Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im September 2023

Wie wird in der Krise Glaubwürdigkeit konstruiert? Sollten Chatbots möglichst menschlich wirken? Und wie sollte Gesundheitskommunikation auf TikTok aussehen? Das sind Themen im Forschungsrückblick für den September.

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

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Wie menschenähnlich sollten Chatbots sein?

Wie lassen sich Chatbots in der Wissenschaftskommunikation effektiv einsetzen? Jinping Wang von der Chinese University of Hong Kong und Lulu Peng von der Huazhong University of Science and Technology haben das in zwei experimentellen Studien getestet. Sie wollten herausfinden, welchen Unterschied es macht, ob Chatbots menschlichere Züge tragen oder ob ihre Kommunikation eher Angst oder Hoffnung stiften. Wie überzeugend sind die jeweiligen Appelle?

Methode Studie 1: Die Forscherinnen verglichen anthropomorphe Chatbots mit solchen, die eher maschinenähnlich wirken. Anthropomorphismus bezeichnet die Übertragung menschlicher Eigenschaften auf Nichtmenschliches. Unterschieden wird zwischen einem bewussten Prozess (,mindful anthropomorphism’) und einem unbewussten (,mindless anthropomorphism’), bei dem Menschen Computern unbewusst menschliche Eigenschaften zuschreiben.

Wer wenig Angst hatte, ließ sich eher von einem Chatbot mit weniger menschlichen Zügen überzeugen.
In dem Online-Experiment interagierten 287 Studienteilnehmer*innen aus den USA jeweils etwa fünf Minuten lang mit einem von vier verschiedenen Chatbots zum Thema „Sonnencreme und Hautkrebs-Prävention.“ Die Chatbots wiesen entweder menschliche Züge auf (sie wurden beispielsweise durch einen menschenähnlichen Avatar verkörpert und sprachen Nutzer*innen mit Namen an) oder nicht-menschliche. Außerdem unterschieden sie sich darin, ob ihre Kommunikation eher auf ängstliche oder hoffnungsvolle emotionale Reaktionen zielte. Es wurde entweder die Gefahr durch Hautkrebs (Angstappell) oder die Wirksamkeit von Sonnenschutzmitteln (Hoffnungsappell) betont. Nach der Interaktion mit dem Chatbot beantworteten die Teilnehmer*innen unter anderem Fragen dazu, wie stark der Chatbot Angst und/oder Hoffnung ausgelöst habe, wie menschenähnlich er sei und ob sie ihm unbewusst menschenähnliche Attribute („sanft“/„fröhlich“/„freundlich“) zuschreiben. Auch die Einstellung zu Sonnencreme und Verhaltensabsichten wurden abgefragt.

Ergebnisse Studie 1: Besonders Teilnehmer*innen, die große Angst empfanden, zeigten eine positivere Einstellung gegenüber Sonnencreme, wenn sie mit einem Chatbot mit anthropomorpheren Eigenschaften interagierten. Wer wenig Angst hatte, ließ sich eher von einem Chatbot mit weniger menschlichen Zügen überzeugen. Es zeigt sich auch, dass menschlichere Eigenschaften ein höheres Maß an gedankenlosem Anthropomorphismus hervorriefen. Der Chatbot wurde als sanfter, freundlicher, fröhlicher und geselliger wahrgenommen. In einer zweiten Studie versuchen die Forscherinnen ihre Ergebnisse zu reproduzieren und untersuchten mögliche psychologische Mechanismen.

Methode Studie 2: In der zweiten Studie übernahmen die Forscherinnen dasselbe Design mit einem anderen Thema, dem Schutz der biologischen Vielfalt. Um die Verhaltensabsichten zu testen, wurden die 289 Studienteilnehmer*innen gefragt, ob und wie viel sie zum Schutz der Biodiversität an die Umweltschutzorganisation WWF spenden würden. Sie sollten einschätzen, wie stark das gesellschaftliche und individuelle Risiko beim Verlust der biologischen Vielfalt sei. Außerdem wurden sie gefragt, ob sie den Eindruck hätten, ihre persönliche Freiheit würde eingeschränkt – beispielsweise, indem der Chatbot sie unter Druck gesetzt habe.

