Politikberatung in der Praxis – Perspektiven aus der Politik
Welche Ansätze nutzt die Politik, um mit der Wissenschaft ins Gespräch zu kommen? Wir haben Politikerinnen und Politiker, die auf Landesebene zu Themen aus Wissenschaft und Forschung arbeiten, zu ihrem Vorgehen dazu befragt.
Anne Weißschädel war Redakteurin des Portals Wissenschaftskommunikation.de. Die studierte Kultur- & Medienmanagerin und Romanistin interessiert sich für Trends, Mechanismen und Best Practices der Wissensvermittlung – vor allem über digitale Kanäle. Sie ist bei Wissenschaft im Dialog tätig.
In dieser Statement-Reihe berichten Politikerinnen und Politiker, welche Strategien sie verfolgen, um Expertise aus der Forschung einzuholen. Wir haben sie nach ihrem Auftrag, den Formate, die sie für den Austausch nutzen und auch Chancen und Grenzen der Kommunikation gefragt. Die Perspektive der Wissenschaft gibt es ebenfalls im Schwerpunkt „Wissenschaft und Politik“.
Daniela Sommer ist Sprecherin im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst des hessischen Landtages und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD.
Wann immer es möglich ist, nutze ich wissenschaftliche Expertise. Bevor ich in den Landtag eingezogen bin, war ich zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Universität beschäftigt. Da es mir wichtig ist, Sachpolitik zu fokussiern, ist für mich eine fundierte Grundlage, so auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse, entscheidend. Vor allem nutze ich in meiner politischen Arbeit Studien und den persönlichen Austausch mit Wissenschaftlern, Expertinnen und Experten in eigener Sache. Dies sind individuelle Gesprächstermine, parlamentarische Frühstücke oder Abende, diverse Diskussions- und Veranstaltungsformate.
„Im Umgang mit neuem wissen-schaftlichem Wissen braucht es daher akzeptanzgewinnende Strategien der Wissenstransformation.“Daniela Sommer
Als ehemalige Mitarbeiterin in einer Universität ist mir die Wissenschaftskommunikation und der Wissenstransfer ein wichtiges Anliegen: Die Bedeutung des Wissenstransfers wird von Expertinnen und Experten immer wieder geäußert. Auch eine Fülle neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse steht zur Verfügung. Dennoch ist der Weg des innovativen Wissens aus der Wissenschaft in die Praxis schwierig. Neue Erkenntnisse treffen zwar auf gewisse Zustimmung, oftmals aber auch auf Meidung oder Abwehr, da es das Bisherige, das bislang als sinnvoll erachtetet wurde, infrage stellt. Im Umgang mit neuem wissenschaftlichem Wissen braucht es daher akzeptanzgewinnende Strategien der Wissenstransformation. Wesentlich ist hierbei die Kompetenz- und Praxisorientierung: Denn Forschungswissen und damit Wissenschaftskommunikation gelangt am besten in die Praxis, wenn es seiner wissenschaftlichen Identität (vgl. Dewe 20051) entkleidet und in einen alltäglichen Praxisbezug integriert werden kann. Das bedeutet, wissenschaftliches Wissen muss anschlussfähig sowie praxisrelevant sein, bisher Dagewesenes optimieren oder erweitern, um in der Praxis als Innovation in Form von Entscheidungen, Prozessen, Projekten oder Produkten verankert zu werden.
„Hochschulen und Politik müssen sich öffnen und ein Zusammenwirken als Synergie, als Win-win-Situation begreifen.“Daniela Sommer
Um Forschungswissen in politische Entscheidungen und neue praktikable Ideen umzusetzen und Innovationen tatsächlich generieren zu können, bedarf es entsprechender Rahmenbedingungen. Neben der Ausstattung der Hochschulen mit den erforderlichen Ressourcen, um international wettbewerbsfähig in Forschung und Lehre sein zu können, bedarf es angemessener Schnittstellen: Ein Austausch, ein Zusammenarbeiten sowie Durchlässigkeit von Forschung in Praxis und von Praxis in Forschung. Hochschulen und Politik müssen sich öffnen und ein Zusammenwirken als Synergie, als Win-win-Situation begreifen. Die Rahmenbedingungen zur Gestaltung des Wissenstransfers in die Politik, aber auch in die Wirtschaft und in Unternehmen sollte optimiert werden und wann immer möglich, einen Anwendungsbezug berücksichtigen.
Martin Habersaat ist Vorsitzender des Arbeitskreises Bildung, Wissenschaft und Forschung im Landtag von Schleswig-Holstein und Mitglied des Fraktionsvorstandes der SPD.
Alle Gesetzesvorhaben und viele Anträge werden in der parlamentarischen Arbeit des schleswig-holsteinischen Landtags einem Anhörungsverfahren unterzogen. Bei solchen Anhörungen ist es üblich, auch wissenschaftliche Perspektiven abzufragen. Diese Anhörungen finden zunächst schriftlich statt, im Anschluss daran zuweilen auch mündlich im Rahmen einer Ausschusssitzung – wenn die angefragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Gelegenheit zur Stellungnahme denn wahrnehmen. In der weiteren parlamentarischen Arbeit kommt es zuweilen zu Begegnungen mit der Wissenschaft, die einen Austausch über aktuelle Themen ermöglichen. Das können parlamentarische Abende, Festveranstaltungen oder gezielte Besuche bei Hochschulen und Forschungseinrichtungen sein.
