Musikalische Wisskomm aus Mineralien und Gesteinen? Techno im Museum? Fossilien auf Vinyl gepresst? Achim Reisdorf ist nicht nur Geologe, sondern auch begeisterter Musikliebhaber. Aus dieser Kombination entsprangen bereits mehrere ungewöhnliche Wisskomm-Projekte. Womit fing alles an und was sind die nächsten Pläne?
„Nicht nur Klangträger, sondern auch Wissenschaftsträger“
Herr Reisdorf, wie sind Sie zur Wissenschaftskommunikation gekommen?
Öffentlichkeitsarbeit für mein Fach zu betreiben hat mich eigentlich schon immer interessiert, aber der richtige Einstieg in die Kommunikation hängt bei mir mit verschiedenen Musikprojekten zusammen: Musik ist ein ganz wesentlicher Bestandteil meines Lebens und Anfang 2000 habe ich mir einfach Gedanken gemacht, wie man geowissenschaftliche Inhalte mit Musik, mit Klängen verbinden und so vermitteln kann.
Das erste Musikprojekt hat dann Ambient-Musik mit geowissenschaftlichen Inhalten verknüpft und wurde am Ende sogar auf einem Festival in Leipzig aufgeführt, das 2003 im Rahmen des Forums für Neue Musik stattfand.
Etwas später bin ich zu meiner Zeit an der Universität Basel mit dem in der Schweiz noch relativ jungen Format Science Slam in Kontakt gekommen. Ich kannte dieses Format damals noch nicht, aber es hat mir sofort viel Freude gemacht.
Wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, Musik und Science Slam zu verbinden?
Ich habe mich vor ungefähr fünf Jahren fast komplett aus der Science-Slam-Szene zurückgezogen. Aus meiner Sicht ließen die Science Slams, bei denen ich mitgemacht habe, nach und nach die wissenschaftlichen Inhalte vermissen. Von Ausnahmen abgesehen rückte Unterhaltung immer mehr in den Vordergrund. Das hat mir einfach nicht mehr so viel Spaß bereitet.
Aber gleichzeitig war dies für mich auch ein wichtiger Impuls: Ein Trend damals war, dass Slammerinnen und Slammer bekannte Musiktitel mit eigenen Texten umsetzten. Das brachte mich auf die Idee, das ganze einfach mal umzudrehen: Ich als Wissenschaftler liefere einen Text über meine Wissenschaft und gebe ihn in die Hände von professionellen Musikschaffenden.
Auf diese Weise ist damals zuerst ein Drum-and-Bass-Stück entstanden, dem eine konkrete wissenschaftliche Publikation von meinem Kollegen Michael Wuttke und mir zu Grunde liegt. Ich fand das Ergebnis wirklich toll und habe darauf zusammen mit meinem langjährigen Musikfreund Kurt Gluck alias „Submerged“ aus New York das etwas – allerdings aus Absicht – nerdige Format „Science Slam Sonic Explorers“ gestartet. Wir haben mehrere Slammerinnen und Slammer angesprochen, ob sie nicht auch Texte beisteuern möchten. Und so sind dann eben mehrere Stücke entstanden.
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In welcher Form und in welchem Rahmen sind diese Stücke dann erschienen?
Wir haben uns recht schnell dafür entschieden, dass wir diese Musik nicht einfach im Internet als Download zu Verfügung stellen, sondern auf spezielle Vinyl-Schallplatten pressen wollen, auf sogenannte Picture Discs, die Fossilien zeigen. Ein etwas archaisches Format und insofern ja vielleicht auch passend zur Paläontologie und den Geowissenschaften. Dieses direkt bedruckte Vinyl sieht tatsächlich bestimmten Fossilplatten recht ähnlich und erinnert an bestimmte Präparationstechniken, bei denen man Fossilien in Harz eingießt.
Wie ging es von dort weiter?
