Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juni 2023

Was wissen Menschen in Großbritannien über Klima-Kipppunkte? Können Wissenschaftler*innen von Influencer*innen lernen? Und welche Formen von Beteiligung bevorzugen Menschen bei einem Reallabor in Chemnitz? Das sind Themen im aktuellen Forschungsrückblick.

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

  • Was wissen Menschen über Klima-Kippunkte? Welche halten sie für besonders gefährlich? Rob Bellamy hat dazu Menschen in Großbritannien befragt. 
  • Welchen Unterschied macht es, ob ein*e Wissenschaftler*in oder Influencer*in auf Twitter über wissenschaftliche Themen kommuniziert? Das haben Forscher*innen der University of Michigan getestet. 
  • Welche Formen von Beteiligung funktionieren bei Reallaboren am besten? Was nehmen die Teilnehmer*innen mit? Forscher*innen haben ein Beispiel in Chemnitz untersucht.
  • In der Rubrik „Mehr Aktuelles aus der Forschung“ geht es unter anderem um ChatGPT und künstliche Intelligenz in der Gesundheitskommunikation.

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Was wissen Menschen über Klima-Kipppunkte?

Zu den Kippelementen im Klimasystem gehören der Amazonas-Regenwald, das Arktische Meereis oder auch der sibirische Permafrostboden. Wenn diese Teilsysteme einen bestimmten Schwellenwert erreichen, kommt es zu starken, teils unaufhaltsamen Veränderungen. In den Medien werde immer intensiver über Klima-Kipppunkte berichtet, schreibt Rob Bellamy von der University of Manchester. Wie aber nimmt die Öffentlichkeit diese Berichterstattung wahr? Welche Kippelemente sind am bekanntesten? Für wie wahrscheinlich halten Menschen, dass Schwellenwerte überschritten werden und wie bewerten sie die Wirksamkeit von möglichen Maßnahmen? Das hat der Umweltwissenschaftler in einer repräsentativen Studie untersucht. 

Methode: Bellamy stützt sich auf die Theorie der kulturellen Kognition (cultural cognition). Demnach ist die Wahrnehmung von Risiken und die Reaktionen von Menschen darauf durch die sozialen Gruppen geprägt, denen sie angehören. Dabei spielen vor allem zwei übergreifende Dimensionen von Gesellschaftlichkeit eine Rolle, die zu verschiedenen Weltanschauungen führen: ,Individualismus-Kollektivismus’ und ,Hierarchie-Egalitarismus’. Diese zwei Dimensionen resultieren in vier unterschiedlichen kulturellen Weltanschauungen. Studien zeigten beispielsweise, dass Menschen sich mehr Sorgen um den Klimawandel und andere Umweltrisiken machen, je egalitärer und kollektivistischer sie werden.1

Etwas mehr als ein Viertel der Befragten hatte vor der Teilnahme an der Umfrage noch nie von einem dieser Klima-Kipppunkte gehört.
Für die Studie wurde in Großbritannien eine hinsichtlich des Alters, Wohnorts, Geschlechts, der politischen Orientierung und der sozialen Schicht repräsentative Stichprobe von 1.773 Menschen rekrutiert. 

Einerseits wurde mithilfe einer Skala gemessen, wo sich die Befragten im Spektrum zwischen individualistischen und kollektivistischen Einstellungen einordnen. Mithilfe einer weiteren Skala wurde abgefragt, wo im Spektrum zwischen hierarchischen und egalitären Ideen sich die Befragten einordnen. Dabei wurde die Einstellung gegenüber einem Sozialwesen gemessen, bei dem Autorität mit sozialen Rollen verknüpft ist, die auf der Grundlage von Merkmalen wie Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Klasse zugewiesen werden. Auf Grundlage ihrer Antworten wurden die Befragten vier unterschiedlichen kulturellen Weltanschauungen zugeordnet. 

Sie beantworten, welche von zehn ausgewählten Klima-Kipppunkten ihnen bekannt sind und bekamen dann Informationen über die wichtigsten Auswirkungen, wenn Schwellenwerte überschritten werden. Die Befragten benannten diejenigen Kipppunkte, deren Überschreiten sie für wahrscheinlich hielten, und diejenigen, die ihrer Ansicht nach eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit darstellten.

