Wie beeinflussen und fördern „kleine Formen“ wie Twitter oder Blogs den Austausch zwischen Geisteswissenschaften und Gesellschaft? „Kurz und Gut“ – so hieß eine Berliner Tagung zu diesem Thema, und kurz und gut sind auch die hierzu entwickelten neun Thesen. Ein Rück- und Ausblick von Mitorganisator Hauke Ziemssen.
#kurzundgut: Kommunikation der Geisteswissenschaften im digitalen Zeitalter
Über aktuelle Kommunikationsformen für die Wissenschaft wird vielfach diskutiert. Erinnert sei etwa an die zweite Stellungnahme „Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation“ der Akademien zum Thema Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien (WÖM). Der Schwerpunkt der meisten Tagungen, Debatten und Arbeitspapiere liegt dabei – implizit oder explizit – auf den Naturwissenschaften. Damit ist unausgesprochen auch ein spezifisches Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Arbeit und ihrer Öffnung in die Gesellschaft verbunden. Im Mittelpunkt steht zumeist Forschung in ihrer Rolle als Schöpferin und Vermittlerin neuen Faktenwissens. Der Anspruch an die kommunizierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist entsprechend: Sie sollen die Methoden, die Prozesse und die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit für die Gesellschaft transparent machen.
Offener Diskurs der Geisteswissenschaften über und in sozialen Medien
Diese wichtige Aufgabe deckt sich allerdings nur in Teilen mit den Bedingungen geisteswissenschaftlicher Forschung. Die Stärke von kultur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie den Geschichtswissenschaften, den Archäologien oder den Philologien liegt vor allem auch darin, gesellschaftliche Diskurse zu initiieren, zu bereichern und zu reflektieren. Diese besondere Perspektive auch auf die Bedingungen der zeitgenössischen Medienlandschaft war in den einschlägigen Diskussionen bislang unterrepräsentiert – so der Eindruck des Organisationsteams der Tagung „Kurz und gut! Kommunikation in den Geisteswissenschaften in Zeiten von Twitter, Slam und ‚alternativen Fakten‘“. Sie fand am 4. Dezember 2017 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften statt. Durchgeführt wurde die Tagung von der BBAW im Rahmen des Jahresthemas „Sprache“, dem Exzellenzcluster Topoi und dem Graduiertenkolleg der HU „Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen“.
Der besondere Blick der Geisteswissenschaften
Auf dieser Veranstaltung wurde nicht die allgemeine Debatte über Chancen, Zwänge und mögliche Gefahren der sozialen Medien für die Wissenschaft wiederholt. Vielmehr wurde eine neue, aus den Geisteswissenschaften selbst entwickelte Perspektive aufgezeigt. Die digitale Medienlandschaft, so die Ausgangsthese, bietet mit ihrem hohen Grad an Austausch und diskursiver Teilhabe geradezu ideale Umstände für Forschungskultur und Transferpotential dieser Wissenschaften. Der Medienwandel eröffnet Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern viele Möglichkeiten, das Wort zu ergreifen und in die Gesellschaft hineinzuwirken.
Blogs als eigenständige wissenschaftliche Formate?
Diese positive Sicht bestätigte sich im Laufe eines anregenden Tages, auch wenn mehrfach kritische Aspekte geäußert wurden. In der Auftaktdiskussion zwischen Vertreterinnen und Vertretern von Wissenschaft, klassischen und neuen Medien (Mareike König, Deutsches Historisches Institut Paris; Ekkehard Knörer, Merkur; Michael Meyer, Exzellenzcluster Topoi; Anna-Lena Scholz, Die ZEIT) wurde etwa kontrovers diskutiert, ob Publikationsformen wie Blogs als eigenständige wissenschaftliche Formate anerkannt werden und gerade jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dafür neben der Dissertations- oder Habilitationsschrift Zeit eingeräumt werden sollte.
