Die Rolle von Partizipation in der Wissenschaft wird in einer aktuellen Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen neu verhandelt. Potenziale, sowie Prämissen von Partizipation und vielfältige Formate stehen im Zentrum der Stellungnahme. Forschungskoordinator und Wissenschaftskommunikator Philipp Schrögel kommentiert im Gastbeitrag.
Partizipation in der Forschung: Mehr Mehrwert, weniger Verbindlichkeit
Die Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zu Partizipation in der Forschung kann guten Gewissens jedem*r Forschenden als kondensierter und fundierter Einstieg in das Thema an die Hand gelegt werden. Allerdings sind manche Perspektiven nicht abgebildet und in den transparent dargelegten Prämissen wird eine gewichtige Einschränkung vorgenommen, die in der Partizipations-Community sicher auch auf Kritik stoßen wird.
Der Allianz ist es mit der Stellungnahme gelungen, das Feld pointiert zu umreißen. Als hilfreiche Sortierung wird zwischen Partizipation in der Forschungsplanung, in der Durchführung von Forschungsprojekten und in der Forschungsdissemination unterschieden. Damit werden die Teilaspekte von Partizipation, die bisher oft nur innerhalb der jeweiligen Forschungs- und Praxiscommunities verhandelt werden, gemeinsam gedacht. Mit diesen drei Dimensionen zur Typologisierung und in weiteren zentralen Aspekten kommt die Stellungnahme der Allianz zu ähnlichen Schlüssen wie die Arbeitsgruppe Wissenschaftskommunikation und Partizipation in der #FactoryWisskomm, was mich auch sehr freut. Anstelle von wissenschafts- und demokratietheoretischen Argumenten stehen hier wie dort die Potenziale und der Mehrwert von Partizipation im Zentrum der Überlegungen. Und dies gilt für alle Beteiligten: Partizipation stellt „einen Weg dar, wie gesellschaftliche Anliegen Eingang in die Forschung finden können – zum Mehrwert sowohl für die Wissenschaft als auch für die Gesellschaft.“
Darüber hinaus adressiert die Stellungnahme von der Frage der Ressourcen und Anerkennung im Wissenschaftssystem über Weiterbildungen bis zum Evaluationsbedarf die zentralen Herausforderungen des Feldes, die in der Community schon länger diskutiert werden. Auf drei Herausforderungen möchte ich im Folgenden näher eingehen.
In der Meta-Diskussion über Partizipation in der Forschung entsteht manchmal der Eindruck, dass diese ein umfassendes Leitbild für alle Bereiche von Wissenschaft sein soll. Die Stellungnahme konstatiert hier treffend: „Partizipation in der Forschung sollte nicht in allen Forschungsfeldern und -projekten gleichermaßen erwartet werden.“ Zwar stellt eine grundlegend für Partizipation offene Wissenschaft eine wichtige Grundlage dar. Doch lohnt es sich, für eine produktive Implementation partizipativer Ansätze auch die jeweiligen Möglichkeiten realistisch abzuschätzen. Allerdings zeigt gerade das angeführte Beispiel für weniger geeignete Bereiche – Quantencomputing, dass es sich manchmal doch lohnt, weiterzudenken. Natürlich sind die physikalischen und mathematischen Grundlagen und Hardware-Umsetzungen wenig geeignet für die Einbeziehung von Laien. Aber die möglichen künftigen Auswirkungen einer Verbreitung von Quantencomputing, wie beispielsweise in Bezug auf IT-Sicherheitsarchitekturen und -Prozesse, lohnen sich dann doch frühzeitig im Rahmen einer partizipativen Technikfolgenabschätzung mit Öffentlichkeiten zu diskutieren.
Weiterhin empfiehlt die Stellungnahme: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereiten Bürgerinnen und Bürger idealerweise durch Einführungsveranstaltungen und Workshops im Vorfeld auf eine geplante Partizipation in der Forschungsplanung vor, um ihnen den eventuell dafür notwendigen Wissensstand zu vermitteln (z. B. zu bereits durchgeführter Forschung in einem Forschungsfeld).“ Dies ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Aspekt, der in bisherigen partizipativen Ansätzen häufig außer Acht gelassen wird. In einer falsch verstanden Offenheit werden Bürger*innen ganz allgemein nach Input und Ideen gefragt. Dies führt dann dazu, dass überspitzt gesagt bei vielen Dialogprozessen immer wieder das Gleiche herauskommt: allgemeine und oft in sich widersprüchliche Vorschläge. Dies zeugt weder von einem respektvollen Umgang mit der Zeit der beteiligten Bürger*innen (und auch Wissenschaftler*innen) noch lässt es zu, die Mehrwerte von Partizipation durch schlüssige Anregungen nutzen zu können. In derartigen Situationen kann das idealistische Paradigma von maximaler Offenheit und Austausch auf Augenhöhe genau zum Gegenteil führen: einem belang- und folgenlosen Gespräch. Manchmal kann weniger Offenheit mehr Offenheit bedeuten.
