Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im November 2020

Wie wird im deutschsprachigen Youtube über Impfungen gesprochen? Und was motiviert Menschen dazu, sich an Citizen-Science-Projekten zu beteiligen? Dies und außerdem ein Blick über den Tellerrand – Bürgerbeteiligung mit wissenschaftlichem Input – sind die Themen im Forschungsrückblick für den November.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Der Diskurs über Impfungen auf dem deutschsprachigen Youtube

Wenn Nutzer und Nutzerinnen online nach Informationen zu kontroversen Wissenschaftsthemen suchen, stoßen sie auch immer wieder auf Falschinformationen. Bisher gibt es aber gerade für die deutschsprachigen Seiten noch nicht allzu viele Daten dazu, wie viele der Inhalte eigentlich als falsch gelten können. Deshalb haben Arista Beseler und Hannah Schmid-Petri von der Universität Passau untersucht, welche Inhalte zum Thema Impfen sich auf der Videoplattform Youtube finden .

Methodik: Die Forscherinnen haben eine quantitative Inhaltsanalyse von Youtube-Videos über Impfungen durchgeführt. Sie wählten 150 Videos aus, die bei einer Suche nach Begriffen wie „Impfung“ und „Immunisierung“ als erstes auftauchten. Einige der Videos kamen mehrmals vor, andere erwähnten das Thema nur am Rande, sodass die finale Auswahl auf 97 Videos reduziert wurde. Beseler und Schmid-Petri haben sich dann genauer angeschaut, wie Youtube-Nutzer und -Nutzerinnen auf die Videos reagieren (Aufrufe, Up- und Downvotes), welche Akteurinnen und Akteure Videos dazu veröffentlichen und ob die Argumentation eher faktenbasiert oder emotional ist. Dafür codierten sie verschiedene Merkmale der Videos.

Ergebnisse: Insgesamt fanden die Forscherinnen zum Thema Impfen etwas mehr ablehnende (43 Prozent) als befürwortende Videos (35 Prozent). Die restlichen Videos waren neutral oder ambivalent. Befürwortende Videos wurden häufiger aufgerufen und erhielten auch mehr Reaktionen, also Up- und Downvotes. 33 Prozent der ablehnenden Videos wurden von Laien veröffentlicht, die zudem besonders häufig auf persönliche Erlebnisse zur Argumentation zurückgriffen. Hingegen waren knapp die Hälfte der Befürworter entweder journalistische Angebote oder Bot-generierter Content – Videos, bei denen eine Computerstimme einen Text vorliest, meist veröffentlichte Blog- oder Zeitungsartikel. Auch bei den ablehnenden Videos fanden sich journalistische Urheber (14 Prozent), vor allem aber solche von sogenannten alternativen Medien (zum Beispiel Klagemauer.TV oder Extrem News). Faktenbasierte Argumentation wurde von beiden Seiten gleich häufig genutzt (88 Prozent), allerdings nutzten beide häufiger eine emotionale Argumentation (ablehnend 98 Prozent, befürwortend 94 Prozent). Den Forscherinnen fiel außerdem auf, dass nur knapp ein Drittel der befürwortenden und 21 Prozent der ablehnenden Videos Quellen genutzt wurden. Ablehnende Videos verwiesen häufiger auf Einzelfälle als befürwortende (29 Prozent und 18 Prozent).