Außerdem sollten sie verschiedene Optionen zur Bewältigung des Klimawandels bewerten (Energieeinsparung, Energieeffizienz, kohlenstoffarme Energie, CO2-Abscheidung, solares Geoengineering und Anpassung an den Klimawandel). Die erhobenen Daten wurden mit einer Mischung aus quantitativen und qualitativen Methoden analysiert. 

Ergebnisse: Vor der Umfrage waren den Befragten der Verlust des arktischen Meereises (58,3 Prozent der Befragten), der Verlust des Amazonas-Regenwaldes (54,1 Prozent) und der Verlust des grönländischen Eisschildes (49,5 Prozent) am bekanntesten. Das Auftauen des sibirischen Permafrostes (35,6 Prozent), der Eisverlust des westantarktischen (32,8 Prozent) und des ostantarktischen Eisschildes (32,4 Prozent) sowie die Verstärkung von El Niño (28,9 Prozent) waren den Befragten einigermaßen bewusst. Am wenigsten wussten sie über die Verlangsamung der atlantischen Ozeanzirkulation, den Zustand einer „Heißzeit“ (jeweils 19,6 Prozent) sowie das Absterben der borealen Wälder (17,8 Prozent). Etwas mehr als ein Viertel der Befragten hatte vor der Teilnahme an der Umfrage noch nie von einem dieser Klima-Kipppunkte gehört (25,4 Prozent). Es zeigte sich, dass egalitäre Kollektivist*innen ein größeres Bewusstsein für Klima-Kipppunkte hatten als Vertreter*innen anderer Weltanschauungen. Männliche, ältere, gebildetere und sozial höher gestellte Befragte kennen ebenfalls mehr Klima-Kipppunkte als weibliche, jüngere, weniger gebildete und sozial niedriger gestellte Befragte. 

Das Sterben des Amazonas-Regenwaldes wurde als derjenige Klima-Kipppunkt benannt, der am wahrscheinlichsten überschritten wird. Eine Verstärkung von El Niño, eine Verlangsamung der atlantischen Ozeanzirkulation und eine Heißzeit wurden als am wenigsten wahrscheinlich angesehen. 

Die Risikowahrnehmung der Öffentlichkeit wich erheblich von den Einschätzungen von Expert*innen ab.
Das Absterben des Amazonas-Regenwaldes war der Klima-Kipppunkt, der am häufigsten als ernsthafte Bedrohung für die Menschheit angesehen wurde, dicht gefolgt von einer Heißzeit und dem Eisverlust des grönländischen Eisschildes. Die Heißzeit ist insofern ein Ausreißer, da sie selten als Kipppunkt bewertet wurde, der wahrscheinlich überschritten wird, aber als ernsthafte Bedrohung für die Menschheit angesehen wurde.

Es zeigte sich, dass egalitäre Kollektivist*innen und egalitäre Individualist*innen die Wahrscheinlichkeit, dass Klima-Kipppunkte überschritten werden, höher einschätzen als andere Weltanschauungen und hierarchische Individualist*innen diese als signifikant niedriger einschätzen. Egalitäre Kollektivist*innen und egalitäre Individualist*innen schätzen auch die Bedrohung durch die Klima-Kippunkte als signifikant höher ein als andere Weltanschauungen. Frauen und höher gebildete Befragte schätzen die Wahrscheinlichkeit des Überschreitens von Kipppunkten deutlich höher ein als Männer und weniger gebildete Befragte. 

Die Risikowahrnehmung der Öffentlichkeit wich erheblich von den Einschätzungen von Expert*innen ab. Diese bewerten beispielsweise das Verschwinden des Grönlandeises als ein Ereignis mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit und großen Auswirkungen, des arktische Meereis als ein Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit und geringen Auswirkungen und das Verschwinden des Amazonas-Regenwaldes als ein Ereignis mit mäßiger Wahrscheinlichkeit und mäßigen Auswirkungen angesehen.

Die Mehrheit der Befragten schätzte die Wirksamkeit der Reaktion der Menschheit auf den Klimawandel (46,1 Prozent), Klima-Kipppunkte (49,2 Prozent) und die Heißzeit (46,6 Prozent) als ziemlich bis sehr unwirksam ein. Die Mehrheit der Befragten äußerte leichte bis starke Unterstützung für alle sechs in Frage kommenden Reaktionen auf den Klimawandel: Energieeffizienz (82,8 Prozent), Energieeinsparung (79,7 Prozent), kohlenstoffarme Energie (78,8 Prozent), Kohlendioxidbeseitigung (68,5 Prozent), Anpassung (60,1 Prozent) und solares Geoengineering (56,2 Prozent). 

