Zum dritten Mal stand dieses Jahr der March for Science an – eine Demonstration für freie und offene Wissenschaft. Für einen Wissenschaftsbetrieb mit gesunden Anreizstrukturen und Arbeitsbedingungen. Vor allem aber für einen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Doch meine enthusiastischen E-Mails, um Kolleginnen und Kollegen auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen, prallten gegen Mauern. Niemand konnte sich – trotz Befürwortung der Sache an sich – auch nur dazu durchringen, die Infos weiterzuleiten – aus Sorge, die Veranstaltung könne zu politisch sein. Gute Wissenschaft ist frei von politischer Motivation, lässt sich nicht von Interessengemeinschaften kaufen und missioniert nicht. Ironischerweise sind genau diese Punkte auch die Kernanliegen des March for Science, der vollständig durch Privatpersonen organisiert ist. Dass bei meinen Kolleginnen und Kollegen trotzdem ein ungutes Bauchgefühl bestehen bleibt, kann ich nachvollziehen. Das Konzept einer Demonstration scheint der wissenschaftlichen Neutralität schon in seiner Basis zuwiderzulaufen, ganz abgesehen davon, dass beim March for Science auch so aufgeladene Themen wie der Klimawandel oder Hochschulgesetze zur Sprache kommen.
Diese scheinbare Dissonanz ergibt sich durch ein kleines, aber folgenschweres Missverständnis: die Annahme, dass Wissenschaft unpolitisch sei. Mit der Unterscheidung zwischen „politisch beeinflusst“ und „politisch gesteuert“ im Hinterkopf möchte ich begründen, wieso wir als Forschende nach außen hin kommunizieren sollten. Auch und vielleicht gerade auf Veranstaltungen wie dem March for Science.
1) Unsere Forschung hat gesellschaftliche Auswirkungen.
„Wir forschen nicht im luftleeren Raum des Elfenbeinturms.“
Juli Tkotz
Diese mögen klein und indirekt sein und sind womöglich nicht einmal das erklärte Ziel; aber wir forschen eben nicht im luftleeren Raum des Elfenbeinturms. Den meisten von uns dürfte es ein Anliegen sein, dass unsere Forschung zumindest für irgendjemanden in irgendeiner Form relevant ist. Und wer jetzt hartnäckig argumentiert, dass das, was er tut, wahrhaftig vollkommen frei von jeglichem Bezug zum Rest der Welt ist, dessen Arbeit wurde vermutlich zumindest teilweise von öffentlichen Geldern finanziert.
2) Forschung wird bereits durch Politik und Gesellschaft beeinflusst.
„Forschungsfragen dürfen beeinflusst werden – solange Forschungsergebnisse unberührt bleiben.“
Juli Tkotz
Das ist vollkommen in Ordnung! Zeitgeist, aktuelle Herausforderungen und Bedürfnisse gewichten unterschiedliche Themen unterschiedlich stark. Nicht nur in der angewandten Forschung, sondern auch in den Grundlagen wird man häufig hören, dass ein bestimmter Ansatz gerade „trendy“ sei. Das bedeutet nicht, dass Wissenschaft der Spielball schnöder Modeerscheinungen ist oder dem Willen der Förderer unterliegt. Der zunächst unscheinbare, aber in Wahrheit gewaltige Unterschied liegt darin, dass Forschungsfragen beeinflusst werden dürfen – solange Forschungsergebnisse unberührt bleiben.
3) Wir wollen, dass Wissenschaft bei politischen Entscheidungen berücksichtigt wird.
„Wenn wir komplexe Probleme auf ihre wissenschaftliche Ebene reduzieren, ohne die gesellschaftlichen Anteile zu berücksichtigen, übersehen wir womöglich wichtige Punkte.“
Juli Tkotz
Diskussionen über Klimawandel, Gentechnik und Impfungen sind hochexplosive Cocktails aus verschiedensten gesellschaftlichen Argumenten. Aber all diesen Themen liegen auch Prozesse zugrunde, deren Auswertung wissenschaftliche Expertise erfordert. Wir wollen, dass Politiker in ihren Entscheidungen den Konsens der Wissenschaft berücksichtigen – aber wie soll das gehen, wenn wir uns so gut es geht von der Politik fernhalten? Als eine Art Kompromiss kursiert manchmal die Vorstellung, wir könnten lediglich unsere Forschungsergebnisse einbringen, ohne sich in die darauf folgende Debatte hineinziehen zu lassen. Aber wenn wir komplexe Probleme auf ihre wissenschaftliche Ebene reduzieren, ohne die gesellschaftlichen Anteile der Diskussion zu berücksichtigen, übersehen wir womöglich wichtige Punkte und laufen Gefahr, von der Politik als die realitätsfremden Eigenbrötler wahrgenommen zu werden.
Nicht jeder hat die Kapazitäten, sich neben seiner Arbeit in der Kommunikation zu engagieren, sei es gegenüber offiziellen Stellen, den Medien oder Laien. Aber wenn wir die Expertinnen und Experten für unser Thema sind, dann ist es in unserem Interesse sicherzustellen, dass unser Wissen weitergeleitet und so aufbereitet wird, dass die Empfängerinnen und Empfänger etwas damit anfangen können.