Schlussfolgerungen: Youtube wird zur Diskussion über das Thema Impfen verwendet, schließen die Forscherinnen, und zwar insbesondere von denen, die Impfungen ablehnen. Sie führen das darauf zurück, dass es bei Youtube keine journalistischen Kriterien gibt und jeder eigene Inhalte hochladen kann. Wie erfolgreich sie damit sind, Zuschauerinnen und Zuschauer von ihrer Einschätzung zu überzeugen, zweifeln Beseler und Schmid-Petri aber an. Denn Videos, die das Impfen befürworten, erhalten mehr Reaktionen und werden auch häufiger aufgerufen. Die ablehnenden Inhalte nutzen ähnliche Strategien wie Klimawandelleugner, stellen die Forscherinnen fest. Auch sie greifen die Mehrheitsmeinung an, versuchen, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben oder allgemein Zweifel zum Thema zu säen. Ob Nutzer und Nutzerinnen auf Youtube genau auf die Herkunft der Videos schauen, zweifeln die Forscherinnen an. Als Konsequenz fordern sie, dass Medienkompetenz wichtiger werden sollte, zum Beispiel im Schulunterricht, damit es für Laien einfacher ist, Online-Inhalte zu bewerten. Außerdem fanden sie auffällig, wie wenige Videos zum Impfen von Forschenden oder wissenschaftlichen Institutionen stammen. Auch hier sehen sie Nachholbedarf.

Einschränkungen: Eine Limitation ist die Stichprobengröße von letztendlich 97 Videos. Eine größere Stichprobe würde vermutlich einen noch besseren Überblick über den Diskurs im deutschsprachigen Youtube geben. Außerdem hat nur eine Codiererin die Videos untersucht, deshalb konnten keine Codierungen von verschiedenen Personen verglichen werden. Es wäre darüber hinaus noch interessant gewesen, die Kommentare unter den Videos zu untersuchen.

Beseler, A. B.; Schmid-Petri, H. (2020): Schutz durch Impfungen versus potenzielle Risiken? Die Diskussion über das Thema „Impfen und Impfungen“ in deutschsprachigen YouTube-Videos. Medien & Kommunikationswissenschaft. https://doi.org/10.5771/1615-634X-2020-4-428

Motivationen für Citizen-Science-Projekte

Warum beteiligen sich Menschen an Citizen-Science-Projekten – oder eben Bürgerwissenschaften? Und schaffen diese Projekte es, ein möglichst diverses Publikum zu erreichen? Denn immerhin ist es oft ein Ziel, so viele unterschiedliche Menschen wie möglich für die Forschung zu begeistern. Diese Fragen hat eine internationale Forschungsgruppe um Yaela Golumbic von der Universität Sydney mithilfe von qualitativen und quantitativen Methoden untersucht .

Methodik: Die Forschenden haben das Projekt „Sensing the Air“ untersucht, ein Citizen-Science-Projekt, das sich in Haifa, Israel, mit der Luftqualität dort beschäftigt hat. Luftverschmutzung ist ein wichtiges Thema für die Einwohner und Einwohnerinnen von Haifa. Bei „Sensing the Air“ kann man sich entweder selbst beteiligen, indem man Mess-Sensoren verteilt und abliest, oder man besucht die Website und informiert sich dort über die Luftqualität in Haifa. Die Forschenden haben beide Gruppen in ihrer Studie untersucht. Die Aktivität der Website-Besucher und Besucherinnen wurde automatisch aufgezeichnet, außerdem konnten sie einen Fragebogen beantworten. Diejenigen, die selbst Sensoren verteilten, wurden in teilweise strukturierten Interviews befragt und sollten außerdem einen Bericht schreiben, der wie eine wissenschaftliche Veröffentlichung aufgebaut war. Auch die Kommunikation im Projekt wurde dokumentiert, zum Beispiel E-Mails und Online-Kommentare.