Personen mit einer egalitären Weltanschauung unterstützten alle sechs Reaktionen auf Klima-Kipppunkte deutlich stärker als Personen mit einer hierarchischen Weltanschauung. Die Befragten lieferten viele unterschiedliche Begründungen für und gegen jede mögliche Reaktion auf den Klimawandel. 

Schlussfolgerungen: Die Studienergebnisse sprechen für ein eher gering ausgeprägtes Bewusstsein in der britischen Öffentlichkeit für Klima-Kippunkte. Bemerkenswert ist aus Sicht des Forschers, wie unbekannt die Verlangsamung der Atlantischen Umwälzströmung zu sein scheint. Des Verlustes des arktischen Meereises sind sich hingegen viele Menschen bewusst. Das liege möglicherweise daran, dass solche ikonischen Ökosysteme den Menschen am vertrautesten sind und sie diese deshalb für am gefährdetsten halten, schreibt Bellamy. Das weise auf weiteren Kommunikationsbedarf hin. 

Ein Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und dem Bewusstsein für Klima-Kipppunkte konnte nicht ermittelt werden. Der Forscher schließt daraus, dass das Potenzial dieser Kanäle für die Klimawandel-Kommunikation bisher nicht ausgeschöpft wird. 

Die britische Öffentlichkeit zeigte sich sehr skeptisch, was die Wirksamkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel angeht. Das kann mit fatalistischer Berichterstattung über den Klimawandel zusammenhängen. Furchteinflößende Darstellungen könnten dazu dienen, Aufmerksamkeit zu erregen, schreibt Bellamy. Sie seien jedoch ein unwirksames Mittel, um eine echte persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema anzustoßen. Möglicherweise führe die derzeitige Klimawandel-Kommunikation dazu, dass Menschen von der drohenden Katastrophe ermüdet sind. Es brauche deshalb neue, kulturell sensiblere Wege, um eine gesellschaftliche Polarisierung zu vermeiden, schreibt Bellamy. Dazu könnte zum Beispiel gehören, dass auch hierarchischere und individualistischere Werte, die durch Klima-Kipppunkte gefährdet sind, betrachtet werden. 

Auch wenn Menschen mit egalitären und kollektivistischen Werten insgesamt ein höheres Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels zu haben scheinen, gehe es nicht darum, alle Menschen zu egalitären Kollektivist*innen zu machen, schreibt Bellamy. Ziel müsse sein, die Klimapolitik so zu gestalten, dass sie von allen gesellschaftlichen Gruppen unterstützt werde. Eine Möglichkeit sei, Lösungen anzubieten, mit denen sich unterschiedliche Weltanschauungen identifizieren können.

Einschränkungen: Eine mögliche Einschränkung der Studie ist, dass sie auf Selbstauskünften beruht. Es kann passieren, dass sich Menschen nicht an die relevanten Informationen erinnern können oder dass sie sozial erwünschte Antworten geben. 

Bellamy, R. (2023). Public perceptions of climate tipping points. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625231177820

Von Influencer*innen lernen?

Viele Wissenschaftler*innen nutzen Social-Media-Kanäle, um über ihre Forschung zu informieren. Was können sie dabei von Influencer*innen lernen, um mehr Reichweite zu erlangen? Oder sollten nicht selbst kommunizieren, sondern auf Influencer*innen vertrauen? Welchen Unterschied macht es hinsichtlich der Wahrnehmung von Authentizität und Expertise, welche der beiden Personengruppen spricht? Das haben Annie Li Zhang und Hang Lu von der University of Michigan in einem Experiment getestet.

Methode: Die Forscher*innen haben anhand der zwei Themen Umwelt und Gesundheit untersucht, welche Rolle die Quelle von wissenschaftlichen Informationen auf Twitter spielt, und welchen Einfluss die Art der Selbstoffenbarung (self-disclosure) hat. Sie unterscheiden dabei zwischen professioneller Selbstauskunft (professional self-disclosure, PFSD), also dem Teilen von beruflichen Erfahrungen und Forschungsergebnissen und persönlicher Selbstauskunft (personal self-disclosure, PSD), dem Teilen persönlicher Interessen, Hobbys und anderer nicht wissenschaftsbezogener Informationen. 

