Diskussionsspiele vermitteln Wissen zu einem Thema und leiten gleichzeitig zur kontroversen Debatte darüber an. Das Open-Source-Format PlayDecide kann für ein gewünschtes Thema adaptiert werden. Wir stellen vor, wie es funktioniert und für welche Bereiche es sich besonders eignet.
PlayDecide – Spielend Wissen vermitteln und diskutieren
„Es geht darum, dass Leute sich trauen, zu einem Thema zu sprechen, dass sie Informationen austauschen und auch herausfinden, welche verschiedenen Perspektiven es darauf gibt“, sagt Kathrin Unterleitner. Damit fasst sie zusammen, was neben Wissensvermittlung das zweite wesentliche Element von Diskussionsspielen ist: die Debatte. Die Grundidee des Formates ist, dass sich eine Gruppe von Spielenden zu einem bestimmten Thema austauscht. Hierbei können die Teilnehmenden ihre eigene Meinung vertreten oder aber sie nehmen für die Dauer des Spiels die Perspektive einer Spielfigur ein und vertreten deren Argumente. Idealerweise besteht eine Gruppe aus vier bis zehn Spielenden, damit genügend unterschiedliche Meinungen vorhanden sind und trotzdem alle zu Wort kommen. Eine Spielrunde kann je nach Art des gewählten Diskussionsspiels zwanzig Minuten, im Falle von PlayDecide etwa eine bis eineinhalb Stunden und bei Formaten wie Schülerparlamenten auch mehrere Tage dauern. Als Ort eignet sich eine Umgebung, in der man sich entspannt unterhalten kann, damit der Fluss der Diskussion nicht gestört wird.
Als spielerische Elemente werden zumeist Karten mit unterschiedlichen Spielfunktionen verwendet, so auch bei Playdecide. Das Open-Source-Diskussionsformat wurde im Rahmen eines EU-Projekts von mehreren Wissenschaftskommunikatoren gemeinsam entwickelt. Die Spiele werden nach wie vor aktualisiert und sind auf der Webseite als Download verfügbar. Interessierte können aber auch eigene PlayDecide-Spiele zu neuen Themen entwickeln und hochladen. Die Diskussionsspiele von PlayDecide sind sogenannte Framegames. Sie funktionieren nach einem Baukastenprinzip und können dadurch flexibel an die jeweilige Zielgruppe und an das ausgewählte Thema angepasst werden. Grundsätzlich eignen sich Diskussionsspiele für alle kontroversen Themen, bei denen es unterschiedliche Interessengruppen gibt.
Informieren, diskutieren, nachbereiten
Ein PlayDecide-Spiel gliedert sich in drei Phasen: eine Informationsphase, eine Diskussionsphase und eine Abschlussphase. Wichtig ist dabei, dass alle Teilnehmenden unabhängig von ihrem Vorwissen mitspielen können. Bei PlayDecide etwa erhalten sie darum zu Beginn Wissenshäppchen zum Thema, um eine gemeinsame Wissensbasis zu schaffen. Jede Person zieht eine oder mehrere Karten mit Hintergrundinformationen, die sie in der Runde laut vorliest. Dann geht das Spiel los.
Um die Diskussion zu starten, wählen die Mitspielenden zusätzlich aus Themenkarten ein Detail aus, über das sie sprechen wollen. Im Laufe des Spiels können sie immer wieder neue Themenkarten ziehen. Ein spielerischer Aspekt der PlayDecide sind die Aufgabenkarten, die die Mitspielenden zu bestimmten Aktionen auffordern. Beispielsweise müssen sie ein sinnvolles Gegenargument gegen das zuletzt vorgebrachte Argument eines Mitspielenden bringen.
Oder sie sollen verschiedene Aspekte des Themas von wichtig nach unwichtig oder wahrscheinlich nach unwahrscheinlich sortieren. Die Reihung regt die Spielenden an, den Blickwinkel auf das Thema zu ändern oder noch mal einen neuen Gedanken mit einzubeziehen. Diese Aufgabenkarten stimulieren die Diskussion, helfen dabei sie zuzuspitzen, aber auch sie wieder aufzuweichen, falls sie zu hitzig wird.
Gelbe Karte für hitzige Debatten oder Unklarheiten
Damit die Diskussion respektvoll verläuft, legen die Spielenden zu Beginn Regeln für den Umgang miteinander fest. Hält sich eine Person nicht an diese Regeln, lässt andere nicht ausreden oder ist unsachlich, kann die Gruppe in der Runde eine gelbe Karte zeigen. Die gelbe Karte dient aber nicht nur als Verwarnung bei Regelverstößen, sie kann auch eingesetzt werden, wenn jemand etwas nicht verstanden hat. Dann wird sie gezeigt, um zu signalisieren, dass ein Argument noch einmal erklärt werden muss.
