Das Brettspiel „Mensch, Maschine!“ soll Schülerinnen und Schüler an maschinelles Lernen und Algorithmen heranführen. Carsten Schulte, Professor für Didaktik der Informatik an der Uni Paderborn, war an der Entwicklung beteiligt. Im Interview erzählt er, wie das Spiel funktioniert und wie es aufgenommen wurde.
Maschinelles Lernen spielerisch verstehen
Herr Schulte, im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2019 haben Sie das Spiel „Mensch, Maschine!“ mitentwickelt. Wie ist es dazu gekommen?
Unser Institut für die Didaktik der Informatik arbeitet schon länger mit Schulen zusammen, um Lehrmaterialien zu entwickeln, zu verbessern und zu erforschen. Dabei spielt natürlich auch künstliche Intelligenz als Vermittlungsgegenstand immer wieder eine Rolle. Insofern hat sich die Verbindung mit dem Wissenschaftsjahr 2019 einfach angeboten, um unsere Zusammenarbeit mit Schulen weiter auszubauen und zu stärken. Wir haben dann überlegt, welche der Materialien, die wir eh für die Schulen entwickeln, wir nutzen beziehungsweise weiterentwickeln können zu einem Spiel für Schülerinnen und Schüler in der siebten Jahrgangsstufe.
Welche Idee hatten Sie?
Zunächst haben wir gefragt, was Schülerinnen und Schüler in diesem Alter über künstliche Intelligenz zum einen verstehen sollten, zum anderen aber eben auch verstehen können. Wir haben uns dann den Bereich des Machine-Learnings herausgesucht und ein einfaches Beispiel dafür gesucht, wie ein Computer lernt. Die wichtigste Botschaft dabei war, dass dieser Prozess nichts mit Magie und auch nichts mit Intelligenz im menschlichen Sinne zu tun hat, sondern dass es sich um rein datengetriebene Prozesse handelt.
Wie wird dies im Spiel umgesetzt?
Im Spiel schlüpfen mehrere Schülerinnen und Schüler gemeinsam in die Rolle des Computers und übernehmen die Aufgabe, die sonst Algorithmen haben. Ein anderer spielt den Menschen, der gegen den Computer in einer vereinfachten Variante des Schachspiels antritt. Der Computer entscheidet über seine Spielzüge nicht frei, sondern nutzt dafür eine Reihe von Spielkarten. Mit jeder Niederlage wird der entscheidende Zug aus den Spielmöglichkeiten des Computers entfernt. Je länger man spielt, desto schwerer wird es dadurch für den Menschen, das Spiel zu gewinnen. Hinterher lautet die Frage an die Spielerinnen und Spieler des Computers, ob sie selbst etwas dafür tun mussten, dass sie immer besser wurden. Dies ist nicht der Fall – genau wie auch das Machine-Learning ganz automatisch funktioniert. Das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse, die wir weitergeben wollen.
Weshalb ist dies ein guter Weg der Vermittlung?
Man beschäftigt sich zum einen mit den Mechanismen, die hinter dem maschinellen Lernen stecken, zum anderen denkt man aber auch über die Bedeutung des Algorithmus nach. So entstehen spannende Gespräche und man kommt in einen fast beiläufigen Dialog über die großen Fragen der künstlichen Intelligenz. Das ist aus meiner Sicht die große Stärke dieses Spiels: Es macht diese Fragen quasi greif- und erlebbar.
Gibt es dafür ein Beispiel?
Eine Sache, die immer wieder aufkommt, ist die Erfahrung, dass, wenn der Mensch einen guten Zug macht und der Computer deshalb verliert, der Computer dadurch lernt. So entsteht die Frage, ob sich Algorithmen auch aus positiven Rückmeldungen verbessern können, und das ist eine der Grundfragen der KI. Solche Fragen lassen sich dann im Anschluss auch schön in den Unterricht einbinden, wodurch das Spiel noch gewinnbringender für Schulen wird.
Gibt es andere Beispiele, die ähnliches versuchen?
Ja, es gibt einige Beispiele. Unser Vorbild oder zumindest etwas, was wir uns intensiv angeschaut haben, ist ein Spiel des Londoner Informatikers Paul Curzon, das ganz ähnlich funktioniert. Da sind die Spielzüge, die der Computer machen kann, durch bunte Schokolinsen markiert. Wenn der Computer einen Fehler macht, kann der Spieler oder die Spielerin das Bonbon essen. Der Computer hingegen nutzt den Fehler, um sich zu verbessern und macht den Fehler nie wieder. Das Spiel haben wir in ersten Tests genutzt und weiterentwickelt. Wir haben es beispielsweise anders verpackt und ein Element der Selbstreflexion mit reingebracht. Die Engländer hatten nämlich die Erfahrung gemacht, dass es den Schülerinnen und Schülern zwar Spaß gemacht hat und sie es gerne spielen, aber den Hintergrund nicht so richtig wahrnehmen. Das wollten wir ändern. Wir haben beispielsweise die Spielsteine durch Karten ersetzt und uns Rollen für die einzelnen Spielerinnen und Spieler überlegt. Insgesamt ist es schon ein aufwendiger Prozess, so etwas zu entwickeln, aber es lohnt sich.
Woran machen Sie das fest?
Vor allem am positiven Feedback, und zwar sowohl von Seiten der Schülerinnen und Schüler als auch der Lehrerinnen und Lehrer. Unser Partner, die Telekom-Stiftung, hat das Spiel auch einmal intern mit Erwachsenen getestet. Auch die hatten wohl Spaß und fanden das Spiel gut. Das liegt sicherlich auch daran, dass es uns gelungen ist, das Thema zu entmystifizieren.
Was sollen die Kinder denn aus Ihrer Sicht an Erkenntnissen mitnehmen?
Erstens das Verständnis, dass maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz auf regelgeleiteten Mechanismen beruhen. Dann, dass die Ergebnisse und die Geschwindigkeit des Lernprozesses von der Qualität der Daten abhängen. Das ist eine Erfahrung, die die Kinder sehr häufig machen und von der sie oft berichten. Und die dritte Erkenntnis ist die, dass diese Prozesse beeinflussbar sind und zwar durch uns. Damit einher geht auch die Erfahrung, dass das System an sich keine eigenen Fehler macht, sondern seine Qualität lediglich von den eingespeisten Daten abhängt.
Das Wissenschaftsjahr Künstliche Intelligenz ist ja inzwischen vergangen, wie geht es jetzt weiter?
Gerade weil es so gut ankommt, hoffen wir, dass es uns gelingt, das Spiel noch weiter zu verbreiten und es öffentlich zugänglich zu machen. Da sind wir noch in den Abstimmungsprozessen. Von unserer Seite gibt es zudem Überlegungen dazu, wie man ein solches Spiel vielleicht bei noch jüngeren Zielgruppen einsetzen kann. So testen wir es beispielsweise demnächst auch an Grundschulen in der vierten Klasse. Ich sehe durchaus auch Potenzial, es in Fortbildungen für Erwachsene einzusetzen – in leicht abgewandelter Form natürlich.