Beschädigt die sogenannte Replikationskrise das Vertrauen in die Wissenschaft? Wie wirkt sich Framing auf die Einstellungen zum Coronavirus aus? Und welche Fragen stellen sich Kinder über den Klimawandel? Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Studien aus unserem aktuellen Forschungsrückblick.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im September 2020
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Replikationskrise? Nie gehört
Idealerweise soll ein wissenschaftliches Experiment immer zum gleichen Ergebnis führen, also replizierbar sein. In den letzten Jahrzehnten gab es allerdings zahlreiche Studien, bei denen Experimente früherer Studien nicht repliziert werden konnten – so viele, dass manche von einer Replikationskrise sprechen. Dies betrifft insbesondere die Psychologie. Aber auch andere Disziplinen wie Biologie oder Wirtschaftswissenschaften sind davon betroffen. Befürchtet wird, dass dies auch das Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft beschädigt. Aber weiß die Bevölkerung überhaupt etwas über diese Krise? Und was hält sie davon?
Methodik: Um diese Fragen zu beantworten, haben Niels Mede und seine Ko-Autorinnen und -Autoren das Wissenschaftsbarometer – eine bevölkerungsrepräsentative und standardisierte Umfrage – aus dem Jahr 2018 analysiert. Darin wurde zum einen gefragt, ob die Teilnehmenden von der Replikationskrise gehört hatten und zum anderen, wie sie das Phänomen beurteilen.
Ergebnisse: Die Autorinnen und Autoren stellten in ihrer Analyse fest, dass 75 Prozent der Befragten bisher nie etwas von Replikationsproblemen gehört hatten. Älteren Personen mit Universitätsabschluss waren diese Probleme dabei eher bewusst als anderen Gruppen. Die Beurteilung der Replikationskrise ist außerdem unter den Befragten insgesamt eher positiv ausgefallen und beschädigt nicht das Vertrauen in die Wissenschaft. Sie wurde eher als Ausdruck funktionierender Qualitätssicherung wahrgenommen. Als Anlass für ein generelles Misstrauen in die Wissenschaft wird die Replikationskrise somit vor allem von älteren Personen sowie Anhängerinnen und Anhängern der Alternative für Deutschland (AfD) wahrgenommen. Gleichzeitig hatten Letztere nicht häufiger als andere von dem Phänomen gehört.
Einschränkungen: Die Ergebnisse sind auf Deutschland beschränkt und lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Länder übertragen. Zudem kann die Methodik der Studie nur statistische Zusammenhänge aufzeigen, aber nichts über die dahinterliegenden Gründe und Mechanismen aussagen. Bei standardisierten Umfragen müssen zudem unerwünschte Effekte, etwa bei der Formulierung von Fragen oder sozialer Erwünschtheit beim Antwortverhalten beachtet werden. Die Gruppen sind zudem teils wenig ausdifferenziert, so wurde etwa nur zwischen der AfD auf der einen Seite und allen anderen Parteien auf der anderen Seite unterschieden.
Mede, N. G., Schäfer, M. S., Ziegler, R. & Weißkopf, M. (2020). The “replication crisis” in the public eye: Germans’ awareness and perceptions of the (ir)reproducibility of scientific research. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/0963662520954370
Framing kann Einstellungen zur Corona-Pandemie beeinflussen
Nach aktuellem Wissensstand ist das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 eine Zoonose, wurde also von Fledermäusen auf den Menschen übertragen – vermutlich auf einem Markt in Wuhan, China. Weil aber viele Fragen zum Ausbruch des Coronavirus noch nicht beantwortet sind, sind auch Verschwörungsmythen zu diesem Thema entstanden. So ist die Behauptung im Umlauf, das Coronavirus würde in Wahrheit aus einem chinesischen Forschungslabor stammen, das in der Nähe des Marktes in Wuhan liegt. Für diese Behauptung gibt es keine Belege, für die Hypothese der Zoonose dagegen schon. Ein Team um den Politikwissenschaftler Toby Bolsen von der Georgia State University hat untersucht, wie sich verschiedene Frames, also Erzählungen des Coronavirus-Ausbruchs, auf die Einstellungen der Menschen zur Corona-Pandemie auswirken.
Methodik: Die Forschenden befragten 1.071 repräsentativ ausgewählte Versuchspersonen mithilfe des Crowdworking-Portals MTurk von Amazon. 45 Prozent waren weiblich, 55 Prozent männlich. Die Versuchspersonen wurden in vier Gruppen eingeteilt: eine Kontrollgruppe, die ausschließlich die Fragen beantwortete und drei Gruppen, die vorher einen Artikel über den Corona-Ausbruch lasen. In jedem der drei Artikel wurden bestimmte Frames aktiviert. Bei der ersten Gruppe wurde der Corona-Ausbruch als Zoonose geframet, die zweite Gruppe las einen Artikel darüber, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan stamme. Der Text der dritten Gruppe bediente konkurrierende Frames. Er stellte beide Varianten als möglich dar. Anschließend wurden den Versuchspersonen Fragen gestellt, bei denen es um den Ursprung des Coronavirus ging, um politische Maßnahmen und das persönliche Verhalten, beispielsweise was das Tragen einer Maske angeht.
