Bevor Wissenschaftskommunikation ein selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit wurde, musste Nicole Deitelhoff, Vorständin der HSFK, eine neue Perspektive auf ihre Forschung gewinnen – und Ängste überwinden. Ein Gespräch über den Einstieg in die Wisskomm, die Verantwortung der Leitungsebene und neue Sprachen des Wissenstransfers.
„Man sollte sich einfach hineinstürzen“
Frau Deitelhoff, Sie sind neben Ihrer Forschungstätigkeit in sehr vielen anderen Rollen aktiv, beispielsweise als Vorstandsmitglied und Programmleiterin für die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Hat die regelmäßige Auseinandersetzung mit Fragen rund um Wissenschaftskommunikation und -transfer auch Einfluss darauf, wie Sie Ihre Arbeit als Wissenschaftlerin angehen?
Ja natürlich, aber das war ein Prozess. Im Normalfall startet man ja nicht die wissenschaftliche Karriere, indem man über Wissenschaftskommunikation nachdenkt, sondern stellt sich Fragen an die Wirklichkeit oder auch an die Forschung, die man ergründen will. Je mehr Aufgaben ich übernommen habe, die auch Interaktion mit der Öffentlichkeit, mit Politik und Gesellschaft erfordern, desto stärker habe ich mich engagiert und desto größer war der Einfluss dieser Aspekte der Wissenschaftskommunikation auf meine Forschung. Heute denke ich schon darüber nach, inwiefern ich bestimmte Fragen, die aus der Politik und der Gesellschaft an mich herangetragen wurden, in der Forschung umsetzen kann: Welche Aspekte meiner Forschung betreffen sie, sind das womöglich blinde Flecken, die ich bislang übersehen habe? Es geht nicht so weit, dass solche Fragen bestimmen, wie ich Forschung mache, aber sie informieren meine Forschung und die Konzeption meiner Projekte.
Was fällt für Sie alles unter den Begriff Wissenschaftskommunikation?
Ja, das ist gar nicht so leicht. Ich hadere manchmal immer noch etwas mit dem Begriff Wissenskommunikation und es fällt mir leichter, wenn ich mich an den traditionelleren Begriffen „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“ auf der einen Seite und „Wissenstransfer“ auf der anderen Seite orientiere. Da ist für mich Wissenskommunikation eher auf der Seite des Transfers zu sehen. Hier geht es für mich darum, wie ich Erkenntnisse, die ich gewinne, für unterschiedliche Zielgruppen nutzbar machen kann. Damit meine ich, sie so verständlich zu machen, dass die Leute etwas damit anfangen können. Es kann sich um eine schlichte Übersetzung von Erkenntnissen handeln, eine Veranstaltung für eine spezifische Zielgruppe oder auch Trainingsmodule und eLearning-Angebote. Aber ich zähle auch Formen von Werkstattgesprächen dazu, durch die bestimmte Erfahrungen aus Teilen der Gesellschaft wiederum für unsere Forschung nutzbar gemacht werden. Das machen wir mit Fokusgruppengesprächen oder ähnlichen Formaten, bei denen wir ganz bewusst an verschiedene Zielgruppen herantreten und erfragen, was dort an Wissensbeständen vorhanden ist. Diese Kenntnis kann für unsere Vorhaben relevant sein.
Wieviel Zeit nimmt die Wissenschaftskommunikation in Ihrem Arbeitsalltag heute ein?
Ich schätze, das ist inzwischen bis zu ein Drittel meiner Arbeitszeit, manchmal sogar mehr; je nachdem, was gerade so ansteht.
In einem Interview mit Herrn Sandevski vom Mercator Science Policy Programm haben Sie gesagt, Sie waren früher gehemmt, selbst in der Wissenschaftskommunikation aktiv zu werden, weil Sie sich nicht sicher waren, ob Ihre Forschung relevant genug ist. Wann kam der Wendepunkt?
Welche Aspekte waren für Sie beängstigend?