Ergebnisse Studie 2: Wer Angstappellen ausgesetzt war, war ängstlicher als Personen, die mit Hoffnungsappellen konfrontiert wurden. Insbesondere Teilnehmer*innen, die mit menschenähnlichen Chatbots interagierten, berichteten von einer höheren Spendenabsicht, wenn der Chatbot einen Angstappell sendete. Bei weniger menschenähnlichen Chatbots löste der Hoffnungsappell hingegen eine stärkere Spendenabsicht aus. Vor allem, wenn der Chatbot einen Angstappell sendete, verstärkte unbewusster Anthropomorphismus das wahrgenommene individuelle Risiko, was zu einer höheren Spendenabsicht führte. Das deutet darauf hin, dass die Wahrnehmung eines individuellen Risikos, das durch Angstappelle hervorgerufen wird, verstärkt wird, wenn Menschen Chatbots unbewusste menschlichere Eigenschaften zuschreiben. Das wiederum unterstützt die Verhaltensabsicht.

Wenn der Chatbot jedoch hoffnungsvolle Appelle zum Schutz der biologischen Vielfalt sendete, war das wahrgenommene persönliche Risiko kein wesentlicher Faktor mehr.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse der Studien legen nahe, dass Angstappelle überzeugender wirken als Hoffnungsappelle, wenn ein Chatbot menschenähnlich ist. Bei maschinenähnlichen Chatbots scheint die Kommunikation in einem positiven und hoffnungsvollen Rahmen überzeugender zu sein. Das deutet darauf hin, dass anthropomorphe Chatbots nicht grundsätzlich überzeugender sind, sondern deren Wirkung auch von anderen Faktoren abhängt.

Eine mögliche Erklärung sei, dass ein sehr menschenähnlich wahrgenommener Chatbot die Risikowahrnehmung bei hoffnungsvollen Botschaften reduziert. Die anthropomorphen Eigenschaften könnten dazu führen, dass der Chatbot als weniger ernst und überzeugend rüberkommt, wenn keine Angstappelle gesendet werden.

Bei Umweltthemen wie biologische Vielfalt sei es wichtig, individuelle und nicht nur gesellschaftliche Risiken zu betonen.
Für die Praxis der Wissenschaftskommunikation würde das bedeuten, dass menschlichere Chatbots dann sinnvoll sind, wenn negative Emotionen wie Angst angesprochen werden sollen. Auch zeigen die Ergebnisse, dass Menschen Chatbots unbewusst menschliche Eigenschaften zuschreiben, was die Informationsverarbeitung und die Überzeugungskraft beeinflussten.

Die Studien sprechen auch dafür, dass auch das Thema der Kommunikation eine Rolle spielt. Bei Umweltthemen wie biologische Vielfalt sei es wichtig, individuelle und nicht nur gesellschaftliche Risiken zu betonen, schreiben die Forscherinnen. Denn dadurch würden Menschen stärker zum Handeln motiviert.

Einschränkungen: Die Interaktion der Studienteilnehmer*innen mit dem Chatbot konnte in dem Online-Experiment nicht vollständig kontrolliert werden. Die Forscherinnen schlagen deshalb vor, künftige Studien im Labor durchzuführen und auch die Gesprächsinhalte zu analysieren und soziale Reaktionen zu erfassen. Zudem wurde die Überzeugungskraft der Chatbots nur anhand von zwei Themen und einer einmaligen Interaktion untersucht. Es könnte aufschlussreich sein, Vergleiche mit weiteren Themen zu ziehen und wiederholte Interaktionen zu untersuchen, um Aussagen über langfristigere Beziehungen treffen zu können.

