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Perspektivwechsel, Transparenz und ein gutes Monitoring

Welche kommunikative Krise haben Sie in letzter Zeit gelöst? Und welche Lehre nehmen Sie daraus mit? Das haben wir drei Pressechefs und -chefinnen aus dem Wissenschaftsbereich gefragt. Elisabeth Hoffmann, Patrick Honecker und Susanne Thiele geben Einblicke in ihre Arbeit und Tipps für den nächsten schwierigen Fall.

Fallbeispiel 1: Rakete von Studierenden landet in Wohnhaus

Eine unserer prominentesten Krisensituationen an der TU Braunschweig war ein Unfall mit einer Experimentalrakete. Ein studentischer Verein baut schon seit vielen Jahren Flugkörper für ballistische Experimente. An dem Tag des Unfalls sind bei einem Versuch zwei sehr unglückliche Umstände zusammengekommen: ein technischer Fehler sowie Turbulenzen, die vom Boden aus nicht beobachtbar waren. Die Rakete ist also nicht wie geplant einen Kilometer in die Luft gestiegen und dann wieder senkrecht heruntergekommen, sondern ist plötzlich abgedreht und dabei in ein Haus eingeschlagen. Dabei wurde glücklicherweise niemand verletzt. Das war eine Nachricht seinerzeit, die bei uns sehr viel bewegt hat.

 

Elisabeth Hoffmann ist <a href="https://www.tu-braunschweig.de/presse/team-aufgaben" target="_blank"> Leiterin der Stabsstelle Presse und Kommunikation und Pressesprecherin der Technischen Universität Braunschweig</a>. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin war von 2008 bis 2014 Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation. Sie twittert als @einrehgehege.
Elisabeth Hoffmann ist Leiterin der Stabsstelle Presse und Kommunikation und Pressesprecherin der Technischen Universität Braunschweig. Foto: privat

Ich selbst habe von dem Vorfall über die Medien erfahren. Stellen Sie sich vor, sie kommen morgens ins Büro und dann kommt direkt ein Anruf: Ein Gegenstand sei in ein Haus eingeschlagen, ob der von der Universität stamme. Da mussten wir erst einmal um Geduld bitten und so schnell wie möglich herausfinden, was passiert war. Die Studierenden haben sich zum Glück sofort bei uns gemeldet. So wussten wir, dass es ihre Rakete war, konnten den Ablauf rekonstruieren und so schnell ein Statement abstimmen. In diesem Fall mussten wir auch klären, ob ich überhaupt sprechen darf, weil der Verein rechtlich unabhängig von der Universität ist. Wir haben uns damals schnell dafür entschieden: Denn es sind eben – vor allem auch in der Außenperspektive – unsere Studierende. Außerdem würden wir ja im Falle einer positiven Meldung auch hinter ihnen stehen.

 

Wenn man nicht so schnell rekonstruieren kann, was passiert ist, kann man natürlich schon mal ein knappes Statement herausgeben: Wir kümmern uns um die Aufklärung und um die Betroffenen, wir informieren wieder, sobald wir mehr wissen. Es ist nicht schön, wenn man nur lückenhaft informieren kann. Schlimmer wäre es aber, zu spekulieren oder gar zu mauern und zu sagen: Wir wissen nichts und äußern uns nicht.

Im Rückblick auf diese Krise habe ich gemerkt, dass ich in eine Richtung zunächst gar nicht kommuniziert habe, und zwar mit den Betroffenen. In dieser Situation hätte man eigentlich vor Ort sein müssen. Ich habe also gelernt, so schnell wie möglich auch die Perspektive zu wechseln. Man muss auf dem Zettel haben, wie die anderen Beteiligten sich fühlen und was sie brauchen könnten. Wichtig ist außerdem, jede größere Krise im Nachhinein noch einmal aufzuarbeiten und ein Resümee auf der eigenen Webseite zu veröffentlichen. Denn die nächste Krise kommt bestimmt, und die Presse wird, wie andere Interessierte auch, schauen, wie man vorher schon mit anderen umgegangen ist. Natürlich fressen solche Krisen enorm viel Zeit und andere Arbeit bleibt liegen. Man neigt also dazu, direkt nach der Krise wieder zu dieser Arbeit zurückzukehren. Aber das wäre ein Fehler: Eine Abschlussdokumentation ist ein Muss.

 

Fallbeispiel 2: „Studiert nicht in Deutschland, vor allem nicht in Köln“

Patrick Honecker ist seit 2006 Sprecher der Universität Köln und seit 2011 auch Leiter des Marketings. Foto: privat

Ein finnischer Student hat einen Beitrag auf seinem persönlichen Blog veröffentlicht mit dem Titel „Eight reasons to not study in Germany“ und diese am Beispiel der Universität Köln beschrieben. Er war in einem internationalen Masterprogramm schon an mehreren Hochschulen gewesen und war bei uns, seiner letzten Station im Studium, nicht zufrieden. Unter den Gründen waren zum Beispiel viel Bürokratie, Öffnungszeiten der Bibliotheken oder dass es schwierig sei, jemanden bei der Universität ans Telefon zu bekommen. Und den Beitrag hat Zeit Online ziemlich schnell eins zu eins übernommen.

