf dem aktuellen empirischen Forschungsstand Resilienzfaktoren identifiziert, die zeigen, wie widerstandsfähig eine Gesellschaft theoretisch gegenüber Desinformation sein könnte. Diese haben wir anschließend in Indikatoren übersetzt, mit denen man Resilienz messen kann und sie mit dem selbstberichteten Kontakt mit Desinformation in verschiedenen Ländern verglichen.
Welche Unterschiede konnten Sie in den verschiedenen Ländern in Bezug auf Resilienz gegenüber Online-Desinformation feststellen?
Man sieht, dass es eine Gruppe von Ländern gibt, die bei den Resilienzfaktoren besser abschneidet, was auf eine höhere Resilienz schließen lässt. Dazu gehören vor allem west- und nordeuropäische Länder. Viele südeuropäische Länder schneiden schlechter ab. Dort ist beispielsweise die Fragmentierung der Öffentlichkeit und Polarisierung größer und sie unterscheiden sich in der Informationsnutzung. Wir hatten auch die USA im Ländervergleich mit drin. Es zeigt sich, dass sie ein klarer Ausreißer sind. Die USA sind ein sehr großes Land mit stark ausgeprägter Polarisierung und geringem Vertrauen in Medien.
Diskurse rund um Desinformation in den USA lassen sich also nur bedingt auf andere Länder übertragen?
Ja genau. Das ist eine sehr spezielle Situation in den USA, auch bedingt durch das politische System, das aufgrund der beiden großen Parteien eine Polarisierung quasi schon beinhaltet. Deswegen muss man sehr vorsichtig sein, wenn man in anderen Ländern ähnliche Entwicklungen erwartet.
Wie resilient ist Deutschland?
Wie verändert die Coronapandemie die Resilienz gegenüber Desinformation?
Eine solche Krisensituation kann punktuell in Ländern, die eigentlich resilienter sind, dazu führen, dass sich Desinformation stärker verbreitet. Zudem ist es für Produzent*innen von Desinformation in der Pandemie leichter geworden, diese in verschiedenen Ländern zu streuen. Wir sehen ähnliche Debatten in vielen Ländern, weil es immer dieselben Thematiken sind, aktuell beispielsweise Impfen. Die Themen sind nicht mehr so stark an den nationalen Kontext gebunden.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für Umgang mit Desinformation in der Praxis?
Auf Individualebene ist das noch einmal eine andere Frage, wie man mit Desinformation umgeht. Das haben wir auch untersucht und sehen, dass sich das im Ländervergleich stark unterscheidet. Es gibt nicht ein Erfolgsrezept, das man überall anwenden könnte, beispielsweise die Medienkompetenz zu stärken. Man braucht sicherlich immer eine Kombination aus verschiedenen Aspekten. Deswegen sollte man so viele Maßnahmen ergreifen wie möglich: die Verbreitung von Desinformation bekämpfen, die Plattformen-Betreiber*innen einbeziehen und Bürger*innen im Erkennen und im Umgang mit Desinformation stärken. Man muss ihnen auch bewusst machen, dass sie eine gesellschaftliche Verantwortung tragen, wenn sie solche Informationen weiterverbreiten.
Wie gut können Menschen Desinformation erkennen?
Der Stand und auch Konsens der Forschung ist aktuell, dass das Erkennen von Desinformation weniger das Problem ist. Desinformation wird meistens weiterverbreitet, weil sie die Meinungen und Einstellungen von Nutzer*innen sozialer Medien bestätigt. In den sozialen Medien kommt noch hinzu, dass emotionalisierende Inhalte häufig viel Reichweite erhalten.
Wir konzentrieren uns daher in unserer Forschung auf die Gründe, warum Nutzer*innen Desinformation weiterverbreiten, auch wenn sie sie als solche erkennen.
Welche Nutzer*innen verbreiten vorwiegend Desinformation?
Generell sind das sehr aktive Nutzer*innen und eher Männer. Das liegt aber auch daran, dass sie internetaffiner sind und häufiger Nachrichten teilen und kommentieren. Das sieht man auch in anderen Forschungsfeldern, beispielsweise zu Hate Speech. Der Faktor Bildung unterscheidet sich stark zwischen den Ländern. In den USA, in denen die Polarisierung stark ausgeprägt ist, spielt in Bezug auf das Verbreiten von Desinformation die Bildung weniger eine Rolle, als welchem politischen Lager man sich zugehörig fühlt. In weniger polarisierten Ländern sind Bildung und die Art der Mediennutzung relevanter.
Wie kann die Wissenschaftskommunikation mit dem Problem der Desinformation umgehen?
Mit Blick auf die Medien- oder Nachrichtenkompetenz sieht man, dass es grundlegende Probleme beim Publikum gibt. Viele können Korrelation und Kausalität nicht unterscheiden, was entscheidend ist, um bestimmte Forschungsergebnisse verstehen zu können.
Aus meiner Sicht wird nicht ausreichend thematisiert, dass es zwar gewünscht und gefordert wird, dass Wissenschaftler*innen öffentlich kommunizieren, das aber auch mit Einschränkungen und Anfeindungen einhergeht. Und für dieses Problem müssten Hochschulen und Förderinstitutionen Strategien entwickeln, wie sie Personen unterstützen, die aufgrund ihrer Forschung angefeindet werden. Das Problem hat sich in der Pandemie nochmals verstärkt und dazu geführt, dass sich einzelne Forscher*innen gar nicht mehr äußern möchten.