Wie Forscher auf die Gesellschaft blicken, warum der Hinweis auf einen wissenschaftlichen Konsens nicht alle überzeugt, und wie Twitter die Sichtbarkeit von Fachartikeln unter Wissenschaftlern erhöht: Das sind unsere Themen im aktuellen Forschungsrückblick.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Mai 2018
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Ergebnisse aus der Forschung zur Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Wie Nanowissenschaftler die Öffentlichkeit sehen
Bürgerinnen und Bürger sollten möglichst frühzeitig in Forschungsprozesse einbezogen werden – darüber sind sich die meisten Experten, die sich mit der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft beschäftigen, einig. Doch wie nehmen die Forschenden selbst eigentlich diese Beziehung wahr? Die Wissenschaftssoziologin Regula Valérie Burri von der HafenCity Universität Hamburg befragte nun für eine neue Studie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu, welche Rolle die Öffentlichkeit für ihre Arbeit spielt.
Methodik: Für ihre qualitative Untersuchung wählte Burri Personen aus, die in der Schweiz über Nanomaterialien forschen – ein noch recht junges Forschungsfeld also, bei dem für Experten, aber insbesondere für Laien, noch viele Fragen offen sind. Die Forschenden waren alle bereits als Kommunikatoren in Erscheinung getreten, beispielsweise durch öffentliche Vorträge, Schulprojekte oder die Arbeit in öffentlichen Gremien. Zehn Wissenschaftler (darunter eine Frau) befragte Burri ausführlich zu ihrer Sicht auf das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Alle waren Professoren oder Senior-Wissenschaftler an vier Schweizer Universitäten sowie einem Forschungsinstitut.
Ergebnisse: Alle Interviewten hielten es für sehr wichtig, dass sich Bürgerinnen und Bürger mit Wissenschaft beschäftigen, sowohl in formellen wie auch informellen Rahmen. Keiner von ihnen verstand darunter aber eine aktive Rolle von Laien im Forschungsprozess selbst. Stattdessen beschränkte sich das Verhältnis zur Öffentlichkeit stets darauf, dass Forscher ihre Ergebnisse verbreiten und nutzbar machen sollten. Darüber hinaus identifizierte Burri vier unterschiedliche Arten, wie die Wissenschaftler diese Beziehung zur Öffentlichkeit charakterisierten:
- Pädagogisch: Wissenschaftler müssen die Öffentlichkeit schlicht über neue Forschungsergebnisse informieren. Die Kommunikation findet nur in eine Richtung statt.
- Paternalistisch: Auch hier fließt Information nur von der Wissenschaft zur Öffentlichkeit, ein echter Dialog ist nicht denkbar. Bürgerinnen und Bürger werden jedoch nicht als reine Informationsempfänger gesehen, sondern artikulieren aktiv ihre Befürchtungen und Hoffnungen. Auf diese gilt es in der Kommunikation einzugehen.
- Elitär: Nach dieser Denkweise gibt es eine kleine Gruppe von wissenschaftlichen Laien, die sehr an einem bestimmten Feld interessiert ist und auch in der Lage ist, sich in schwierige Themen einzuarbeiten. Mit diesen ist ein echter Diskurs möglich, zum Beispiel im Rahmen von Ethikkommissionen. Der Großteil der Öffentlichkeit ist diesem Modell zufolge jedoch nicht dazu befähigt. Diese Menschen gilt es lediglich zu informieren.
- Ökonomistisch: Diese Forscher sehen Bürgerinnen und Bürger vor allem als Konsumenten. Sie nehmen Einfluss auf die Verwendung von Forschungsergebnissen, indem sie neue Produkte kaufen oder diese ablehnen. Es gibt dabei verschiedene Nutzertypen mit unterschiedlichen Präferenzen und Bedürfnissen.
