Bild: Remix aus Papaioannou Kostas, Pietro Leng und Clint Adair

Peer-to-Peer: Wie erreichen wir „diese jungen Leute“?

Die Jugend zielgenau ansprechen: Was viele wollen, ist in der Realität alles andere als einfach. Marcus Flatten blickt im Gastbeitrag auf Studien zur Jugendkommunikation und nennt Beispiele, wie Jugendliche selbst, der Peer-to-Peer-Idee folgend, in die Kommunikation mit eingebunden werden können.

Junge Menschen sind eine begehrte Dialoggruppe, auch für wissenschaftliche Einrichtungen. Nicht nur, dass sie in naher Zukunft möglicherweise studieren, promovieren, forschen und publizieren werden. Auch das Weltbild der Gesellschaft von morgen entsteht in den jungen Köpfen von heute. Es kann den Handelnden in der Wissenschaft deshalb nicht egal sein, wie junge Menschen über Wissenschaft denken, und sie sollten dieses Thema auch nicht den Schulen überlassen. Doch wie können Forschende und wissenschaftliche Einrichtungen Jugendliche erreichen, noch dazu mit komplizierten Inhalten? Lesen „diese jungen Leute“ überhaupt noch etwas anderes als Whatsapp-Nachrichten und Instagram-Posts?

Wer die Frage so stellt, ist bereits in die erste Falle der Jugendkommunikation getappt. Denn „die Jugend“ gibt es nicht. Die Gruppe der Jugendlichen ist ebenso vielfältig wie die der Erwachsenen. Zwar spielt das Handy bei fast allen eine große Rolle, aber das sagt noch nichts über individuelle Interessen und die mögliche Tiefe von Informationen. Viele Jugendliche nehmen sich Zeit für die Dinge, die sie interessieren – zum Beispiel für lange Youtube-Videos oder Podcasts. Und auch Instagram kann in Form von groß angelegten Stories Wissen transportieren.

Was sagen Studien?

Eine ganze Reihe von Studien untersucht regelmäßig das Kommunikationsverhalten und die Medienwahrnehmung Jugendlicher. Der Contentbericht 2017 der Medienanstalten berichtet von gelungenen und weniger gelungenen TV-Formaten für Jugendliche. Ein Fazit: „Sie wollen Formate, die anders erzählt werden, und Informationen, die auf Augenhöhe vermittelt werden.“ Der Band umfasst auch eine Studie zur „Nachrichtennutzung junger Onliner im internationalen Vergleich“. Ein Ergebnis: „Soziale Medien sind zwar für die meisten ein Bestandteil des Nachrichtenrepertoires, jedoch nur einer unter vielen. Nur wenige nutzen sie als Haupt- oder gar als einzige Nachrichtenquelle.“ Die JIM-Studie 2017 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest liefert Daten zu den von Jugendlichen genutzten Kanälen: Wichtigste App 2017 ist für fast 90 Prozent der Befragten Whatsapp. Nur knapp halb so viele nannten Snapchat oder Instagram als eine der drei wichtigsten. An vierter Stelle folgt Youtube, noch vor Facebook, das vor allem bei den Jüngeren kaum noch eine Rolle spielt.

„Denn ‚die Jugend‘ gibt es nicht. Die Gruppe der Jugendlichen ist ebenso vielfältig wie die der Erwachsenen.“ Marcus Flatten

Die Peer-to-Peer-Idee

Wenn erwachsene Kommunikatoren versuchen, auf Snapchat oder Instagram einen jugendlichen Ton zu treffen, geht das häufig schief. Die Grundidee der Peer-to-Peer-Kommunikation ist simpel: Jugendliche können das viel besser. Sie verwenden untereinander ähnlichere Sprachcodes und sind stärker motiviert, Unterschiede zwischen sich und dem anderen auszugleichen. In der Hochschulkommunikation kann das bedeuten: Abiturientinnen und Abiturienten oder Erstsemester treten in Dialog mit potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern. Erfahrene Studierende kommunizieren mit Erstsemestern oder mit Interessenten für Masterstudiengänge.

Auch rein wissenschaftlichen Einrichtungen bieten sich viele Möglichkeiten, jugendliche Peers einzusetzen. Zum Beispiel können diese

  • aus ihrer Sicht über Veranstaltungen der jeweiligen Einrichtung berichten,
  • Interviews mit Forschenden führen (und dabei vielleicht ganz andere Fragen stellen),
  • im Rahmen eines Takeovers über ihr Praktikum oder einen Tagesablauf als wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. wissenschaftlicher Mitarbeiter posten,
  • Forschungsergebnisse in ihren eigenen Worten erklären,
  • als Influencerin beziehungsweise Influencer die Reichweite der eigenen Kanäle für die Einrichtung einsetzen.

