Ist Wissenschaftskommunikation ungerecht? Macht es Sinn, als Wissenschaftler an politischen Talkshows teilzunehmen? Welche Ziele verfolgen Wissenschaftler, wenn sie mit der Öffentlichkeit kommunizieren? Studien zu diesen drei Fragen stellen wir Euch in unserem aktuellen Forschungsrückblick vor.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im September 2017
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse aus der „Science of Science Communication“. Wenn Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Ungerecht: Privilegierte Naturwissenschaften?
Wissenschaftskommunikatoren entscheiden mit darüber, welches Wissen – durch die Wahl der Themen – an wen – durch die Wahl des Publikums – kommuniziert wird. Ob es dabei gerecht zugeht, fragte sich Fabien Medvecky von der University of Otago, Neuseeland, in der Zeitschrift Science and Engineering Ethics.
Methodik: Wissen ist eine Ressource, so Medvecky, und entsprechend ist Zugang und Verteilung eine Frage der Gerechtigkeit. Dies wird in der Wissenschaft als epistemische oder erkenntnistheoretische Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit bezeichnet. Dabei spielen zwei Perspektiven eine Rolle:
- Wer bekommt Zugang zu Wissen?
- Wessen Wissen gilt als wertvoll und zuverlässig?
Medvecky geht der zweiten Frage im Bezug zur institutionalisierten Wissenschaftskommunikation nach. Ungerechtigkeiten entstehen hier, wenn das Wissen, das jemand hat und die ihm dafür zugeschriebene Glaubwürdigkeit auseinanderfallen. Dies kann zum einen passieren, wenn jemand aufgrund von Vorurteilen nicht ernst genommen wird. Zum anderen aber auch, wenn jemandem trotz fehlender Expertise Glauben geschenkt wird. Der Autor nennt das„Glaubwürdigkeitsüberschuss”.
Ergebnisse: Medvecky beobachtet solche Ungerechtigkeit vor allem, wenn Wissenschaft gemeinverständlich dargestellt und populär gemacht werden soll. Dann würden nämlich oftmals Wissenschaftler zu Wort kommen, die zwar bekannt seien, aber nicht unbedingt Experten auf dem Gebiet, um das es geht. Als Beispiel nennt er Richard Dawkins, der immer wieder zu Religionsfragen befragt würde, obwohl Religions- oder Sozialwissenschaftler besser geeignet seien. Wissenschaftskommunikation verleihe in solchen Fällen zu unrecht das Prädikat wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit.
Während dieses Problem mit einer größeren Sensibilität bei der Auswahl gelöst werden könne, sei die Wissenschaftskommunikation aufgrund der einseitigen Bevorzugung von Naturwissenschaften („science”) auf einer grundlegenderen Ebene ungerecht. Dies zeige sich in staatlichen Förderprogrammen, bei Konferenzen und in den Kommunikationsabteilungen der Universitäten. Sozial- und Geisteswissenschaften seien hier meist außen vor. Damit entstehe der Eindruck, allein die Naturwissenschaften produzierten verlässliches Wissen und aus diesem Grund produziere man epistemische Ungerechtigkeit.
Schlussfolgerungen: Es sei naiv zu glauben, dass die Verbreitung und der Austausch von Wissen vollkommen fair und gerecht organisiert werden können. Trotzdem, so der Autor, müsse darauf hingearbeitet werden. Er schlägt dafür einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaftskommunikation vor, hin zur Kommunikation eines breiteren Konzepts von Wissenschaft.
Dabei solle Wissenschaftskommunikation als„Kommunikation komplexer Themen” oder„Wissenskommunikation” (S. 13) verstanden werden, in denen die verschiedenen Wissenschaftsbereiche gleichberechtigt vorkommen. So könne etwa der Klimawandel als Komplex aus naturwissenschaftlichen, ethischen und wirtschaftlichen Problemen dargestellt werden.
Einschränkungen: Medvecky bezieht sich primär auf den angelsächsischen Raum, die meisten seiner Beispiele stammen entsprechend aus Australien oder dem Vereinigten Königreich. Dies macht eine Übertragung auf andere Länder schwierig.