„Was in meinem Alltag jedoch schwer leistbar ist, ist die Verfolgung der aktuellen Studienlage zu meinen Fachthemen über aktuelle Anlässe hinaus.“Martin Habersaat
Selten passiert die Kontaktaufnahme umgekehrt, indem ich etwa Besuch im Landeshaus erhalte. Gelegentlich suchen wir auch bei der Vorbereitung parlamentarischer Initiativen den Rat von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die uns im Zusammenhang mit dem jeweiligen Thema schon aufgefallen sind. Was in meinem Alltag jedoch schwer leistbar ist, ist die Verfolgung der aktuellen Studienlage zu meinen Fachthemen über aktuelle Anlässe hinaus. Insofern kann ich mir auch nicht sicher sein, mit meinen Fragen jeweils bei der Spitze der Bewegung zu landen. Grundsätzlich helfen bei der Einordnung von Stellungnahmen ein paar zusammenfassende Worte und eine Fokussierung auf die aktuelle Fragestellung, weniger hilfreich -aber nicht selten- sind Verweise auf ein wissenschaftliches Gesamtwerk.
Stefan Nacke ist wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen
Wissenschaftliche Perspektiven beeinflussen die politische Arbeit. Sie bieten – wahrheitsorientiert, faktenbasiert, dem Falsifikationsprinzip entsprechend und vor allem im Modus argumentativer Begründung – Orientierung bei der Entwicklung politischer Agenden und der Formulierung konkreter Anträge. Wichtige Quellen für die Begegnung mit der Wissenschaft liefern Fachliteratur, Medienberichte, vor allem aber direkte Gespräche mit einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre Expertise direkt oder in Form von Gutachten zu konkreten Fragestellungen einbringen.
„Die Kommunikation von Wissenschaften und Politik ist ebenso unerlässlich wie inspirierend, aber auch herausfordernd.“Stefan Nacke
Ich persönlich suche Anregungen im Studium aktueller gesellschaftspolitischer Literatur, um in meiner politischen Arbeit informiert zu bleiben und mir Analyse- und Beurteilungskriterien zu erschließen. Fachliche Impulse geben sowohl Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meiner Fraktion, den Ministerien und Kontakte zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Forschungsinstitutionen. Auch Publikationen oder direkte Ansprachen durch Wissenschaftsvereinigungen spielen eine Rolle. Formalisiert sind die Kontakte von Wissenschaft und Landespolitik über das parlamentarische Format der Anhörung. Als Vorsitzender einer Enquetekommission, die als „gemischtes Gremium“ Abgeordnete mit Akteuren aus Praxis und Wissenschaft zu übergreifenden Themenstellungen zusammenbringt und, ein wenig abseits vom politischen Tagesgeschäft, Handlungsempfehlungen für das Parlament erarbeitet, erlebe ich regelmäßig einen sehr positiven und motivierten Austausch.
„Bei aller fachlichen Detailorientierung geht es auch um Relativierungen, denn jede Einzelperspektive hat die Tendenz, sich zu totalisieren.“Stefan Nacke
Die Kommunikation von Wissenschaften und Politik ist ebenso unerlässlich wie inspirierend, aber auch herausfordernd. Denn es sind schon unterschiedliche Logiken und Kulturen, die dabei aufeinandertreffen und für gelingende Kommunikation braucht es Brückenbau und Übersetzung von beiden Seiten. Insbesondere die aktuelle Pandemie zeigt übrigens die Notwendigkeit, Wissenschaft immer im Plural zu verstehen und zwar als einen diskursiven Zusammenhang vielfältiger Perspektiven. Deswegen sind interdisziplinäre Expertenräte, wie Ministerpräsident Armin Laschet einen solchen zuerst in Nordrhein-Westfalen einberufen hat, wichtige Ratgeber. Bei aller fachlichen Detailorientierung geht es auch um Relativierungen, denn jede Einzelperspektive hat die Tendenz, sich zu totalisieren. Die Herausforderung der Politik, die Niklas Luhmann zufolge für die „Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen zuständig ist“, liegt nun darin, im Gespräch mit den Wissenschaften und Fachdisziplinen gemeinwohlorientiert die notwendigen Abwägungen zu treffen. Äußerungen, wie „Die Wissenschaft hat aber gesagt“, sind dabei zu unterkomplex. So geht es letztlich auch wissenschaftsbezogen um den Kompromiss als die Seele der Politik.
Wir haben weitere Statements bei Vertreterinnen und Vertretern aller größeren in Landtagen vertretenen Parteien angefragt.
1 Dewe, B. (2005): Von der Wissenstransferforschung zur Wissenstransformation: Vermittlungsprozesse – Bedeutungsveränderungen. In: Antos, G./Wichter, S. (Hg): Wissenstransfer durch Sprache als gesellschaftliches Problem. Frankfurt a.M: Lang, 365-380.