Für Eva-Maria Grommes bietet TikTok die Chance, Menschen zu erreichen, die sich sonst nicht mit Themen der Energiewende beschäftigen würden. Warum die Ingenieurin auch Hasskommentare als „Gewinn“ verbucht, erzählt sie im Interview.
„Mir ist es wichtig, auch die Kritiker*innen der Energiewende zu erreichen“
Frau Grommes, auf Ihrem TikTok-Kanal kommunizieren Sie Themen rund um die Energiewende und erneuerbare Energien. Warum ist Ihnen das wichtig?
Gerade im Bereich der Energiewende und der erneuerbaren Energien gibt es sehr viele Vorurteile und Falschaussagen, die im Netz kursieren. Es ist ein Thema, das uns alle betrifft und bei dem die Menschen konkrete Fragen haben. Deshalb beantworte ich mit meinen Videos auch immer Fragen, die mir direkt in den Kommentaren gestellt werden. Mir ist es wichtig, als Ansprechpartnerin aus der Wissenschaft zur Verfügung zu stehen. Das sehe ich als Teil meiner Verantwortung als Wissenschaftlerin.
Gibt es dabei Strategien, die Sie anwenden, um wissenschaftliche Themen leicht verständlich zu erklären?
Ich schreibe mir meistens kein Skript für meine Videos, sondern recherchiere die Fakten und schreibe mir nur ein paar Stichpunkte dazu auf. Dadurch spreche ich in meiner Alltagssprache und laufe nicht Gefahr, den Fachjargon aus den wissenschaftlichen Publikationen zu übernehmen.
Warum haben Sie TikTok als Plattform für Ihre Wissenschaftskommunikation gewählt?
Mir ist es wichtig, auch die Kritiker*innen der Energiewende zu erreichen. Und die Menschen, die Fragen haben, aber nicht unbedingt extra nach Inhalten zu Themen der Energiewende suchen. TikTok habe ich dafür als große Chance gesehen, weil der Algorithmus entscheidet, welche Beiträge auf der „ForYou“ Seite auftauchen. Auch wenn man niemandem folgt, der oder die Content zur Energiewende macht, bekommt man Videos dazu ausgespielt. Das finde ich auch spannend um jüngere Generationen zu erreichen.
@energiewende.erklaert Antwort auf @Jerome Cng Importiert Deutschland Strom seit die Atomkraftwerke ausgeschaltet sind? ⚛️ #MEnergie #energiewende #atomkraftneindanke #atomausstieg #stromimport #stromimport2023 ♬ Originalton – Dr. Eva-Maria Grommes
Das ist einer der Vorteile von TikTok. Welche Einschränkungen gibt es?
Ich fände es toll, wenn man auf einen Blick sehen könnte: Beinhaltet dieses Video Fake News oder ist die agierende Person wirklich aus der Wissenschaft? Nicht jeder Inhalt eines gut produzierten Videos ist korrekt, und nicht jede Person, die einen Doktortitel in ihrem Profil hat, ist auch wirklich promoviert oder in der Forschung tätig. Dieses Problem gibt es aber auch auf anderen sozialen Plattformen.
Woran messen Sie den Erfolg Ihrer Videos und generell Ihrer Wissenschaftskommunikation?
Am Anfang habe ich vor allem auf die Views geschaut. Wenn die Zahl sehr hoch war, habe ich sie mit vollen Fußballstadien verglichen. Viermal so viele Menschen wie ins RheinEnergieStadion passen, haben ein Video von mir gesehen? Das finde ich immer noch beeindruckend. Aber was mich mittlerweile mehr bewegt, sind die Kommentare und die Diskussionen, die dort entstehen. Wenn ich merke, dass mehrere Personen lange und sachlich miteinander diskutieren und sich einigen können, finde ich das besonders schön. Oder wenn sich Leute für die Aufklärung bedanken und dann tatsächlich ihr Verhalten ändern, sich zum Beispiel eine Balkon-Solaranlage anschaffen oder zu einem Ökostromanbieter wechseln. Das bewegt mich wirklich am meisten.
