Auf „The Conversation“ schreiben Wissenschaftler für die breite Öffentlichkeit als Experten zu aktuellen Fragen und Themen. Arwen Cross von Wissenschaft im Dialog hinterfragt das Online-Portal und seine Ziele.
Let’s talk about „The Conversation“
2016 war kein gutes Jahr für Experten. Der kürzliche gewählte US-Präsident verleugnet ihre Arbeit, und die Briten haben schlichtweg die Nase voll von ihnen: „People in this country have had enough of experts,“ behauptete Michael Gove, britischer Politiker und Befürworter des Brexits. Schon lange kämpft die Wissenschaftskommunikation darum, den Wissenschaftlern eine Stimme in öffentlichen Diskussionen zu geben. Etat-Kürzungen in den Wissenschaftsressorts der Printmedien und Filter-Blasen in der Online-Kommunikation machen ihr das Leben nicht leichter. Doch es gibt auch andere Möglichkeiten – der neue Champion in der Ecke der Experten heißt … „The Conversation“.
Das Online-Portal verspricht unabhängige Nachrichten auf direktem Weg: vom Experten ohne Mittelsmann zur Leserschaft. Nachrichtenseite oder Wissenschaftsressort? Viele Themen liegen irgendwo dazwischen. Auf der Startseite stehen Tagesthemen neben Forschungsnachrichten – doch was sie alle gemeinsam haben: Die Autoren sind immer an Forschungseinrichtungen tätige Wissenschaftler, Experten also. Wissenschaftsorganisationen und Universitäten fördern die Plattform finanziell. Auch Firmen und freiwillige Beiträge der Nutzer tragen zur Finanzierung der Seite bei. Die Plattform entstand erstmals 2011 in Australien. Heute gibt es „The Conversation“ in den USA, Großbritannien, Frankreich und Afrika.
Was steckt hinter dieser direkten Form der Wissenschaftskommunikation? Wer schreibt die Texte? Wer liest sie? Und inwiefern leistet die Plattform einen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion?
Experte für ein Gebiet oder Experte für alles?
Auf „The Conversation“ erscheinen ausschließlich Artikel von Experten – denn nur sie dürfen auf dem Portal Beiträge veröffentlichen. Die Herausgeber beschreiben es so: „We only allow authors to write on a subject on which they have proven expertise, which they must disclose alongside their article.” Was heißt das in der Praxis? Die Autoren müssen einer Universität oder Wissenschaftsorganisation angehören. Dabei sind auch Wissenschaftler willkommen, deren Hochschulen nicht zur Finanzierung der Plattform beitragen. Die Forscher können ihre Themen der Redaktion vorschlagen oder werden für bestimmte Beiträge angefragt. Die australische Ausgabe hat zusätzlich inzwischen Kolumnisten, die regelmäßig Artikel liefern. Oft handelt es sich dabei um erfahrene Journalisten, die inzwischen an einer Universität lehren, aber wenig forschen.
Wo liegen die Qualitäten von „The Conversation“?
Zum einen zeichnet sich die Seite durch allgemein verständliche Texte von renommierten Forschern aus: Klimaexperten erklären die „Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Kohlenstoffhaushalt“. Zum anderen behandelt sie Themen von allgemeinem Interesse, wie „Ist Wurst krebserregend?“. Dabei wenden die Autoren ihre Fachkenntnisse an und beziehen Stellung zu brisanten Fragen aus der Forschung, aber auch zu tagesaktuellen Themen, wie Steuer- oder Migrationspolitik.
Doch teilweise überschreiten die Autoren ihre Kompetenzgrenzen – insbesondere die Kolumnisten. Wieso schreibt kein Literaturwissenschaftler über die Nobelpreisvergabe an Bob Dylan? Stattdessen lesen wir die Meinung eines Politikwissenschaftlers. In einem anderen Beitrag wirft ein Mathematiker einer Linguistin vor, dass ihre Studie zu Zahlwörtern der australischen Sprachen rassistisch sei. Dabei ist das nicht sein Fachgebiet. Ihre Erwiderung erschien auch auf „The Conversation“ – dort erklärte sie die Hintergründe ihrer Forschung. Dieser Artikel ermöglicht es der Wissenschaftlerin zwar auf die Kritik zu reagieren und ihr Fachgebiet zu erklären, doch das war nur nötig, da der Mathematiker sein Expertentum auf diesem Gebiet überschätzte. Das ist ein Problem auf „The Conversation“ und regt zum Nachdenken an: Was ist eigentlich ein Experte?