Wang, J., Peng, L. (2023) Striking an Emotional Chord: Effects of Emotional Appeals and Chatbot Anthropomorphism on Persuasive Science Communication. Science Communication, 45(4), 485-511. https://doi.org/10.1177/10755470231194583

 

Die Konstruktion epistemischer Autorität in der Krise?

Wem vertrauen Menschen in Krisenzeiten? Gerade zu Anfang der Coronapandemie wurden unterschiedliche Personen in den Medien als Expert*innen präsentiert. Wie wird ihnen dabei epistemische Autorität zugesprochen – das heißt: Mit welchen Methoden wird der Anschein von Expertise und moralischer Integrität hergestellt? Das haben Mariapia D’Angelo von der University G. d’Annunzio und Franca Orletti von der University of Roma Tre am Beispiel einer Folge der italienischen Talkshow „Non è l’arena“ untersucht, in der es um aktuelle Themen geht, die kontrovers diskutiert werden.

Die Forscherinnen beziehen sich auf das klassische aristotelische Konzept des Ethos.

Methode: Die Forscherinnen analysierten mit Methoden der rhetorischen Forschung und der Konversationsanalyse einen Ausschnitt der Sendung vom 29. September 2021, in der es um die Behandlungsmöglichkeiten von Covid-19 geht. Moderator Massimo Giletti hat drei Teilnehmer zu Gast: den Arzt Dr. Stramezzi, der angeblich Tausende mit Covid-19 infizierte Menschen behandelt hat; Dr. Pregliasco, der als Autorität auf dem Gebiet der Epidemiologie gilt, und Senator Vittorio Sgarbi, Kunsthistoriker und Kunstkritiker. Er ist für seine polemischen Aussagen bekannt, verfügt aber über keine Fachkenntnisse zum diskutierten Thema.

Die Forscherinnen beziehen sich auf das klassische aristotelische Konzept des Ethos, dass davon ausgehe, dass die Überzeugungskraft einer Person auf der Vermittlung von Glaubwürdigkeit beruhe. Sie untersuchen anhand des Talkshow-Fragments, wie Dr. Stramezzi als Experte konstruiert wird, der mit Coronafällen umgehen und diese behandeln kann, obwohl er nicht unbedingt ein Experte ist – beispielsweise ist er weder Virologe, Epidemiologe noch Mitglied des italienischen Expert*innen-Komitees. 

Ergebnisse: Indem er auf Nachfrage des Moderators sehr detailliert seinen beruflichen Werdegang erläutert, stellt sich der Mediziner Stramezzi selbst als Experte dar. Er ist zwar kein Covid-Spezialist, aber erinnert daran, dass Gesundheitsbehörden in Italien die Intervention aller Ärzte und Ärztinnen – unabhängig von ihrer Fachrichtung – gefordert hatten. 

Nach einem hitzigen Austausch über die Funktionsweise von FFP-2-Masken lenkt Stramezzi das Diskussionsthema ungefragt auf Covid-19-Therapien. Der Moderator macht sich das Thema zu eigen und stellt damit die Beziehung zwischen Fragendem und Befragten wieder her. 

Stramezzi hat nach eigenen Aussagen bereits 1500 Covid-Patient*innen behandelt. Er erzählt, dass er unterschiedliche Medikamente verschreibe. Die Richtlinien in Italien sahen jedoch zum damaligen Zeitpunkt eine nur eingeschränkte medikamentöse Behandlung von Covid-19 vor. Damit verortet sich Stramezzi außerhalb der offiziellen medizinischen Vorgaben. 

Moderator Giletti hält sich mit eigenen Bewertungen zurück, trägt aber durch seine Fragen dazu bei, dass Stramezzi sein Wissen ausbreiten kann. Da Stramezzi nicht automatisch als Experte anerkannt werde, muss er laut der Autor*innen moralische Tugend (Arete), (praktische) Fähigkeiten in Bezug auf das Thema (Phronesis) sowie guten Willen gegenüber dem Publikum (Eunoia) an den Tag legen. Er gibt sich bescheiden und zurückhaltend und bezieht das Publikum ein. 