Die Wissenschaftlerin wurde als authentischer und fachkundiger wahrgenommen als die Influencerin.
Zudem untersuchten die Forscher*innen den Einfluss auf parasoziale Beziehungen (parasocial interactions, PSI) – also imaginierte Beziehungen zu Charakteren, zu denen das Publikum keinen persönlichen Kontakt hat, wie beispielsweise Prominente auf Social Media. Die Forscher*innen vermuteten, dass sich antiintellektuelle Einstellungen, also eine generelle Skepsis gegenüber Wissenschaft und Expert*innen, auf die untersuchten Beziehungen auswirkt. Außerdem wollten sie wissen wie sich die untersuchten Faktoren auf Absichten zur Informationssuche auswirken.  

Für ihr Experiment haben die Forscher*innen im September 2022 über eine Online-Plattform 1.579 US-amerikanische Teilnehmende rekrutiert, die zufällig verschiedenen Gruppen zugeordnet wurden. Sie alle bekamen das Twitter-Profilbild derselben Frau zu sehen, die entweder als Wissenschaftlerin oder als Influencerin beschrieben wurde. Die Teilnehmenden bekamen jeweils acht Tweets zu lesen: drei zur Selbstauskunft (entweder PSD oder PFSD), drei informative Tweets für den wissenschaftlichen Kontext (Umwelt- oder Gesundheitsthema) und zwei weitere wissenschaftliche Tweets. Die Teilnehmenden beantworteten Fragen zu individuellen Merkmalen, einschließlich antiintellektueller Einstellungen. Nachdem sie die Tweets gelesen hatten, bewerteten sie unter anderem ihre Reaktionen auf die Reize und ihre Einstellungen gegenüber der Quelle der Tweets. 

Ergebnisse: Die Wissenschaftlerin wurde als authentischer und fachkundiger wahrgenommen als die Influencerin. Die Studienteilnehmenden gaben an, dass sie eher mit der Wissenschaftlerin als mit der Influencerin parasoziale Beziehungen aufbauen würden, und sie zeigten stärkere Absichten, nach weiteren Informationen zu suchen. Persönliche Information im Profil führten dazu, dass die Quelle als weniger kompetent wahrgenommen wurde. Im Kontext der Gesundheitsinformation wurde dadurch Fachwissen als geringer eingeschätzt, parasoziale Beziehungen wurden weniger unterstützt und die Absicht vermindert, nach Informationen zu suchen. Influencer*innen wurden insgesamt als weniger kompetent wahrgenommen, aber im Gesundheitskontext war diese Tendenz besonders ausgeprägt.

Im Großen und Ganzen nahmen Personen mit stärkeren antiintellektuellen Einstellungen die Wissenschaftlerin als weniger authentisch und fachkundig wahr als Menschen mit geringerem Anti-Intellektualismus. Sie entwickelten weniger starke parasoziale Beziehungen und zeigten geringere Absichten, sich weiter zu informieren. 

Unabhängig vom Grad des Anti-Intellektualismus wurde die Wissenschaftlerin insgesamt als authentischer und kompetenter wahrgenommen als die Influencerin, obwohl die Unterschiede bei Personen mit höherem Anti-Intellektualismus abnahmen. 

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Art der Selbstoffenbarung die Wahrnehmung der Quelle beeinflussen kann. Im Allgemeinen führte das Teilen von persönlichen Informationen zu einer schlechteren Bewertung des Fachwissens und stärkeren parasozialen Beziehungen. Die wahrgenommene Authentizität stieg nicht. Eine stärkere wahrgenommene Authentizität führte zu stärkeren parasozialen Beziehungen, jedoch nicht zu stärkeren informationssuchenden Absichten. Das Teilen von berufsbezogenen Informationen (PFSD) führte zu stärkeren parasozialen Beziehungen. Stärkeres wahrgenommene Fachwissen führte zu erhöhten parasozialen Beziehungen und informationssuchenden Absichten.