4) Mit vornehmer Zurückhaltung überlassen wir anderen die Bühne
„Wenn wir uns vornehm zurückhalten, lassen wir Scharlatane ungewollt für die Wissenschaft sprechen.“
Juli Tkotz
Es mag unserem Selbstverständnis widersprechen, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Aber Scharlatane haben keinerlei Probleme damit, medienwirksam laut zu werden. Sie nutzen das Image der objektiven Wissenschaft und präsentieren wirkungslose oder gefährliche Produkte – manchmal sogar Ideologien – unter dem Deckmantel gekaperter wissenschaftlicher Fachbegriffe. Wenn wir uns vornehm zurückhalten, lassen wir diese Menschen ungewollt für die Wissenschaft sprechen.
5) Forschung wirkt oft fern vom „echten Leben“
„Das ist unsere Chance zu zeigen, dass wir keine versnobte Elite sind.“
Juli Tkotz
Wir alle kennen die Frage beim Kaffee mit der Familie, was zur Hölle wir eigentlich beruflich machen – oder wieso. Missverständnisse darüber, wie Forschung abläuft oder wo ihre Grenzen liegen, führen manchmal zu Zweifeln an ihrem Nutzen. Oft müssen wir komplexe Zusammenhänge im Labor herunterbrechen, um grundlegende Mechanismen isoliert betrachten zu können. Für einen Laien ist es aber gar nicht so einfach nachzuvollziehen, wieso Forschung sich manchmal so sehr vom „echten Leben“ unterscheidet. Der Hindsight Bias lässt unsere Ergebnisse im Nachhinein oft schrecklich trivial wirken: „Wieso erforscht man das? Hätte ich dir gleich sagen können, dass da XY bei raus kommt!“ Hier haben wir die Chance zu erklären und zu zeigen, dass wir keine versnobte Elite sind, die verlernt hat, was die wirklichen Probleme sind.
6) Diskrepanzen liefern Denkanstöße
„Es ist wichtig, sich möglicher Diskrepanzen bewusst zu sein. Manchmal ergeben sich in solchen Situationen auch wertvolle Denkanstöße.“
Juli Tkotz
Eng verknüpft damit ist der simple Imperativ: Hört zu! Wer einmal die Gelegenheit genutzt hat, mit Menschen auf der Straße über Forschung zu sprechen, der wird überrascht sein, wie fundamental unterschiedliche Ansichten über Ziele von Wissenschaft und Erwartungen an Forschung sein können. Das bedeutet nicht, dass wir jede dieser Meinungen teilen müssen – oder gar sollten. Aber es ist wichtig, sich möglicher Diskrepanzen bewusst zu sein. Manchmal ergeben sich in solchen Situationen auch wertvolle Denkanstöße.
Niemand würde darauf kommen, mich mit meiner Krankenkasse gleichzusetzen.
All diese Punkte schrammen allerdings immer noch am Kern der Skepsis vorbei, die meine Kolleginnen und Kollegen gegenüber dem March for Science hatten. Die brennende Frage lautet schließlich: Was, wenn wir auf einer solchen Veranstaltung plötzlich in etwas hineingezogen werden? Was, wenn Organisationen sprechen, mit denen wir uns nicht identifizieren? Was, wenn eine fremde Aussage auf uns zurückfällt, obwohl wir sie gar nicht unterstützen? Berechtigte Bedenken, die aber eigentlich viel großflächiger geäußert werden müssten. Wir sind ständig Teil von Gruppierungen, deren Wertesystem mit unserem nicht vollständig deckungsgleich ist. Das Forschungsinstitut repräsentiert nicht die Vorstellungen jeder Mitarbeiterin oder jedes Mitarbeiters. Wir wählen die Partei, mit deren Wahlprogramm wir nicht gänzlich übereinstimmen. Ich zahle Mitgliedsbeitrag für eine Krankenkasse, die ich stark für die Art von Leistungen kritisiere, die sie fördert. Aber niemand würde darauf kommen, mich mit meiner Krankenkasse gleichzusetzen.
„Wir sind ständig Teil von Gruppierungen, deren Wertesystem mit unserem nicht vollständig deckungsgleich ist.“
Juli Tkotz
Öffentliche Veranstaltungen mögen da eine viel größere Gefahr darstellen, denn hier wird es immer jemanden geben, der einen falsch verstehen will, um die eigene Agenda auf Kosten anderer durchzudrücken. Diese Gefahr kann ich nicht zurückweisen, wohl aber fragen: Was, wenn jemand unsere Forschung für die falschen Zwecke vor den Karren spannt – und wir sind nicht mal da, um einzuschreiten? Nur indem wir unseren Standpunkt selbst äußern und können wir uns explizit von dem abgrenzen, was wir nicht sein wollen.
Die Haltung „bevor ich etwas falsch mache, mache ich lieber gar nichts“ verhindert nicht, sie blendet lediglich aus. Anstatt zu versuchen, der Politik zu entkommen, sollten wir stattdessen einen verantwortungsvollen Umgang mit ihr anstreben. Ein Anfang dafür könnte der March for Science im nächsten Jahr sein. Ganz sicher kann man an dem Format einiges kritisieren und darüber streiten, wie gesellschaftliches Engagement in der Wissenschaft aussehen sollte. Doch wer mit dem bisherigen Status quo unzufrieden ist, der sollte erst recht aufstehen und seinen Teil zur Mitgestaltung beitragen.
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.