Der Moderator greift teilweise subtil, aber kontinuierlich in die Konstruktion des Ethos der Interviewpartner ein.
Stramezzis Gegenspieler Pregliasco stellt Stramezzis Aussagen immer wieder in Frage. Statt konkrete Studien zu zitieren, greift er Stramezzi persönlich an, bezeichnet seine Behandlungsmethoden als verrückt und gefährlich. 

Der Moderator greift teilweise subtil, aber kontinuierlich in die Konstruktion des Ethos der Interviewpartner ein, indem er etwa Stramezzi fragt, warum seine Worte gefährlich „sind“ und nicht, warum sie gefährlich „seien“. Indem er den Indikativ benutzt, verrät er seine Übereinstimmung mit der Aussage. Das zeigt laut der Autorinnen, dass er versuche, das Gleichgewicht zwischen den Interviewpartnern zu wahren. 

Sgarbi, der dritte Interviewpartner, beschreibt Stramezzi als Mensch mit großer künstlerischer Sensibilität und Kunstsammler. Diese Aussagen aber seien so weit vom Thema der Diskussion entfernt, dass Stramezzis epistemische Autorität dadurch nicht gestärkt werde, schreiben die Forscherinnen. 

Schlussfolgerungen: Der Ausschnitt aus der Fernsehsendung ist ein Beispiel dafür, wie epistemische Autorität in Interaktionen konstruiert wird. Stramezzi erzeugt den Anschein von Expertise nicht allein, der Moderator liefert entsprechende Vorlagen. Dieser nimmt zwar eine eher neutrale Haltung ein, zeigt aber teilweise eine Neigung in Richtung von Stramezzi, dem sehr viel Raum zur Beschreibung seiner Fachkenntnisse eingeräumt wird. Giletti fasst außerdem dessen Aussagen zusammen oder wiederholt sie. Letztendlich aber bleibe der Konflikt ausgeglichen, schreiben die Forscherinnen. 

Pregliascos Angriffe auf Stramezzis Expertise bewerten die Forscherinnen als wenig erfolgreich, da er nur Argumente wählte, die sich auf die Person seines Gegenspielers konzentrierten. Das könnte damit zusammenhängen, dass er dem Aufbau seiner eigenen Glaubwürdigkeit zu wenig Aufmerksamkeit schenke. Er scheint seine eigene epistemische Autorität für selbstverständlich zu halten und geht deshalb zu wenig auf das Publikum ein. 

Das zeigt, dass wissenschaftliche Autoritäten sich bei Auftritten in den Medien nicht auf dem Wissen um ihre eigene Expertise ausruhen sollten, sondern dem Publikum ihre eigene Glaubwürdigkeit vermitteln müssen. 

Einschränkungen: Die Studie gibt einen Einblick in einen einzigen Ausschnitt einer Fernsehsendung. Um weitere Aussagen über die Konstruktion epistemischer Autorität treffen zu können, könnten Vergleiche mit anderen Beispielen aufschlussreich sein. Analysiert werden die rhetorischen Mittel, offen bleibt jedoch, wie das Publikum diese wahrnimmt. Diese Frage könnte in weiterer Forschung thematisiert werden. 

D’Angelo, M., Orletti, F. (2023) Being an expert in pandemic times: negotiating epistemic authority in a media interaction. Front. Commun. 8:1214927. doi: 10.3389/fcomm.2023.1214927

 

Ernsthafte Gesundheitskommunikation auf TikTok?

TikTok wird häufig vor allem mit humorvollen und unterhaltsamen Inhalten assoziiert. Was passiert, wenn Nutzer*innen auf diesem Kanal mit ernsten Informationen zu Gesundheitsthemen konfrontiert werden? Das haben Jeeyun Oh und Shuer Zhuo von der University of Texas at Austin mit Eunjoo Jin von University of Houston in einem Experiment mit Videos zu Covid-19-Impfungen getestet. 