Ich glaube, im Wesentlichen war es die Tatsache, sehr abstrakte Ergebnisse zu haben und nicht zu wissen, ob ich das einem Gegenüber vermitteln könnte, oder ob das für diese Person überhaupt grundsätzliche Relevanz hat. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe viel zum Streit um internationale Normen geforscht und tolle Sachen darüber herausgefunden, unter welchen Bedingungen Streit solche Normen eher stabilisiert oder schwächt. Aber ich wusste überhaupt nicht, wie ich jemandem auf der politischen Seite klarmachen sollte, was es mit Diskursethik auf sich hat. Wenn ich angefangen hätte, über den Universalismus-Grundsatz im Diskurs zu sprechen, wie komme ich da an sie heran? Ich musste erst selber lernen, was meine Forschungsergebnisse bedeuten. Das war die zentrale Herausforderung. Es war vielmehr etwas, was ich mit mir selbst ausmachen musste als mit anderen.
Der Rat ist relativ simpel: Man sollte sich einfach hineinstürzen, ausprobieren und die Angst überwinden. Man muss ja nicht mit den komplexesten Themen anfangen, sondern kann sich beispielsweise in Veranstaltungen begeben, wo man noch nicht alleine ist, bei anderen abgucken und ein bisschen mehr Freude und Neugierde in diesem gesellschaftlichen Austausch entwickeln kann.
In dem Interview erwähnten Sie außerdem, dass Sie für die Forschenden an Ihrem Institut eine Umgebung schaffen möchten, in der Forschung und ihre Kommunikation gut gedeiht. Wie können Leitungspositionen zu so einer Umgebung beitragen?
Da gibt es verschiedene Maßnahmen. Es muss nicht erst bei den harten, monetären Anreizen ansetzen, sondern geht schon viel früher los. Wir heben zum Beispiel besonders positiv hervor, wenn sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Wissenstransfer engagieren. Das ist ein Tagespunkt in unserer monatlichen Institutsratssitzung, bei dem wir besprechen, was in der Wissenschaftskommunikation passiert, von unseren Erfahrungen berichten und diese institutsöffentlich besprechen und kommentieren.
Des Weiteren bieten wir allen Mitarbeitenden, die bei uns einsteigen, egal ob Promovierende oder Post-docs, von Anfang an Medientrainings an. Einfach damit sie sich nicht völlig verunsichert fühlen, wenn sie mit professionellen Medienanbietern zu tun haben. Das hilft auch schon eine ganze Menge.
Darüber hinaus fördern wir es, wenn sich kleine Initiativen für Kommunikationsprojekte zusammentun. Wir schauen uns an, was in diesem Jahr ansteht, welche größeren Themen wir verfolgen und ermutigen dazu, Ideen für die Kommunikation zu entwickeln. Und das passiert dann auch, es stellen sich immer wieder kleine Gruppen mit originellen Ideen vor, die wir gerne finanzieren.
Der letzte Punkt ist, dass wir gerade unseren jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich stark in der Wissenskommunikation engagieren, über strukturelle Wege entgegenkommen; indem wir beispielsweise Vertragsverlängerungen in Erwägung ziehen oder von vorneherein anbieten, wenn wir das Gefühl haben, dass sie wegen ihrer Aktivitäten in der Kommunikation nicht hinreichend zu ihren Qualifikationsarbeiten kommen. Oder wir bieten an, dass man zusätzliche Hilfskraftmittel bekommt, um Entlastung an anderen Stellen zu schaffen.
Was ist Ihr Lieblingskanal für Wissenschaftskommunikation?
Wahrscheinlich bin ich in der Hinsicht noch „old-school“, denn es sind nicht die sozialen Medien, obwohl ich weiß – und unsere Wisskomm-Abteilung es auch immer betont – dass diese viel bringen. Mir gefällt tatsächlich immer noch die direkte Veranstaltung am besten, wenn ich mich in physische Räume begebe und dort etwas mache. Ein Projekt, das mir gerade am Herzen liegt und wir zurzeit noch planen, ist „Frankfurt streitet“. Dafür möchte ich gemeinsam mit Michel Friedman ein öffentliches Diskussionsforum etablieren, das zu den großen Aufregern einen Raum für Streit bietet. Wir wollen dafür Schulklassen gewinnen, die bei jeder Veranstaltung die Online-Diskussion moderieren. Die müssen dann entscheiden: Was kann gesagt werden? Was sind Argumente, die man durchlassen muss? Was sind Argumente, die absolut jenseitig sind?