Zusätzlich kann ein Moderator oder eine Moderatorin die Diskussion stützen, sollte sich aber nicht selbst aktiv an der Diskussion beteiligen. Abhängig davon wie viel Hilfestellung die Gruppe benötigt, kann der Moderator oder die Moderatorin die Diskussion durch Aufgaben für oder Nachfragen an die Spielenden weiter stimulieren.
In der Abschlussphase fasst die Gruppe die Argumente und Meinungen zusammen. Dadurch finden die Teilnehmenden auch nach einer hitzigen Diskussion zu gemeinsamen Ergebnissen und halten diese fest. Ein gutes Diskussionsspiel fördert die Wertschätzung für unterschiedliche Meinungen und macht neugierig auf mehr.
Kontrovers diskutieren mit jeder Altersgruppe
Die Idee von PlayDecide zeichnet aus, dass sie immer nach dem gleichen Prinzip funktionieren und Interessierte mit etwas Vorbereitung sogar ein neues Spiel entwickeln können. „Zwar kann man ein PlayDecide-Spiel selbst gestalten, dazu sollte man aber mehrere Fachleute zum Thema involvieren, um sicherzustellen, dass die Fakten viele Facetten des Themas abdecken und korrekt sind. Dabei sollte man den Zeitaufwand für ein gutes Spiel nicht unterschätzen“, sagt Kathrin Unterleitner. Je nach Alter der Mitspielenden, dem Bildungshintergrund und dem Thema können die Texte auf den Spielkarten angepasst oder übersetzt werden. Die neuen Spiele werden unter offener Lizenz auf der Webseite hochgeladen und können von anderen als PDF kostenfrei heruntergeladen werden. Kosten entstehen dabei nur durch den Druck.
Diskussion auf Augenhöhe
Mit dem Format von Diskussionsspielen hat auch Kathrin Unterleitner gute Erfahrungen mit verschiedenen Zielgruppen gemacht. Mit einer Gruppe Sechs- bis Siebenjähriger hat sie zum Beispiel über das Thema Armut und damit verbundene soziale Ausgrenzung diskutiert: „Für diese Gruppen haben wir ein Diskussionsspiel entwickelt, in dem wissenschaftliche Informationen in Geschichten eingebaut waren, über die die Kinder dann diskutieren können.“ Nicht nur in Schulen, sondern auch im Jugendgefängnis und in Inklusionsprojekten hat Kathrin Unterleitner schon Diskussionsspiele begleitet: „Das funktioniert gut, weil die Diskussion auf Augenhöhe passiert und die Kinder und Jugendlichen dabei ernst genommen werden.“
Diskussionsspiele fördern zudem Kompetenzen, die für Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie wichtig sind. Die Mitspielenden lernen, sich in ein Thema einzudenken. Sie bilden sich eine eigene Meinung und müssen diese mit Argumenten untermauern. „Für mich ist das Ziel von Diskussionsspielen, dass Menschen über kontroverse wissenschaftliche Themen ins Gespräch kommen“, sagt Kathrin Unterleitner. „Als Wissenschaftskommunikatorin ist es für mich dabei nicht so relevant, welchen Aspekt des Themas sie diskutieren. Hauptsache, sie entwickeln Neugierde auf das Thema.“ Die Teilnehmenden erlernen grundlegende Regeln der Diskussionskultur, sich zu respektieren und den sachlichen Austausch auf Augenhöhe. Und – es gibt keine Gewinnerin bzw. keinen Gewinner. Deswegen werden solche Spiele häufig auch als Diskussionswerkzeuge und nicht als Spiele im klassischen Sinne bezeichnet.
- PlayDecide
- Andere Diskussionsspiele des ScienceCenter-Netzwerk (SCN): (Blickwinkel, Guter Rat ist teuer – Umgang mit Geld, Armutsgrenze, Mobilität der Zukunft)
- Open Mind von Macmillan English
- Unterschiedliche Aktionsformate – von Diskussionsspielen bis zum Schülerparlament zum Aussuchen für eigene Projektplanung im Überblick
- Imagine RRI Group Discussions
Studien und Forschung:
- Bandelli and Konijn (2011). “An experimental approach to strengthen the role of science centers in the governance of science”, In The Routledge Companion to Museum Ethics, Publisher: Routledge, Editors: Marstine, Janet C, pp.164-173.
- Duensing and Lorenzet (2007). Decide Evaluation Report.
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- Felt, U., Fochler, M., & Sigl, L. (2018). IMAGINE RRI. A card-based method for reflecting on responsibility in life science research. Responsible Innovation, 5(2), 201-224. doi:DOI: 10.1080/23299460.2018.1457402 (link: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/23299460.2018.1457402)
- Felt, U., Schumann, S., Schwarz, C. G., & Strassnig, M. (2014). Technology of imagination: a card-based public engagement method for debating emerging technologies. Qualitative Research, 14(2), 233-251.
- Kathrin Unterleitner, Sonja Gruber, Barbara Streicher: Grundlegende Charakteristika und Prinzipien für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. (2010)