Methode: Die Forscher*innen beziehen sich auf die Expectancy Violations Theory („Theorie der Erwartungsverletzungen“). Diese beschäftigt sich damit, was passiert, wenn sich Menschen in sozialen Situationen anders verhalten, als es ihr Gegenüber erwartete würde. In diesem Fall liegt eine „Erwartungsverletzung“ vor. Auch an Social-Media-Plattformen hätten Nutzer*innen Erwartungen, schreiben die Forscher*innen. TikTok etwa gelte eher als unterhaltsamer Kanal mit leichten Inhalten, obwohl er auch für Themen der Gesundheitskommunikation genutzt wird. 

Die Stichprobe umfasste 189 Teilnehmer*innen im Alter zwischen 17 und 29 Jahren aus dem Umfragepool einer US-amerikanischen Universität. Sie beantworteten Fragen zu ihrem Impfstatus, ihrer Wahrnehmung der Covid-19-Pandemie, den Einstellungen zur Impfung, der Nutzung von TikTok sowie ihrer Wahrnehmung von TikTok als Unterhaltungskanal.

Wer negativere Einstellungen gegenüber dem Impfen hatte, zeigte mit zunehmender Ernsthaftigkeit der Videos höhere Impfabsichten.
Anschließend wurden die Teilnehmer*innen in sechs Gruppen eingeteilt, die sich jeweils ein TikTok-Video ansahen, das Informationen zum Nutzen von Covid-19-Impfungen vermittelte. Drei der Videos waren eher unterhaltsam gestaltet und arbeiteten mit Gesang, Tanz und Animation, die anderen drei waren informativ und nüchtern gehalten. Die Teilnehmer*innen gaben an, für wie ernst sie das Video hielten, ob ihre Erwartungen verletzt wurden, ob die jeweilige Botschaft vermittelt wurde und welche Impfabsichten sie haben. Die Erwartungsverletzung wurde dabei über die Zustimmung zu Aussagen wie „Diese Nachricht von TikTok hat mich sehr überrascht“ abgefragt. 

Ergebnisse: Es zeigt sich, dass ernsthafte Impfbotschaften nicht immer zu einer Verletzung der Erwartungen führen muss. Nicht alle Nutzer*innen denken, dass TikTok ein reiner Unterhaltungskanal ist. Erwartungsverletzungen zeigten sich deutlich bei zwei Gruppen von Teilnehmer*innen: bei denen, die eine negativere Einstellung zu Impfungen hatten, und bei denen, die TikTok eher als Unterhaltungskanal wahrnahmen. Je ernsthafter die TikTok-Videos waren, desto überraschter reagierten diese beiden Gruppen. Diejenigen, die TikTok eher als Unterhaltungs-Kanal wahrnahmen, wurden in ihren Erwartungen stärker verletzt, wenn die Videos ernster waren und empfanden die ernsten Videos als effektiver. Sie zeigten jedoch keine stärkeren Impfabsichten. Wer eher eine negativere Einstellung zu Impfungen hatte, zeigte stärkere Impfabsichten, nachdem er*sie sich ernstere Videos angesehen hatte. Wer eine positive Einstellung gegenüber Impfungen hatte, zeigte mit zunehmender Ernsthaftigkeit eine geringere Erwartungsverletzung. 

Besonders bei denjenigen, die ursprünglich eine negativere Einstellung gegenüber dem Impfen hatten, zeigte sich die Botschaft wirksamer, wenn die Erwartungshaltung verletzt wurde – das bedeutet, dass sie sich nach dem Anschauen des TikTok-Videos eher impfen lassen würden. 

Wer negativere Einstellungen gegenüber dem Impfen hatte, zeigte mit zunehmender Ernsthaftigkeit der Videos höhere Impfabsichten.