Schlussfolgerungen: Die Studienergebnisse geben Hinweise darauf, welche Strategien für Wissenschaftler*innen hilfreich sein könnten, um sich auf Social-Media-Plattformen wie Twitter zu etablieren. Wissenschaftler*innen könnten mit ihrem Fachwissen auch auf Social Media einen starken Einfluss auf wissenschaftliche Themen wie Umwelt und Gesundheit haben, schreiben die Forscher*innen. Es zeigte sich, dass Authentizität, Expertise und parasoziale Beziehungen beeinflussen können, wie das Publikum auf Wissenschaftler*innen und wissenschaftliche Botschaften reagiert. Die Betonung der eigenen Authentizität und die Förderung parasozialer Beziehungen sind Strategien, die eher von Influencer*innen bekannt sind. Jedoch könnten auch Wissenschaftler*innen solche Strategien nutzen, um ihr Publikum zu überzeugen. Denn möglicherweise werden sie zwar als kompetent aber gleichzeitig auch als „kalt“ angesehen, schreiben die Forscher*innen. 

Das Teilen berufsbezogener persönlicher Informationen könnte laut der Studienergebnisse eine nützliche Strategie für Wissenschaftler*innen auf Twitter sein.
Das Teilen berufsbezogener persönlicher Informationen könnte laut der Studienergebnisse eine nützliche Strategie für Wissenschaftler*innen auf Twitter sein. Dass Teilen privater Informationen führte hingegen nicht dazu, dass die Quelle als authentischer wahrgenommen wurde. Das könne damit zu tun haben, dass sich solche Informationen im Kontext der wissenschaftlich ausgerichteten Tweets und Profile für die Studienteilnehmenden unpassend angefühlt hätten, schreiben die Autor*innen. Das wirft die Frage auf, wie sich das Teilen persönlicher Informationen generell auf die Wahrnehmung von Wissenschaftskommunikator*innen auf sozialen Medien auswirkt. 

Insgesamt wurde die Wissenschaftlerin als qualifizierter und authentischer wahrgenommen. Es zeigte sich aber auch, dass Anti-Intellektualismus die positive Wahrnehmung abschwächen kann. Die Forscher*innen überlegen deshalb, ob für bestimmte Personengruppen, beispielsweise Menschen mit starken antiintellektuellen Einstellungen, Influencer*innen eine geeignetere Quelle sein könnten als Wissenschaftler*innen. Die Forscher*innen plädieren dafür, in der Kommunikation großen Wert auf die Entwicklung von Beziehungen zwischen Wissenschaftskommunikator*innen und Publikum zu legen. Denn ihre Studienergebnisse sprächen dafür, dass parasoziale Beziehungen eine Schlüsselrolle bei der Wissenschaftskommunikation auf Social Media spielen. 

Einschränkungen: Eine Einschränkung der Studie ist, dass die Teilnehmer*innen über ein höheres Bildungsniveau als die durchschnittliche US-Bevölkerung verfügten. Das könnte sich beispielsweise auf die Ausprägung antiintellektueller Einstellungen auswirken. Unklar ist außerdem, inwiefern sich die Ergebnisse auf andere Länder übertragen lassen. 

Zhang, A. L., Lu, H. (2023). Scientists as Influencers: The Role of Source Identity, Self-Disclosure, and Anti-Intellectualism in Science Communication on Social Media. Social Media + Society, 9(2). https://doi.org/10.1177/20563051231180623

Nachhaltige Mobilität im Fokus: Einblicke in ein Reallabor

Reallabore (Living Labs) sind Räume, in denen Akteur*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam an Forschungsprojekten, innovativen Ideen für die Praxis und Bildungszielen arbeiten können. Sie bilden den Rahmen für transdisziplinäre Projekte und Experimente. Was gilt es bei solchen Beteiligungsprojekten zu beachten? Madlen Günther und Josef F. Krems von der Universität Chemnitz haben mit Simone Martinetz und Bernd Bienzeisler vom Fraunhofer IAO am Beispiel eines Reallabores in Chemnitz untersucht, wie die Art der Teilnahme (vor Ort, per Post oder online), die Teilnahmebereitschaft und die Zufriedenheit der Teilnehmenden beeinflusst. Weitere Forschungsfragen waren, welche Faktoren die Zufriedenheit der Teilnehmenden beeinflussen und inwieweit ein solches Projekt die Akzeptanz für das Thema des Projekts verbessert. Das Reallabor war Teil eines Forschungsprojekts zur Förderung des Bewusstseins für nachhaltige Mobilität in städtischen Gebieten (NUMIC – neues städtisches Mobilitätsbewusstsein in Chemnitz), das von 2019 bis 2022 lief. Ein Stadtquartier am Rande von Chemnitz wurde für ein Jahr zum Experimentierfeld und Bürger*innen waren eingeladen, an einem städtischen Transformationsprozess teilzunehmen, um nachhaltige Mobilität zu fördern. Ihre Ideen wurden in den Stadtplanungsprozess einbezogen. 

