Public Engagement als Währung im Wissenschaftsbetrieb
Die neue Berlin School of Public Engagement and Open Science will Forschende darin ausbilden, ihre Arbeit für die Gesellschaft zu öffnen. Projektleiterin Alina Loth spricht im Interview über die Ziele des Projekts und warum sie sich wünscht, dass sich Public Engagement als Kriterium für wissenschaftliche Karrieren etabliert.
Anne Weißschädel war Redakteurin des Portals Wissenschaftskommunikation.de. Die studierte Kultur- & Medienmanagerin und Romanistin interessiert sich für Trends, Mechanismen und Best Practices der Wissensvermittlung – vor allem über digitale Kanäle. Sie ist bei Wissenschaft im Dialog tätig.
Es ist ein neues Kollaborationsprojekt des Museums für Naturkunde, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Robert Bosch Stiftung. Da haben sich also drei starke Partner am Wissenschaftsstandort Berlin zusammengetan, um das Public Engagement der Wissenschaft zu fördern und den Nachwuchs darin auszubilden.
Was gehört für Sie alles zu Public Engagement dazu? Und was ist der Unterschied zur Wissenschaftskommunikation?
Public Engagement ist für mich der übergeordnete Sammelbegriff. Wissenschaftskommunikation im deutschen Wortsinne – genauso wie der englische Begriff Science Communication – kommt aus der Tradition, dass die Wissenschaft etwas, insbesondere meistens Forschungsergebnisse, an ein Publikum kommuniziert. Public Engagement meint aber mehr, nämlich verschiedene Zielgruppen in den wissenschaftlichen Dialog einzubeziehen und sie an Wissenschaftsprozessen aktiv zu beteiligen, etwa durch Partizipationsformate oder Citizen Science. Differenziertes und gut integriertes Public Engagement ist so viel mehr als öffentliche Events, es führt zu einer Bereicherung von wissenschaftlichen Ergebnissen, da es relevante Leute zu Kollaborationen an einen Tisch bringt. Zum Beispiel durch Design Thinking. Dieser Schritt von der Wissenschaftskommunikation zum Public Engagement wurde von vielen Institutionen schon gegangen. Da gibt es auch in Deutschland viele tolle Initiativen und Projekte. Darum wäre es mein Wunsch, dass sich Public Engagement als Terminologie durchsetzt, weil es eine Chance darstellt, Einzelinitiativen zu vereinen und Strategien institutionell nachhaltig zu verankern. Gerade diesen nächsten Schritt zum Kulturwandel in der Wissenschaft müssen wir in Deutschland gehen, wenn wir international nicht den Anschluss verlieren wollen. Da können wir zum Beispiel noch viel von Großbritannien lernen, wo das Thema bereits in den Wissenschaftsalltag aber auch in hochschulpolitische Entscheidungen integriert ist.
Wo wollen Sie da mit Ihrem Projekt ansetzen?
„Gemeinsam kann letztlich viel besser erreicht werden, das Thema Public Engagement nachhaltig in institutionellen Strukturen zu verankern.“Alina Loth
In der Berlin School of Public Engagement and Open Science haben wir jetzt die Möglichkeit, diese ganze Bandbreite an Formen zusammenzudenken. Wir möchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit geben – je nach Forschungsvorhaben – aus dem Methodenkoffer das Richtige für sich auszuwählen und sie dann darauf gezielt vorbereiten und unterstützen. Wir sind aber noch ganz am Anfang der Projektentwicklung und möchten zuerst einmal unser Netzwerk in der deutschen Wissenschaftswelt ausbauen. Im Moment ist das Feld eben noch sehr kleinteilig. Die Akteurinnen und Akteure haben ganz unterschiedliche Titel, Aufgabenbereiche und auch Positionen innerhalb der Institutionen, an denen sie arbeiten. Es gibt Expertinnen und Experten im Bereich Wissenschaftskommunikation, Public Relations, Citizen Science, Wissenschaftsjournalismus und so weiter, aber alle sehen sich eher als eigene Gruppe. Es ist viel Expertise vorhanden, es sind aber auch tolle Synergien möglich. Diese Leute möchten wir daher zusammenbringen und gemeinsam überlegen, wie das Feld des Public Engagement strategisch weiterentwickelt werden kann. Dazu gehören Forschung, Ausbildung, Lehre und Kulturwandel. Gemeinsam kann letztlich viel besser erreicht werden, das Thema Public Engagement nachhaltig in institutionellen Strukturen zu verankern und dadurch Deutschland als Wissenschaftsstandort zu stärken.
Wie können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei unterstützt werden, Public Engagement in ihrer Arbeit mitzudenken?
