Halten wir andere für leichter manipulierbar als uns selbst? Schadet Offenheit dem Vertrauen in Wissenschaft? Und wie können Klima-Diskussionen freundlicher und konstruktiver ablaufen? Damit beschäftigen sich die Studien im aktuellen Forschungsrückblick.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juni 2020
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Beeinflussbar sind immer nur die anderen
Viele Menschen sind der Meinung, dass andere Personen sich leichter durch Medien beeinflussen lassen als sie selbst – in der Forschung ist das als „Third-Person-Effekt“ bekannt (auf Deutsch manchmal auch „Andere-Leute-Effekt“). Asheley Landrum und Alex Olshansky von der Texas Tech University untersuchten nun dieses Phänomen in Hinblick auf Youtube-Videos, in denen behauptet wird, die Erde sei flach und keine Kugel.
Methodik: In mehreren Experimenten zeigten die Forschenden den insgesamt rund 1.800 Versuchspersonen Youtube-Videos (oder Ausschnitte daraus), in denen „Beweise“ für die flache Erde vorgebracht wurden. Anschließend sollten die Teilnehmenden angeben, wie überzeugend sie das Video fanden und für wie überzeugend es wohl andere Menschen halten würden. Schließlich sollten manche der Probandinnen und Probanden noch angeben, ob sie für eine Zensur solcher Videos auf Youtube sind, etwa indem die Plattform solche Videos löscht oder die entsprechenden Nutzerinnen und Nutzer sperrt.
Schlussfolgerungen: Auch wenn es um die Flat-Earth-Verschwörungstheorie geht, halten Menschen andere für anfälliger, darauf hereinzufallen, als sich selbst. Dabei unterscheiden sie zwischen verschiedenen Gruppen von Mitmenschen, etwa in Bezug auf Religiosität oder Bildungsstand. Eine Zensur von Falschinformationen befürworteten sie dennoch eher nicht.
Einschränkungen: Die Versuchspersonen in zwei der drei Experimente wurden über den Online-Dienst MTurk rekrutiert und waren, wie bei dieser Methode üblich, politisch etwas weiter links eingestellt und weniger religiös als der Bevölkerungsdurchschnitt in den USA. Die dritte Studie nutze allerdings eine repräsentative Stichprobe. Studien zur Frage, ob ein größerer Third-Person-Effekt auch eher Forderungen nach Zensur begünstigt, kamen bislang zu widersprüchlichen Ergebnissen, so dass es stark vom konkreten Thema abhängen dürfte. Zudem ist zu bedenken, dass die Zensur von Online-Videos in den USA wegen der großen Bedeutung der Meinungsfreiheit dort besonders unbeliebt sein dürfte.
Gemeinsamkeiten erleichtern die Diskussion
Die Diskussion um den Klimawandel scheint vor allem in den USA festgefahren: Die politische Neigung bestimmt, welcher Seite man glaubt, ein Dialog scheint kaum noch möglich. Ein Team um die Kommunikationswissenschaftlerin Emma Frances Bloomfield von der University of Nevada prüften nun in einer neuen Studie eine Methode, um Menschen mit unterschiedlichen Ansichten an einen Tisch zu bringen.
Methodik: Die 329 Versuchspersonen wurden zufällig einem Chat zugelost, in dem sie mit jeweils zwei bis drei anderen Teilnehmenden über einen Zeitungsartikel zum Klimawandel diskutieren sollten. Zudem galt es einen Konsens zu finden, welche von fünf vorgeschlagenen Maßnahmen gegen den Klimawandel sie als Gruppe am ehesten unterstützen würden. Dabei gab es zwei Bedingungen: Die Hälfte der Gruppen sollte die ersten acht Minuten des Chats dazu nutzen, relevante Fakten aus dem Artikel zu identifizieren. In den anderen Gruppen sollten die Teilnehmenden zunächst acht Minuten lang nur persönliche Informationen über sich austauschen – unter anderem mit einer kurzen Vorstellung und der Beschreibung, wie sie sich einen „perfekten“ Tag vorstellen. Dabei sollten die Teilnehmenden der Gruppe untereinander Gemeinsamkeiten finden. Nach der Einleitung hatten alle Gruppen zwölf Minuten Zeit, um über die aus ihrer Sicht richtige politische Maßnahme zu diskutieren. Am Ende befragten die Forschenden die Versuchspersonen zu ihren Erfahrungen mit der Diskussion und werteten die Chat-Protokolle rhetorisch und mit Hilfe einer Textanalyse-Software aus.
