Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Mai 2020

Ein impfskeptisches Netzwerk auf Twitter, überraschend viel Wissenschaft auf Facebook und Einstellungen zum autonomen Fahren: Das waren einige Themen in der Wisskomm-Forschung im Mai.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Wie sich impfkritische Bilder auf Twitter verbreiten

Sharepics und andere Bilder erhalten in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook mehr Aufmerksamkeit als reine Textbeiträge. Forschende um Elena Milani von der University of the West of England (Bristol) wollten in einer aktuellen Studie herausfinden, wie sich bildhaltige Tweets pro und contra Impfungen verbreiten.

Methodik: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sammelten von drei Monaten im Jahr 2016 sämtliche Tweets mit Bildern, die einen von zehn einschlägigen Hashtags enthielten (wie #vaccines, #antivax oder #vaccineswork). Die insgesamt 9.283 Kurznachrichten werteten sie inhaltlich aus und unterzogen Nachrichten und Accounts anschließend einer Netzwerkanalyse. Diese beruht unter anderem darauf, wie häufig sich Nutzerinnen und Nutzer gegenseitig retweeten und verlinken.

Ergebnis der Netzwerkanalyse für Tweets im Oktober 2016: Jeder schwarze Punkt bezeichnet einen Twitter-Account, rote Linien stellen impfkritische Tweets dar, blaue Linien Tweets pro Immunisierungen. Weitere Erläuterungen / Copyright: Milani, E. et al.: The visual vaccine debate on Twitter: A social network analysis, CC BY 4.0

Ergebnisse: Eine leichte Mehrzahl der Tweets und auch die Mehrheit der „Schlüsselaccounts“, die einen besonderen Einfluss auf ihr Netzwerk haben, waren gegenüber Impfungen negativ eingestellt. Es ließen sich klar zwei Communitys ausmachen: In einem impfkritischen Netzwerk wurden Falschinformationen, Verschwörungstheorien oder „besorgte“ Aussagen über Immunisierungen geteilt (zum Beispiel, dass Impfstoffe besser getestet werden sollten, bevor sie eingesetzt werden). Im zweiten Netzwerk dagegen dominierten Tweets, die Impfungen generell befürworteten oder auf wissenschaftliche Studien zum Thema verwiesen. Zwischen diesen beiden Netzwerken gab es so gut wie keine Überschneidungen in Form von Retweets und kaum direkte Kontakte. Zentrale Akteurinnen und Akteure pro Impfungen waren Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, Personen aus Gesundheitsberufen und aus der Wissenschaft. Gegen Impfungen argumentierten vor allem Aktivistinnen und Aktivisten sowie Eltern.

Die Netzwerkbilder zeigen den Forschenden zufolge außerdem, dass die impfkritischen Accounts deutlich besser vernetzt sind, was sich etwa in höheren Retweet-Raten untereinander zeigt, und dass sie kaum Tweets zum Thema Impfungen von außerhalb ihres Netzwerks aufgreifen. Die impffreundlichen Nutzerinnen und Nutzer dagegen waren stärker verstreut und brachten häufiger auch mal Informationen von außerhalb in ihr Netzwerk ein, wie Links zu Artikeln auf Nachrichtenseiten.

„Der starke Zusammenhalt unter den Impfgegnerinnen und -gegnern könnte deren Tendenz stärken, Informationen von Außenstehenden gegenüber skeptisch zu sein.“
Schlussfolgerungen: Die Studie bestätigt ein Ergebnis früherer Untersuchungen, nämlich dass impfkritische und impffreundliche Nutzerinnen und Nutzer auf Twitter nur selten miteinander sprechen und noch seltener die gleichen Inhalte zum Thema teilen. Der starke Zusammenhalt vor allem unter den Impfgegnerinnen und -gegnern könnte deren Tendenz stärken, Informationen von Außenstehenden gegenüber skeptisch zu sein, so die Forschenden. Statt diese Netzwerke von außen anzusprechen, solle man daher seine Kommunikationsbemühungen eher auf die allgemeine Öffentlichkeit beziehungsweise auf zum Thema Impfen noch unentschlossene Personen konzentrieren.

