Was passiert, wenn Wissenschaftler*innen transparent über Herausforderungen und Probleme im Forschungsalltag berichten? Wie hat sich Wissenschaftsskepsis in Frankreich entwickelt? Und was erwarten Menschen von guter Wissenschaft?
Misserfolge kommunizieren? Neues aus der Forschung
In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. In diesem Monat geht es um Selbstdarstellung auf X, um wissenschaftliche Normen und Wissenschaftsskepsis in Frankreich.
- Ist es ratsam, Misserfolge in der Forschung auf Social Media zu teilen? Forscher*innen von der University of Michigan haben das getestet.
- Werden wissenschaftliche Normen auch außerhalb der Wissenschaft befürwortet – und welche Rolle spielt dabei das Forschungsfeld? Forschende von der Universität Augsburg haben dazu eine Umfrage durchgeführt.
- Wie haben sich Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit im Laufe der Zeit entwickelt? Emiliano Grossman von der Science Po Paris hat Daten aus den letzten 50 Jahren in Frankreich untersucht.
- In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es unter anderem um Wissenschaftsfeindlichkeit, ClimateGPT und wissenschaftliches Arbeiten mit KI.
Über Rückschläge sprechen? Selbstdarstellung von Wissenschaftler*innen
Misserfolge gehören zum Forschungsalltag. Inwiefern ist es jedoch ratsam, öffentlich darüber zu sprechen? Droht die Gefahr, als Wissenschaftler*in für weniger kompetent gehalten zu werden? Oder kann das Teilen von Herausforderungen, Problemen und Rückschlägen auch positive Effekte haben? Annie Li Zhang und Hang Lu von der University of Michigan haben in einer Studie getestet, wie sich verschiedene Formen der Selbstdarstellung auf Social Media auf die Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen auswirken.
Methode: Die Forscher*innen befragten eine nach Alter, Geschlecht, Region und ethnischer Zugehörigkeit repräsentative Stichprobe von US-Amerikaner*innen. Ausgewertet wurden die Antworten von 1.843 Personen. Die Teilnehmenden der Online-Studie bekamen das Profil einer*s Wissenschaftler*in auf der Plattform X zu sehen, bestehend aus Profilbild, Biografie, Benutzernamen – und einem Thread, in dem die*der Wissenschaftler*in über ein aktuelles Thema schrieb.
In einer Variante berichtete die*der Wissenschaftler*in von einem Erfolg, in der anderen von einem Misserfolg in der Forschung. Dabei wurden die Informationen einmal in eine Erzählung eingebettet, in der Schwierigkeiten im Forschungsprozess erläutert wurden (beispielsweise Finanzierungsprobleme). Die andere Variante enthielt keine narrative Kontextualisierung. Anschließend gaben die Teilnehmenden an, wie sehr sie einer Reihe von Aussagen zustimmen. Diese bezogen sich auf vier Dimensionen der öffentlichen Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen, die zentral für die Vertrauensbildung sind:
- Kompetenz
- Wohlwollen (d.h. Fürsorge/Wärme)
- Integrität (d.h. Ehrlichkeit)
- (Zum Beispiel: „Der Wissenschaftler hat einen guten Charakter“).
Zudem wurden Fragen gestellt, die sich auf zwei psychologische Mechanismen beziehen, die – so die Vermutung der Forschenden – eine Brücke zwischen der Selbstpräsentation und den Wahrnehmungen der Wissenschaftler*innen schlagen könnten:
- Erwartungsverletzungen: das Konzept geht davon aus, dass Menschen bestimmte Erwartungen haben, wie Wissenschaftler*innen sich und ihre Forschung präsentieren. Abweichungen von solchen Erwartungen können sowohl positive als auch negative Reaktionen auslösen.
- Identifikation: Durch ihre Selbstdarstellung präsentieren sich die Wissenschaftler*innen als Individuen, mit denen sich das Publikum identifizieren kann.