Wir haben dann ein Statement von der Prorektorin für Internationales, Gudrun Gersmann, herausgegeben, das wir auch in dem Artikel in der Zeit direkt einstellen durften. Aber mittlerweile hatte der Asta den Beitrag bei Facebook geteilt und andere Medien, etwa der Kölner Stadtanzeiger oder der Express, hatten die Geschichte schon aufgegriffen. Wir wären in dem Moment gerne mit dem Studenten in Kontakt getreten, um seine Kritik zu besprechen. Das wollte er aber nicht und so haben wir uns in der Kommunikation auf die Reaktionen konzentriert. Außerdem sind wir intern einige Veränderungen angegangen, wie die Verlängerung der Öffnungszeiten unserer Bibliotheken, haben Studierendeninformationen übersetzt und Erreichbarkeiten verbessert. Dazu sind wir dann wieder in Kontakt mit den Medien getreten, um zu kommunizieren, dass jetzt auch tatsächlich etwas passiert. Online haben wir außerdem Unterstützung von Studierenden bekommen, die die Kritik aus der eigenen Erfahrung relativiert haben. Sie haben dann etwa geschrieben, dass einige Dinge gar nicht so kritisch sind, wie in dem Blogbeitrag dargestellt. So hatten wir dann irgendwann wieder den Lead in der Kommunikation, konnten von uns aus sagen, was an Verbesserungen eingerichtet wurde. Nach einem Monat war die Krise vorüber.

Rückblickend kann man also sagen, dass die Kommunikation und die Reaktion gut funktioniert haben. Es ist aber auch ein Beispiel dafür, wie eine einzelne Person durch einen gut geschrieben Blogbeitrag eine große Debatte starten kann. Wichtig war uns dabei vor allem, zu zeigen: Wir nehmen ernst, was unsere Kritikerinnen und Kritiker sagen. Man kann das zwar nur schwer als Blaupause für andere Kommunikationssituationen nehmen. Elementar war aber, dass wir sofort die Kommunikation an die Hochschulleitung gezogen haben. Es war gut, dass wir sofort auf den verschiedenen Kanälen reagiert und uns in die Debatte direkt eingeschaltet haben, und dass wir außerdem die Negativpunkte wirklich angegangen sind, indem wir real etwas verändert haben. Für das nächste Mal haben wir außerdem unser Monitoring noch etwas ausgebaut – da nutzen wir neben einem Clippingdienst auch einen kommerziellen Crawler, der für uns die Webinhalte durchsucht. Das wollen wir in Zukunft noch ausbauen.

Fallbeispiel 3: Proteste vor der eigenen Haustür

Susanne Thiele ist Biologin, Autorin und Pressesprecherin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschungin BRaunschweig. Foto: Verena Meier
Susanne Thiele ist Biologin, Autorin und Pressesprecherin am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Foto: Verena Meier

Obwohl wir am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig auch Tierversuche durchführen, haben wir noch keine richtig große kommunikative Krise erlebt. Die Forschung ist wichtig, um lebensnotwendige Antibiotika zu entwickeln und wir können die Wirkungen auf das Immunsystem nicht nur in Zellkulturen testen. Wir befinden uns daher kontinuierlich in einer kontroversen Debatte und müssen zeitweise auf Kritik reagieren. Die kommt zum einen online, etwa durch Beiträge und Kampagnen von Tierschutzorganisationen. Zum anderen gab es auch schon sehr vereinzelte Protestaktionen vor unserer Haustür.

Der letzte größere Protest war allerdings etwas merkwürdig. Eine Gruppe hatte sich mit einem Lautsprecherwagen vor dem Haupteingang des Zentrums versammelt, mit Kreide Slogans auf den Boden gemalt und Infomaterial verteilt. Dabei handelte es sich aber gar nicht um dezidierte Tierversuchsgegner, wie wir später herausgefunden haben, sondern um eine rechte Gruppierung, die sich dieses Themas bemächtigt hat. Ich wollte direkt vor der Tür mit den Kritikern das Gespräch suchen. Das wollte die Gruppe aber gar nicht und hat sich ziemlich schnell wieder auf den Weg gemacht. Rückblickend erschwert das etwas die Einschätzung dieser Situation. Normalerweise würden wir auf die Gruppe zugehen, sie zu einem Termin ins HZI einladen, ihnen soweit es geht Einblicke in die Tierhaltung geben und sie dann mit Forschenden und unserem Leiter des Tierhauses ins Gespräch bringen. Im Netz reagieren wir da ähnlich und suchen mit den Kritikerinnen und Kritikern den Dialog. Auf Blogbeiträge oder Berichterstattung reagieren wir etwa mit einem Kommentar eines Experten oder einer Expertin, zum Beispiel als Presse-Statement direkt an die Zeitung, die berichtet hat, um die kritisierten Versuche in den richtigen Kontext zu stellen.

Insgesamt kommunizieren wir schon seit dem Bau unseres neuen Maushauses im Jahre 2009 sehr offen über unsere Tierversuche. Dazu gehörten vor dem Start der Forschungen öffentliche Führungen – die jetzt aus hygienischen Gründen nicht mehr möglich sind – Diskussionsveranstaltungen, ein Diskursprojekt für Jugendliche an Schulen mit dem Titel „Tierversuche in der Forschung“ oder unserem Tag der offenen Tür. Damit wollten wir von vornherein eine sachliche Diskussion über das Thema ermöglichen. Wir vermitteln dabei Pro und Contra, damit sich die Bürgerinnen und Bürger selbst eine Meinung bilden können. Und diese Offenheit ist auch für unsere Forschungskommunikation wichtig. In den Pressemitteilungen zu aktuellen Ergebnissen weisen wir immer darauf hin, wenn wir mit Tieren gearbeitet haben. Wir machen insgesamt sehr gute Erfahrungen damit, möglichst transparent mit unseren Tierversuchen umzugehen.