Joram Schwartzmann hat mit der Design-Sprint-Methode einen Videoworkshop für Forschende durchgeführt. Und würde es immer wieder tun. Warum? Das erklärt der Wissenschaftskommunikator des Projektes PLANT 2030 im Gastbeitrag und gibt Tipps zur Methode.
Nie wieder Brainstorming – Design Thinking im Videoworkshop
Endlich. Der Projektantrag ist bewilligt, die Grundidee ist gut, jetzt soll sie umgesetzt werden. Fast jedes Projekt in der Wissenschaftskommunikation beginnt so. Doch damit gehen die Probleme erst richtig los: Wie setzen wir die Idee kreativ um?
Auch ich stand vor diesem Problem zu Beginn meines Projekts erforschtCRISPR, das ich kurz nach Antritt meiner Stelle als Wissenschaftskommunikator bei PLANT 2030, einer Förderinitiative im Bereiche der angewandten Pflanzenforschung, auf meinem Schreibtisch hatte. Der Antrag sah vor, Forschenden beizubringen, auf Youtube ihre eigene Forschung zu präsentieren und somit selbst zum Sender zu werden.
Mit diesem Briefing im Hinterkopf entschied ich mich, mit ihnen in einem einwöchigen Workshop kreative Formate für Youtube zu entwickeln und dabei Produktions-, Kamera-, Ton- und Schnitttechniken zu vermitteln. Die Teilnehmenden sollten nach dem Workshop in der Lage sein, unabhängig Videos zu produzieren. Die Frage war nur: Wie kann ich dafür sorgen, dass die Teilnehmenden eigene kreative Ideen einbringen und nicht eingeengt von meinen Vorgaben alle die gleichen Durchschnittsvideos produzieren?
Glücklicherweise ist meine Frau eine erfolgreiche User-Experience-Designerin und ihre –jetzt auch meine – Methode der Wahl ist eine Variante des Design Sprint. Diese Methode geht auf Jake Knapp zurück, ein langjähriger Design-Partner von Google. Er hat diese Methode in einem gleichnamigen Buch ausführlich beschrieben und damit ein Standardwerk geschaffen, das einen einfachen Zugang zur Welt des Design Thinking bietet.
Prototypen im Sprint entwickeln
Ein Sprint definiert sich durch intensive Gruppenarbeit über fünf Tage. Zuerst geht es darum, ein Verständnis für das vorliegende Problem oder die Aufgabe zu entwickeln. Als nächstes erarbeitet man im Team Lösungsansätze, die man dann in der Woche immer wieder testet und verbessert. So entsteht ein Prototyp, der die Grundlage für die fertige Lösung bildet – in unserem Fall ein persönliches Videoformat für die Forschenden. Aber der Reihe nach:
Um dem Workshop eine Struktur zu geben, wird nach der Design-Sprint-Methode jedem Tag ein klares Ziel zugewiesen. Die klare Struktur hilft auf zwei Weisen: Sie erleichtert die Orientierung in der Menge an vermittelten Inhalten im Kurs und sie setzt klare Ziele, was an jedem Tag geschafft werden soll. Jeder Tag wird so mit einem Erfolg abgeschlossen. Außerdem führt das zu einer wahrnehmbaren Zeitbegrenzung. Dieses Prinzip wird auch für die einzelnen Aufgabenpakete angewendet. Jeder Workshopbaustein hat eine bestimmte Zeitvorgabe, die ich für alle im Raum mit einer Stoppuhr deutlich sichtbar gemacht habe. So waren sich alle der begrenzten Zeit bewusst und hatten kein Interesse an langen, abschweifenden Diskussionen.
Ein Tag im Design Sprint
Der Montag eignet sich als gutes Beispiel für die Methode. Ziel war es, einen Formatentwurf für das Video zu erstellen, der an den folgenden Tagen in die Realität umgesetzt werden sollte. Zu Beginn eines jeden Sprints steht die Zieldefinition. In einer geführten Diskussion haben wir zunächst das langfristige Ziel entwickelt, das wir in 12 Monaten erreichen wollen. Wir haben uns außerdem bewusst gemacht, was schief gehen könnte – ein Schritt, der gerne vergessen wird. Um dabei nicht zu pessimistisch zu werden, gibt es einige rhetorische Hilfsmittel. Man kann zum Beispiel ein Problem als Frage formulieren, statt als Feststellung: Aus„Wir erreichen keine Menschen mit unseren Videos” wird dann „Wie können wir es schaffen, ausreichend Menschen mit unseren Videos zu erreichen?” So denkt man nicht in Sackgassen, sondern erzeugt ein positives Problembewusstsein. Das hat uns bei der weiteren Arbeit sehr geholfen.