Um die Wirksamkeit der Botschaften der*s Wissenschaftler*in auf X zu testen, wurden Fragen gestellt, die auf die Unterstützung der Wissenschaft als solche und auf die Motivation zielten, weitere Informationen zu den wissenschaftlichen Themen einzuholen. (z.B.: „Diese Posts haben mich neugierig auf Themen im Bereich der Astronomie/Geologie gemacht“)
Ergebnisse: Wissenschaftler*innen, die ihre Misserfolge offenlegten, wurden als wohlwollender, offener und integrer wahrgenommen. Die Annahme der Forscher*innen, dass sie gleichzeitig als weniger kompetent wahrgenommen würden, bestätigte sich nicht. Ebenfalls entgegen der Erwartungen wurden Wissenschaftler*innen, deren Threads narrative Kontextualisierungen zu den Forschungsprozessen enthielten, als weniger wohlwollend wahrgenommen. Wissenschaftler*innen aus dem Bereich der Geowissenschaften wurden im Schnitt als wohlwollender wahrgenommen als diejenigen aus der Astronomie.
Das Teilen von Misserfolgen führte zu einer Erwartungsverletzung, was zu einem leichten Rückgang des wahrgenommenen Wohlwollens, der Integrität und Offenheit führte. Diesem Rückgang wirkte laut der Forschenden jedoch die Identifikation mit der*m Wissenschaftler*in entgegen. Die Wahrnehmung von Kompetenz, Wohlwollen, Integrität und Offenheit beeinflussten die Unterstützung für die Wissenschaft positiv. Aber nur höheres wahrgenommenes Wohlwollen und Offenheit verstärkten die Motivation, wissenschaftliche Informationen zu suchen. Vor allem Wohlwollen wirkte sich positiv auf die Unterstützung der Wissenschaft und Motivation der Informationssuche aus.
Schlussfolgerungen: Viele Wissenschaftler*innen stehen vor der Frage, wie viel Persönliches sie bei ihrer Social-Media-Kommunikation preisgeben. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass das Teilen von Misserfolgen eine nützliche Strategie sein könnte, weil sie zu einer stärkeren Identifikation und zu einem positiveren Bild führen kann. Diese positive Wahrnehmung wiederum zeigt Auswirkungen auf die Unterstützung der Wissenschaft im Allgemeinen und die Absichten, sich verstärkt mit wissenschaftlichen Informationen auseinanderzusetzen. Die Selbstdarstellung von Wissenschaftler*innen auf Social Media spiele deshalb eine wesentliche Rolle in der Wissenschaftskommunikation, schlussfolgern die Forschenden.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Integrität und Kompetenz nicht unbedingt zu einer aktiveren Auseinandersetzung mit Wissenschaft motiviert. Wissenschaftler*innen, die hingegen als herzlicher und zugänglicher oder transparenter wahrgenommen werden, könnten womöglich ihr Publikum eher dazu motivieren, weitere wissenschaftliche Informationen einzuholen, schreiben die Forscher*innen.
Die narrative Einordnung von Forschungsprozessen führte überraschenderweise dazu, dass Wissenschaftler*innen als weniger wohlwollend wahrgenommen wurden. Auf die anderen drei Wahrnehmungsdimensionen konnte kein Einfluss beobachtet werden. Die Forscher*innen überlegen, dass das Teilen von langfristigen und negativen Erfahrungen im Forschungsprozess Gefühle des Mitleids und der Frustration hervorrufen könnten – während konkrete Misserfolge bei Forschungsergebnissen möglicherweise eher Gefühle der Sympathie hervorrufen könnten. Auch könnte es eine Rolle spielen, dass eher externe Hindernisse wie beispielsweise Finanzierungsschwierigkeiten angeführt wurden. Diese Vermutungen müssten in weiterer Forschung überprüft werden.
Einschränkungen: Die Forscher*innen verweisen darauf, dass kulturelle Kontexte – insbesondere kulturelle Normen in Bezug auf Erfolg und Misserfolg – die Wahrnehmung der Selbstdarstellung von Wissenschaftler*innen beeinflussen können. Die Ergebnisse aus den USA können also nicht ohne Weiteres auf andere Kontexte übertragen werden. Zu der narrativen Einbettung von Forschungsprozessen in Erzählungen könnte weitere Forschung aufschlussreiche Erkenntnisse liefern.