Ich hatte schon lange eine Idee, wie ich diese Verbindung von Gestein und Musik noch weiter auf die Spitze treiben könnte. Und als ich schließlich hier in Essen am Ruhr Museum angefangen habe, erhielt ich dafür auch die Steilvorlage schlechthin: Im Mineralien Museum Essen, einer Außenstelle des Ruhr Museums, gibt es einen Raum, der sich dem Klang von Mineralien und Gesteinen widmet und „Klang der Steine“ heißt. Dieser Ausstellungsbereich geht auf zwei wunderbar kreative Menschen zurück: meine Vorgängerin am Museum Ulrike Stottrop sowie Julia Zanke.
Dort kam mir sofort die Idee, dass die dort ausgestellten steinernen und mineralischen Instrumente und Materialien für mehr genutzt werden können als z.B. für museumspädagogische Angebote. Sie haben einfach auch das Potenzial für Musikproduktionen. Zusammen mit Kurt Gluck („Submerged“) und Julia Zanke, Musikpädagogin und -therapeutin an der Folkwang-Musikschule, haben wir das ganze Instrumentarium gesampelt und daraus eine Klangdatenbank angefertigt. Auf dieser Basis haben Submerged und Julia Zanke eine, eine Ambient-CD namens „Nachhall aus Stein“ produziert.
Außerdem haben Sie einen Techno-Wettbewerb ausgerufen, in dem noch mehr Musik entstanden ist. Was steckt dahinter?
Als dann die Sache mit Corona losging und ein guter Freund von mir daran schwer erkrankte, der selbst Technofan ist, wollte ich ihm eine Freude bereiten. Zum anderen war mir klar, dass es sehr viele Kunst- und Musikschaffende gibt, die nun vielleicht in Kurzarbeit oder arbeitslos sind und zudem nicht wissen, was sie mit ihrer ganzen Kreativität gerade anfangen sollen. Und so entstand die Idee, einen Wettbewerb auszuloben, der international Menschen dazu aufruft, sich dieser Samples zu bedienen und Musik daraus zu machen. Das Spektrum haben wir bewusst breit gehalten: Es sollte schon Techno sein, aber eben im weitesten Sinn. Wir haben auch keine Beatzahl vorgegeben. Entsprechend vielfältig ist das, was zurückgekommen ist, von Ambient bis hin zu sehr rhythmischen Stücken ist da einiges dabei. Es haben auch ein paar prominente Menschen aus der elektronischen Musikszene mitgemacht, zum Beispiel Mick Harris mit seinem Projekt „Scorn“.
Video: Auslobung der zweiten Runde des Techno-Wettbewerbs, bei der Tracks aus den gesampelten Klängen der Steine und Mineralien aus der Klangdatenbank des Mineralien Museums produziert werden sollen (Youtube).
Und gibt es diese Veröffentlichung nun auch wieder auf Picture Discs?
„Reverberations of Stone“ haben wir auf dem Label „Ohm Resistance“ ganz bewusst zunächst als digitale Compilation herausgebracht. Wir haben bei dieser Challenge aber auch mit vermerkt, dass die besten Tracks auf Vinyl gepresst werden, wahrscheinlich noch im ersten Quartal 2021. Und wir wollen dabei auf jeden Fall mineralogische Sammlungsobjekte der Stiftung Ruhr Museum auf die Platten drucken.
Die Idee dahinter ist, dass man die Mineraliensammlung des Mineralien Museums Essen spiegelt und dass diese Picture Discs nicht nur Klangträger sind, sondern auch Wissenschaftsträger. Immerhin wird nicht nur ein schönes Mineral abgedruckt, sondern auch weitere Daten: Name, Fundort, chemische Formel, die Inventarnummer der Sammlung. Es ist eine etwas unorthodoxe Art, einen Sammlungskatalog und -inhalt in die Welt hinauszutragen, aber das ist eben die Idee.
Warum passen Kunst und Wissenschaftskommunikation für Sie so gut zusammen?