„Viel mehr sehe ich die Chancen in einer Diversifizierung des Wissenschafts-ablaufs. Es muss möglich werden, verschiedene Talente, Persönlichkeiten und Karrierewege zu fördern.“Alina Loth
Dabei finde ich zwei Sachen wichtig: Zum einen muss niemand Public Engagement machen. Wir müssen davon weg, dass das eine zusätzliche Sache ist, die vor allem jungen Forschenden auf den Tisch gelegt wird und damit schnell zu Überforderung und Ablehnung führt. Viel mehr sehe ich die Chancen in einer Diversifizierung des Wissenschaftsablaufs. Es muss möglich werden, verschiedene Talente, Persönlichkeiten und Karrierewege zu fördern. Das Zweite ist, dass es kein „One-Size-Fits-All“-Engagement geben kann und wir von einmaligen Initiativen wegmüssen. Das heißt, wir müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei begleiten, die für sie persönlich richtigen und somit sinnvollen Formate zu entwickeln. Wenn eine junge Wissenschaftlerin in einem Fachbereich arbeitet, der bestimmte Zielgruppen, Stakeholder und Industriepartner hat, muss da angesetzt werden, dass sie die für sie passenden Formate nachhaltig in den Forschungszyklus integrieren kann. Das kann zum Beispiel in der Medizin bedeuten, dass man Patientinnen und Patienten von vorneherein in die Erstellung der Forschungsfrage integriert oder mit Medizintechnikerinnen und -technikern arbeitet. Es gibt viele Ebenen im Wissenschaftsablauf, auf denen man eingreifen kann. Man kommt hier aber auch immer an den Punkt, an dem dieser Prozess die Kapazitäten der Forschenden selbst überschreitet. Da brauchen sie dann institutionelle Strukturen und Unterstützung von Public-Engagement-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern. Diese Leute mit entsprechenden Fähigkeiten und Erfahrungen, die die Forschenden hier adäquat unterstützen können, gibt es teilweise bereits. Was oftmals fehlt, sind Strukturen unter denen sie gut zusammenarbeiten können. Fachpersonal sollte zudem auch Zugang zu professionellen Netzwerken und Fortbildungen im Bereich Public Engagement bekommen. Public Engagement ist bereits auf dem besten Weg, sich als selbständiges Forschungsfeld international zu etablieren. Hierfür müssen wir auch in Deutschland Praxis und Theorie zusammenbringen um gemeinsam Innovation in der Wissenschaft den Weg zu bereiten.
Wie kann man die Bedingungen dafür verbessern?
„Bisher ist Public Engagement für sie oft ein Karrierenachteil. Genau da müssen wir ansetzen.“Alina Loth
Public Engagement sollte zum Beispiel als Kriterium oder Kompetenz in Karrieren anerkannt werden. Hier sollte auch honoriert werden, wenn Forschende, Wissenschaftsmanagerinnen und -manager oder Leute aus den Kommunikationsteams sich fortbilden. Nur so wird Public Engagement zu einer Währung im Wissenschaftsbetrieb. Bisher sind diejenigen Forschenden, die sich in Public-Engagement-Projekten und Kommunikationsformaten engagieren, oftmals junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit befristeten Verträgen. Sie wollen sich einbringen und etwas zurückgeben. Wenn sie das tun, stehen sie aber trotzdem in Konkurrenz mit Kolleginnen und Kollegen, die ihre Zeit stattdessen dafür nutzen, um ein Paper zu veröffentlichen oder Forschungsgelder zu beantragen. Bisher ist Public Engagement für sie oft ein Karrierenachteil. Genau da müssen wir ansetzen.
Wie wollen Sie das an der Berlin School of Public Engagement genau angehen?
Da setzen wir zunächst bei den eigenen Partnern an und wollen hier in einem ersten Schritt die Strukturen verstehen, in denen Public Engagement stattfindet. Dabei verfolgen wir zwei Ansätze: Bottom-up wollen wir mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern arbeiten, um sie für Formate des Public Engagement zu gewinnen und auch Kompetenzen dafür vermitteln. Außerdem wollen wir erreichen, dass Top-Down Weichen gestellt werden, zum Beispiel durch neue Förder- und Finanzierungskriterien, damit Public Engagement eben auch für Karrieren eine Rolle spielt. Eine dritte wichtige Zielgruppe sind dann natürlich Kolleginnen und Kollegen aus der Praxis, der Wissenschaft sowie externe Partner und Institutionen. Wir freuen uns schon sehr darauf, das Potenzial für neue Kollaborationen im regionalen, nationalen und internationalen Rahmen zu erkunden und gemeinsame Zielsetzungen für die nächsten Jahre zu erarbeiten. Eine dritte wichtige Zielgruppe ist der akademische und auch der organisatorische Mittelbau wie etwa die Kommunikationsabteilungen. Hier gibt es bereits Erfahrung und Kompetenzen mit denen diese Gruppen den Prozess unterstützen können. Trotzdem sollte es auch hier mehr Fortbildungen in Public Engagement geben und das am besten für alle gemeinsam, um praktische und akademische Ansätze zu vereinen.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
„ Wir sehen hier einen großen Wert darin, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu verbinden.“Alina Loth
Unser erstes Trainingsprogramm ist die „Sustainable Futures Academy“. Diese richtet sich an junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen und möchte sie mit der Generation Z zusammenbringen, also Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Teilnehmenden kommen aus aller Welt und einige verbringen wegen der Zeitverschiebung sogar die ganze Nacht mit uns in diesem Onlineformat. Darin wollen wir gemeinsam zum Thema Nachhaltigkeit arbeiten. Wir sehen hier einen großen Wert darin, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu verbinden. Nach zwei intensiven Trainingstagen werden in Kleingruppen selbst gesetzte Themen bearbeitet und am Ende auch konkrete und kreative Ergebnisse präsentiert – zum Beispiel bei der Berlin Science Week. Da können sich Interessierte auch gerne am 10. November noch anschließen. Wir hoffen, dass langfristig weitere Projekte und grenzüberschreitende Kollaborationen aus dieser Academy entstehen.