Welche Auswirkung hat der Medienwandel eigentlich auf die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation? Dieser Frage ging der Internetexperte und Autor Sascha Lobo in einem Vortrag auf der Mitgliederversammlung des Informationsdienst Wissenschaft (idw) nach. Ein Gespräch über verpasste Chancen, zeitgemäße Kommunikation und die Verantwortung der Wissenschaftskommunikation.
Mehr Video, mehr Audio und vor allem endlich alles mobil, bitte!
Herr Lobo, in ihrem Vortrag kritisieren Sie nicht nur Deutschland ganz allgemein für den Umgang mit der Digitalisierung, sondern auch die Wissenschaftskommunikation. Wo hakt es besonders?
Vor allem an der mobilen Internetnutzung. Wir beobachten eine Verschiebung im Nutzerverhalten weg von der stationären Nutzung des Internets hin zur mobilen und das bereits seit 2016. Diese Entwicklung hat die Wissenschaftskommunikation bisher verpasst. Wenn ich mir die durchschnittliche Wissenschaftskommunikationsseite – also die Seiten von Unis und Forschungsinstituten – anschaue, dann sind die meisten Inhalte und Seiten nicht responsiv und damit mobil nicht gut und einfach nutzbar. Der Standard ist, dass eine Pressemitteilung als PDF verlinkt wird und nicht responsiv als HTML abgebildet wird. Das ist nur ein Beispiel, aber es zeigt klar, dass die Seiten kaum an die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Nutzer angepasst sind. Das gilt sowohl technisch als auch inhaltlich.
Können Sie ein Beispiel nennen, wo klar wird, weshalb auch inhaltlich die Bedürfnisse und Gewohnheiten nicht erfüllt werden?
Es gibt Studien aus den USA, die zeigen, dass 70 Prozent der Videos heutzutage ohne Ton angeschaut werden. Die Daten dürften in Europa ähnlich sein und trotzdem werden im wissenschaftlichen Bereich viele Videos mit einem starken Fokus auf Ton produziert. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass die Wissenschaftskommunikation noch nicht im mobilen Zeitalter angekommen ist. Dabei wäre es essenziell, um eine kritische Masse zu erreichen. Aus meiner Sicht müssten deshalb alle Angebote der Wissenschaftskommunikation zumindest responsiv nutzbar sein. Alles darunter ist eigentlich nicht akzeptabel.
Das ist aber nicht der einzige Punkt, den Sie in Ihrem Vortrag an der deutschen Wissenschaftskommunikation kritisiert haben. Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem?
Die deutsche Wissenschaftskommunikation – die ich eine Zeit lang ja sehr genau beobachtet habe, weil ich auch selbst Projekte in diesem Bereich gemacht habe – hat aus meiner Sicht mehrere Schwierigkeiten. Die Größte ist dabei die Haltung der Wissenschaft insgesamt. Die Wissenschaft in Deutschland empfindet die Herstellung von Öffentlichkeit leider sehr häufig als etwas Unseriöses.
Hochdekorierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben hierzulande, anders als beispielsweise im angelsächsischen Raum, häufig gar kein Interesse daran, mit der Öffentlichkeit in einer einfachen und zugänglichen Weise zu kommunizieren. Die haben dann ihr Fachpublikum und wollen vor diesem ihre Geltung demonstrieren und auch bewahren und sind dann im Zweifel wenig interessiert daran, dass auch die Öffentlichkeit mitbekommt, was und wie geforscht wird. Das ist aus meiner Sicht das Startproblem und daran müssen wir etwas verändern. Gerade auch, weil ein Teil der Wissenschaft in der Öffentlichkeit oder sogar mit und durch die Öffentlichkeit stattfindet.
Beobachten Sie in diesem Bereich eine positive Entwicklung oder bleibt eigentlich alles beim Alten?
Im angelsächsischen Raum gibt es eine sehr positive Entwicklung. Dort gibt es inzwischen beispielsweise eine gewisse Selbstverständlichkeit, mit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bloggen oder ihre Ergebnisse in den sozialen Medien verbreiten. Es gibt außerdem eine Tradition, in der man Vorlesungen und Vorträge als Video zur Verfügung stellt. In Deutschland sehe ich diese Entwicklung eher punktuell. Da gibt es mal die eine Professorin oder den einen Professor, der sich in diesem Bereich engagiert, aber es ist nicht der Regelfall. Ich glaube aber, dass sich da etwas dran ändern muss und wird, alleine schon, weil der Einfluss aus anderen Ländern auf die deutsche Wissenschaftslandschaft immer größer wird.
Sie fordern also, dass die Wissenschaft sich öffnet und auch in den Sozialen Medien aktiver wird. Weshalb ist das aus Ihrer Sicht wichtig?
Es gibt einen riesigen Bedarf in der Öffentlichkeit nach Informationen zu Erkenntnissen insgesamt. Menschen wollen unbedingt mehr wissen und unbedingt herausfinden, was eigentlich hinter Phänomenen, Alltagssituationen oder anderen wissenschaftlich gefärbten Tatsachen steckt. In dem Moment, in dem sie dieses Bedürfnis haben und dann aber keine seriösen, klugen, nachvollziehbaren und aber auch unterhaltsamen Informationen finden, fangen sie viel eher an, irgendwelchen Scharlatanen hinterherzulaufen. Da ergibt sich durch einfaches Nicht-Handeln in Sozialen Medien vonseiten der Wissenschaftskommunikation ein Vakuum und das wird von Scharlatanen oder Verschwörungstheoretikern gefüllt. Deshalb muss die Wissenschaft in diesem Raum aktiv werden.
Auf welche Art und Weise kann dies gelingen?