Nach der Zieldefinition geht es dann in den Sprint, Ein Sprint ist ein Wechselspiel von Input und Output, mit dem Ziel, einen abschließendes Ergebnis zu erhalten. Außerhalb von Sprints nutzen Teams gerne die bekannte Brainstormingmethode, um ersten Input zu generieren. Leider begünstigen Brainstormings die immer gleichen, eher extrovertierten und diskussionsfreudigen Menschen. Die ersten Ideen setzen oft den Ton für alles Folgende und andere kreative Ideen gehen verloren. Im Sprint gibt es deshalb kein Brainstorming.
Ziele, Vorbilder-Schau und Crazy 8
Los ging es deshalb mit einem Pitch– die Teilnehmenden haben im Vorfeld drei Videos ausgewählt und präsentierten der Gruppe, was sie an ihnen besonders fanden. Für jedes Video gab es genau eine Minute Zeit. Ich schrieb die Schlüsselideen an ein Whiteboard und schnell hatten wir zwei Dutzend unterschiedliche Aspekte zusammen, die gute Videos ausmachen.
Nach einem fünfminütigen Vortrag von mir zu den Besonderheiten von Youtube-Inhalten eröffnete ich die nächste Übung: Crazy 8. Alle sollen dabei je acht Ideen in acht Minuten auf ein A3 Blatt skizzieren – inklusive Titel und kleiner Zeichnung. Jede und jeder hat so für sich schnell acht Formate erfunden. Wir stellten die Ergebnisse kurz vor und hängten die Skizzen neben die Ergebnisse der vorigen Übung.
Wir hatten nun eine ganze Wand mit verschiedensten Ansätzen vor uns und die Köpfe der Teilnehmenden schwirrten nur so von Ideen. Nachdem sie in der ersten Hälfte des Tages viel Input bekommen hatten, ging es nun in die Umsetzung in Form von großen Format-Steckbriefen, die sie detailliert ausgearbeitet haben.
Bis zu diesem Punkt im Workshop hatten wir die Ergebnisse immer in der Gruppe präsentiert. Jetzt ging es erstmal alleine weiter. So konnten alle Teilnehmenden ihre Gedanken zu einem ersten Konzept ausarbeiten und gleichwertig präsentieren. Ich bin sicher, wir hätten manche Ideen nicht zu Gesicht bekommen, hätten wir von Anfang in der Gruppe gearbeitet.
Heatmap und Post-its gegen unnötige Diskussionen
Nach der Konzeptpräsentation ging es dann in die Gruppendiskussion: Alle Formatentwürfe hingen am Whiteboard und wir hatten mit Aufklebern markiert, welche Ideen die Einzelnen von uns besonders mochten. Mithilfe dieser Heatmap eröffnete ich die Diskussion: Was mögen wir? Was wünschen wir uns? Welche Fragen haben wir an das Konzept? Erst zum Schluss jeder Runde hatten die Autorinnen und Autoren der Konzepte das Wort und konnten Stellung beziehen. Auch so wurden wieder unnötige Diskussionen und Rechtfertigungen vermieden. Wir sammelten konstruktives Feedback auf Post-Its und hefteten diese an die Formatentwürfe, damit die Autorinnen und Autoren diese einarbeiten konnten.
Der Schlüssel für eine produktive Zusammenarbeit ist häufiges und vor allem konstruktives Feedback. Feedback wie: „Das wird nicht so nicht funktionieren“ bringt nicht weiter, „Hast Du überlegt, es stattdessen auf diese Weise zu machen?“ schon.
Daumen hoch für Design Thinking
Zusammengefasst machen folgende Ansätze einen Design Sprint aus: Klare Struktur, erst Input geben, dann Output erarbeiten, Zeitrahmen durchsetzen, konzentrierte Einzelarbeit zur Lösungsentwicklung, Gruppenarbeit zur Evaluation und Verfeinerung sowie häufiges und konstruktives Feedback.
Und hat es funktioniert? Ja. Ich war beeindruckt von der Qualität der ausgearbeiteten Ideen und am Ende der Woche hatten wir einen Prototypen für alle Teilnehmenden. Und auch unser kleines Testpublikum mochte die Prototypen und gab konstruktives Feedback. Mit diesen Rückmeldungen arbeiten die Teilnehmenden nun weiter und setzen selbstständig das komplette eigene Videoformat in die Praxis um.
Ich würde diese Methoden jederzeit wieder anwenden. Egal, ob ich neue Inhalte für ein Heft entwickeln muss oder einen komplett neuen Kommunikationsweg erschließen möchte. Sobald man in der Gruppe arbeitet, bietet es sich an, mindestens Teile eines Sprints zu verwenden. Wenn ich mal keine ganze Woche zur Verfügung habe, picke ich die absolut essenziellen Teile raus und mache einen Mini-Sprint an nur einem Tag. Ich konzentriere mich auf die Zieldefinition und richte all meine Lösungsansätze darauf aus.
Und wenn man nur zwei Dinge aus dieser Erfahrung mitnimmt, dann diese: Nie wieder Brainstorming und immer konstruktives Feedback geben.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.