Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juni 2017

Welche Rollen haben Sozialwissenschaftler in der Berichterstattung über Krisen? Und sollten Wissenschaftler mehr über Facebook kommunizieren? Studien zu diesen beiden Fragen stellen wir im Forschungsrückblick vor.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse aus der „Science of Science Communication“. Wenn Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Verstehen und kommentieren: Sozialwissenschaftler in der Krisenberichterstattung

Zu Sozialwissenschaftlern in der Krisenberichterstattung haben Birte Fähnrich (Zeppelin Universität) und Corinna Lüthje (Universität Rostock) geforscht und nun ihre Ergebnisse in Science Communications veröffentlicht. Anhand des Fallbeispiels PEGIDA fragten die beiden Forscherinnen, welche Rollen Wissenschaftler in den Medien einnehmen.

Methodik: Fähnrich und Lüthje schauten sich alle Artikel zu PEGIDA in FAZ, taz, Welt, Süddeutscher Zeitung und Sächsischer Zeitung zwischen Oktober 2014 und Februar 2015 an. In 54 der insgesamt 554 Artikel, also etwa in 10 % der Fälle, wurden Sozialwissenschaftler erwähnt. Diese unterzogen die beiden Wissenschaftlerinnen einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse, um herauszufinden, welche Sozialwissenschaftler in den Artikeln auftauchen, welche Rolle ihnen dort zugeschrieben wird und wie sie beurteilt werden. Das Beispiel PEDIGA wählten sie, da die Bewegung eine “akute gesellschaftliche Krise” (S. 2) ausgelöst habe.

Ergebnisse: In den 54 untersuchten Artikeln tauchten 40 unterschiedliche Forscherinnen und Forscher auf. Damit waren Wissenschaftler weniger präsent als andere Akteursgruppen, wie etwa Politiker. Am häufigsten wurden sie in der taz erwähnt (∼12 % aller Artikel zu PEGIDA) und am seltensten in der Welt (∼4,6 %). Vor allem kommen sie in Berichten und Nachrichtentexten vor (∼65 %), in Gastkommentaren, Interviews etc. entsprechend kaum. Am meisten genannt werden dabei Wissenschaftler, die Studien zu PEGIDA vorgestellt haben. So wird z. B. der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt in 18 der 54 Artikel erwähnt.

Aus früheren Untersuchungen weiß man, dass Wissenschaftler bei der Berichterstattung über Krisen die Rolle des “objektiven Experten” oder die des “öffentlichen Intellektuellen” einnehmen. Der “objektive Experte” soll wissenschaftlich gesichertes Wissen transportieren und so zum “öffentlichen Verständnis sozialwissenschaftlicher Phänomene” (S. 8) beitragen. Demgegenüber fällt dem “öffentlichen Intellektuellen” die Aufgabe zu, zu bewerten, einzuordnen und zu kommentieren und damit aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu interpretieren und zu prognostizieren.

Beide Rollen fanden Fähnrich und Lüthje auch in ihrem Korpus. Als “objektive Experten” kamen Wissenschaftler allerdings nur in etwa einem Drittel der Artikel vor und dann meist in Zusammenhang mit Studien zu PEGIDA, die sie selbst durchgeführt haben. Die Qualität dieser Studien wurde dabei nur selten thematisiert – etwa, dass keine davon repräsentativ war. Auch explizite Begründungen, warum jemand Experte für PEGIDA ist, waren Mangelware. Die Journalisten kritisierten hingegen, wenn jemand seine Rolle als “objektiver Experte” zu überschreiten schien: Werner Patzelt wurde z. B. für seine vermutete Pro-PEGIDA-Haltung angegriffen.

Für die Autorinnen kristallisiert sich in diesen Fällen eine neue Rolle heraus: Die des “angeblichen Experten”, an dessen Beispiel es medial möglich ist, Expertise kritisch zu hinterfragen.

Als “öffentliche Intellektuelle” fungierten Wissenschaftler hingegen in 55% der Artikel. Auf Studien wurde hier nicht verwiesen. Mit dem “politisierten Intellektuellen” und dem “Pseudointellektuellen” tauchten hier allerdings laut Fähnrich und Lüthje ebenfalls weitere Rollen auf. In erstere fielen Sozialwissenschaftler, wenn sie aus Sicht der Medien eigene, subjektive Interessen vertreten und so ihre Rolle als “öffentliche Intellektuelle” missbrauchen. “Pseudointellektuelle” wurde hingegen in der medialen Darstellung die Kompetenz abgesprochen, PEGIDA zu kommentieren. Im konkreten Fall sei das etwa bei dem Philosophen Byung-Chul Han der Fall gewesen, dem vorgeworfen wurde “klügelnde Reden” zu schwingen . Beide Rollentypen, sozusagen ‘Abweichungen’ vom Idealtyp des “öffentlichen Intellektuellen”, ermöglichten Kritik an Intellektualität und medialer Aufmerksamkeitserzeugung.

