Die Mehrheit der Deutschen vertraut der Wissenschaft. Also alles in Ordnung? Das Wissenschaftsbarometer sollte nicht zu „Beruhigungszwecken“ dienen, mahnt Christoph Markschies. Ein Gespräch über die aktuellen Ergebnisse, die Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit und die Kritik am Format „Wissenschaft und Ich“.
„Mich überrascht, dass viele die Wissenschaftsfreiheit als so bedroht wahrnehmen“
Herr Markschies, im aktuellen Wissenschaftsbarometer geben 55 Prozent der Befragten an, Wissenschaft zu vertrauen. Ist das ein gutes Ergebnis?
Ich stelle bei vielen meiner Kolleg*innen aus dem akademischen Bereich fest, dass sie das Wissenschaftsbarometer eher zu Beruhigungszwecken benutzen. Nach dem Motto: „Das Vertrauen in die Wissenschaft ist ja doch nicht so niedrig.“ Ganz so leicht sollten wir es uns nicht machen. Das Wissenschaftsbarometer ist glücklicherweise so differenziert, dass es zwischen verschiedenen Gruppen unterscheidet. Dass natürlich viele Menschen mit Hochschulabschluss der Wissenschaft vertrauen, ist nicht furchtbar überraschend. Besorgniserregend niedrig ist das Vertrauen bei Menschen mit formal niedriger Bildung.
Nur 40 Prozent der Befragten mit formal niedrigem Bildungsniveau haben Vertrauen in die Wissenschaft. Dieser Wert liegt seit zehn Jahren auf ähnlichem Niveau, abgesehen von einem Peak während der Coronapandemie. Bedeutet das, dass es der Wissenschaftskommunikation bisher nicht gelungen ist, diese Personengruppe zu erreichen?
Ja und nein. Die Zahlen können uns nicht befriedigen. Und gleichzeitig gilt: In der Wissenschaftskommunikation ist in den letzten Jahren unglaublich viel passiert. Es wäre sehr ungerecht, das nicht zu sehen. Und es wird auch noch langfristig Wirkung haben. Verlorenes Vertrauen kann eben nicht durch ein paar Vorlesungen mit anschließender Podiumsdiskussion wieder aufgebaut werden. Noch schwieriger ist es mit Menschen, die ein geschlossenes Weltbild haben. Wir fangen erst langsam an zu verstehen, wie man damit umgeht und durchschlagende Erfolge sind wirklich verteufelt schwer zu erreichen.
Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften veranstaltet gemeinsam mit der Akademienunion, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hochschulrektorenkonferenz das Marktplatzformat „Wissenschaft und ich“. Dabei stehen wir an einem Samstagvormittag an einem zentralen Ort in der Stadt, meist Marktplätzen, und bieten kostenlos Kaffee und Kuchen an. In dieser ungezwungenen Atmosphäre versuchen wir, mit Passant*innen ins Gespräch zu kommen. Unsere Erfahrung dabei ist, dass es unendlich viel Zeit braucht, um Vertrauen wieder aufzubauen, im Grunde ist das eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Aber es funktioniert und darauf kommt es an.
Elisabeth Hoffmann kritisierte das Format, weil es das Defizit-Modell wieder beleben würde. Was sagen Sie zu der Kritik?
Diese Kritik würde ich fröhlich aber bestimmt zurückweisen. Die Passant*innen bestimmen das Gespräch und seine Inhalte mit ihren Fragen. Wir reden auf Augenhöhe. Es geht also nicht um eine Belehrung durch die Forschenden oder die Behebung von Defiziten, die wir glauben konstatieren zu können, sondern um einen gleichberechtigten Austausch unter Mitbürger*innen. Ich befürchte, dass die Kritikerin das Format gar nicht näher kannte.
Mich verwundert auch, dass das Format gelegentlich von Menschen mit Kommunikationserfahrung wegen seiner scheinbaren Schlichtheit kritisiert wird – Menschen reden mit Menschen. Abgesehen davon, dass es ja viel zu wenig solche Gespräche gibt: Wir stellen uns ja nicht einfach so auf den Marktplatz. Trotz der einfachen Anmutung ist sehr viel organisatorische Vorbereitung notwendig, Gespräche mit Akteur*innen vor Ort, Informationen über die Lage in einer Stadt, ihrer wirtschaftlichen Situation und so weiter.