Fehl am Platz: Wissenschaftler in Talkshows
Politische Talkshows haben nicht den besten Ruf. Zwar wird ihnen eine große Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zugesprochen, doch gleichzeitig den eingeladenen Gästen fehlende Sachkenntnis und wenig Interesse an einer echten Diskussion unterstellt. Wissenschaftler könnten hier aufgrund ihrer Expertise ein wohltuender Gegenpol sein. Ob dies tatsächlich so ist, hat Simon Goebel von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt untersucht.
Methodik: Goebel untersuchte die Auftritte von Wissenschaftlern in Talkshows zum Thema Flucht und Migration in den Jahren 2011 bis 2016. Zusätzlich führte er Experteninterviews mit zwei dieser Wissenschaftler, Claus Leggewie und Ruud Koopmans.
Ergebnisse: Erst ab Mitte 2015 wurden in die Polit-Talks auch Wissenschaftler eingeladen. 2015 und 2016 waren diese 32-mal in 109 Sendungen vertreten. Am häufigsten waren Politikwissenschaftler zu Gast (19), viermal Wirtschaftswissenschaftler, dreimal Historiker, zweimal Medienwissenschaftler und Rechtswissenschaftler sowie jeweils einmal Soziologen und Sozialmediziner. Nur zwei hatten bereits zu Migration geforscht und nur in fünf Sendungen sprachen die geladenen Wissenschaftler auch zu Flucht und Migration und nicht zu anderen, im Zusammenhang stehenden Themen.
Mit den beiden Historikern Heinrich August Winkler und Jörg Baberowski sowie dem Kriminologen Christian Pfeiffer waren drei Wissenschaftler Talkgäste, die selbst nicht zu Migration und Flucht geforscht hatten. Ihre Aussagen in den Sendungen waren für Goebel weniger von der Vermittlung wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse, als von ihrer persönlichen, flüchtlingsfeindlichen Meinung geprägt. Sie bestärkten damit die ohnehin dominanten Diskursstränge.
Nur teilweise anders sehe es bei Leggewie und Koopmans auf, die beide„eine ausgewiesene Expertise im Bereich Migrationsforschung haben” (S. 203). Koopmans, so Goebels Analyse, reproduziere„jene ökonomistischen Vorstellungen, die in Polittalks über Flucht bereits dominant sind” (S. 205) und stelle seine eigenen Forschungsergebnisse verkürzend und generalisierend dar. Leggewie hingegen differenziere und versuche„eine kulturwissenschaftliche Perspektive […] in einfachen Worten zu vermitteln” (S. 208). Ob ihm dies allerdings gelungen sei, bezweifelt der Autor. Leggewie habe sich durch„die Vereinfachung der Sprache zugunsten der allgemeinen Verständlichkeit” (S. 209) für die anderen Talkgäste angreifbar gemacht. Ein Dilemma, so Goebel, denn bei komplizierter Ausdrucksweise wäre er mit Hilfe antiintellektueller Argumente genauso angreifbar gewesen.
Koopmans und Leggewie gingen bei der Einschätzung ihrer eigenen Rolle auseinander. Während Koopmans wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln und dabei neutral bleiben wolle, sehe Leggewie seine Aufgabe in der politischen Intervention auf Basis wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Er gehe zudem darauf ein, welche Voraussetzungen eine Talkshow sinnvollerweise erfüllen muss: So solle unter anderem die Rollenfixierung aufgelöst und die Gesprächssituation offener gestaltet werden, damit die jeweiligen Argumente ernsthaft diskutiert werden könnten. Beide Forscher fühlten sich verpflichtet, die Öffentlichkeit an ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen teilhaben zu lassen und treten deshalb auch in Polit-Talks auf. Gleichzeitig würden sie aber auch die Gefahr sehen, durch öffentliche Auftritte den eigenen Ruf zu schädigen wenn auch in völlig unterschiedlicher Richtung. Leggewie befürchte, eine zu ‘flüchtlingsfreundliche’ Positionierung könne negative Folgen haben, während Koopmans dies im Falle einer ‘flüchtlingsfeindlichen’ Positionierung befürchte.
Schlussfolgerungen: Letztlich, so Goebel, würden Polit-Talkshows keine vernünftigen Voraussetzungen für Wissenschaftler bieten. Die„Weigerung der Moderationen, Redaktionen und der allermeisten Gäste, die Diskussion als Aushandlungsprozess, als Abwägung von Argumenten zu betrachten” und die prinzipielle Anfechtbarkeit, Komplexität und Unabgeschlossenheit wissenschaftlichen Wissens seien nicht miteinander vereinbar. Entsprechend sei es nicht verwunderlich, dass die von ihm analysierten Wissenschaftler bei ihren Auftritten weniger als Wissenschaftler denn als politische Akteure agierten.