Schlussfolgerungen: Schon die einmalige Konfrontation mit Falschinformationen führte dazu, dass die Versuchspersonen weniger bereit waren, Maßnahmen gegen das Coronavirus zu ergreifen. Während der Corona-Pandemie kursieren Falschinformationen noch stärker als sonst und senken damit das Vertrauen in Wissenschaft. Im März warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO sogar vor einer „Infodemie“, das heißt, vor der massenhaften Verbreitung von Falschinformationen über die Pandemie. Bei zukünftigen Virusausbrüchen sollten also noch bessere Wege gefunden werden, Verschwörungsmythen zu entkräften und ihre Verbreitung einzuschränken, fordern Bolsen und seine Mitautoren.
Einschränkungen: In der Studie wurden Voreinstellungen nur relativ grob abgefragt, also zum Beispiel, welche Partei die Teilnehmenden wählen. Vermutlich hatten die meisten Versuchspersonen schon vor der Befragung eine Meinung zur Corona-Pandemie, die nicht in die Auswertung einbezogen wurde. Auch andere Faktoren wie die persönliche Weltanschauung und eine allgemeine Tendenz, an Verschwörungen zu glauben, wurde nicht abgefragt. Zudem zeigt die Studie nur kurzzeitige Wirkungen von Falschinformationen. Aussagen über eine längerfristige Wirkung lassen sich daraus nicht ableiten.
Bolsen, T., Palm, R., Kingsland, J.T. (2020). Framing the Origins of COVID-19. Science Communication. https://doi.org/10.1177/1075547020953603
Was Kinder über den Klimawandel wissen möchten
Obwohl der Klimawandel die jüngste Generation am stärksten betrifft, ist bisher nicht allzu viel über ihre Einstellung dazu bekannt. Und wenn, dann werden hauptsächlich Wissensstände abgefragt. Eine qualitative Studie der Psychologinnen Katherine Lee und Julie Barnett der University of Bath hat untersucht, welche Fragen Kinder zum Klimawandel haben.
Methodik: Befragt wurden Schülerinnen und Schüler von vierzehn Schulen in Großbritannien im Alter von zehn bis zwölf Jahren. Das ist in Großbritannien eine Altersgruppe, für die Klimawandel noch nicht planmäßig im Lehrplan stand. Die Studie fand im Rahmen eines online durchgeführten Wissenschaftsevents statt, bei dem die Kinder in verschiedenen Themenbereichen Fragen an Forschende stellen konnten. Für die Studie wurden die Fragen ausgewertet, die im Themenbereich Klima gestellt wurden. Insgesamt werteten die Forscherinnen über 10.000 Beiträge aus dem Chat aus. Davon waren 820 unterschiedliche Fragen, die sich auf den Klimawandel bezogen. Anhand dieser Fragen bildeten die Forscherinnen Kategorien.
Ergebnisse: Die Fragen der Kinder deckten insgesamt sechs Kategorien ab: Was den Klimawandel ausmacht, was ihn verursacht, welche Folgen er aktuell beziehungsweise in der Zukunft hat, wie eine Lösung aussehen könnte und wie ernst und real er ist. Manche der Fragen waren dabei sehr offen. Die Kinder wollten zum Beispiel mehr darüber wissen, wie sich Wetter und Klima unterscheiden. Andere fragten wiederum fragten konkret nach dem Land, das am stärksten vom Klimawandel betroffen ist. Manche Fragen deuteten mehr oder weniger realistische Lösungsvorschläge an: Sollten wir uns alle vegetarisch ernähren? Oder: Könnten wir auf den Mars umsiedeln? Verschwörungsmythen spielten ebenfalls eine Rolle. So wollten einige Kinder wissen, ob der Klimawandel real und die Klimawissenschaft verlässlich seien. Insgesamt stellten die Forscherinnen fest, dass die Kinder den Klimawandel eher als ein aktuelles Problem wahrnehmen und nicht als eines, das nur die Zukunft betrifft. Allerdings deuteten die Fragen auch darauf hin, dass die Kinder den Klimawandel als ein Problem weiter entfernter Länder sahen. Grundsätzlich empfanden die Kinder den Klimawandel als etwas, was sie alle betraf – trotzdem gab es auch Fragen, die auf klimawandelleugnerische Einstellungen hindeuteten.
Einschränkungen: Die Studie wurde im Frühling 2018 durchgeführt, also vor dem IPCC-Bericht über das 1,5-Grad-Ziel und vor den Schulstreiks von Fridays for Future. Seitdem könnten auch jüngere Kinder stärker für den Klimawandel sensibilisiert sein, selbst wenn das Thema noch nicht im Lehrplan vorkam. Die Online-Umgebung der Umfrage unterscheidet sich außerdem von der gewohnten Umgebung im Klassenraum. Auch das könnte einen Einfluss auf die Fragen gehabt haben.
Lee, K., Barnett, J. (2020). ‘Will polar bears melt?’ A qualitative analysis of children’s questions about climate change. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/0963662520952999
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