Für diejenigen, die auf TikTok eher unterhaltsame Inhalte auf TikTok erwarteten, waren ernsthafte Impfvideos wahrscheinlich neu genug, um überzeugend zu wirken.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse der Studie sprechen dafür, dass Erwartungsverletzungen Effekte auf die Wirksamkeit von Wissenschaftskommunikation haben kann. Die Forscher*innen erklären das mit der plötzlichen kognitiven Dissonanz, die durch eine Erwartungsverletzung verursacht wird. Dadurch werde Aufmerksamkeit und Interesse für die Ursache der Verletzung erregt. Sobald eine Erwartungsverletzung auftrete, setzen Nutzer*innen laut der Forscher*innen größere kognitive Ressourcen ein, um zu verstehen, welche Art von Nachrichten auf TikTok ein so ungewöhnliches Maß an Ernsthaftigkeit verdienen. Gerade bei Menschen, die negativere Einstellungen gegenüber dem Impfen hatten, stand die Botschaft der Videos im Widerspruch zu ihren Überzeugungen.

Für diejenigen, die auf TikTok eher unterhaltsame Inhalte auf TikTok erwarteten, waren ernsthafte Impfvideos wahrscheinlich neu genug, um überzeugend zu wirken, schreiben die Forscher*innen. Die Impfabsichten wurden dadurch jedoch noch verstärkt. Die Forscher*innen vermuten, dass Impfabsichten möglicherweise eher auf den Überzeugungen des Einzelnen in Bezug auf die Wirksamkeit des Impfstoffs beruhen und nicht von einzelnen Botschaften abhängen. 

Die Ergebnisse deuten laut der Forscher*innen darauf hin, dass ernsthafte, unerwartete wissenschaftliche Botschaften – beispielsweise Videos mit Fakten, Beweisen und Statistiken – eine wirksame Strategie sein können, um auf unterhaltsamen und kreativen Videoplattformen wie TikTok auf Themen aufmerksam zu machen. Sie sprechen TikTok ein großes Potenzial für die Wissenschaftskommunikation zu. 

Einschränkungen: Die Stichprobe umfasste ausschließlich junge Teilnehmer*innen mit einem studentischen Hintergrund, was bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden muss. Möglicherweise hat diese Gruppe bereits mehr Erfahrungen mit TikTok gemacht und eine positivere Einstellung dazu als ältere Menschen. Womöglich reagieren ältere Menschen anders auf TikTok-Nachrichten, die ihren Einstellungen widersprechen. Möglicherweise könnte das sogar negative Effekte haben. Das müsste in weiteren Forschungsvorhaben untersucht werden. 

Oh, J., Zhuo, S., & Jin, E. (2023) Surprise of Serious COVID-19 Vaccination Messages on TikTok: The Effect of Expectancy Violation on Message Effectiveness. Science Communication, 0(0). https://doi.org/10.1177/10755470231198213

Mehr Aktuelles aus der Forschung

📚 Anfeindungen und negative Einstellungen gegenüber der Wissenschaft treiben viele Kommunikator*innen um. Wie lassen sich unterschiedliche Einstellungen einordnen? Wie sollte Wissenschaftskommunikation damit umgehen? Im Auftrag der Transfer Unit von Wissenschaft im Dialog* haben Nicola Peters, Evelyn Peter und Kaija Biermann von der TU Braunschweig haben den aktuellen Forschungsstandzu diesen Fragen zusammengefasst. Eine daraus abgeleitete Handlungsempfehlung lautet: Wissenschaftskommunikation sollte negativen Einstellungen gegenüber der Wissenschaft aktiv begegnen.

📚 Welche Aufgaben können Chatbots im Gesundheitswesen übernehmen? Dawn Branley-Bell und Kolleg*innen von der Northumbria University haben zusammen mit Lynne Coventry von der Abertay University in einer Studie anhand verschiedener Szenarien untersucht. Die Mehrzahl der Studienteilnehmenden zog es vor, einen Arzt statt eines Chatbots zu konsultieren, unabhängig davon, um welche Erkrankung es sich handelte. Bei Symptomen im Zusammenhang mit der Sexualität, die den Teilnehmenden peinlich waren, war die Bereitschaft zur Konsultation eines Chatbots höher als bei anderen Symptomen. Laut den Forscher*innen könnten Chatbots bei dieser Art von Themen einen schnellen, niedrigschwelligen und bequemen Weg zu Gesundheitsinformationen bieten.