Schlussfolgerungen: Nanowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nutzen verschiedene Modelle, um das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit zu beschreiben. Keiner der Befragten befürwortete jedoch ein so genanntes „upstream engagement“, bei dem Bürgerinnen und Bürger schon frühzeitig in die Planung von Untersuchungen einbezogen werden. Laien gelten ihnen in der Mehrzahl als zu wenig kenntnisreich, um einen echten Dialog zu führen.
Einschränkungen: Die Untersuchung basiert auf nur zehn Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus einem speziellen Fachgebiet, der Forschung an Nanomaterialien. Ob die hier gefundenen Denkweisen auch bei Forschern anderer Fachgebiete vorherrschen, ist daher nicht sicher. Alle Interviewpartner waren bereits am oberen Ende der akademischen Karriereleiter angekommen – interessant wäre daher zu untersuchen, ob Nachwuchsforscher andere Ideen zur Einbeziehung der Öffentlichkeit in ihre Arbeit haben.
Konsens überzeugt nicht alle
Die politischen Überzeugungen und Weltanschauungen, die Menschen haben, beeinflussen auch, wie sie auf Wissenschaftskommunikation reagieren – so etwa beim Klimawandel. Unter Kommunikatoren kursiert daher seit einiger Zeit die Empfehlung, besonders deutlich zu machen, wenn Forschende sich in einer Sache einig sind. Dies soll ein objektiveres wissenschaftliches Urteil signalisieren. Der Kommunikationswissenschaftler Graham Dixon und seine Mitarbeiterin Austin Hubner von der Ohio State University haben nun überprüft, inwieweit wissenschaftlicher Konsens tatsächlich politisch voreingenommene Personen überzeugen könnte.
Methodik: 310 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten einen Fragebogen zu ihren politischen Überzeugungen ausfüllen. Anschließend bekamen sie eine von drei schlichten Botschaften präsentiert. Eine davon sollte dem Weltbild konservativer Personen zuwiderlaufen („Die Mehrheit der Wissenschaftler glaubt, dass der Klimawandel existiert und menschengemacht ist“), eine eher die Überzeugung liberaler – nach US-Terminologie also politisch links stehender – Probanden attackieren: „Die Mehrheit der Wissenschaftler ist dafür, verstärkt Kernkraftwerke in den Vereinigten Staaten zu bauen“. Eine dritte Botschaft war neutral gehalten („Die Mehrheit der Wissenschaftler sind Experten in den Naturwissenschaften“). Anschließend sollten die Versuchspersonen ihre Gedanken zu den genannten Wissenschaftlern aufschreiben.
Ergebnisse: Konservative Probanden beurteilten die Wissenschaftler immer ähnlich positiv oder negativ, egal welches Statement sie zuvor gehört hatten. Links orientierte Teilnehmer sprangen jedoch auf die Manipulation an: Sie bewerteten Wissenschaftler, die Kernkraftwerke favorisieren, deutlich negativer als in den anderen beiden Bedingungen. In einer zweiten Studie konnten Dixon und Hubner diese Ergebnisse replizieren. Zudem ergänzten sie für manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch den Hinweis, dass die Kraftwerke-Empfehlung darauf abziele, den CO2-Ausstoß zu verringern und die Umwelt zu schützen. Auch dies änderte aber nichts am Urteil der liberal eingestellten Versuchspersonen.
Schlussfolgerungen: Es scheint nach diesen Ergebnissen zumindest fraglich, ob Konsens-Botschaften ein probates Mittel gegen politisches Schubladendenken in der Wissenschaftskommunikation sind. Zwar straften konservative Probanden Wissenschaftler nicht dafür ab, wenn sie hörten, dass unter diesen Konsens über den Klimawandel besteht. Sie bewerten Wissenschaftler aber ohnehin generell negativer als Liberale, auch in der neutralen Bedingung. Links eingestellte Personen wiederum hielten grundsätzlich mehr von Wissenschaftlern, sie reagierten aber auf eine als Konsens formulierte Message, die ihnen nicht passte, mit starker Ablehnung. So leicht scheint demnach das Phänomen der motivierten Informationsverarbeitung nicht zu überlisten – und das gibt es auf beiden Seiten des politischen Spektrums, wie die Studie erneut zeigt.
