Doppelstandards bei der Bewertung wissenschaftlicher Studien, Tipps für die Kommunikation zwischen Forschern und Politikern sowie die Nachteile populärwissenschaftlicher Texte: Das sind die Themen in unserem aktuellen Forschungsrückblick.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im November 2017
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse aus der „Science of Science Communication“. Sollten Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Was mir nicht passt, ist schlechte Wissenschaft: Warum wir Studienergebnisse mit zweierlei Maß messen
Weshalb glauben konservative US-Amerikaner viel seltener als ihre liberal eingestellten Landsleute, dass Menschen den Klimawandel befeuern – selbst bei gleichem Bildungsstand? Offenbar bewerten sie dieselben wissenschaftliche Erkenntnisse anders. In einem neuen Artikel in der Psychologischen Rundschau beschreibt ein Forscherteam um Tobias Rothmund von der Universität Koblenz-Landau dieses Phänomen als „motivierte Wissenschaftsrezeption“.
Methodik: In ihrer Literaturübersicht beziehen sich die Autoren auf das Konzept der „motivierten Informationsverarbeitung“, das in der Sozialpsychologie schon lange untersucht wird. Dieses übertragen sie darauf, wie Menschen wissenschaftliche Befunde interpretieren. In früheren Untersuchungen hatte die Forschergruppe etwa festgestellt, dass „Gamer“ im Vergleich zu Probanden, die keine Videospiele spielen, eine Studie viel kritischer bewerten, wenn diese einen Effekt von Mediengewalt auf aggressives Verhalten findet.
Ergebnisse: Das Phänomen der motivierten Wissenschaftsrezeption ist offenbar nicht neu. Schon in den 1980er-Jahren hatten Psychologen gezeigt: Versuchspersonen, die in einem Intelligenztest schlechter abschneiden, stellen die Wissenschaftlichkeit des Tests eher infrage als erfolgreichere Probanden. Das Motiv dahinter ist, Informationen abzuwerten, die dem Selbstbild, den persönlichen Einstellungen oder der sozialen Identität widersprechen. Die „forschungskritische“ Verarbeitung äußert sich dann beispielsweise darin, die methodische Qualität der Studie oder die Vertrauenswürdigkeit der beteiligten Forscher anzuzweifeln.
Schlussfolgerungen: Kognitive Verzerrungen bei der Rezeption wissenschaftlicher Themen treten vor allem dann auf, wenn die Studienergebnisse das Selbstkonzept einer Person bedrohen. Ähnliche Prozesse sind in der Sozialpsychologie vielfach belegt. In der Literatur finden sich zudem Hinweise darauf, wie solche Effekte möglicherweise durch geeignete Kommunikation vermindert werden können. Bestärkt man beispielsweise die Rezipienten zunächst in ihrem Selbstkonzept oder ihrer sozialen Identität, verspüren sie anschließend weniger das Bedürfnis, unliebsame Forschungsbefunde in Zweifel zu ziehen.
Einschränkungen: Die Forscher um Rothmund stützen sich auf umfangreiche Vorarbeiten zur motivierten Informationsverarbeitung. Dennoch ist die motivierte Wissenschaftsrezeption ihnen zufolge ein eigenständiger Forschungsgegenstand, da wissenschaftliches Wissen besondere Merkmale aufweise (zum Beispiel in Bezug auf seine Vorläufigkeit) und eine wichtige Rolle für gesellschaftliche Debatten spiele. Wie stark sich diese Verzerrung tatsächlich von bereits bekannten Phänomenen unterscheidet, muss jedoch die weitere empirische Untersuchung dieses Konstrukts noch zeigen.
Wie mit Politikern über Klimawandel sprechen?
In einem aktuellen Buchkapitel widmen sich der Umweltwissenschaftler Garrett Richards (University of Saskatchewan) und die Kommunikationsforscherin Rebecca Carruthers Den Hoed (University of Calgary) dem Dialog zwischen Forschern und Politikern. Denn während beispielsweise unter Klimaforschern kein ernsthafter Zweifel mehr besteht, dass Menschen die globale Erwärmung zumindest beschleunigen – mit teils katastrophalen zu erwartenden Folgen –, sind die politischen Bemühungen, dagegenzusteuern, nach wie vor ziemlich mau. Es könne nicht daran liegen, dass den Politikern zu wenig Informationen vorlägen, sagen Richards und Carruthers Den Hoed. Also hapere es offenbar an der Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte speziell an diese Zielgruppe.