Zhang, A. L., & Lu, H. (2025). When Scientists Share Their Struggles: How Scientists’ Self-Presentation on Social Media Influences Public Perceptions, Support for Science, and Information-Seeking Intentions. Science Communication, 0(0). https://doi.org/10.1177/10755470251322902
Was erwarten Menschen von guter Wissenschaft?
Was zeichnet gute Wissenschaft aus? Welche Standards sollten Forscher*innen einhalten? Solche Fragen werden nicht nur innerhalb der Wissenschaft diskutiert, sondern sind auch Gegenstand öffentlicher Debatten – beispielsweise in Bezug auf die Coronapandemie und den Klimawandel. Denn Forschung in politisierten und polarisierten Feldern steht unter kritischer Beobachtung. Inwieweit befürworten Nicht-Wissenschaftler*innen innerwissenschaftliche Normen – und wovon hängt das ab? Markus Schug, Helena Bilandzic und Susanne Kinnebrock von der Universität Augsburg haben dazu eine Umfrage durchgeführt.
Methode: Die Forschenden befragten etwas mehr als tausend Personen in Deutschland – zu etwa gleichen Teilen Männer und Frauen aus unterschiedlichen Altersgruppen und mit unterschiedlichem Bildungshintergrund. Die Teilnehmenden beantworteten Fragen zu soziodemografischen Merkmalen, ihrem Interesse an Wissenschaft und ihrem Medienkonsum zu wissenschaftlichen Inhalten.
Danach bekamen jeweils etwa 200 Teilnehmende eine der fünf verschiedenen Fragebogen-Varianten zugeteilt, die sich auf unterschiedliche, mehr oder weniger kontroverse wissenschaftliche Felder bezogen: „Virologie mit Schwerpunkt Covid-19“, „Klimawissenschaften“, „Astrophysik“, „Geschichtswissenschaft“ und „Wissenschaft im Allgemeinen“. So hieß es bei „Wissenschaft im Allgemeinen“ beispielsweise: „Wissenschaftler*innen sollten neue Erkenntnisse mit anderen teilen“, im Beispiel „Virologie“: „Virolog*innen, die Covid-19 erforschen, sollten neue Erkenntnisse mit anderen teilen“. Die Teilnehmenden bekamen eine Reihe solcher Fragen zu unterschiedlichen wissenschaftlichen Normen gestellt und gaben auf einer Skala von 1 bis 7 an, wie sehr sie diesen zustimmen. Laut dem Soziologen Robert K. Merton1 bilden wissenschaftliche Normen eine grundlegende Wertorientierung, die Wissenschaftler*innen auch über die Grenzen ihrer Disziplinen hinweg teilen.
- Die Dimension „Kommunalismus“ betrifft dabei die freie Verfügbarkeit von wissenschaftlichem Wissen für die Gesellschaft und Forschung.
- „Universalismus“ bezieht sich auf die Unabhängigkeit der Forschungsergebnisse von persönlichen Merkmalen der Forscher*innen.
- „Desinteressiertheit/Uneigennützigkeit“ fordert von Forschung, unabhängig von persönlichen Vorteilen wie beispielsweise finanziellem Gewinn oder sozialem Prestige zu handeln.
- „Organisierte Skepsis“ bezieht sich auf systematische Zweifel in der Wissenschaft und die Tatsache, dass wissenschaftliche „Wahrheiten“ vorläufig sind und jederzeit ersetzt werden können.
- „Originalität“ verlangt von Wissenschaftler*innen, neues Wissen zu produzieren.
Auch wurde das Interesse an wissenschaftlichen Fragen und die eigenen Erfahrungen der Teilnehmenden mit Wissenschaft abgefragt (beispielsweise, ob sie persönlich Wissenschaftler*innen kennen). Die politische Einstellung (von linksliberal bis sehr konservativ) wurde in Bezug auf politische, wirtschaftliche und soziale Fragen abgefragt. Außerdem gaben die Teilnehmenden an, wie häufig sie in den letzten zwei Wochen in welchen Medien wissenschaftliche Inhalte rezipiert hatten.