Schlussfolgerungen: Fähnrich und Lüthje halten fest, dass Sozialwissenschaftler in der Krisenberichterstattung über PEGIDA zwar sichtbar seien, insgesamt aber wenige Personen dominierten und andere gesellschaftliche Akteure häufiger vorkämen.

Die beiden Forscherinnen erweitern die Rollentypologie von “objektiven Experten” und “öffentlichen Intellektuellen” um drei weitere Rollen: “angeblicher Experte”, “politisierter Experte” und “Pseudointellektueller”. Diese Rollen würden Journalisten als Folie dienen, um Kritik an so verorteten Sozialwissenschaftlern zu üben. Die Zuschreibung zu einer dieser drei “kritischen” Rollen kann der Journalist dabei entweder direkt selbst vornehmen oder durch die Wiedergabe entsprechender Einschätzungen von anderen Wissenschaftlern deutlich machen.

Einschränkungen: Weder können die Autorinnen etwas über die Selbsteinschätzung der Wissenschaftler, noch über die Intention der Journalisten sagen. Da Sozialwissenschaftler untersucht wurden, sind Schlüsse auf andere Wissenschaftsdisziplinen nicht möglich. Ihre Beschränkung auf den Einzelfall PEGIDA macht Verallgemeinerungen auf andere Krisen oder Länder schwierig. Darauf weisen sie auch selbst hin.

Darüberhinaus ist die Einordnung dieses Phänomens als “akute gesellschaftliche Krise” nur bedingt einleuchtend. Sicherlich hat PEGIDA enorme mediale und politische Aufmerksamkeit erfahren, ob sich dadurch die deutsche Gesellschaft aber tatsächlich “am Rand eines strukturell gefährlichen Übergangs” (S. 2) befand, kann hinterfragt werden. Die Einordnung als Phänomen einer größeren und weitergehenden Krise westlicher, repräsentativer Demokratien erscheint dahingehend einleuchtender. Zudem wurden nur Artikel berücksichtigt, in deren Titel oder Untertitel das Schlüsselwort PEGIDA auftauchte. Es kann damit nicht ausgeschlossen werden, dass relevante Artikel unberücksichtigt blieben. Methodisch stellt sich zudem die Frage, ob die unterschiedlichen Rollen tatsächlich trennscharf voneinander abgegrenzt werden können. Ebenfalls nicht untersucht wurde die Wahrnehmung der Rollen durch das Publikum und damit eventuell einhergehende Wirkungen, zum Beispiel auf die Glaubwürdigkeit der Wissenschaftler.

Closed Access LogoFähnrich, B., Lüthje, C., 2017. Roles of Social Scientists in Crisis Media Reporting: The Case of the German Populist Radical Right Movement PEGIDA. Science Communication 1–28. doi:10.1177/1075547017715472


Unterschätzt: Facebook für Wissenschaftler

Facebook als Instrument der Wissenschaftskommunikation hat sich Craig R. McClain näher angeschaut. Der Biologe und Direktor des Louisiana Universities Marine Consortium (USA) legte seinen Fokus dabei auf die Kommunikation durch einzelne Wissenschaftler.

Methodik: McClain fasst primär die Ergebnisse früherer Untersuchungen zusammen und zieht daraus seine Schlussfolgerungen. Zusätzlich stützt er sich auf eine eigene, nicht-repräsentative Umfrage unter 203 Wissenschaftlern zur Nutzung von Sozialen Medien.

Ergebnisse: Nach eigenen Angaben hatte Facebook im 3. Quartal 2016 1.790.000.000 Nutzer pro Monat, die dort im Schnitt 21 Minuten pro Tag verbrachten.Laut einer Studie des PEW Research Center, wird die Plattform vorwiegend genutzt, “um Fotos und Videos von Freunden anzuschauen (47 %), Informationen mit vielen Leuten auf einmal zu teilen (46 %), Neuigkeiten anderer zu lesen (39 %) und lustige Inhalte zu konsumieren (39 %)” (S. 2f.). Dabei interagieren die Nutzer zwar mehr als bei Instagram oder Twitter, dennoch überwiegt der passive Konsum.

Für Wissenschaftskommunikation nutzen, laut McClain, viele Wissenschaftler die Plattform jedoch nicht. Zwar haben viele Forscher einen Account bei Facebook und 40-50% nutzen das Soziale Netzwerk täglich, jedoch gaben in McClains Umfrage die meisten an, Twitter für berufliche und Facebook für private Inhalte zu nutzen.