Einschränkungen: In früheren Studien überwogen tendenziell positive oder neutrale Aussagen über Impfungen auf Twitter. Das dies im aktuellen Fall anders war, führen die Forschenden auf ihre Auswahlkriterien für die Tweets zurück. Zum einen gab es die vorab festgelegten Hashtags (statt einer generellen Suche nach dem Wort „Impfungen“ irgendwo im Tweet), zum anderen musste ein Bild enthalten sein. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass Impfgegnerinnen und -gegner auf Twitter generell in der Überzahl sind.

Milani, E., Weitkamp, E. & Webb, P. (2020). The visual vaccine debate on Twitter: A social network analysis. Media and Communication, 8, 2. https://doi.org/10.17645/mac.v8i2.2847

Facebook: Mehr Wissenschaft als gedacht

Viele Forschende haben in den vergangenen Jahren Twitter als Ort für fachlichen Austausch oder auch für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit entdeckt. Das größte soziale Netzwerk der Welt, Facebook, gilt trotz 6-mal so vielen Nutzerinnen und Nutzern in dieser Hinsicht bislang eher als uninteressant. Das könnte allerdings zum Teil daran liegen, dass viele wissenschaftliche Informationen auf Facebook nicht öffentlich geteilt werden, argumentiert ein Team um den Kommunikations- und Datenwissenschaftler Asura Enkhbayar von der kanadischen Simon Fraser University nun in einer Veröffentlichung.

Methodik: Die Forschenden untersuchten alle Artikel, die von 2015 bis 2017 im Open-Access-Journal PLOS ONE veröffentlicht wurden – insgesamt 61.848 Fachbeiträge aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen. Sie zapften die Programmierschnittstelle von Facebook (Graph API) an, um die Interaktionsrate für Postings zu erhalten, in denen einer der PLOS-ONE-Artikel verlinkt wurde. Mit dieser Methode konnten sie auch nichtöffentliche Facebook-Beiträge erfassen, allerdings aus Datenschutzgründen nur deren Anzahl, nicht den genauen Inhalt. Die so erhaltenen Informationen verglichen die Forschenden mit einer traditionellen Messung der Verbreitung der wissenschaftlichen Beiträge auf Facebook, wie sie auch von Altmetric verwendet wird. Dabei werden nur öffentliche Gruppen und Seiten des Netzwerks nach den entsprechenden Links auf die Studien durchsucht.

„Die Mehrzahl der Facebook-Postings mit Links zu Fachbeiträgen findet sich außerhalb öffentlich einsehbarer Bereiche auf dem sozialen Netzwerk.“
Ergebnisse: Rund 16 Prozent aller wissenschaftlichen Artikel wurden in öffentlich einsehbaren Facebook-Postings verlinkt. Nahm das Team jedoch private Postings dazu, wurden 35 Prozent der Artikel auf Facebook aufgegriffen. (Zum Vergleich: Auf Twitter fanden 70 Prozent der Fachbeiträge mindestens einmal Erwähnung.) Dabei gab es noch einmal Unterschiede zwischen den Fachdisziplinen. Beiträge aus den Ingenieurwissenschaften, Physik oder Chemie beispielsweise wurden auf Facebook besonders häufig nur in privat einsehbaren statt in öffentlichen Postings geteilt.

Schlussfolgerungen: Die Bedeutung von Facebook für die Wissenschaftskommunikation, speziell für die Verbreitung wissenschaftlicher Originalarbeiten, wurde zumindest nach dieser Untersuchung bislang unterschätzt, schreiben die Forschenden. Die Mehrzahl der Postings mit Links zu Fachbeiträgen findet sich dabei außerhalb öffentlich einsehbarer Bereiche auf dem sozialen Netzwerk.

Einschränkungen: Aus Gründen der Praktikabilität wurden „nur“ die Veröffentlichungen eines Journals untersucht – das Ergebnis ist daher nicht unbedingt auf alle wissenschaftlichen Publikationen übertragbar. Dank des breiten Umfangs von PLOS ONE ist aus den Daten bereits ersichtlich, dass das Verhältnis von öffentlichen zu nichtöffentlichen Erwähnungen auf Facebook auch von der konkreten Fachdisziplin abhängt. Zuletzt weisen die Autorinnen und Autoren darauf hin, dass private Postings in der Wissenschaftskommunikation eine andere Rolle spiele dürften als öffentlich einsehbare Beiträge.