Ergebnisse: Die unterschiedlichen Varianten des Fragebogens hatten einen deutlichen Einfluss auf die Befürwortung von wissenschaftlichen Normen. Beim „Kommunalismus“ war die Zustimmung für den Bereich Virologie höher als für Astrophysik und die Wissenschaft im Allgemeinen. Auch die Zustimmungswerte im Bereich Klimawissenschaft lagen höher als bei der Astrophysik, der Geschichtswissenschaft und der Wissenschaft im Allgemeinen.
Bei der „Desinteressiertheit/Uneigennützigkeit“ fanden die Forschenden keine deutlichen Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Gruppen. Bei der „organisierten Skepsis“ und der „Originalität“ hingegen war die Zustimmung unter anderem bei der Virologie höher als bei der Astrophysik.
Das Forschungsfeld scheint insgesamt einen starken Einfluss darauf zu haben, wie sehr wissenschaftliche Normen befürwortet werden. In den eher kontroversen Feldern Klimawandel und Virologie ist die Bestätigung insgesamt höher als bei den unkontroverseren Feldern Astrophysik und Geschichte.
Teilnehmende, die weniger wissenschaftliche Inhalte in den Medien rezipieren, zeigten insgesamt überraschenderweise eine stärkere Zustimmung zu wissenschaftlichen Normen (außer zur „Originalität“). Das Ergebnis variiert jedoch je nach Medium.
Zusammenfassend ist die Bestätigung wissenschaftlicher Normen bei älteren Menschen, Frauen, Menschen mit Hochschulbildung, Menschen mit größerem Interesse an Wissenschaft, Menschen mit liberaleren Weltanschauungen und bei denjenigen, die weniger wissenschaftliche Nachrichten konsumieren, höher.
Schlussfolgerungen: Die Bestätigung wissenschaftlicher Normen sei laut der Autor*innen insofern relevant, da sie darauf hinweise, ob Menschen ein grundlegendes Verständnis für wissenschaftliche Prozesse haben. Die Studienergebnisse zeigten, dass eine starke Unterstützung wissenschaftlicher Normen mit positiven Überzeugungen zum Thema Wissenschaft im Allgemeinen einhergehe.
Einschränkungen: Eine Einschränkung der Studie ist, dass nur vier Forschungsfelder abgefragt wurden, von denen jeweils zwei als Repräsentanten für kontroverse beziehungsweise unumstrittene Wissenschaftsfelder dienen sollen. Um die Ergebnisse zu überprüfen, wären Tests mit weiteren Forschungsfeldern nötig. Da die Studie nur in Deutschland durchgeführt wurde, sind die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragbar.
Schug, M., Bilandzic, H., & Kinnebrock, S. (2025). Endorsement of scientific norms among non-scientists: The role of science news consumption, political ideology, and science field. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625251315882
Wissenschaftsskepsis in Frankreich: Blick auf die letzten 50 Jahre
Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit scheinen aktueller denn je – allein schon angesichts der politischen Entwicklungen in den USA. Doch sind diese Phänomene tatsächlich neu? Oder sind die Einstellungen gegenüber der Wissenschaft heute sogar positiver als früher? Und mit welchen individuellen Merkmalen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen hat das zu tun? Emiliano Grossman von der Science Po Paris hat sich diesen Fragen auf der Grundlage von Umfragedaten aus den letzten 50 Jahren in Frankreich gewidmet.
Methode: Der Autor stützt sich auf acht Wellen einer Umfrage zum „Image der Wissenschaft“ in Frankreich, die zwischen 1972 und 2021 durchgeführt wurden (genauer: in den Jahren 1972, 1982, 1989, 1994, 2001, 2007, 2011 und 2021). Die Auswertung der Daten war mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden. Denn die Erhebungen wurden von wechselnden Teams durchgeführt, die Fragen unterscheiden sich teilweise und an einigen Stellen fehlten wichtige Aspekte. Der Autor behalf sich deshalb mit Strategien für die Schätzung fehlender Werte, die bei unvollständigen Fragebögen angewendet werden. Auch nicht einheitliche Skalen und Kategorien (beispielsweise bei der Einordnung von Berufen oder den Bildungsabschlüssen) bereiteten ihm Schwierigkeiten. Er löste das unter anderem, indem er Kategorien vereinheitlichte.