Die Stellungnahme adressiert auch einen weiteren wichtigen Handlungsbedarf. Partizipation steht genauso wie Wissenschaftskommunikation vor dem Problem, dass sie (abgesehen von kleinen Vorreiterprojekten mit eingeschränkter Reichweite) in der Regel nur ein sozio-ökonomisch besser gestelltes, akademisch interessiertes und zu größeren Teilen eher männlich und urban geprägtes Publikum erreicht. Die Stellungnahme fordert daher Anstrengungen „um auch schwer erreichbare Zielgruppen und nicht nur bereits wissenschaftsaffine Gruppen einzubeziehen.“ Dass diese Anstrengungen vorerst in der verständlichen Darstellung und bei Forschungsmuseen gesehen werden, zeigt aber den Bedarf für die Wissenschaftsinstitutionen, hier noch ein differenzierteres Verständnis von Exklusionsprozessen zu entwickeln.
Neben dem Mehrwert ist das wohl prominenteste Leitmotiv der Stellungnahme das der Wissenschaftsfreiheit. Die Stellungnahme setzt in ihren Prämissen voraus, dass „die Entscheidung über Art und Umfang von Partizipation und die Berücksichtigung von Ergebnissen von Partizipationsprozessen im Forschungsprozess immer in der Verantwortung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegen [sollte].“ Dies ist in der ausnahmslosen Absolutheit eine gewichtige Einschränkung. Selbstverständlich ist die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut und aus gutem Grund sehr weitreichend. Aber sie ist eben insbesondere auch in der Abwägung gegenüber anderen, auch teilweise grundgesetzlich verankerten Prinzipien, nicht absolut. Und gerade an derartigen Konfliktstellen, beispielsweise zu ethischen Grenzen von Forschung, wäre Partizipation relevant – und findet auch bereits in der Form institutionalisierter Beiräte statt. Weiterhin werden auch in der Forschungsfinanzierung teilweise politische Priorisierungen gesetzt, die nicht mit dem (wie üblich unterbestimmten) Exzellenzbegriff begründbar sind. Auch die an diesen Aspekt anknüpfende Forderung, „dass sich Bewertungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weiterhin primär an der Qualität ihrer wissenschaftlichen Leistungen orientieren [soll]“ geht von einem nicht näher bestimmten Qualitätsbegriff aus und würde in Bezug auf das „primär“ wohl auch von niemandem angezweifelt. Man könnte aber hier einen angelegten performativen Widerspruch zu der wenige Absätze zuvor aufgestellten Forderung, dass Partizipation (in Form von Citizen Science) „im wissenschaftlichen Reputationssystem besser verankert werden“ soll, vermuten. Hier hätte die Stellungnahme den Möglichkeitsraum für wirkungsvolle Partizipation nicht ausnahmslos ausschließen sollen.
Darüber hinaus schließt die „immer in der Verantwortung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegen[de]“ Partizipation in der absoluten Formulierung jegliche Formen selbstermächtigter Partizipation und eigenständiger wissenschaftlicher Beiträge jenseits der institutionell verankerten Einrichtungen aus, genauso wie eine gemeinsam getragene Verantwortung für ein partizipatives Forschungsprojekt. Sicherlich ist das nur für einen kleineren Bereich von Wissenschaft und wenige Projekte relevant, dennoch ist es schade, dass dies kategorisch ausgeschlossen wird. Die Debatte zu beiden Aspekten ist nun keinesfalls neu und wird kontinuierlich geführt, seitdem es partizipative Ansätze in der Forschung gibt. Letztendlich ist sie auch nicht argumentativ auflösbar, sondern eine Frage normativer Setzungen.
In einer Welt voller komplexer Probleme („wicked problems“) und einer neuen Unübersichtlichkeit können mit klugen und maßvollen partizipativen Ansätzen neue Möglichkeitsräume gemeinsam gestaltet werden. Trotz der ausgeführten Einschränkungen spricht die Stellungnahme die richtigen Punkte an, um weiter auf ein kontinuierlich reflektiertes Miteinander von institutionalisierter Wissenschaft und Gesellschaft hinzuarbeiten: „Perspektivenvielfalt in der Forschung durch die Rückkoppelung mit gesellschaftlichen Fragen und Sichtweisen“, „emotional wirksame Dialogelemente“ und „wissenschaftskritische Vorbehalte berücksichtigen“.