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„Natürlich können Frauen das auch“

Sichtbarkeit von Frauen in Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation ist immer noch keine Selbstverständlichkeit. Wie die Plattform #InnovativeFrauen diese Tatsache ändern möchte, erklärt die Projektleiterin Carola Herbst im Interview.

Warum braucht es im Jahr 2023 noch so etwas wie #InnovativeFrauen?

Carola Herbst ist Projektleiterin von #InnovativeFrauen bei kompetenzz, Deutschlands größtem Netzwerk zu den Themen Technik, Diversity und Chancengleichheit. Die Medienpädagogin beschäftigt sich seit 2008 mit den Themen Sichtbarkeit von Frauen im Online & Social Media Bereich. Ihr Herz schlägt für alles Digitale und Innovative. Foto: kompetenzz.de

Carola Herbst: Frauen und Männer leisten paritätisch das Gleiche, sei es beruflich, in Wissenschaft oder auch Gesellschaft und Technologie – sie sind aber nicht gleichberechtigt sichtbar. Das heißt, Frauen werden zum Beispiel in der Medienberichterstattung seltener als Expertinnen angefragt und bei Veranstaltungen ist ihr Sprecherinnenanteil viel geringer. Unser Ziel ist es, Frauen, die innovativ sind und unglaublich viel leisten, sichtbar zu machen.

Wie ist die Idee für die Plattform #InnovativeFrauen entstanden?

Wir sind öffentlich gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Es gab einen Call zum Thema ‚Innovative Frauen im Fokus‘, auf den wir uns beworben haben. Unsere erste Idee dazu war, dass wir innovative Frauen nicht fördern müssen. Sie müssen nicht erst innovativ werden, denn sie sind es schon. Wir müssen sie aber sichtbarer machen. Dann war relativ schnell klar, dass wir das über eine Online-Plattform und über eine Expertinnen-Datenbank machen wollen, auf der wir die Frauen mit Vita und ihrer Innovation darstellen. So können sie direkt von Journalist*innen, Medienschaffenden und Veranstalter*innen kontaktiert werden.

Außerdem gab es die Idee, nicht nur Frauen, sondern vor allem auch ihre Themen und Innovationen in den Fokus zu stellen. Wir sagen eher, „Das ist die Innovation, übrigens von einer Frau“, statt nur zu betonen, dass Frauen das auch können. Wir verfolgen also keinen defizitären Ansatz, denn selbstverständlich können Frauen das auch.

„Wir sagen eher, „Das ist die Innovation, übrigens von einer Frau“, statt nur zu betonen, dass Frauen das auch können.“ Carola Herbst

Können Sie erklären, welche Formate es gibt und worin die Unterschiede in den Potenzialen und Zielen liegen?

Unsere Fokusthemen sind die Content Strategie unserer Plattform. Wie zum Beispiel ‚Flüsse, Ozeane und Plastikmüll‘, welche wir erstmal klassisch wissenschaftskommunikativ aufbereiten und dann mit drei, vier Frauen ein Interview dazu führen. Oftmals sind diese bereits Teil unserer Plattform.

Unser Podcast #ForscherinnenFreitag ist ein spezielleres Format. Dort stellen wir ausschließlich Forscherinnen vor, während wir auf der ganzen Plattform Frauen mit Innovationen nicht nur aus Wissenschaft, sondern auch aus Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar machen.

Bei den Videoporträts liegt der Fokus ganz klar auf dem Visuellen. Dort porträtieren wir Frauen, deren Innovationen auf den ersten Blick nicht einfach zu erklären sind, die aber schöne Bilder schaffen. Das ist nochmal eine andere Ansprache und teilweise auch eine andere Zielgruppe, als zum Beispiel die Podcast-Hörer*innen. Unser Ziel ist es, die Frauen, ihr Thema und ihre Innovation auf allen Ebenen und für eine möglichst breite Öffentlichkeit sichtbar zu machen.

Open Mic‘ ist ein Format, bei dem sich drei Expertinnen aus unserer Datenbank zu einem Thema unterhalten. Es gab zum Beispiel ein Open Mic zum Thema Hate Speech, weil es nicht nur unsere Aufgabe ist, Frauen sichtbar zu machen, sondern sie auch auf Optionen hinzuweisen, falls die Sichtbarkeit negativ auf sie zurückfällt.

„Unser Ziel ist es, die Frauen, ihr Thema und ihre Innovation auf allen Ebenen und für eine möglichst breite Öffentlichkeit sichtbar zu machen.“ Carola Herbst
Außerdem haben wir eine Liste mit Wissenschaftspreisen auf der Plattform, da Frauen sich viel weniger auf solche Preise bewerben. Wir haben gemerkt, dass es gar keine Auflistung aller Wissenschaftspreise und Informationen darüber gibt, was man dafür leisten muss.

Unser Ziel ist es, über all diese Formate die Innovationen der Frauen sicht- und greifbar zu machen.

Gibt es einen typischen Weg, wie Sie auf innovative Frauen zugehen oder Wissenschaftlerinnen auf sich aufmerksam machen?

Aktuell ist es so, dass sich innovative Frauen bei uns registrieren können und diese Registrierung dann von uns geprüft wird. Wir haben feste Kriterien und recherchieren, ob das eingereichte Thema wirklich innovativ ist. Ein Kriterium ist zum Beispiel, dass die Frau ein Produkt, eine Methode oder Idee entwickelt oder maßgeblich weiterentwickelt hat, das oder die es so vorher nicht gab.