Ergebnisse: Die Daten zeigen keinen eindeutigen Trend. Die Annahme des Autors, dass wissenschaftsskeptische und wissenschaftsfeindliche Einstellungen im Laufe der Zeit abgenommen hätten, wird nicht bestätigt. Moralische Urteile über die Wissenschaft haben sich seit den 1970er-Jahren nicht wesentlich verschlechtert, aber auch nicht substanziell verbessert, schreibt der Autor. Der einzige nahezu lineare Trend, den er identifiziert habe, sei, dass immer weniger Menschen glauben, die Wissenschaft habe den Menschen „mehr Gutes als Schlechtes“ gebracht. Besonders hoch waren die Zweifel an der Wissenschaft in den Jahren 1994 und 2001.
Außerdem zeigen die Daten Veränderungen in den verschiedenen Dimensionen wissenschaftsskeptischer und wissenschaftsfeindlicher Einstellungen: Während das Vertrauen in die Wissenschaft als Institution gestiegen zu sein scheint, ist das Vertrauen in Wissenschaftler*innen im Laufe der Zeit gesunken. Immer mehr Menschen glauben heutzutage, dass Wissenschaftler*innen ihren Einfluss zum eigenen Vorteil missbrauchen könnten. Die Ergebnisse des Jahres 2021 fallen teilweise aus dem Rahmen, was laut des Autors mit der besonderen Lage während der Coronapandemie zu tun haben könnte.
Nicht religiöse Menschen stimmten der Aussage der „zu schnellen Wissenschaft“ in den ersten drei Umfragen weniger wahrscheinlich zu als religiöse. Auch der Einfluss der Religion aber nahm aber im Laufe der Zeit ab.
Bei der politischen Einstellung sind die Ergebnisse ambivalenter. Es scheint, als ob in den 1980er-Jahren eher rechtsgerichtete Befragte der Aussage einer „zu schnellen Wissenschaft“ stärker zustimmten, später ist die Lage weniger eindeutig. Abweichend von den Erwartungen des Autors sanken die wissenschaftsskeptischen und -feindlichen Einstellungen von eher rechtsgerichteten Wähler*innen in den 2000er-Jahren, ab dem 2010er-Jahren sank ihr Vertrauen in die Wissenschaft wieder.
Schlussfolgerungen: Es zeigt sich, dass Bildung und Religiosität als traditionell wichtige Einflussfaktoren auf die Einstellungen zur Wissenschaft an Bedeutung verloren haben – sie reichen als Standarderklärungen für Unterschiede nicht mehr aus. Die Lage sei nun komplexer, schreibt der Autor.
Diese Ergebnisse hängen teilweise offensichtlich mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen: Die Religiosität der Bevölkerung hat im Untersuchungszeitraum abgenommen, der durchschnittliche Bildungsgrad hingegen stieg stark an. Interessant sei der Anstieg von wissenschaftsskeptischen und wissenschaftsfeindlichen Einstellungen unter den besser Gebildeten, schreibt der Autor.
Der Blick auf den Einfluss der politischen Einstellungen zeigt, dass von der Situation in den USA nicht einfach auf Frankreich geschlossen werden könne. In den USA zeigen sich zunehmend wissenschaftsfeindliche und -skeptische Haltungen rechtskonservativer Bevölkerungsgruppen. In Frankreich scheint das in den 1980er-Jahren auch der Fall gewesen zu sein. Seitdem ist die Lage weniger klar.
Insgesamt ließen die Ergebnisse vermuten, dass bei wissenschaftsfeindlichen und -skeptischen Tendenzen moralische Urteile inzwischen eine kleinere Rolle spielen (Aspekte der Schnelligkeit, Gefährlichkeit, des Machtmissbrauchs), Fragen der Effizienz hingegen wichtiger werden (Wissenschaft bringt mehr Gutes als Schlechtes und verbessert die Gesundheit).