📚 Welches Potenzial haben Comics für die Vermittlung von Gesundheitsinformationen? Nan Li, Dominique Brossard und Leonardo Barolo Gargiulo von der University of Wisconsin–Madison haben zusammen mit Shiyu Yang von der University of Tennessee untersucht, wie schwarze US-Amerikaner*innen Comics über Covid-19-Impfstoffe wahrnehmen. Im Vergleich zu Texten und Infografiken fanden sie keine signifikanten Unterschiede darin, wie interessant die Befragten die Informationen fanden, wie gut sie sich daran erinnern konnten und wie wahrscheinlich es war, dass sie diese teilen würden. Comics mit abstrakten, ethnisch uneindeutigen Charakteren führten bei Personen mit weniger Vorwissen über Covid-19-Impfstoffe zu größeren Lerneffekten als Comics, die mit realistischen Bildern schwarzer Personen arbeiteten. Die Forscher*innen unterstreichen das Potenzial von Comics in der Wissenschaftskommunikation, raten aber dazu, sorgfältig über das Design und die jeweilige Zielgruppe nachzudenken.

📚 Mit öffentlichen Vorträgen wirbt Extinction Rebellion um neue Mitglieder. Wie sich die Klimaaktivist*innen dabei auf wissenschaftliches Wissen beziehen, hat Aaron Thierry von der Cardiff University untersucht. Er hat die Texte der Vorträge analysiert und Interviews mit Kernmitgliedern des Redaktionsteams geführt. Seine Ergebnisse zeigen, dass die Art der Wissenschaftskommunikation von Extinction Rebellion von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, darunter die strategischen Ziele der Bewegung sowie die Vorstellungen der Redakteur*innen darüber, wie sie am besten zum Handeln motivieren. Die unterschiedlichen Formen der Wissenschaftskommunikation dienten entweder dazu, wissenschaftliche Ansichten einzubeziehen oder auszuschließen – je nachdem, ob sie mit den Zielen der Gruppe übereinstimmen oder nicht, schreibt Thierry.

📚 Video-Abstracts von wissenschaftlichen Arbeiten werden immer beliebter. Worauf kommt es bei diesem Format an? Miguel Ferreira und João Loureiro von der University of Coimbra haben gemeinsam mit António Granado von der Universidade Nova de Lisboa und Betina Lopes von der University of Aveiro 30 Expert*innen für wissenschaftliche Videos gebeten, sich Video-Abstracts anzusehen und diese zu bewerten. Die Ergebnisse zeigen, dass Video-Abstracts in den Bereichen Ökologie und Umweltwissenschaften kurz, klar, objektiv, kreativ, dynamisch und informativ sein sollten. Im besten Fall dabei Videoaufnahmen mit Animationen kombiniert, schreiben die Autor*innen.

📚 Wovon hängt der Erfolg von Social-Media-Influencer*innen ab? Charles Alves de Castro von der ICD Business School in Dublin hat 81 Personen zwischen 16 und 26 Jahren in Irland befragt, wer ihre fünf bevorzugten Influencer*innen sind und warum sie ihnen folgen. Der Forscher identifizierte mehrere Hauptmotive, darunter die Suche nach Unterhaltung, interessanten Inhalten, Produkt- und Markenempfehlungen, Ratschlägen, Tipps und Lernmöglichkeiten. Die Studie zeigt, dass die Befragten leicht von Influencer*innen beeinflusst werden. Parasoziale Beziehungen, Vertrauen und Nahbarkeit spielen dabei eine entscheidende Rolle.