Ein aktuelles Wisskomm-Projekt, das Sie mitleiten, ist die im Februar eröffnete Ausstellung Making Crises Visible im Senckenberg Naturkundemuseum, mit der „zu einer eigenen Sprache des Wissenstransfers“ gefunden werden soll. Was ist damit gemeint?
Das ist auch ein sehr schönes Projekt, das mir gut gefällt. Es ist ein Ausstellungsprojekt, aber eigentlich auch weit mehr. Wir haben Forscherinnen und Forscher, die sich um unterschiedliche Formen von Krisen Gedanken machen, mit jungen Kunst- und Designstudentinnen und -studenten zusammengebracht. Sie haben sich nahezu zwei Jahre miteinander auseinandergesetzt und aus dieser Interaktion sind Kunstobjekte ganz unterschiedlicher Natur entstanden, von begehbaren, performativen Inhalten bis hin zu klassischen Bildinstallationen. Hier wurde Wissenschaft nicht einfach in eine andere Sprache übersetzt, sondern aus der Auseinandersetzung zwischen Kunst, Design und Wissenschaft ist eine ganz neue Sprache entstanden. Die Inhalte haben sich nochmal verändert, denn die Wissenschaft hat dabei auch einen anderen Blick auf ihre Forschung gewonnen, die Perspektive veränderte sich noch einmal im Ganzen, würde ich behaupten.
Es geht also nicht nur um die Vermittlung an Nicht-Fachkundige, sondern auch um die interdisziplinäre Vermittlung von Wissen.
Genau, und darum, dass es keine Einbahnstraße ist, in der die Wissenschaft irgendwas erarbeitet und es wird in einer anderen Disziplin durch ihre Perspektive umgesetzt. Aus der Auseinandersetzung zwischen den Disziplinen ist etwas Neues entstanden. Das haben wir am Anfang gar nicht so antizipiert, aber das ist das Ergebnis und es hat teilweise auch neue Forschungsimpulse hervorgebracht. Wir werden beispielsweise jetzt wahrscheinlich auch mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Städtebau in ein Projekt über die Möblierung des öffentlichen Raumes einsteigen: Wie kann man den öffentlichen Raum gestalten, sodass er Anlass zur Auseinandersetzung und Interaktion bietet? Das sind Impulse, die auch uns Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler anregen können, anders über unseren Forschungsgegenstand nachzudenken.
Welche Herausforderungen sehen Sie zurzeit in der Kommunikation Ihres Forschungsfeldes?
Wünschen Sie sich darüber hinaus noch etwas für die Wissenschaftskommunikation in den kommenden Jahren?
Ich würde mir wünschen, dass Wissenschaftskommunikation insgesamt im Wissenschaftsfeld, auch in der Wissenschaftspolitik, als selbstverständliches Element von Forschung betrachtet wird. Und ich weiß, Forschende sagen immer, sie brauchen mehr Geld. Ich hoffe aber, dass sich diese Struktur soweit normalisiert, dass wir, erstens, eigenständige Wissenschaftskommunikationsabteilungen als regulären Bestandteil von Instituten und Universitäten etablieren, ohne dass sie andere Bereiche kannibalisieren. Zweitens sollte die Entwicklung so weit gehen, dass sich dies in der Karriereentwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses niederschlägt. Dass sie sich nicht jedes Mal, wenn sie sich in der Wissenschaftskommunikation engagieren wollen, überlegen: Kann ich mir das erlauben oder müsste ich nicht eigentlich meine Zeit in den nächsten Journalbeitrag stecken? Dass man einen Bewusstseinswandel auch in der Berufungskommission hat, damit das Engagement im Wissenstransfer als Kompensation für eine geringere Anzahl von Artikeln gesehen wird.
Da sind wir noch lange nicht, das erlebe ich auch selbst. Bis heute sagen einige Leitungspersonen am Lehrstuhl: „Mach auf keinen Fall Wissenschaftskommunikation, du brauchst Drittmittel und Journalbeiträge“. Aber das können nicht einzelne Institute oder Universitäten ändern, das müssen wir als Gesamtfeld Wissenschaft und Wissenschaftspolitik schaffen.