Findet hier ein gesellschaftlicher Diskurs statt?
Sich aufeinander beziehende Artikel fördern Debatten auf „The Conversation“. Das passt, denn eines der Ziele der Plattform ist es, einen öffentlichen Diskurs anzuregen – „Our aim is to allow for better understanding of current affairs and complex issues. And hopefully allow for a better quality of public discourse and conversations.” Die Seite ist auf einem guten Weg, ihr Ziel zu erreichen: 20 Kommentare unter einem Artikel sind keine Seltenheit. Leser stellen Fragen oder üben Kritik und Autoren antworten mit weiteren Kommentaren. Die Moderation sorgt für ein höfliches Miteinander, unterstützt von starken Community Standards.
Doch wer sind die Millionen Leser im Monat, die so fleißig auf „The Conversation“ kommentieren? Die Leserschaft ist überdurchschnittlich gebildet und verdient sehr gut. Das zeigt eine Leserbefragung der australischen Ausgabe von 2015: 85 Prozent der Leser haben mindestens ein Bachelorstudium absolviert – doch nur ein Viertel der gesamten Bevölkerung hat diesen Abschluss. 40 Prozent der Leser leben in Haushalten mit einem Jahreseinkommen von mehr als 100.000 australischen Dollar, was etwa dem Doppelten des mittleren Haushaltseinkommen in Australien entspricht.
Daher regt “The Conversation” lediglich einen Diskurs innerhalb einer elitären Leserschaft an – der Diskurs ist zwar öffentlich, erreicht aber nur einen kleinen Teil der Gesellschaft. Wenn die Wissenschaft weitere Gruppen erreichen will, braucht sie dafür andere Medien.
Brauchen wir eine deutsche Ausgabe?
Mehr als die Hälfte der Autoren gaben an, von Journalisten kontaktiert worden zu sein, nachdem sie einen Beitrag auf „The Conversation“ veröffentlicht hatten. Kein Wunder, dass die Hochschulen bei ihrer finanziellen Unterstützung bleiben. Die Inhalte dürfen auch auf anderen Seiten unter Angabe der Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht werden. Ein weiterer Vorteil für Wissenschaftler ist die redaktionelle Unterstützung. Auf „The Conversation“ ist der Wissenschaftler Autor – und nicht Informationsquelle eines Beitrags. So behält er die Kontrolle über seine Textinhalte. Leser bekommen so Forschungsnachrichten aus erster Hand und Expertenmeinungen zu aktuellen Themen.
Was den Artikeln auf „The Conversation“ jedoch fehlt, ist das Gegenlesen: Studien müssen vor der Veröffentlichung in Fachzeitschriften eine Begutachtung bestehen; Journalisten holen meistens eine zweite Meinung von einem nicht-beteiligten Experten ein. Bei „The Conversation“ – als Zwischenstufe zwischen Fachzeitschrift und Zeitung – fehlt die inhaltliche Kontrolle, die Begutachtungen und gute journalistische Praxis gewährleisten.
„The Conversation“ scheint dennoch eine Lücke in der Medienlandschaft gefunden zu haben, denn das Format breitet sich international aus. Seit die Plattform 2011 in Australien gegründet wurde, etablierte sie sich in den USA, Großbritannien, Afrika (englischsprachig) und Frankreich (französischsprachig). Axel Bruns, Professor für “Creative Industries” an der Queensland University of Technology, stieß bereits Gespräche über eine deutsche Ausgabe an.
Kann die deutsche Wissenschaft von einer lokalen Ausgabe von „The Conversation“ profitieren? Würden Sie sich die Plattform wünschen? Oder passt sie nicht in unsere Medienlandschaft? Lassen Sie es uns in den Kommentaren wissen!
Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.