Ergebnisse: Im Verlauf des Projekts registrierten sich 436 Personen auf der Website, 100 davon besuchten die Seite mindestens drei Mal. Hauptsächlich nutzten die Website-Besucher und Besucherinnen die Seite dazu, um die Daten zur Luftqualität anzuschauen und damit zu interagieren – also zum Beispiel Sensoren auszuwählen. Die Bürger und Bürgerinnen, die die Sensoren verteilten, waren aber noch aktiver im Projekt und ihre Motivation war für die Forschenden deshalb noch interessanter. Auffällig war für die Forschenden erst einmal, dass die Bürger und Bürgerinnen die Sensoren vor allem im privaten, engen Umfeld verteilten: etwa in den eigenen Häusern, auch um die Luftqualität in verschiedenen Räumen zu vergleichen oder auf dem Arbeitsweg. Mithilfe der Interviews und der Kommunikation im Projekt fanden die Forschenden fünf Motivationskategorien für eine Beteiligung am Projekt. Zuerst die besorgten Bürger und Bürgerinnen, die sich Gedanken über die Luftqualität in Haifa und vor allem über die Gesundheit ihrer Familien machten. Eine weitere Kategorie war an Bildung interessiert. Das waren vor allem Lehrer und Lehrerinnen, die das Projekt etwa in den Unterricht einbanden. Einige Teilnehmer und Teilnehmerinnen engagierten sich aktivistisch für die Umwelt und hofften, durch das Projekt ihre Vermutung über die schlechte Luftqualität zu bestärken. Als das nicht geschah, misstrauten sie eher den Daten und beendeten ihre Teilnahme am Projekt. Manche waren einfach persönlich interessiert an dem Thema Luftqualität und waren besonders engagiert. Sie investierten zusätzliche Zeit und führten eigene Experimente durch. Die letzte Kategorie umfasst die Opportunisten und Opportunistinnen, die nur teilnahmen, weil sie selbst Luftverschmutzung ausgesetzt waren. Einige hatten beispielsweise ihre Häuser in einem Feuer verloren und wollten nun untersuchen, wie stark die Luft dort nach dem Brand verschmutzt war.

Schlussfolgerungen: In der Studie zeigt sich, wie unterschiedlich die Motivation von Menschen sein kann, sich an Citizen-Science-Projekten zu beteiligen. Persönliche Ziele spielen eine große Rolle dabei, in welchem Ausmaß die Personen sich beteiligt haben. Beispielsweise waren die Umweltaktivisten und -aktivistinnen weniger bereit teilzunehmen, nachdem ihr Verdacht sich nicht bestätigt hatte. Letztendlich hatten aber die meisten Teilnehmenden eher persönliche Motivationen, ihnen ging es meist nicht darum, einfach nur die Wissenschaft voranzubringen. 

Einschränkungen: Die Motivationen von Teilnehmenden an solchen Projekten können sich je nach Thema stark unterscheiden. „Sensing the Air“ drehte sich stark um Umweltthemen und untersuchte ein kontroverses Thema – die Luftverschmutzung. Andere, weniger kontroverse Projekte könnten Menschen mit anderen Motivationen anlocken, die nicht in dieser Studie untersucht wurden. Eine weitere Einschränkung ist zudem, dass die Bürger und Bürgerinnen im Projekt nicht so divers waren wie erhofft – sowohl die Website-Besucher und Besucherinnen als auch die Sensor-Verteiler und Verteilerinnen waren eher höher gebildet. Das ist ein Problem, das den Forschenden zufolge viele Citizen-Science-Projekte betrifft: Sie erreichen eher diejenigen, die sowieso schon interessiert an Wissenschaft sind.

Golumbic, Y. N.; Baram-Tsabari, A.; Fishbain, B. (2020): Engagement styles in an environmental citizen science project. Journal of Science Communication (JCOM). https://jcom.sissa.it/archive/19/06/JCOM_1906_2020_A03 .  

Bürgerbeteiligung mit Wissenschafts-Input

Wissenschaftskommunikation spielt im Rahmen von Bürgerbeteiligung schon lange eine Rolle, gerade wenn es um kontroverse wissenschaftliche Themen geht. Bisher sind solche Beteiligungsformate aber kaum untersucht worden. Kaiping Chen hat nun in einer Fallstudie ein Deliberationsforum in Ghana untersucht.

