Bild: Julia Schneider/ Lena Kadriye Ziyal/ „We need to talk AI“, (CC-BY-NC-SA 2.0), Remix

Maschinelles Lernen in Katzenbildern

Lassen sich Algorithmen ohne Worte beschreiben und künstliche Intelligenz auf 60 Seiten erklären? Genau das versuchen Forschende und eine Künstlerin in zwei Praxisprojekten.

Ob Infografik, Foto, Zeichnung oder Comic: Bilder sind ein wichtiger Bestandteil unserer Kommunikation. Sie erregen Aufmerksamkeit, können schnell und intuitiv erfasst werden und bleiben im Gedächtnis. „Bilder werden leichter gelernt, behalten und wiedererkannt als Worte“ fassen drei Kommunikationswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in ihrem Aufsatz „Die Evidenzkraft von Bildern in der Wissenschaftskommunikation“ zusammen.1 Tatsächlich brauchen die meisten Menschen nur ein bis zwei Sekunden Betrachtungszeit, um sich langfristig an ein Bild mit mittlerer Komplexität erinnern zu können. In derselben Zeit erfassen sie dagegen nur fünf bis sieben einfache Worte.2

Visuelle Wissenschaft

Visuelle Darstellungen sind auch in der Wissenschaft ein wichtiges Kommunikationsmittel. Bilder können Zusammenhänge, Prozesse, Abhängigkeiten und Prioritäten sichtbar machen und gleichzeitig Komplexität reduzieren.3 Julia Metag, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, macht in ihrem Aufsatz „Visuelle Wissenschaftskommunikation“ darauf aufmerksam, dass die Visualisierung von wissenschaftlichen Themen durchaus eine Herausforderung sein kann. Gerade bei abstrakten Themen könnten Bilder aber einen Mehrwert liefern.4

Zu solchen abstrakten Themen gehören beispielsweise auch Algorithmen und künstliche Intelligenz. Obwohl sie uns im Alltag in unterschiedlichsten Technologien begegnen, haben viele nur eine ungenaue Vorstellung von den Prozessen dahinter. Zwei Beispiele aus der Praxis der Wissenschaftskommunikation zeigen, wie man Algorithmen ohne Worte und künstliche Intelligenz in einem 60-Seiten-Comic erklären kann.

„Der Comic ist eine Kommunikation auf Augenhöhe. Das hat bei vielen einen Nerv getroffen.“ Julia Schneider
Von Algorithmen, Big Data und maschinellem Lernen bis zu Datenkapitalismus, selbstfahrenden Autos und Social Media – der Comic-Essay „KI, wir müssen reden“ (auch auf Englisch erhältlich als „We need to talk, AI“5) von Julia Schneider und Lena Kadriye Ziyal nimmt die Leserinnen und Leser mit in die Welt der künstlichen Intelligenz. Auf 60 Seiten erklären die Autorinnen unterhaltsam in kurzen Texten und Schwarz-Weiß-Zeichnungen die Grundlagen von KI, zeigen Anwendungsbeispiele, gehen auf Chancen und Risiken ein und werfen einen Blick in die Zukunft. Der Comic-Essay entstand ursprünglich als kreative Auseinandersetzung mit dem Thema für sie selbst und ihr persönliches Umfeld. Dieser subjektive Zugang spiegelt sich auch in der Umsetzung wider: auf der einen Seite Julia Schneiders Perspektive als Ökonomin, Datenwissenschaftlerin und Comicliebhaberin, auf der anderen Seite Lena Kadriye Ziyals Sicht als Künstlerin, die sich vorher noch gar nicht mit KI auskannte und sich dem Thema bildlich genähert hat. „Das Ergebnis ist eine Kommunikation auf Augenhöhe. Das hat bei vielen einen Nerv getroffen“, sagt Julia Schneider.

Ein Teaser für KI

Eine Herausforderung während des Entstehungsprozesses war die Komplexität des Themas. Bewusst zielt der Comic-Essay deshalb nicht auf Vollständigkeit ab. Er ist vielmehr ein Einstieg in die Materie und eine Einladung, sich weiter zu informieren. Gleichzeitig ist er ein kreativer Impuls, sich selbst mit KI weiter auseinanderzusetzen. Julia Schneider befasst sich gerne mit komplexen Themen: „Je größer ein Thema ist, desto kürzer halte ich es. Und deshalb wage ich mich dann auch an diese riesigen Themen heran, in dem Wissen, dass ich es auf keinen Fall zu Ende erklären werde und dass ich notwendigerweise nur einen Teaser gebe. Und der Comic ist eben unser Teaser für KI.“

„Ich begreife gute Wissenschaftskommunikation vor allem als spielerischen, mut- und neugiermachenden Anreiz. Gerne auch in einfacher Sprache.“ Julia Schneider
Wichtig ist den beiden Autorinnen, eine breite Diskussion über KI zu ermöglichen und das Thema für diesen Diskurs leicht zugänglich zu machen. Künstlerin Lena Kadriye Ziyal nutzt dafür technikferne Bilder, die Leserinnen und Leser aus ihrem Alltag kennen. So werden beispielsweise Konzepte wie „Trial and Error“ oder maschinelles Lernen mit Hilfe von Katzenbildern verständlich gemacht. „Ich begreife gute Wissenschaftskommunikation vor allem als spielerischen, mut- und neugiermachenden Anreiz. Mein Zugang ist Lustmachen auf ein Thema, gerne auch in einfacher Sprache“, erklärt Julia Schneider. Genau dafür eignen sich Comics gut, auch bei wissenschaftlichen Themen.