Der Anteil an Frauen, die selbst auf uns zukommen, liegt bei 40 Prozent. Die anderen 60 Prozent sind Frauen, die wir gezielt ansprechen. Unsere Plattform gibt es noch nicht lang genug dafür, dass alle Frauen von allein auf uns aufmerksam werden. Natürlich kooperieren wir auch mit verschiedenen Datenbanken, wie zum Beispiel speakerinnen.org, femconsult oder AcademiaNet. Alle haben spezielle Ausrichtungen – wir ergänzen uns positiv und bekämpfen uns nicht.

Unser Projekt ist außerdem an den gemeinnützigen Verein Kompetenznetzwerk Technik – Diversity – Chancengleichheit e.V. angesiedelt. Dieser ist seit über 20 Jahren in der Themenwelt Frauen, Innovationen und MINT aktiv.

#InnovativeFrauen

Die Plattform #InnovativeFrauen ist im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. angesiedelt und wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtlinie „Frauen in Wissenschaft, Forschung und Innovation: Leistungen und Potenziale sichtbar machen, Sichtbarkeit strukturell verankern“ („Innovative Frauen im Fokus“) unter dem Förderkennzeichen 01FP21070 gefördert.

Welche Vorurteile und Stereotype sind denn noch im Wissenschaftsbetrieb vorhanden?

Ich bin kein Fan davon, Sachen noch einmal zu sagen, weil sie dann verfestigt werden. Dann reproduziert man die Stereotype, was ich schwierig finde.

Eine Aussage, die uns begegnet, ist zum Beispiel: „Wenn es doch genauso viele Frauen gibt, die das leisten und sie nicht sichtbar sind, dann wollen sie sich nicht sichtbar machen oder sie sind es nicht wert, sichtbar gemacht zu werden.“ Wenn wir Frauen ansprechen und fragen, ob sie sich nicht eintragen wollen, gibt es schon eine gewisse Skepsis. Sie schätzen sich oft schlechter ein, nicht innovativ genug. Das ist erstaunlich, weil wir sie ja recherchiert haben und sie unsere Kriterien erfüllen. Ich habe das Gefühl, dass es jungen Frauen tendenziell etwas leichter fällt, sich zu präsentieren. Vielleicht, weil sie das Thema Wissenschaftskommunikation im Studium behandelt haben. Oder Wissenschaftsinfluencerinnen über Instagram oder anderen Social Media-Plattformen folgen.

Wenn wir jetzt mal über Stereotype hinausdenken – wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Sichtbarkeit von Frauen?

Für viele Frauen ist es die Selbstdarstellung. Und die Arbeit, die Innovation, die Leistung und Expertise, die sie haben, mehr herauszustellen. Da sind Frauen oft zu zurückhaltend. Obwohl sie das Gleiche leisten. Manche Frauen spiegeln uns zurück, dass sie das Gefühl haben, sie müssten sich überwinden, sichtbar zu werden und sich darzustellen. Das möchte ja auch nicht jede Person, es gibt natürlich auch Absagen. Aber man kommt schnell zu dem Gefühl, dass es Männern oftmals leichter fällt, sich darzustellen. Deswegen möchten wir Frauen „empowern“ und bestärken, das zu tun, denn: Nur wer sichtbar ist, kann auch angefragt werden. Journalist*innen googeln auch. Selbst wenn sie sowohl eine Frau, als auch einen Mann zu dem Thema interviewen möchten: Wenn sie keine Frau finden, werden sie wahrscheinlich zwei Männer nehmen.

„Nur wer sichtbar ist, kann auch angefragt werden.“ Carola Herbst

Haben Sie das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren etwas geändert hat?

Auf jeden Fall, es ist aber ein sehr langsamer Prozess. Ob es der langsame Anstieg von Frauen in MINT-Berufen oder Studiengängen ist. Oder die nach wie vor geringe Anzahl von Frauen, die sich als Expertinnen in der medialen Berichterstattung wiederfinden. Was sich auf jeden Fall verändert, ist die Selbstwahrnehmung oder das Wissen, dass man aktiv etwas dafür tun muss, um sichtbar zu werden.

Wenn wir auf die Zukunft blicken – welche gesellschaftlichen und gesetzlichen Maßnahmen können dazu verhelfen, Frauen in der Wissenschaft sichtbarer zu machen?

Ich bin ein großer Fan von Vorbildern. Unsere Vision ist, dass die Präsenz von Frauen in der Wissenschaft für junge Frauen eine Inspiration für den eigenen Karriereweg ist. Bezüglich der gesetzlichen Maßnahmen denke ich, dass alles, was dabei helfen kann, die Sichtbarkeit von Frauen zu erhöhen, positiv ist. Und wenn es die Quote ist, dann ist es die Quote.

Die Plattform heißt #InnovativeFrauen und es wird auch immer von Frauen und Männern gesprochen. Dabei sind ja nicht nur Frauen zu wenig sichtbar in der Wissenschaft, sondern auch Menschen außerhalb des binären Spektrums. Können sich zum Beispiel auch nicht-binäre Menschen in die Datenbank eintragen?

Ja, wir reden von Frauen. Das heißt für uns aber, dass sowohl Frauen als auch nicht-binäre Personen Teil unserer Plattform sein können. Das steht auch in unseren Kriterien.

Wird es eine Zeit geben, in der es ganz selbstverständlich ist, dass Menschen aller Geschlechter sichtbar sind – in Wissenschaft und Gesellschaft?

Auf jeden Fall. Ohne diese Vision, ohne dieses Ziel würde ich meine Arbeit nicht überzeugt ausführen können. Wir verfolgen, dass alle gleichberechtigt sichtbar sind. Mit ihrer Leistung, ihrer Expertise – unabhängig des Geschlechts oder weiterer Identitäten. Eine zeitliche Komponente könnte ich dem nicht hinzufügen. Aber wie toll wäre es, wenn wir in fünf oder zehn Jahren nur noch darüber lachen, dass es mal so eine Plattform brauchte.