Auch der Nutzen des zweifellos hohen finanziellen Aufwands wird gelegentlich hinterfragt. Mit etwas Glück, gutem Wetter und so fort sprechen wir an einem Samstagvormittag vielleicht mit 300 bis 400 Menschen. Was die aus diesen Gesprächen mitnehmen, haben wir natürlich nicht mehr in der Hand. Aber wir sind überzeugt, dass sich der Einsatz lohnt, schon deswegen, weil alle, die an Gesprächen teilnehmen, ja Multiplikatoren sind. Wir merken, dass die Gespräche auch bei Menschen mit sehr verfestigten Ansichten etwas bewegen können.
In diesem Jahr legt das Wissenschaftsbarometer einen Fokus auf das Thema Wissenschaftsfreiheit. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Nur 45 Prozent der Menschen denken, dass es gut um die Wissenschaftsfreiheit steht, finde ich erschütternd gering. Ich schätze Wissenschaftsfreiheit aktuell nicht als besonders bedroht ein.
Nein?
Wissenschaftsfreiheit war schon immer bedroht. Sie ist kein Geschenk, das Weihnachten regelmäßig unter dem Christbaum zu finden ist, sondern sie muss immer wieder eingeübt und gelegentlich auch erkämpft werden, auch in Deutschland. Insofern überrascht mich, dass viele die Wissenschaftsfreiheit erstmals als so bedroht wahrnehmen. Wissenschaftsfreiheit heißt, dass ich energisch und selbstständig meine wissenschaftlichen Ansichten vertreten kann und meine Forschungsmethoden wie Ziele selbst wählen darf. Natürlich riskiere ich, wenn ich mich sehr provokant äußere, Gegenwind zu erfahren, besonders in den sozialen Medien. Dennoch muss niemand, selbst wenn die Person schärfste Kritik am eigenen Wissenschaftsminister oder der Bundesforschungsministerin übt, Angst haben, dafür ins Gefängnis zu kommen, geschweige denn um sein Leben fürchten.
In Russland ist der frühere Vizepräsident der Russischen Akademie der Wissenschaften „aus dem Fenster gefallen“ und Kolleg*innen dazu. Da ist Wissenschaftsfreiheit tatsächlich elementar bedroht, da müssen Forschende mit ihrem eigenen Leben für ihre Freiheit einstehen. Das muss hier in Deutschland niemand und darüber können wir glücklich sein.
Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass weniger als die Hälfte der Befragten denkt, dass es gut um die Wissenschaftsfreiheit steht?
Einzelnen Akteuren ist es gelungen, den Eindruck zu erwecken, dass die Wissenschaftsfreiheit in unserem Land bedroht sei. Das sind Akteure wie die AfD, aber auch Wissenschaftler*innen, die sehr provokante Äußerungen zu Themen in die Welt setzen und vielleicht auch eine gewisse Freude daran haben, zu provozieren.
Ein Beispiel ist der Historiker Egon Flaig, der den Zusammenbruch des Römischen Reiches, die Völkerwanderung und Migrationswellen heute in einen mich als Fachwissenschaftler irritierend engen Zusammenhang bringt. Würde ich selbst die Völkerwanderungszeit eins zu eins auf heutige Verhältnisse übertragen, müsste ich mit lautstarkem Protest über die Fachgrenzen hinaus rechnen. Im Fall von Flaig haben Studierende schon mehrfach gefordert, dass er von Vorträgen ausgeladen wird. Solche Szenen von energischem studentischem Widerstand verbreiten sich natürlich in Presse, Funk und Fernsehen. Besonders in den sozialen Medien wird dann von Cancel Culture gesprochen. Damit hat das aber nur begrenzt zu tun. Die Menschen, die sich über Cancel Culture in unserem Land beschweren, sollten sich mindestens darüber im Klaren sein: Wenn ich mich provokant äußere, muss ich damit rechnen, dass auch der Widerspruch provokant ausfällt.