Methode: Die Forscher*innen begleiteten das Reallabor während der gesamten Laufzeit und erhoben in drei verschiedenen Projektphasen Daten: Im April und September 2021 sowie zum Projektende im Juli 2022. Im Rahmen des Reallabors konnten sich Bürger*innen an Workshops und Round Tables, über Briefabstimmungen sowie Online-Umfragen beteiligen und auf diese Weise mitbestimmen, wo eine rad- und fußgängerfreundliche Modellroute verlaufen soll, welche Orte aufgewertet und welche Maßnahmen zur Verbesserung der nachhaltigen Mobilität und der städtischen Umweltqualität umgesetzt werden sollten. Die Stadt Chemnitz prüfte alle Ideen auf Umsetzbarkeit, danach konnten die Bürger*innen aus einer Auswahl an Vorschlägen auswählen. 

Einladungen zur Beteiligung wurden unter anderem über die Projekthomepage, Newsletter, die Lokalzeitung und Pressemitteilungen der Projektpartner veröffentlicht. 290 Menschen nahmen 

48 Prozent sagten, dass die Bürgerbeteiligung ihr Bewusstsein für nachhaltige Mobilität gestärkt habe.
mindestens an einem der Formate teil. In der ersten Projektphase wurden drei potenzielle Flächen entlang der Modellstrecke begutachtet und Gestaltungswünsche eingeholt. Bürger*innen konnten sich in persönlichen Interviews vor Ort beteiligen, über ein gedrucktes Bewertungsformular, das mit der Post geschickt wurde, oder online über einen Fragebogen auf der Beteiligungsplattform. Vor Ort konnten die Wünsche und Ideen für eine zukünftige Nutzung mit Bastelmaterialien umgesetzt werden. 

Die zweite Bürgerbeteiligung fand im September 2021 als Präsenzformat statt, bei dem Interviews geführt wurden und ein Design-Workshop veranstaltet wurde. Die abschließende Auswertung erfolgte als Online-Fragebogen im Juli 2022. 

Die Teilnehmer*innen beantworteten Fragen nach der städtischen Umweltqualität, nach ihrer Bereitschaft zur Beteiligung über verschiedene Wege (z.B. vor Ort oder online) und ihrer Zufriedenheit mit der Teilnahme. Über verschiedene Skalen wurde die Akzeptanz des Bürgerbeteiligungsprojekts und des städtischen Transformationsprozesses sowie das Bewusstsein für nachhaltige Mobilität abgefragt. 

Ergebnisse: Beim ersten Erhebungszeitpunkt zeigten die Teilnehmenden keine starken Präferenzen, was die Art der Beteiligung (vor Ort, per direkter Briefwerbung oder über das Online-Portal) angeht. Auch hinsichtlich der Nutzungsabsichten sowie Gestaltungswünschen für die drei Potenzialbereiche zeigten sich zwischen den drei Beteiligungsformaten keine großen Unterschiede. Die Teilnahmebereitschaft bei den unterschiedlichen Formaten war ähnlich, allerdings gab es deutliche Unterschiede hinsichtlich der Zufriedenheit der Teilnehmenden mit den jeweiligen Formaten. Am zufriedensten zeigten sie sich mit der Teilnahme vor Ort und am wenigsten zufrieden mit der Online-Umfrage. Als Aspekt, der die Teilnahmezufriedenheit am stärksten beeinflusst, identifizierten die Forscher*innen die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit, gefolgt von der wahrgenommenen Nützlichkeit und dem Wissen der Teilnehmenden über die Bürgerbeteiligung. 

Ausgehend von ihren Erfahrungen und Ergebnissen empfehlen die Forscher*innen einen Methodenmix.
Um die Auswirkungen der Bürgerbeteiligung auf das Bewusstsein für nachhaltige Mobilität und die erhöhte Akzeptanz im städtischen Transformationsprozess abzuschätzen, wurden die Teilnehmenden am Ende um eine abschließende Bewertung gebeten. Die Mehrheit der Befragten berichtete, dass sie sich aktiv an verschiedenen Formaten beteiligt hätten. 91 Prozent bewerteten die Teilnahme als nützlich. 88 Prozent berichteten, dass sie ihre Wünsche und Ideen für den städtischen Transformationsprozess einbringen konnten und 48 Prozent sagten, dass die Bürgerbeteiligung ihr Bewusstsein für nachhaltige Mobilität gestärkt habe.