Wenn Sie in Ihren Videos etwas wie „Leider importieren wir immer noch Atomstrom aus Frankreich”sagen, dann lassen Sie Ihre persönliche Meinung einfließen. Was halten Sie von der Sichtweise, dass Wissenschaft neutral sein sollte?
Gerade im Bereich der Energiewende oder der Klimakrise sind wir an einem Punkt, wo es wichtiger wird, die Dringlichkeit deutlich zu machen. Wenn mir Fragen gestellt werden wie: „Was hältst du von Wasserstoff als Speichermedium“, dann lege ich die Fakten dazu sachlich dar, sage aber auch, was meine persönliche Meinung ist. Ich versuche das zu differenzieren, das gelingt aber nicht immer. Ich denke, es ist aber auch klar, dass eine Wissenschaftlerin, die im Bereich der Energiewende forscht, zum Beispiel von Kernenergie nicht viel hält.
Wie gehen Sie mit Hass-Kommentaren um?
Ich bekomme sehr viele Hasskommentare. Das haben meine Kollegin Claudia Frick und ich in einer Studie genauer untersucht. Das Paper ist wird bald veröffentlicht, aber vorwegnehmen kann ich, dass im Forschungszeitraum 42 Prozent aller Kommentare auf meinem Kanal als polarisierend klassifiziert werden konnten. Inzwischen habe ich meinen Umgang damit gefunden. Ich mache mir klar, wen ich erreichen möchte, und das sind eben auch die Kritiker*innen der Energiewende. Selbst wenn jemand einen fiesen Kommentar schreibt, hat die Person sich wahrscheinlich vorher eineinhalb Minuten ein wissenschaftliches Video von mir über die Energiewende angeschaut. Das verbuche ich als Gewinn. Wenn ich aber wüst beschimpft werde, trete ich auch nicht mehr in den Dialog ein.
Welchen Rat würden Sie Forscher*innen geben, die selbst Wisskomm auf TikTok machen möchten?
Sich auf jeden Fall mit anderen Wissenschaftskommunikator*innen auf TikTok zu vernetzen. Das deutsche TikTok hat eine tolle Wisskomm-Community. Dieser Austausch hat mir sehr geholfen. Aber auch die Unterstützung, wenn man in so eine Hasswelle gerät. Da hilft jeder positive Kommentar, den andere Wissenschaftskommunikator*innen unter den Videos hinterlassen.
Haben Sie ein Lieblingsvideo von sich?
Zusammen mit dem WWF Deutschland habe ich Videos zum Thema, „Töten Windräder wirklich so viele Vögel?“ gemacht. Das war eine Kooperation, die keiner erwartet hätte, weil man denken könnte der WWF würde auf der anderen Seite der Debatte stehen, doch wir kämpfen beide für mehr Klimaschutz. Das sind meine Lieblingsvideos.
Sie schreiben Ihre Doktorarbeit, sind wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TH Köln und machen TikToks. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Das war in den letzten vier Jahren sehr viel. Ich habe gemerkt, dass ich Wissenschaftskommunikation nur nachhaltig betreiben kann, wenn ich mir die Zeit dafür nehmen kann. Deshalb ist das jetzt auch Teil meines Jobs, ich forsche jetzt nach dem Abschluss meiner Promotion zu Themen der Wissenschaftskommunikation.
Sie haben bereits die Studien zu Hasskommentaren erwähnt, was erforschen Sie sonst noch?
Im Forschungsprojekt „MEnergie“ entwickeln wir innovative Kommunikationsformate zu Themen der Energiewende. Die Kommunikationsformate werden partizipativ mit der Gesellschaft gestaltet. Ziel ist es, Formate zu entwickeln, die die öffentliche Akzeptanz der Energiewende steigern und Handlungsbereitschaft erzeugen. Dafür haben wir uns vor allem auf die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppen Gen Y und Z, einkommensschwachen Bürger*innen und Immobilienbesitzer*innen fokussiert. Wir sind davon überzeugt, dass wir durch unsere Arbeit dazu beitragen können, die Energiewende in Deutschland voranzutreiben und eine nachhaltige Zukunft für alle zu schaffen.