Muss man dann auch damit rechnen, ausgeladen zu werden? Herr Flaig wurde nach Kritik von einer Veranstaltung an der Universität Erlangen ausgeladen.
Ich würde den Kollegen ja nicht ausladen, sondern fröhlich mit ihm über die Grenzen der historischen Vergleichbarkeit streiten. Und ich habe nach seiner Ausladung auch viel Kritik gelesen und gehört. Aus der Öffentlichkeit sind Flaig und seine Thesen durch die Affäre nicht verschwunden, just the opposite.
Als Gründe für eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit nannten die Befragten des Wissenschaftsbarometers einen zu großen Einfluss von Wirtschaft und Politik. Wie beurteilen Sie dieses Ergebnis?
Dieses Ergebnis fand ich am schwierigsten. Ich habe auch vorher schon geglaubt, dass viele Menschen den Eindruck haben, insbesondere die Wirtschaft habe in allen Lebensbereichen, nicht nur in der Wissenschaft, zu viel Einfluss. Das ist aber meiner Ansicht nach eine Position, die mit der Realität wenig zu tun hat. Selbstverständlich verbinden sich mit Finanzierungen auch Interessen. Es wäre merkwürdig, wenn zum Beispiel ein Forschungsministerium keine Förderinteressen hätte, also keine Ideen für die Strukturförderung und den Ausbau der Wissenschaftslandschaft des eigenen Landes. Das widerspricht aber nicht einer unabhängigen Wissenschaft.
Ähnlich viele Befragte, nämlich 57 Prozent, sehen auch einen zu großen Einfluss der Politik auf Wissenschaft. Wie erklären Sie sich diese hohen Werte?
Dazu ein Beispiel: Wenn wir an die Affäre um die veröffentlichten Covid-19-Krisenprotokolle der Beratungen im Robert Koch-Institut denken, hat sich gezeigt, dass vielen Menschen nicht klar ist, wie dieses Institut arbeitet und in welchem Verhältnis es zur Regierung steht. Versuche, diese Arbeitsabläufe zu erklären, waren medial nicht sehr erfolgreich. Was hingegen medial und vor allem in den sozialen Medien sehr wirksam verbreitet wurde, waren geschwärzte Namen wie Passagen in den Protokollen, mit denen angeblich Fehlverhalten von Mitarbeitenden verschleiert werden sollte. Viele vermuteten eine Zensur durch den Gesundheitsminister. An den Schutz der betroffenen Mitarbeitenden vor sogenannten Wut-Bürgern dachten dagegen nur wenige.
Mit entsprechenden Erzählungen nähren insbesondere die AfD und ihr nahestehende Kreise das Narrativ der politisch beeinflussten Wissenschaft oder in diesem Fall einer wissenschaftsnahen Institution. Gegen ein solches medienwirksam verbreitetes Narrativ haben seriöse Erklärungsversuche kaum eine Chance.
Vorwürfe von Einflussnahme durch Politik oder Wirtschaft müssen sich auch Universitäten stellen. Sie waren bis 2010 Präsident der Humboldt-Universität. Aus Ihrer persönlichen Perspektive: Wie sollten wissenschaftliche Institutionen damit umgehen?
Ich habe gelernt, dass es in gesellschaftlich umstrittenen Fragen nicht gelingt, eine Position zu formulieren, mit der alle zufrieden sind. Das mag banal klingen, kann für Universitäten aber herausfordernd sein. Vor allem die sehr laute Kritik an bestimmten Positionen, die Universitäten einnehmen oder nicht einnehmen, erzeugt einen großen Handlungsdruck. Aber das müssen Universitäten aushalten. Sie sollten ein Ort sein, an dem diese gesellschaftlichen Konflikte ausgetragen und in jedem Fall wissenschaftlich begleitet werden. An einer Universität sollte man einüben, sich nicht anzubrüllen oder gehässig in den social media anzugehen, sondern ruhig Argumente und Emotionen so auszutauschen, dass man voneinander lernen kann. Davon profitiert am Ende eine ganze Gesellschaft.
Alle Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers können hier nachgelesen werden. Wissenschaft im Dialog, verantwortlich für das Wissenschaftsbarometer, ist einer der drei Träger der Plattform Wissenschaftskommunikation.de