Enkhbayar, A., Haustein, S., Barata, G. & Alperin, J. P. (2020). How much research shared on Facebook happens outside of public pages and groups? A comparison of public and private online activity around PLOS ONE papers. Quantitative Science Studies. https://doi.org/10.1162/qss_a_00044

Wenn Weltanschauung auf Technologie trifft

Fast jede neue Technologie hat bislang noch zumindest in Teilen der Bevölkerung Misstrauen oder Ablehnung hervorgerufen. Doch welche Rolle spielen dabei politische Überzeugungen? Vor allem in den USA ist die Wahrnehmung wissenschaftlicher Themen stark von der politischen Gesinnung geprägt, etwa beim Klimawandel oder bei Impfungen. Der Kommunikationswissenschaftler Yilang Peng von der University of Georgia hat nun untersucht, ob die Weltanschauung auch das Urteil über selbstfahrende Autos beeinflusst.

Methodik: Peng analysierte Daten aus der repräsentativen Umfrage eines Marktforschungsinstituts unter 3.341 Bürgerinnen und Bürgern in den USA. Darin ging es neben der politischen Überzeugung der Befragten auch um Einstellungen zum autonomen Fahren: Etwa, für wie gefährlich sie persönlich selbstfahrende Autos halten (Beispielfrage: „Wie sicher würde es sich für Sie anfühlen, die Straße mit einem führerlosen Lkw zu teilen?“) und wie strikt die neue Technologie ihrer Meinung nach reglementiert werden sollte (Beispiel: „Würden Sie es befürworten oder ablehnen, dass autonome Fahrzeuge auf eigens eingerichteten Spuren fahren müssen?“).

Selbstfahrendes Auto von Google: Autonomer Verkehr könnte einen neuen „ideologischen Graben“ zwischen konservativen und progressiven Teilen der US-Bevölkerung aufreißen, legt eine neue Studie nahe. Foto: Steve Jurvetson, CC BY 2.0

Ergebnisse: Sowohl eine konservative Haltung im Allgemeinen als auch speziell die Zuneigung zur Republikanische Partei gingen mit einem größeren Misstrauen gegenüber selbstfahrenden Autos einher. Besonders ausgeprägt war der Zusammenhang für Konservatismus in Bezug auf gesellschaftliche und moralische Traditionen. Ein Hang zum Wirtschaftsliberalismus, der in den USA stark mit der republikanischen Partei verknüpft ist, wirkte sich dagegen nicht so stark auf die Einstellungen zum autonomen Fahren aus. Generell etwas weniger besorgt waren Befragte, die sich nach eigenen Angaben schon mehr mit dem Thema beschäftigt hatten und die in einem Wissenschafts-Quiz besser abschnitten.

Schlussfolgerungen: Die Akzeptanz neuer Technologie hängt auch von der politischen Einstellung ab. In den USA zeichnet sich Peng zufolge eine neue ideologische Kluft ab, diesmal in Bezug auf autonomes Fahren. Noch spiele hier aber die generelle Weltanschauung eine größere Rolle als die konkreten parteipolitischen Präferenzen, anders als etwa in der Debatte um den Klimawandel.

Einschränkungen: Die Erkenntnisse gelten nur für die USA – wo eine noch viel stärkere politisch-gesellschaftliche Polarisierung herrscht als beispielsweise in Deutschland – und für die Technologie selbstfahrender Autos. Peng weist darauf hin, dass Konservatismus nicht generell mit der Ablehnung neuer Technologien einhergehen müsse. Der automatischen Gesichtserkennung etwa, in Kombination mit Videoüberwachung, könnten Konservative zwecks „Bewahrung der sozialen Ordnung“ aufgeschlossener gegenüberstehen als liberal eingestellte US-Bürgerinnen und -Bürger. Die Umfragedaten stammen zudem aus dem Jahr 2017, seitdem ereigneten sich einige Unfälle mit selbstfahrenden Autos, die noch nicht auf das Stimmungsbild einwirken konnten.

Peng, Y. (2020). The ideological divide in public perceptions of self-driving cars. Public Understanding of Science, 29, 436–451. https://doi.org/10.1177/0963662520917339

Mehr Aktuelles aus der Forschung

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Die Kurzmeldungen zur Wissenschaftskommunikationsforschung erscheinen alle 14 Tage im Panoptikum.