Schlussfolgerungen: Mit der Kombination von Online- und Offline-Beteiligungsformaten begegneten die Forscher*innen Herausforderungen der Coronapandemie, wie etwa Lockdowns und Kontaktverboten. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Angebote gleichermaßen angenommen wurden. Die verwendete Beteiligungsmethodik zeigte keinen Einfluss auf die Bewertung und Teilnahmebereitschaft. Allerdings waren die Teilnehmenden mit den Offline-Formaten am zufriedensten. Die Studie liefert Hinweise darauf, dass besonderer Wert auf Benutzerfreundlichkeit, den wahrgenommenen Nutzen und die gute Information der Teilnehmer*innen über das Bürgerbeteiligungsprojekt gelegt werden sollte, um die Zufriedenheit zu steigern. Online-Formate hätten beispielsweise den Vorteil, unabhängig vom Wetter zu sein, schreiben die Forscher*innen. Ein Nachteil sei, dass der persönliche Kontakt fehle. 

Ausgehend von ihren Erfahrungen und Ergebnissen empfehlen sie einen Methodenmix, der Bürger*innengruppen mit unterschiedlichen Präferenzen anspricht. Die Forscher*innen raten außerdem, die Beteiligung bei jeder Methodik möglichst einfach zu gestalten und die Angebote über verschiedene Kanäle breit zu bewerben. 

Die Studienergebnisse zeigen auch, dass die Befragten ihre Teilnahme am Reallabor als nützlich empfanden, um ihre Ideen einzubringen und einen aktiven Beitrag zur städtischen Transformation zu leisten. Auch die inhaltlichen Ziele scheinen erreicht worden zu sein: Bürger*innen mit einem höheren Beteiligungsgrad haben ein nachhaltigeres Mobilitätsbewusstsein und eine höhere Akzeptanz für den städtischen Transformationsprozess entwickelt.

Viele der Teilnehmenden waren auch vorher schon am Thema nachhaltige Mobilität interessiert. Laut der Forscher*innen konnten sie deshalb gute Lösungsvorschläge einbringen. Allerdings bestehe eine Herausforderung bei Wissenschaftskommunikationsprojekten darin, nicht nur bereits Interessierte und Informierte anzusprechen. Die Forscher*innen empfehlen deshalb, einen noch stärkeren Fokus darauf zu legen, dass unterschiedliche Zielgruppen einbezogen werden. 

Einschränkung: Bei der Interpretation der Ergebnisse sollte beachtet werden, dass die Stichprobe nicht repräsentativ für die Durchschnittsbevölkerung war, sondern im Schnitt etwas jünger und gebildeter. 

Günther, M., Martinetz, S., Krems, J. F. and Bienzeisler, B. (2023). Promoting sustainable mobility in communities with citizen participation: approaches, perspectives and results of a Living Lab in Germany JCOM 22(03), N01. https://doi.org/10.22323/2.22030801

Mehr Aktuelles aus der Forschung

📚 Werden Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT den Beruf des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin ablösen? Der Frage, welchen Einfluss LLMs zukünftig auf das wissenschaftliche Arbeiten ausüben, widmet sich eine Studie des Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft (HIIG).**„Friend or Foe?” heißt der Artikel, der sich noch im Peer-Review-Prozess befindet. Die Forscher*innen haben 72 internationale Forschungs- und KI-Expert*innen interviewt. Der Artikel gibt erste Einblicke in die Zukunft der KI-Anwendungen im Wissenschaftsbetrieb. Demnach sehen die Befragten das Potenzial von LLMs besonders im Hinblick auf einfache, aber zeitaufwendige Aufgaben wie das Schreiben von Förderanträgen, um durch das Fehlen dieser zeitraubenden Aufgaben effizienteres Arbeiten zu ermöglichen. Gleichzeitig warnt der Artikel allerdings auch vor der Verbreitung von falschen oder unwissenschaftlichen Informationen durch KI-generierte Texte und betont die Notwendigkeit geeigneter Rahmenbedingungen für die Nutzung.