„Junge Leute teilen ihr Wissen gern, wenn wir Älteren ihnen tatsächlich zuhören und Wert auf ihre Meinungen und Erfahrungen legen.“ Marcus Flatten
Neben diesen Einsatzmöglichkeiten als Sendende von Informationen können Jugendliche die jeweiligen Kommunikationsabteilungen auch beraten oder in der Redaktion mitarbeiten. Da wir als Agentur viel im Bildungsbereich tätig sind, haben wir seit einiger Zeit eine Schülerreporterin und einen Schülerreporter im Team. Diese bitten wir von Zeit zu Zeit, sich von uns erstellte Social-Media-Kanäle oder Kampagnen anzuschauen und zu bewerten. Wir haben eine Menge von ihnen gelernt. Junge Leute teilen ihr Wissen nämlich gern, wenn wir Älteren ihnen tatsächlich zuhören und Wert auf ihre Meinungen und Erfahrungen legen.

Beispiele

  • Campusgeflüster der Universität Magdeburg: Ein lockerer Talk auf dem Sofa unter Studierenden – ohne Skript und zu Alltagsthemen wie Wohnungssuche, BAföG oder Prüfungen (zur Youtube-Playlist).
  • Schülerreporter als Interviewer: Ein prominenter Speaker auf dem Europacamp 2019 der Zeit-Stiftung war der ehemalige griechische Finanzminister Yannis Varoufakis. Für die begleitende Social-Media-Kommunikation ließen wir ihn nicht von erwachsenen Journalistinnen und Journalisten interviewen, sondern von unserem Schülerreporter Jennik Pickert.
  • Instagram-Takeover an der FU Berlin: Beim Takeover übernehmen „Peers“ den Kanal für eine bestimmte Zeit. Viele Organisationen machen das sporadisch – die FU Berlin hat es institutionalisiert. Interessenten können sich über ein Bewerbungsformular kurz vorstellen und erhalten dann Rückmeldung, ob und wann es passt. Ein guter Artikel über Instatakeover findet sich übrigens auch hier in der Formatesammlung.
Jennik Pickert, Schülerreporter von Mann beißt Hund, interviewt den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis auf dem Europa Camp der ZEIT Stiftung. Foto: David Ausserhofer/ZEIT-Stiftung

Tipps zur Umsetzung

Aus unseren Erfahrungen mit P2P-Kommunikation lassen sich eine Reihe von grundsätzlichen Überlegungen ableiten:

  • Absprachen und Aufgabenverteilung zwischen den Kommunikationsabteilungen und den beauftragten Jugendlichen („Agents“) sind entscheidend für den Erfolg.
  • Unternehmen sollten die Weichen stellen, dann aber loslassen. Die Agents benötigen kreativen Freiraum innerhalb der Absprachen für die Content-Erstellung.
  • Die Arbeit sollte vergütet werden.
  • Konkurrenz beobachten und inspirieren lassen: Social Media ist voll von tollen Beispielen. Experimentierfreudige Unis auf Instagram sind beispielweise die FU Berlin oder die Uni Wuppertal.
  • Mut zur Lücke: Social-Media-Content muss nicht perfekt inszeniert sein – im Gegenteil. Formate wie die Instagram-Stories leben von Spontaneität, Schnelligkeit und Authentizität.
  • Der Umgang mit Social Media ist ein ständiger Lernprozess. Was heute gut funktioniert, kann morgen schon nichts mehr bedeuten.
  • Einfach mal Unbekanntes testen: Aus Erfahrungen wird man klug.

Weiterführende Informationen

  • Guter Hintergrundtext über Jugendmarketing von Christian Schuldt: „Liquid Marketing: Der Konsum der Jugend“ (8/2015)
  • Ein Blogbeitrag von Florian Schulze, Agentur Mann beißt Hund, zum Thema: Die Perspektive wechseln: Peer-2-Peer-Kommunikation (die „Tipps zur Umsetzung“ sind diesem Beitrag entnommen)
  • Werner Stangl schreibt aus psychologischer Sicht über Peer Education, insbesondere der Absatz „Chancen von Peer-Ansätzen“ lässt sich aber direkt auf Peer-to-Peer-Kommunikation übertragen: Stangl, W. (2019). Die Peergroup. werner stangls arbeitsblätter.(2019-09-04)
  • Und zum Schluss noch eine Anregung, Jugendliche nicht nur in die Wissenschaftskommunikation einzubeziehen, sondern auch in die Gestaltung von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik: Dickson-Hoyle, S., Kovacevic, M., Cherbonnier, M. and Nicholas, K.A., 2018. Towards meaningful youth participation in science-policy processes: a case study of the Youth in Landscapes Initiative. Elem Sci Anth, 6(1), p.67. DOI: http://doi.org/10.1525/elementa.327

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.