Einschränkungen: Es ist schwer zu sagen, ob der Klimawandel einerseits und Atomkraft andererseits vergleichbar darin sind, welchen Widerwillen sie im rechten beziehungsweise im linken Lager hervorrufen. So ist es möglich, dass die Debatte um den Klimawandel durch die sehr intensive Medienberichterstattung für konservative US-Amerikaner mittlerweile nicht mehr als großer Aufreger taugt. Früheren Studien zufolge könnte es außerdem einen Unterschied machen, wie groß genau der Konsens unter Wissenschaftlern ausfällt. Einfach von einer „Mehrheit“ zu sprechen, hat daher mutmaßlich andere Wirkungen als die Kommunikation eines bestimmten Prozentsatzes.
Twitter fördert Zitationen
Beeinflusst Wissenschaftskommunikation im Netz auch den Erfolg einer Veröffentlichung innerhalb der Forschergemeinde, etwa indem diese häufiger zitiert wird? Dieser Frage gingen nun Ökologen um Clayton Lamb von der University of Alberta in einer neuen Untersuchung nach.
Methodik: Die Forscher betrachteten 8.322 wissenschaftliche Aufsätze aus den Feldern Ökologie und Umweltschutz, die zwischen 2005 und 2015 publiziert wurden. Neben klassischen Kennzahlen wie der Anzahl der Zitationen und dem Impact-Faktor der Zeitschrift, in dem ein Artikel erschien, erfassten sie auch den sogenannten „Attention Score“ von Altmetric.com. Diese Kennzahl setzt sich unter anderem daraus zusammen, in wie vielen Online-Nachrichten, Blogbeiträgen, Facebook- und Twitter-Postings eine Veröffentlichung verlinkt wird.
Ergebnisse: Das Gros der wissenschaftlichen Arbeiten erreicht online nur eine extrem geringe Aufmerksamkeit. Der durchschnittliche Altmetrics-Score aller Publikationen stieg im Untersuchungszeitraum jedoch an. Hierfür spielte vor allem die zunehmende Nutzung von Twitter eine Rolle. Für Artikel, die zwischen 2005 und 2009 erschienen, fanden Lamb und Kollegen einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Altmetrics-Score und der Anzahl der anschließenden Zitationen in Fachpublikationen. Für Studien aus den Jahren 2010–2015 galt das zwar ebenfalls, hier spielte aber der Impact-Faktor des Journals eine noch größere Rolle. Verlinkungen in Blogbeiträgen, auf Wikipedia sowie auf Twitter stellten sich als wichtigste Altmetrik-Kennzahlen heraus. Wie oft eine Publikation auf Facebook oder in Online-Nachrichten erwähnt wurde, war dagegen weniger entscheidend.
Schlussfolgerungen: Die Aufmerksamkeit, die einer wissenschaftlichen Untersuchung unmittelbar nach der Publikation im Netz zuteil wird, liefert einen guten Hinweis darauf, wie oft sie später von Fachkollegen zitiert wird. Online-Kommunikation auf Twitter und mit Hilfe von Blogs beeinflusst also auch die Sichtbarkeit innerhalb der Scientific Community. Im Gegensatz zu früheren Jahren müssen Forschende aber heute eine größere Aufmerksamkeit generieren, um einen vergleichbaren wissenschaftlichen Nutzen daraus zu ziehen.
Einschränkungen: Die Analyse bezieht sich nur auf das Fachgebiet der Ökologie und ist rein korrelativ. Ob die vom Altmetrics-Score gemessene Aufmerksamkeit, die einem Artikel online widerfährt, kausal mit anschließenden Zitationen zusammenhängt, oder ob beispielsweise die Qualität eines Artikel beidem zugrunde liegt, lässt sich mit der Studie nicht beantworten.