Methodik: Die Autoren listen zunächst auf, welche Barrieren generell zwischen Wissenschaft und Politik bestehen, etwa unterschiedliche Auffassungen darüber, wann Erkenntnisse als gesichert gelten dürfen, oder Verständigungsschwierigkeiten. Dann analysieren sie drei Fälle aus Kanada, in denen Klimaforscher mit Behörden auf Ebene der Kommunen, der Provinzen (vergleichbar mit unseren Bundesländern) sowie mit der Bundesregierung zusammengearbeitet haben. Anhand von Gesprächen mit sieben wissenschaftlichen Akteuren, elf Politkern und zwei Vermittlern, die jeweils an einem dieser Prozesse beteiligt waren, identifizierten sie erfolgreiche Kommunikationsstrategien.
Ergebnisse: Diese sieben Vorgehensweisen waren laut Richards und Carruthers Den Hoed am besten geeignet, um eine Brücke zwischen Wissenschaft und Politik zu schlagen:
- Gefahr durch Nichthandeln: Selbst wenn Prognosen aus wissenschaftlicher Sicht stets zu einem gewissen Grad mit Unsicherheit behaftet sind, gilt es Politikern gegenüber hervorzuheben, dass Nichtstun mit großer Wahrscheinlichkeit einen realen Schaden nach sich ziehen wird.
- Alltägliche Auswirkungen: Der Bezug auf alltägliche Ereignisse hilft, die Effekte des Klimawandels begreifbar zu machen, sei es die Zunahme extremer Wetterlagen oder auch – vielleicht besonders in Kanada relevant – schlechtere Möglichkeiten zum Schlittschuhlaufen und Eishockeyspielen im Freien.
- Kurzfristige Effekte: Aufgrund der kurzen Wahlperioden hilft ein Fokus auf aktuelle, bereits eingetretene Auswirkungen des Klimawandels. Ein Beispiel dafür ist der Hinweis darauf, dass sich bestimmte Baumschädlinge durch die milderen Winter bereits ausgebreitet haben und dadurch Waldlandschaften bedrohen.
- Erfolgsgeschichten: Ausschließlich negative Botschaften können dazu führen, dass sich die Rezipienten abschotten. Als Beispiel für eine Erfolgsgeschichte nannten die Befragten wiederholt das Städtchen Castlegar in British Columbia, das dank gewissenhafter Vorbereitung bei einer schweren Überschwemmung glimpflich davonkam.
- Lokale Lösungen: Es ist günstig, den Fokus auf kommunale oder regionale Problemlösungen zu lenken statt auf globales Veränderungen, da erstere einfacher umzusetzen sind.
- Politische Implikationen: Umweltschutz an sich hat für viele Regierungen eine eher niedrige Priorität. Daher sollte man Politikern gegenüber betonen, welche negativen Auswirkungen der Klimawandel auch auf die Wirtschaft des Landes oder auf die Gesundheit der Bevölkerung haben kann.
- Einbeziehung der Rezipienten: Statt „Frontalunterricht“ durch wissenschaftliche Experten ist es besser, mit dem Zielpublikum zusammenzuarbeiten. So können etwa speziell geschulte oder informierte Mitarbeiter der Behörden selbst in Vorträgen zu Wort kommen und dabei beispielsweise auch von der Regierung erhobene Daten einfließen lassen.
Schlussfolgerungen: Wer mit politischen Entscheidungsträgern über Forschungsergebnisse zum Klimawandel spricht, sollte Risiken klar benennen, aber auch Chancen und praktisch umsetzbare Gegenmaßnahmen aufzeigen. Verschiedene Kommunikationsstrategien können dabei helfen, eher abstrakte Themen für die Rezipienten greifbarer zu machen und dadurch deren unmittelbare Relevanz hervorzuheben.
