Der Informationsdienst Wissenschaft (idw) hat ein neues Format: Wissenschaftsnachrichtenvideos. Bei Elisabeth Hoffmann, Pressesprecherin der Technischen Universität Braunschweig, wirft dieses vor allem Fragen auf. Welche, erklärt sie im Gastbeitrag.
Reichweite, welche Reichweite?
Am Montag haben an dieser Stelle Rita Lansch, die Geschäftsführerin des Vereins Informationsdienst Wissenschaft (idw), und Pajam Sobhani, der Geschäftsführer der Latest Thinking GmbH, das gemeinsame Konzept der „Wissenschaftsnachrichtenvideos“ vorgestellt. Als Sprecherin der Technischen Universität Braunschweig, die seit vielen Jahren idw-Mitglied ist, habe ich ein paar Fragen.
Warum brauchen wir standardisierte „Wissenschaftsnachrichtenvideos“?
Es gibt heute an jedem Hochschulstandort gefühlt zwischen fünf und fünfhundert Anbieter, von der Hilfskraft bis zur gut ausgestatteten Produktionsfirma, die regelmäßig Wissenschaftsfilme drehen. Der Output ist divers und – im Guten wie im Schlechten – profilbildend. Ich könnte verstehen, wenn der idw ein Zeitlimit einführte, etwa nur Filme unter drei Minuten Länge zuließe. Das Internet ist voll von guten Wissenschaftsvideos, die keinem vorgegebenen Standard folgen.
Warum gerade dieser Standard?
Die Wissenschaftsvideos, die der idw jetzt veröffentlicht, seien „gefilmte Pressemitteilungen“, erklärt Frau Lansch in dem Interview. Dass sich eine Pressemitteilung nicht eins zu eins in ein Videoformat übertragen lässt, wird spätestens nach dem Betrachten der ersten idw-Videos deutlich. Ich wünsche mir eine Reflexion der Unterschiede zwischen den Formaten. Presseinformationen beginnen zum Beispiel nicht mit Zitaten beziehungsweise O-Tönen. Dort ist die Institution, stellvertretend die Kommunikationsabteilung, die Absenderin. Sie erklärt im ersten Absatz, dem „Lead“, worum es geht. „Die Videos beginnen mit einer Sequenz, in welcher der Forscher oder die Forscherin selbst in 15 bis 20 Sekunden frontal in die Kamera spricht und das Thema vorstellt“, so stellt Herr Sobhani das Standardformat vor. Sie starten also mit einem Zitat oder O-Ton. Macht das einen Unterschied? Aus meiner Sicht schon. Es gibt gute Gründe für wie auch gegen die Personalisierung. Dabei spielen zum Beispiel Sympathie oder Abneigung oder auch die viel beschworene Authentizität eine Rolle. Wenn Personalisierung aber Standard ist, habe ich aber keine Wahl.
Wo bleiben die Zielgruppen?
Herr Sobhani sagt, dass das jetzt gefundene Format gemeinsam mit 18 Mitgliedern entwickelt wurde. Wäre es aber nicht naheliegender gewesen, journalistische Redaktionen zu fragen, welche Art von Videos sie sich wünschen? Schließlich sind sie es, die im Interview als Zielgruppe adressiert wurden. Oder stimmt das gar nicht mehr? Im Interview ist von den insgesamt 40.500 Nutzerinnen und Nutzern die Rede „nicht nur Journalistinnen und Journalisten, sondern auch viele andere interessierte Zielgruppen“. Geht es also eigentlich um sie? Dann hätten doch zumindest deren Vertreterinnen und Vertreter gefragt werden sollen.
Was sagt uns die Reichweite? (Und wie groß ist sie eigentlich jeweils konkret?)
40.500 Abos verzeichnet also der idw inzwischen. Darauf ist der idw sehr stolz, und das sagt er uns auch immer wieder. Hier im Interview und auch im eigenen, vor kurzem erschienenen Imagefilm. Wir können, so heißt es, durch ihn eine viel höhere Reichweite generieren. Das klingt ein wenig wie beim Anzeigenverkauf. Abgesehen davon: Der Beleg dafür steht aus. Mag sein, dass der idw auf seinen Websites insgesamt regelmäßig hohe Zugriffszahlen registriert – aber gilt das auch für jede einzelne Pressemitteilung und jedes Video dort? Auch dann noch, wenn jetzt immer mehr standardisierte Videos produziert werden? Und selbst, wenn das so wäre – ist Reichweite wirklich eine so valide Kennzahl?
Ich kann ohne Weiteres meine Produkte zum Beispiel durch Zuspitzung, Polarisierung oder Cat Content so gestalten, dass sie ohne den idw respektable Reichweiten erzielen. Das Problem ist nur: Das hat dann in der Regel nicht mehr viel mit Wissenschaft zu tun. Warum eigentlich sollten sich Kolleginnen und Kollegen, die mehrheitlich von der öffentlichen Hand bezahlt werden und deren Vorgesetzte sie meist, wenn überhaupt an Kennzahlen, dann an ganz anderen messen, von Reichweite beeindrucken lassen, als wären wir die bedauernswerten Klickzahl-Knechte von irgendeiner digitalen Content-Schleuder? Wie wäre es mit Relevanz als Kriterium? Verlässlichkeit? Nutzen für die Gesellschaft? Sicher, das hat auch mit Reichweite zu tun, aber von den Zugriffszahlen auf eine Plattform bis zu dem, was ein einzelnes Video bewirkt, ist es ein ganz weiter Weg.
Warum reden wir nicht über Qualität?
Wie kann es sein, dass in einem Interview, in dem ein neues Produkt eingeführt wird, nicht nur nicht ausreichend und substanziell über dessen Zielgruppen gesprochen wird, sondern auch nicht über die Qualität, zu der sich die Anbieter committen? Qualitätskontrolle sei, kann man im Interview lesen, „dass die formalen Anforderungen eingehalten werden und dass sie inhaltlich in die Reihe der Wissenschaftsnachrichtenvideos passen“.
Zur Erinnerung: Wir tragen eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Es gibt Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR. Das sind Standards, die ihrerseits von Kolleginnen und Kollegen erarbeitet wurden, und zwar zusammen mit Journalistinnen und Journalisten. Zu diesen Leitlinien hat sich auch der idw explizit bekannt. Darin steht ein Passus über die Transparenz der Quellen. Es steht (noch) nicht darin, dass gute Wissenschafts-PR nicht so tut, als sei sie unabhängig. Das war auch nicht nötig, solange unsere Produkte nicht vom idw, unserem eigenen Verein, als „Nachrichten“ eingeordnet wurden. Wenn Sie sich schon auf den englischen Sprachgebrauch der „News” berufen, Frau Lansch, dann bleiben Sie doch dabei und nennen den Kanal „Neuigkeiten“.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.