Ergebnisse: In beiden Arten von Gruppen gab es in der Sache gleich oft widersprüchliche Meinungen. In Gruppen, die mit einer persönlichen Vorstellung der Probandinnen und Probanden begonnen hatten, verlief die Diskussion jedoch deutlich freundlicher: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nutzten mehr Wörter, die positive Emotionen transportieren, sprachen mehr über sich selbst, nutzten eine eher informelle Sprache und verwendeten häufiger freundschaftliche Begriffe wie „buddy“ oder „friend“. Hinterher beschrieben die Teilnehmenden aus diesen Gruppen ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl und gaben eher an, dass sie gerne wieder mit denselben Personen diskutieren würden, als Teilnehmende in den reinen Informationsaustausch-Gruppen. Letztere gaben nach der Diskussion oft an, ihre Chatpartnerinnen und -partner seien uneinsichtig gewesen. Es habe außerdem die Zeit dafür gefehlt, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Meinungsverschiedenheiten führten in diesen Gruppen oft zum Stillstand oder Abbruch der Diskussion.
Einschränkungen: Ob dieselbe Übung beispielsweise in deutschsprachigen Ländern ebenso erfolgreich wäre und so schnell eine gemeinschaftliche Atmosphäre erzeugen könnte, muss noch getestet werden. Die Versuchspersonen waren alle Studierende, wodurch ihnen das Finden von Gemeinsamkeiten womöglich leichter gefallen ist, als es bei zufällig ausgewählten Personen der Fall wäre. Allerdings hatten laut den Forschenden weniger als ein Viertel der gefundenen Gemeinsamkeiten einen Bezug zum Studium. Stattdessen dominierten sehr allgemeine Themen wie Sport und andere Hobbys oder eine Vorliebe für Schokolade die Vorstellungsrunde.
Zerstört Unsicherheit Vertrauen?
Ob Klimawandel, die Masernimpfung oder nun das neue Corona-Virus: Die Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse wird von einigen Menschen immer wieder in Zweifel gezogen. Forschende widmen sich daher seit einigen Jahren verstärkt der Frage, welchen Effekt die Kommunikation von Unsicherheit auf das Publikum hat. Die Psychologinnen Friederike Hendriks und Regina Jucks wollten in einer aktuellen Untersuchung herausfinden, ob eine Aufklärung über die wissenschaftliche Methode die Wahrnehmung von Unsicherheiten beeinflusst.
Methodik: Im ersten Experiment bekamen 207 Studierende zunächst einen Text zu lesen, in dem es entweder um Unsicherheiten in der wissenschaftlichen Methode oder um ein anderes Thema ging. Anschließend sollten sie einen Artikel über die Versauerung der Meere lesen. Bei einem Teil der Versuchspersonen wurde in diesem Text explizit auf wissenschaftliche Unsicherheit hingewiesen, bei den anderen nicht. Danach wurden sie gefragt, wie sehr sie der Klimaforschung im Allgemeinen vertrauen und für wie unsicher sie diese halten. Außerdem sollten sie angeben, wie klimafreundlich sie ihren Alltag in Zukunft gestalten möchten. Das zweite Experiment mit 129 Probandinnen und Probanden war vergleichbar aufgebaut mit kleineren Änderungen, zum Beispiel gab es mehrere Varianten des ersten Texts über wissenschaftliche Methoden, in denen die Bedeutung von Unsicherheit in der Klimaforschung jeweils unterschiedlich dargestellt wurde.
Schlussfolgerungen: Leserinnen und Leser greifen Hinweise auf die Unsicherheit konkreter Forschungsergebnisse auf, lassen sich davon aber vermutlich nicht in ihrem allgemeinen Vertrauen in Wissenschaft beeinflussen. Im Fall des Klimawandels scheinen persönliche Merkmale eine wichtigere Rolle zu spielen als Informationen über die Unsicherheit in der Forschung.
Einschränkungen: Die Forscherinnen weisen darauf hin, dass Vertrauen in Wissenschaft viele Facetten habe und ihre Studie sich nur auf das Vertrauen in Klimaforschende und die Klimawissenschaft im Allgemeinen bezieht. Die verwendeten Fragebogen müssten noch in weiteren Studien validiert werden. Zudem waren die Versuchspersonen allesamt Studierende im ersten Semester, die sich hinsichtlich ihrer Wahrnehmung von wissenschaftlicher Unsicherheit von der Normalbevölkerung unterscheiden könnten.
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Die Kurzmeldungen zur Wissenschaftskommunikationsforschung erscheinen alle 14 Tage im Panoptikum.