Einschränkungen: Die Befunde basieren auf Interviews mit nur einer kleinen Gruppe von Akteuren. Zudem beschränkt sich die Analyse auf Fallbeispiele und Experten aus Kanada. Untersuchungen dazu, inwieweit die Erkenntnisse auf andere Länder übertragbar sind, stehen ebenso noch aus wie experimentelle Tests der empfohlenen Kommunikationsstrategien.
Wie einfach ist zu einfach?
Wissenschaft ist kompliziert. Deshalb wird bei der Vermittlung von Forschungsergebnissen an Laien oft vieles weggelassen, was aus Sicht von Experten essenziell ist: etwa Details der Methodik und der statistischen Auswertung oder eine Einordnung in den bisherigen Forschungsstand. Die vereinfachte Darstellung von Forschung kann das Interesse an Wissenschaft stärken und Menschen bei Entscheidungen unterstützen, bei denen wissenschaftliche Evidenz eine Rolle spielt. Wie Forscher um Lisa Scharrer (Universität Bochum) und Rainer Bromme (Universität Münster) herausfanden, kann jedoch die populäre Aufbereitung von Wissenschaft auch dazu führen, dass die Rezipienten ein allzu großes Zutrauen in ihr Wissen entwickeln.
Methodik: Die Forscher gaben den 73 Teilnehmern Texte zu lesen, in denen neue wissenschaftliche Erkenntnisse diskutiert wurden wie „Chilis senken den Blutdruck“ oder „Kaffee schützt vor Prostatakrebs“. Zu vier solcher Themen erhielten die Probanden entweder einen Text aus populären Medien wie Spiegel Online oder Stern.de oder eine Publikation für ein Fachpublikum, beispielsweise aus der Ärzte Zeitung. Anschließend sollten sie einschätzen, wie zuversichtlich sie waren, die in den Beiträgen diskutierten Zusammenhänge bewerten zu können – also zum Beispiel zu beurteilen, ob Chilischoten wirklich gut für den Blutdruck sind. Außerdem wurden sie gefragt, ob sie sich erst noch weiter informieren müssten, um zu einem Urteil gelangen zu können, oder ob sie gerne die Hilfe eines Experten in Anspruch nehmen würden.
Ergebnisse: Nach der Lektüre eines Artikels stieg die Zuversicht der Probanden in ihr eigenes wissenschaftliches Urteilsvermögen sprunghaft an – und zwar bei den populärwissenschaftlichen Beiträgen deutlich stärker als bei den fachlichen Texten. Zudem verringerte sich nach dem Lesen von Spiegel Online & Co. das Bedürfnis, einen Experten zu Rate zu ziehen. Dabei hielten die Versuchspersonen beide Textarten für ähnlich glaubwürdig.
Schlussfolgerungen: Der von den Forschern so getaufte „Effekt der Einfachheit“ führt dazu, dass Menschen nach dem Lesen populärwissenschaftlicher Texte ihr Urteilsvermögen auf dem entsprechenden Gebiet überschätzen. Dies könne sich wiederum negativ auf Entscheidungen auswirken, bei denen Forschungsergebnisse eine Rolle spielen, so die Autoren – etwa zu medizinischen Therapien oder zu Umweltrisiken. Kommunikatoren könnten den Effekt aber abmildern, indem sie beispielsweise darauf hinweisen, dass eine Forschungsfrage komplex oder umstritten ist.
Einschränkungen: Der Effekt wurde nur anhand medizinischer Themen untersucht, ob er auf andere Forschungsgebiete übertragbar ist, bleibt deshalb abzuwarten. Offen ist zudem die Frage, ob eine verständliche Berichterstattung dazu führt, dass man die entsprechende Befunde dann auch im Entscheidungsprozess stärker gewichtet. Da authentische Medienbeiträge und keine manipulierten Stimuli zum Einsatz kamen, lässt sich zudem nicht genau sagen, welche Eigenschaften der Texte konkret den Effekt hervorgerufen haben.