Methodik: Untersuchungsgegenstand war ein Deliberationsforum, dass 2015 in Tamale, einer ghanaischen Großstadt, stattgefunden hat. Auf dieser zweitägigen Veranstaltung diskutierten 208 zufällig ausgewählte Einwohnerinnen und Einwohner die drei Themen Wasser und Hygiene, Lebensunterhalt und Ernährungssicherheit sowie Vorschläge für damit zusammenhängende politische Maßnahmen. Im Vorfeld des Forums erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Informationsvideos, in denen verschiedene Expertinnen und Experten die Themen, die Vorschläge sowie die Vor- und Nachteile selbiger vorstellten.

Chen untersuchte, wer welche Art von Expertise in diesen Videos präsentierte. Auf Basis einer Vorher- und Nachherbefragung ermittelte sie, wie sich die Meinung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer änderte. Zu guter Letzt ermittelte die Forscherin die Qualität der Diskussionen während des Forums, in dem sie die Äußerungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinsichtlich ihres Sachbezugs und ihrer Argumenthaltigkeit bewertete.

Ergebnisse: In den Videos traten verschiedene Akteurinnen und Akteure aus Politik und Wissenschaft,  Aktivistinnen und Aktivisten sowie betroffene Laien auf. Diese brachten wiederum verschiedene Arten von Wissen ein. Die Umfrage unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigte signifikante Meinungsänderung durch das Forum. So sei etwa die Unterstützung von Vorschlägen für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft deutlich gestiegen. Gleichzeitig sei die Qualität der Diskussionen auf dem Forum als hoch einzuschätzen. Die Mehrheit der Meinungsäußerungen und der Antworten auf diese bestünden aus inhaltlichen Argumenten.

Schlussfolgerungen: Die Autorin resümiert, dass Beteiligungsformate auch in Gegenden funktionieren können, wo die Bevölkerung nur über beschränkte Ressourcen verfügt – wenn die Formate an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Dies betrifft im konkreten Fall zum Beispiel den Einsatz von Informationsvideos statt den sonst üblichen Texten, um auch Menschen ohne Lesekenntnisse einzubeziehen. Sowie das Einbinden von vielfältigen Perspektiven statt einer Beschränkung auf rein wissenschaftliche Expertise.

Hinsichtlich der Wirkung solcher Beteiligungsformate auf die Politik verweist Chen nur auf Äußerungen von Vertreterinnen und Vertretern des Lokalparlaments – welche die Wichtigkeit der Ergebnisse betonen – sowie auf die positive Berichterstattung in Lokalmedien. Damit kann eine der zentralen Fragen zu Bürgerbeteiligung nicht zufriedenstellend beantwortet werden.

Einschränkungen: Spannend ist natürlich die Frage, inwiefern sich die Ergebnisse auf andere Länder und Themen übertragen lassen. Da es sich nur um eine Einzelfallanalyse handelt, ist eine Verallgemeinerung nicht ohne Weiteres möglich. Auch bleibt die Frage ungeklärt, wie auf dem Forum mit den verschiedenen Wissensarten umgegangen wurde. Also ob etwa wissenschaftliches Wissen einen anderen Stellenwert hatte als das Alltagswissen der betroffenen Laien.

Chen, K. (2020). How deliberative designs empower citizens’ voices: A case study on Ghana’s deliberative poll on agriculture and the environment. Public Understanding of Science, 096366252096674. https://doi.org/10.1177/0963662520966742

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Narrative Erzählungen über den Klimawandel können die Wahrnehmung von Risiken und die Handlungsbereitschaft von Menschen beeinflussen. Dadurch können die Gräben zwischen verschiedenen Gruppen, die etwa durch politische Einstellungen bestehen, verkleinert werden. Das hat ein US-Forschungsteam in einer Studie untersucht. 

Wie nimmt die Bevölkerung die Corona-Pandemie wahr? Und welche psychologischen Herausforderungen bringt das für die Kommunikation mit sich? Das untersucht das Projekt „COSMO — COVID-19 Snapshot Monitoring “ in regelmäßigen Erhebungen. Die Ergebnisse stellen sie für Behörden, Medienvertreterinnen und Medienvertreter und die Bevölkerung zur Verfügung.