In seiner Umfrage gaben die befragten Wissenschaftler zudem an, im Durchschnitt weniger als sechsmal pro Monat etwas auf Facebook zu posten. Von diesen Posts hätten zudem nur wenig mehr als ein Viertel etwas mit Wissenschaft zu tun. Knapp die Hälfte der wissenschaftlichen Posts habe dabei Themen aus der eigenen Fachdisziplin zum Inhalt und circa 40 % drehten sich um “kulturell umstrittene Wissenschaftsthemen” (S. 4). Ebenfalls selten widersprachen die befragten Forscher falschen Darstellungen von Wissenschaft auf Facebook – nur 18 % gaben an dies regelmäßig zu tun, 40 % immerhin gelegentlich.

Auch nach der Zusammensetzung der Freundesliste fragte McClain. Im Ergebnis ließen sich drei Gruppen identifizieren: Am häufigsten waren Personen, die überwiegend Nicht-Wissenschaftler in der Freundesliste hatten. Gefolgt von jenen, die sowohl Nicht-Wissenschaftler als auch Wissenschaftler als Facebook-Freunde hatten. Nur selten gaben die Befragten an, hauptsächlich mit Wissenschaftler befreundet zu sein. Je weiter jemand in seiner wissenschaftlichen Karriere war, desto weniger Facebookfreunde außerhalb des Wissenschaftssystem hatte er oder sie tendenziell. Die Größe der Freundeslisten lag dabei zwischen 223 und 706 Personen. Zum Vergleich: Im Schnitt hatten 2014 erwachsene Facebooknutzer 388 ‘Freunde’.

Schlussfolgerungen: Für McClain ist Facebook eine “beispiellose und übersehene Gelegenheit” (S. 4) für externe Wissenschaftskommunikation. Konkret könne man dafür etwa Facebookgruppen oder -seiten nutzen, wie Dr. Andrew Thalers Southern Fried Science oder Scientific American. Für wirkungsvoller hält er es aber, wenn Wissenschaftler über ihr persönliches Facebookprofil Wissenschaft kommunizieren. Dies würde noch viel zu wenig geschehen.

Dabei böte die Wissenschaftskommunikation mit der eigenen Freundesliste viele Vorteile. So erreiche man oft ein größeres Publikum als die meisten Blogs und Twitteraccounts im ersten Jahr. Hinzu komme, dass meist zu Facebookfreunden auch persönliche Beziehungen außerhalb des Sozialen Netzwerks bestünden. So sei es leichter ideologische Gräben zu überwinden und man könne gar zum “Nerd of Trust” in seinem Facebooknetzwerk avancieren, dessen Botschaften eher vertraut wird. Zwar müsse man bei Zahl und Frequenz seiner Posts den schmalen Grat zwischen “Service und Belästigung” (S. 6) beachten, aber letztlich gehe es bei Facebook genau darum: Individuen posten über ihre individuellen Interessen.

Damit sein Plädoyer auch Widerhall findet, fordert der Forscher, Wissenschaftskommunikation auch dann als solche anzuerkennen, wenn sie im ‘privaten’ Facebookstream stattfindet. Zudem brauche es mehr Daten zu Qualität und Reichweite solcher Kommunikation und darüber hinaus insgesamt mehr Zeit im akademischen Betrieb für ‘public engagement’. Gerade in Zeiten von Fake News und alternativen Fakten sei es wichtiger Informationen zu filtern und zu verbreiten, als selbst neue Inhalte zu erstellen und zum Beispiel zu bloggen.

Einschränkungen: Ohne selbst einen vollständigen Überblick über das Forschungsfeld zu haben, muss man McClain bei Auswahl der Studien und der Bewertung ihrer Qualität vertrauen. Seine eigene Umfrage ist zudem nicht repräsentativ, bestimmte Fachrichtungen sind sehr stark vertreten und die Angaben der Teilnehmer zur Nutzung von Facebook nicht überprüfbar. Aussagen zur Wirkung solcher ‘privater’ Wissenschaftskommunikation kann er – über sein eigenes, anekdotisches Erleben hinaus – nicht geben. Zu wenig Beachtung findet zudem die Funktionsweise des Algorithmus, der steuert, wem was auf Facebook angezeigt wird und der möglicherweise dafür sorgt, dass sich selbst in der eigenen Freundesliste Filterblasen bilden.

Open Access LogoMcClain, C.R., 2017. Practices and promises of Facebook for science outreach: Becoming a “Nerd of Trust.” PLOS Biology 15, e2002020. doi:10.1371/journal.pbio.2002020