Stellen Sie sich einfach mal folgendes Szenario vor: In einem der fantastischen Gebäude auf dem UNESCO Welterbe Zollverein, der ehemaligen Mischanlage, werden geowissenschaftliche Objekte ausgestellt. Große Objekte, wie etwa eiszeitliche Findlinge aus dem Ruhrgebiet, liegen auf Sockeln und werden mit Licht inszeniert. Dazu läuft die Musik, die aus den Steinen selbst erzeugt wurde. Das ist die perfekte Klanglandschaft für diese Ausstellung. Morgens ab zehn haben sie eine Ausstellung mit Soundinstallation, später am Tag erhält der Ort dann immer mehr den Charakter eines wissenschaftlichen Musiktempels.
Generell möchte ich einfach niedrigschwellig Wissenschaft transportieren. Und wer dann vielleicht einen ganzen Rave durchgetanzt hat und sich dabei mehr oder weniger mit diesen Gesteinen auseinandergesetzt hat, der möchte vielleicht danach auch unser Museum besuchen. Unabhängig davon generiert die Aktion an sich natürlich schon viel Aufmerksamkeit.
2021 wird dann auf also Zeche Zollverein zur Musik aus Steinen getanzt?
Ziel ist es auf jeden Fall, diesen Rave durchzuführen und das Schöne ist ja, das dieses Projekt in Zeiten von Corona auch noch wachsen kann. Wir haben keine Eile und es entstehen gerade weitere Kooperationen wie beispielsweise mit lokalen Technoveranstalter aber auch -produzenten und -produzentinnen. Dieses Interesse und diese Bereitschaft, auf die wir da treffen … ich würde behaupten, das wäre ohne Corona nicht passiert. Einfach weil die Menschen jetzt ein Stück auf sich selbst zurückgeworfen sind. Jeder muss schauen, wie er oder sie über die Runden kommt und dafür auch neue, kreative Formate entwickeln.
Also, derzeit sieht alles danach aus, das wir, in Kooperation mit Ahmet Sisman von „The Third Room“ sowie Submerged vom Musiklabel „Ohm Resistance“ eine Ausstellung organisieren, die eben auch ein Nachtprogramm enthält und dessen Teil auch ein Rave sein wird. Und wer weiß, vielleicht werden solche Stone-Techno-Veranstaltung ja auch noch an anderen Orten stattfinden.
Produzieren Sie selbst auch Techno?
Gibt es Wechselwirkungen zwischen Ihren vielseitigen kommunikativen Tätigkeiten und Ihrer Wissenschaft?
Die Kommunikationsprojekte geben mir die Chance, neue Menschen in der Wissenschaft kennenzulernen, Fachkolleginnen und Fachkollegen, ob nun direkt aus dem eigenen Fachbereich oder eben aus einer völlig anderen Richtung. Man kommt einfach in Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen und kann an gemeinsamen Projekten arbeiten. Und diese sind gleichzeitig wieder auch Inspiration. Denn wenn Sie über den eigenen Tellerrand hinausgucken, dann können Sie auch mehr Wissen generieren und Dinge aus verschiedenen Perspektiven hinterfragen.
Welche Ratschläge würden Sie Kolleginnen und Kollegen für den Einstieg in die Kommunikation geben?
Das A und O ist, egal, ob man nun für ein Fachkollegium oder vor einem Laienpublikum spricht, dass man sich in Vortragstechnik übt. Für mich war das Format Science Slam das absolute Aha-Erlebnis. Einfach weil man dort gezwungen ist, komplexe Inhalte allgemeinverständlich herunterzubrechen. Man muss sich in sprachlichen Bildern üben, aber auch in ungewöhnlichen Präsentationsformen. Bei der Präsentation ist es dann aber vor allem auch wichtig, immer den eigenen Weg zu gehen und nichts zu kopieren. Man kann sich inspirieren lassen, aber es sollte immer auch authentisch bleiben.