📚 In Ländern mit hohen Einkommen zeigt sich zunehmend weniger Wissenschaftsoptimismus als in Ländern mit niedrigeren Einkommen. Anne M. Price von der Valdosta State University und Lindsey Peterson vom St. Jude Children’s Research Hospital in den USA haben in 16 Ländern mit hohen Einkommen die komplexe Beziehung zwischen individuellen und länderspezifischen Faktoren zum Wissenschaftsoptimismus untersucht. Die Forscherinnen stellten fest, dass sich ältere Menschen, höher Gebildete, Besserverdienende, eher dem rechten politischen Spektrum Zugehörige und Menschen mit materialistischeren Einstellungen optimistischer gegenüber der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft zeigen. Auch die Bevölkerungen von Ländern mit einer höheren Masernimpfungsrate, stärkerer Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen und einem höheren Prozentsatz an Mobiltelefonen sind laut der Studienergebnisse optimistischer gegenüber der Wissenschaft eingestellt.

📚 Was motiviert junge Menschen, an Citizen-Science-Projekten teilzunehmen? Das wollten Natasha Louise Constant und Joelene Hughes von der Royal Society for the Protection of Birds in Gruppengesprächen mit Jugendlichen mit und ohne Citizen-Science-Erfahrung herausfinden. Es zeigte sich, dass berufliche Entwicklung, neues Wissen, altruistische Werte, soziale Interaktionen, Inklusivität und das Kennenlernen neuer Orte und der Natur junge Menschen motivieren, an solchen Angeboten teilzunehmen. Als Hürden identifizierten die Forscherinnen logistische Zwänge, mangelndes Wissen und Interesse sowie programmatische und organisatorische Probleme.

📚 Welche Auswirkungen haben Fehlinformationen über Impfungen auf YouTube? Das haben Sabrina Heike Kessler von der Universität Zürich und Edda Humprecht von der Norwegian University of Science and Technology in einer Studie untersucht. Die Teilnehmenden sahen zuerst ein YouTube-Video und suchten anschließend im Internet nach weiteren Informationen. Es zeigte sich, dass die Fehlinformationen tendenziell negative Auswirkungen hatten, besonders auf ungeimpfte Teilnehmende. Nachdem diese das Video gesehen hatten, zeigten sie weniger Vertrauen in die Wirksamkeit der Impfstoffe. Ihre Internetrecherchen führten jedoch zu einer positiveren Einstellung gegenüber Impfungen. Ein Ansatz, um Fehlinformationen vorzubeugen, könnte deshalb laut der Forscherinnen sein, Nutzer*innen zu motivieren, Online-Inhalte durch eine eigene Informationssuche zu überprüfen.

📚 Wie hängt das Vertrauen in die Klimawissenschaft mit der Akzeptanz des menschengemachten Klimawandels zusammen? Ein Forschungsteam um Bruce Tranter von der University of Tasmania hat das am Beispiel vom Vertrauen in Prognosen des Intergovernmental Panel on Climate Change untersucht. Es zeigt sich, dass eine knappe Mehrheit der befragten Australier*innen den Prognosen des IPCC vertraut und ihr Vertrauen in positivem Zusammenhang mit der Akzeptanz des anthropogenen Klimawandels steht. Nur eine Minderheit derjenigen, die den menschengemachten Klimawandel anerkennen, zeigte geringes Vertrauen in den IPCC und hielt die Computermodelle der Wissenschaftler*innen für unzuverlässig.

📚Welches Potenzial hat künstliche Intelligenz in der Gesundheitskommunikation? Sue Lim und Ralf Schmälzle von der Michigan State University haben mittels KI Tweets zum Thema Folsäure generiert. Testpersonen bewerteten die Wirkung dieser Nachrichten im Vergleich zu viel retweeteten und von Menschen geschriebenen Nachrichten zum Thema. Die Forscher*innen führten außerdem eine computergestützte Textanalyse durch, um die Tweets zu untersuchen. Die KI-generierten Nachrichten schnitten bei der Bewertung durch die Testpersonen in Bezug auf Qualität und Klarheit besser ab. Laut der computergestützten Analysen waren die KI-generierten Nachrichten hinsichtlich der Stimmung, Lesbarkeit und Inhalt mit den von Menschen geschriebenen Nachrichten vergleichbar.