Aus meiner Sicht haben wir es in der Wissenschaftskommunikation im 20. Jahrhundert versäumt, deutlich zu machen, dass es sich bei den Ergebnissen, die wir kommunizieren, immer nur um Modelle und Momentaufnahmen handelt. Wir sind also nicht richtig mit den Schwächen der Wissenschaft umgegangen. Dass wir dies nicht geschafft haben, sieht man unter anderem in der Krise rund um die Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Studien, die wir seit einigen Jahren beobachten.
Wir müssen deshalb anfangen, die situative Prozessualität des Wissens und der Wissenschaft stärker in den Vordergrund zu stellen. Die oft genutzte Sprachfloskel „Jemand hat herausgefunden, dass …“ ist eigentlich ja totaler Quatsch und trotzdem wurde sich ihrer immer wieder bedient. Damit hat sich die Wissenschaftskommunikation das Leben unnötig schwer gemacht, denn wüssten die Menschen mehr über die Unsicherheiten des Wissensgewinns, würden sie auch leichter verstehen, dass Neuerungen oder Widersprüche keinesfalls bedeuten, dass man der Wissenschaft allgemein nicht mehr vertrauen kann.
Können wir dem noch erfolgreich entgegenwirken oder ist es längst zu spät?
Ich bin ein optimistischer Mensch und hoffe und glaube deshalb, dass das noch gelingt. Wir leben in einem Zeitalter, in dem gefühlte Wahrheiten und alternative Fakten auf dem Vormarsch sind. Diesen Entwicklungen müssen die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation entschlossen entgegenwirken.
Wissenschaftskommunikation muss, damit das gelingt, sehr viel zugänglicher werden. Zumindest aus meiner subjektiven Sicht, die an dieser Stelle auch falsch sein kann, ist sie oft noch zu nah an der Wissenschaft dran. Da muss sie sich weiterentwickeln. Es gibt inzwischen einige Ansätze, sie unterhaltsamer zu machen. Harald Lesch ist da ein gutes Beispiel, aber das ist noch ein einzelner Leuchtturm, davon bräuchte es viel mehr. Mehr Menschen also, die die Entstehung von wissenschaftlichen Erkenntnissen unterhaltsam abbilden und somit Menschen dafür begeistern.
Damit das gelingt, bedarf es vor allem einer methodischen Weiterentwicklung. Die schriftliche Kommunikation ist immer noch die klassischste Form der Wissenschaftskommunikation. Das ist aber inzwischen längst nicht mehr ausreichend. Wir brauchen eine visuellere Herangehensweise und auch eine Weiterentwicklung im Bereich der Audiokommunikation. Podcasts sind für mich ein wichtiges Zukunftsmedium in der Wissenschaftskommunikation und die Angebote in diesem Bereich werden und sollten aus meiner Sicht weiter wachsen. Insgesamt gilt: Die Wissenschaftskommunikation muss die Medien nutzen, die zeitgemäß sind.
Sie haben die Wissenschaftskommunikation jetzt relativ viel kritisiert beziehungsweise Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt. Gibt es auch Dinge, die aus Ihrer Sicht positiv sind?
Auf jeden Fall. Ich glaube, die größte Chance der Wissenschaftskommunikation liegt darin, dass sie ohne Ende Inhalte hat, die vermittelbar sind. Die Veröffentlichung kann natürlich an vielen Dingen scheitern und hängt von vielen Dingen ab. Aber erst mal ist festzuhalten, dass es einen riesigen Schatz an Informationen gibt und ein großes Interesse in der Öffentlichkeit dafür. Vor allem auch, weil die Menschen generell an Wissenschaft interessiert sind. Man muss nur Wege finden, es unterhaltsam aufzubereiten und gleichzeitig nach den ethischen Regeln des Wissenschaftsjournalismus vorgehen.
Was mich an der gesamten Branche begeistert ist die Detailliebe, mit der in der Wissenschaftskommunikation gearbeitet wird. Hier gibt es Menschen, die wirkliches Interesse daran haben, selbst komplizierteste Inhalte aufzubereiten und ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Hier liegt die große Qualität der Wissenschaftskommunikation. Gleichzeitig geht dieses Potenzial natürlich auch mit einer großen Verantwortung einher.
Können Sie diese Verantwortung an einem Beispiel illustrieren?
Ein gutes Beispiel ist sicherlich die künstliche Intelligenz. Das ist ein außerhalb der Fachwelt noch unterkommuniziertes Gebiet, was aber auf riesiges Interesse stößt. Für die Wissenschaftskommunikation wird es wichtig sein, in diesem Bereich noch aktiver zu werden und die Debatten stärker zu gestalten. Die Öffentlichkeit hat vielfach ein vollkommen falsches Verständnis von KI, auch weil es eine Vielzahl von fiktiven Erzählungen und Informationen in diesem Bereich gibt, die den öffentlichen Eindruck derzeit noch bestimmen. Wir wissen aber, dass die öffentlich geführten Diskurse auch die politischen beeinflussen und es daher kritisch ist, wenn die öffentliche Einstellung zu KI nicht von der Wissenschaft bestimmt, sondern von fiktiven Darstellungen und Geschichten geprägt ist. Da sehe ich ein großes Risiko und eine große Verantwortung für die Wissenschaftskommunikation. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz hat damals zwar versucht, diesen Dialog frühzeitig anzutreiben. Aber die wurden schier erschlagen von der Menge an erfundenen Geschichten und in gewisser Weise auch vom Interesse der Menschen am Thema. Deshalb braucht es in diesem Bereich mehr Menschen und mehr Geld, damit wir nicht – wie in anderen Fällen, wie beispielsweise der Impfkommunikation – scheitern.