Einschränkungen: Analysiert wurde nur ein einziges, zudem gesellschaftlich stark aufgeladenes Thema. Es ist also durchaus möglich, dass Wissenschaftler in Talkshows zu anderen Themen auch anders auftreten (können).
Divers: Zielvorstellungen in der Wissenschaftskommunikation
Welche kommunikativen Ziele wollen Wissenschaftler erreichen, wenn sie Face-to-Face mit der Öffentlichkeit interagieren? Dieser Frage gingen John C. Besley (Michigan State University, USA), Anthony Dudo (University of Texas, USA) und Shupei Yuan (Michigan State University, USA) in Public Understanding of Science nach.
Methodik: Die drei Forscher befragten 1685 Wissenschaftler aus fünf naturwissenschaftlichen US-Fachgesellschaften in einer Onlineumfrage. Neben Alter, bisherigen Fortbildungen und Aktivitäten im Bereich Wissenschaftskommunikation wurde gefragt, wie wichtig ihnen persönlich die folgenden acht Kommunikationsziele sind:
- Information: Sicherstellen, dass Menschen über wissenschaftliche Themen informiert sind.
- Begeisterung: Menschen begeistern oder ihr Interesse wecken.
- Expertise: Die Sachkunde der Wissenschaft darstellen.
- Zuhören: Aufnehmen, was andere über wissenschaftliche Themen denken.
- Kümmern: Zeigen, dass die Wissenschaft sich um das Gemeinwohl kümmert.
- Offenheit: Offenheit und Transparenz der Wissenschaft demonstrieren.
- Werte: Zeigen, dass Wissenschaftler die Werte der Gemeinschaft teilen.
- Framing: Auswirkungen von Forschung so darstellen, dass sie die Einstellung der Öffentlichkeit beeinflussen.
Zudem musste für jedes Ziel angegeben werden, inwiefern die Teilnehmer es für ethisch, für sich selbst und andere umsetzbar und für von den Kollegen akzeptiert hielten. Außerdem mussten sie einschätzen, ob ihre Kollegen das Ziel ebenfalls wichtig fänden oder nicht.
Ergebnisse: Es zeigten sich keine großen Unterschiede zwischen den einzelnen Fachgesellschaften. Auch Alter, vorherige Aktivitäten und Fortbildungen korrelierten nicht mit der Wichtigkeit der einzelnen Kommunikationsziele.
Nur in einem Viertel der Fälle statistisch signifikant war der Zusammenhang zwischen den Zielen und der vermuteten Einschätzung durch Kollegen sowie der Frage, ob man Ziele selbst umsetzen könne. In einem Drittel der Fälle gab es eine signifikante Korrelation zwischen den Zielen und der wahrgenommenen Akzeptanz dieser bzw. der Einschätzung, dass andere sie umsetzen können.
Die Priorität der Ziele besser vorhersagen konnten hingegen die Frage, ob ein Ziel ethisch vertretbar gewesen wäre (mehr als 50 % der Fälle) und ob sich die Teilnehmer schon früher einmal Gedanken zu einem Ziel gemacht hatten (etwa 75 % der Fälle).
Schlussfolgerungen: Die Autoren erhoffen sich von ihren Ergebnissen vor allem einen Nutzen im Rahmen von Fortbildungen für Wissenschaftler: Damit Wissenschaftler nicht mehr nur versuchen, vermeintliche Wissenslücken der Öffentlichkeit zu füllen, solle man ihren Blick auf die anderen Kommunikationsziele und deren ethische Unbedenklichkeit lenken.
Einschränkungen: Besley, Dudo und Yuan räumen selbst ein, dass sich ihre Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf andere Länder und Disziplinen übertragen lassen. Auch könnte es weitere, nicht untersuchte Kommunikationsziele geben. Zudem haben die Forscher nur die Selbsteinschätzungen der Wissenschaftler untersucht. Inwiefern diese sich tatsächlich in ihrem Kommunikationsverhalten widerspiegeln, bleibt also offen. Die Beschränkung auf eine konkrete Kommunikationssituation macht die Übertragung auf andere Situationen, z. B. die Onlinekommunikation, schwierig.