Einschränkungen: Eine Schwäche des Datensatzes besteht in der eingeschränkten Anzahl an Fragen, die sich durch alle Erhebungswellen ziehen. Dadurch können nur bestimmte Aspekte, die für die Untersuchung unterschiedlicher Ausprägungen von Wissenschaftsfeindlichkeit und Wissenschaftsskepsis relevant sein könnten, berücksichtigt werden.
Grossman, E. (2025). Anti-science and science-skeptical attitudes over time: The case of France in historical perspective. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625251320331
Mehr Aktuelles aus der Forschung
Alternative Medien verstehen sich als kritische und korrigierende Gegenstimme zu etablierten Medien. Wie ticken die Nutzer*innen, die diese Medien nutzen, um sich über Wissenschaft zu informieren?
Die Nutzer*innen seien zwar skeptisch gegenüber Wissenschaft und etablierten Medien, aber nicht zwingend wissenschaftsfeindlich, fand eine Forschungsgruppe um Lena Zils von der Universität Münster heraus. Dazu befragte sie Bürger*innen aus der Schweiz. Die Nutzer*innen dieser Medien schätzen sich selbst als besser informiert über wissenschaftliche Themen ein, überschätzen ihr Wissen aber häufig. Sie sind eher männlich und politisch eher rechts eingestellt. Viele würden nicht aktiv nach wissenschaftlichen Inhalten in alternativen Medien suchen, sondern eher zufällig darauf stoßen, zum Beispiel über soziale Medien.
Dass Menschen, die die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftler*innen oder die Qualität ihrer Forschung anzweifeln, nicht automatisch wissenschaftsfeindlich sind, zeigt auch eine Studie einer Forschungsgruppe um Nicola Gibson von der Anglia Ruskin University. Die Wissenschaftler*innen untersuchten, wie Forschende und ihre Erkenntnisse in Zeitungsartikeln und Kommentarspalten dargestellt und von Leser*innen wahrgenommen werden.
Für ihre Analyse werteten sie 84 Zeitungsartikel zu den kontroversen Themen Impfen, Klimawandel und gentechnisch veränderte Organismen aus. Die Ergebnisse zeigen, dass die Darstellung nicht immer neutral ist. Oft diene sie dazu, die eigene Unterstützung oder Ablehnung einer Position zu untermauern.
Die Autor*innen warnen davor, dass eine solche Darstellung zur weiteren Polarisierung gesellschaftlicher Debatten beitragen kann. Sie plädieren daher für eine verantwortungsbewusstere Wissenschaftskommunikation, die dazu beiträgt, Vertrauen in Forschung zu stärken und eine ausgewogene Diskussion zu ermöglichen.
Fragen zum Klimawandel? Zu einem ganzheitlichen Verständnis der globalen Herausforderung soll ClimateGPT beitragen. Das Open-Source-KI-Tool wurde von Erasmus.AI in Zusammenarbeit mit dem Club of Rome und anderen Partnern entwickelt. Die Plattform nutzt Large-Language-Modelle, um globale Daten für komplexe Zusammenhänge bereitzustellen. ClimateGPT sei darauf trainiert, interdisziplinäre Forschung zu synthetisieren, schreiben die Macher*innen. Wer das Tool nutzen möchte, kann über die Webseite eine Anfrage stellen.
Inwieweit KI beim wissenschaftlichen Arbeiten zum Einsatz kommen darf, ist umstritten. In einem Kommentar argumentieren Yana Suchikov und Natalia Tsybuliak von der Berdyansk State Pedagogical University in der Ukraine dafür, die Vorteile von generativer künstlicher Intelligenz beim Verfassen von wissenschaftlichen Texten zu nutzen. Bisher ist deren Einsatz stigmatisiert – auch aufgrund traditioneller Vorstellungen von Autor*innenschaft. Die Wissenschaftlerinnen plädieren für einen verantwortungsvollen und transparenten Umgang mit KI, um Effizienz zu steigern und mehr Menschen Zugang zum wissenschaftlichen Publizieren zu ermöglichen.