Im Worldcafé diskutierten alle Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer über Praxisaspekte wie die politische Verantwortung von Forschung oder den Umgang mit Verschwörungstheorien.
Kurze Formen von antiken Aphorismen bis Twitter
Schließlich wurde in zwei Sessions die „kurze Form“ literarhistorisch und sprachwissenschaftlich eingeordnet (Maren Jäger, HU Berlin; Olaf Kramer, Universität Tübingen; Katrin Lehnen, Universität Gießen; Anita Traninger, FU Berlin) und ein Bogen von der antiken Rhetorik zu Twitter geschlagen. Das hatte einen erhellenden Effekt: Mit einem Mal stand nicht mehr der zu vermittelnde Inhalt auf der einen und dessen sprachliche Form auf der anderen Seite. Vielmehr wurde deutlich, dass zwischen beiden ein Wechselverhältnis besteht, das seit Aristoteles und Cicero immer wieder theoretisch reflektiert und neu ausgehandelt wurde. Die kurze – besser: die angemessene – Form der öffentlichen Rede über geisteswissenschaftliche Forschung macht den Anschluss an den gesellschaftlichen Diskurs erst möglich. Im Durchgang von der Antike bis heute zeigte sich, wie ein verändertes mediales Umfeld auch die Kulturtechniken des Schreibens und Präsentierens verändert. Damit werden heute auch Rollen und Kategorien wie Autor(schaft)/Adressat, individuell/kollektiv, mündlich/schriftlich, institutionell/informell immer durchlässiger.
Neue Medien verändern Rollen wie Autor/Adressat und machen sie durchlässiger.
Die Tagung verstand sich als Denk- und Diskussionsanstoß; die Debatte wurde und wird unter dem Hashtag #kurzundgut intensiv auch bei Twitter geführt. Anstelle einer Publikation hat sich das Organisationsteam – Nina Diezemann (FU Berlin), Constanze Fröhlich (BBAW), Maren Jäger (HU Berlin, Petra Wodtke und Hauke Ziemssen (beide Exzellenzcluster Topoi/FU Berlin) – zu einer kurzen Form entschlossen, um die Impulse des Tages zusammenzufassen: Neun Thesen sollen Anregungen für die Fortführung der Gespräche über die Nutzung digitaler und kurzer Formate in den Geisteswissenschaften geben.
9 kurze & gute Thesen zur Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften
1
Wissenschaftskommunikation ist Teil von Wissenschaft – und ist es auch immer gewesen. Wissenschaftliche Institutionen sollten ihr Zeit und Raum geben.
2
Geisteswissenschaftler*innen sollten den Strukturwandel der Wissenschaftskommunikation für ihre Fächer selbst gestalten und nutzen.
3
Digitale Wissenschaftskommunikation ermöglicht rasche Intervention, formales Experiment und gedankliche Pointierung. Der Zwang, etwas kurz zu sagen, birgt die Chance, etwas gut und klar zu sagen.
4
Die gelungene kurze Form setzt Hintergrundwissen und Tiefe voraus und entwickelt daraus die dem jeweiligen Publikum und dem Thema angemessene Gestaltung.
5
Partizipative (Kurz-)Formen der Kommunikation geben Wissenschaftler*innen zusätzliche Praxis in Grundelementen geisteswissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung: Entwerfen, Schreiben, Debattieren, Veröffentlichen.
6
Partizipative Kommunikationsformen veranschaulichen die Prozesshaftigkeit der Geisteswissenschaften.
7
Soziale Medien schaffen Netzwerke zwischen zuvor unverbundenen Diskussionsfeldern und deren Beteiligten in Wissenschaft und Gesellschaft.
8
Digitale Formate ermöglichen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen einen Zugang zu akademischen Themen.
9
Die geisteswissenschaftliche Ausbildung sollte auch die Nutzung kurzer Formen und digitaler Medien vermitteln und erproben.
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