Die Verflechtung von Text und Bild, die den Dialog zwischen Künstlerin und Datenwissenschaftlerin widerspiegelt, gefällt Julia Schneider. Ganz ohne Worte erklärt dagegen Professor Sándor Fekete von der Technischen Universität Braunschweig Algorithmen. Dafür nutzt er Anleitungen in der Bildsprache eines skandinavischen Möbelhauses.

Algorithmen als Ikea-Bauanleitung

„Viele Menschen lernen besser visuell als textbasiert und das berücksichtige ich in meiner Lehre.“ Sándor Fekete
Ob im Smartphone, dem Navigationssystem oder der Medizin – Algorithmen sind überall in unserem Alltag. Sie erleichtern viele Aufgaben, wie beispielsweise den Umgang mit großen Mengen an Daten. Sie zu verstehen, ist jedoch nicht immer ganz einfach. Sándor Fekete ist Informatikprofessor. Seit 13 Jahren lehrt er Studienanfängerinnen und Studienanfänger Algorithmen und Datenstrukturen. Dabei ist es ihm wichtig, dieses Wissen interessant zu vermitteln: „Für mich ist Wissen nichts Totes an der Tafel. Deshalb gestalte ich meine Vorlesungen gerne kreativ. Viele Menschen lernen besser visuell als textbasiert und das berücksichtige ich in meiner Lehre.“ Besonders am Herzen liegt ihm dabei, dass Studierende Prozesse und Formeln nicht einfach auswendig lernen, sondern dass sie selbst denken, Zusammenhänge erkennen und verstehen.

Hier setzen die Idea Instructions6 an: Ohne Worte erklären sie im Stil einer Ikea-Möbelbauanleitung verschiedene Algorithmen. Schwedisch anmutende Namen und ein motiviertes „Idea-Männchen“, das durch die Anleitung führt, dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Die Sortieralgorithmen „Quicksort“ und „Merge Sort“ werden beispielsweise als „Kvick Sört“7 und „Merge Sört“8 illustriert. „Public Key Krypto“9 erklärt, wie die Public-Key-Verschlüsselung funktioniert und „One Ströke Draw“10 zeigt, wie es möglich ist, das Haus vom Nikolaus mit nur einem Strich zu zeichnen. Fekete entwickelte die Idea Instructions gemeinsam mit Sebastian Morr, einem seiner ehemaligen Studenten. Während eine Ikea-Anleitung beispielsweise für die Montage von genau einer Sorte Schrank gedacht ist, kann mit einer Idea Instruction sozusagen jeder beliebige Schrank aufgebaut werden. „Algorithmen sind systematische Verfahren, um vorgeschriebene Aufgaben Schritt für Schritt zu lösen. Mit ihnen können viele gleichartige Probleme gelöst werden, nicht nur eines. Sie sind eine Art Universalwerkzeug“, erklärt Sándor Fekete.

„Bei guter Wissenschaftskommunikation kommt mehr an, als man sagt. Man bringt die Zuhörerinnen und Zuhörer dazu, die einzelnen Bausteine zu nehmen und mehr daraus zu machen.“ Sándor Fekete
Sein Wunsch ist es, einen besseren Zugang zu Algorithmen zu schaffen. Deshalb unterrichtet er auch in Projekten an Grundschulen, bisher mit großem Erfolg: Die Schülerinnen und Schüler hatten so viel Spaß beim Lösen der Aufgaben, dass sie selbst die Pause damit verbrachten. Am Ende haben sie sogar einige Klausuraufgaben von Studierenden gelöst. „Bei guter Wissenschaftskommunikation kommt mehr an, als man sagt. Man bringt die Zuhörerinnen und Zuhörer dazu, die einzelnen Bausteine zu nehmen und mehr daraus zu machen“, sagt Fekete. „Gleichzeitig vermittelt man Spaß und Interesse an den wissenschaftlichen Themen.“

Der Comic-Essay zur KI und die Idea-Bauanleitungen für Algorithmen zeigen: Abstrakte Themen bildlich darzustellen, hilft, sie zu verstehen. Beide Beispiele kommunizieren auf unterschiedliche Art und Weise mit Bildern und verfolgen doch das gleiche Ziel: Wissenschaft interessant und kreativ so zu vermitteln, dass es das Publikum zum Selberdenken anregt.

 

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