Im heutigen Forschungsrückblick geht es gleich zweimal um maßgeschneiderte Kommunikation für politisch sowie religiös definierte Zielgruppen – und damit, wie Bildung und die Akzeptanz von Wissenschaft weltweit zusammenhängen.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juli 2019
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Appell an politische Werte wirkt
Bei der Kommunikation über politisch umkämpfte Forschungsthemen kommt oft die sogenannte „motivierte Informationsverarbeitung“ in die Quere: Menschen haben die Tendenz, ihre bereits bestehende Meinung bestätigt sehen zu wollen, weshalb sie anderslautende Botschaften häufig ablehnen – sei es, indem sie diese gar nicht erst beachten, indem sie Gegenargumente suchen oder die Quelle einer Nachricht abwerten. Lässt sich das vielleicht mit dem geeigneten „Framing“ überwinden, also indem man seine Argumentation den politischen Werten des Publikums anpasst? Das haben Forschende um Kate Luong von der Ohio State University in einer aktuellen Studie untersucht.
Methodik: Für ihr Experiment erstellten die Forschenden verschiedene Zeitungsartikel zu den Themen Fracking (das Aufbrechen tiefer Gesteinsschichten, um Erdöl oder Erdgas zu gewinnen) und erneuerbare Energien. Mal war der Tenor positiv, mal negativ. Von beidem gab es wiederum zwei Varianten, die zwar dieselbe Information enthielten, deren Argumentation sich aber explizit an den Einstellungen entweder politisch konservativer oder liberaler Teilnehmender orientierte.
Ergebnisse: Wenn das Framing der Beiträge zur politischen Ausrichtung der Teilnehmenden passte, waren diese anschließend eher bereit, entsprechenden politischen Maßnahmen zuzustimmen. Wer also beispielsweise einen Artikel pro erneuerbare Energien gelesen hatte, unterstützte anschließend eher Subventionen für den Bau entsprechender Kraftwerke – und zwar vor allem, wenn die Argumente im Text der eigenen politischen Weltsicht entsprachen. Der Einfluss auf allgemeine Einstellungen zu den beiden Themen war dagegen weniger eindeutig.
Schlussfolgerungen: Die Zustimmung zu politischer Regulierung ist den Forschenden zufolge ein wichtiges Resultat von Wissenschaftskommunikation. Sie sei – mehr noch als die allgemeine Meinung zu einem Thema – wichtig, wenn es um die Umsetzung von Forschungsergebnissen in Wirtschaft und Gesellschaft geht. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass ideologisch „maßgeschneiderte“ Botschaften in dieser Hinsicht besonders wirksam sind und Widerstände überwinden können.
Einschränkungen: Die Effekte waren für beide Themen unterschiedlich stark. Das deutet darauf hin, dass bereits bestehende Meinungen, Vorwissen und themenspezifische Einstellungen die Effektivität der Methode beeinträchtigen. Auch wie gut diese Art des Framings auf politisch nicht ganz so stark polarisierte Länder wie etwa Deutschland übertragbar ist, bleibt offen.
Wie man Christen für den Klimaschutz gewinnt
Nicht nur politische Überzeugungen beeinflussen, wie Menschen auf die Kommunikation von Forschungsergebnissen reagieren: auch andere Aspekte der sozialen Identität spielen für die Rezeption eine Rolle, etwa Religiosität. Forscher um Matthew Goldberg von der Yale University wollten herausfinden, wie man das Selbstverständnis vieler US-Amerikaner als Christen ansprechen kann, um Botschaften über den Klimawandel effektiver zu gestalten, da sich 70 Prozent der Bevölkerung zu einer christlichen Konfession bekennen.
Methodik: In einer Befragungsstudie wollte das Forschungsteam zunächst herausfinden, warum es Menschen christlichen Glaubens in den USA für wichtig halten könnten, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Nach der Aussage „Um unseren Kindern und Enkel ein besseres Leben zu ermöglichen“ stimmten religiöse Personen vor allem dem Satz „Um Gottes Schöpfung zu bewahren“ zu. Das nutzten die Forschenden in einem anschließenden Experiment mit neuen Teilnehmenden (die sich alle zum Christentum bekannten). Diesen legten sie entweder einen neutralen Text vor oder einen Artikel pro Klimaschutz, der mit Bibelzitaten gespickt war und darauf abhob, dass die Menschen für „Gottes Garten“ verantwortlich seien und sich daher bereits viele Christinnen und Christen um Umwelt- und Klimaschutz sorgen würden.
Ergebnisse: Teilnehmende, die die religiöse Argumentation gelesen hatten, hielten Umweltschutz anschließend eher für ein moralisch und religiös bedeutsames Thema als die Kontrollgruppe. Damit einher ging die Meinung, dass die Umwelt wichtiger als Wirtschaftswachstum sei und Menschen verantwortlich mit der Erde umgehen müssten. Sie machten sich auch mehr Sorgen um die globale Erwärmung und bekundeten stärkere Bereitschaft, sich einer politischen Kampagne für mehr Umweltschutz anzuschließen.
Schlussfolgerungen: Werden Umwelt- und Klimaschutz als moralisches und religiöses Thema dargestellt, kann das bei Menschen mit christlichem Glauben das Problembewusstsein für den Klimawandel fördern und ihre Bereitschaft erhöhen, aktiv etwas dagegen zu unternehmen.
Einschränkungen: Unklar bleibt, inwieweit die kurzfristig gemessenen Einstellungen mit tatsächlichem Verhalten zusammenhängen, also ob die Teilnehmenden wirklich in einer Kampagne aktiv würden, um Politikerinnen und Politiker zu mehr Umweltschutz zu bewegen, oder ob sich beispielsweise ihre Wahlabsichten dadurch verändern. Interessant wäre außerdem, welche Rolle die Quelle der Botschaft spielt (und für wie vertrauenswürdig das Publikum diese hält), was hier nicht variiert wurde.
Goldberg, M. H., Gustafson, A., Ballew, M. T., Rosenthal, S. A. & Leiserowitz, A. (2019). A social identity approach to engaging christians in the issue of climate change. Science Communication, 41, 442–463. https://doi.org/10.1177/1075547019860847
Fördert Bildung weltweit die Forschungsnähe?
Gerade erst hat der Wellcome Trust in einer globalen Studie die Einstellungen von Menschen zur Wissenschaft untersucht, unter anderem in Abhängigkeit zu ihrer Schulbildung. Die Soziologin Shiri Noy und ihr Fachkollege Timothy O’Brien nutzten nun eine andere Datenbasis, um ebenfalls der Frage nachzugehen, wie der Bildungsgrad und die Ansichten über Forschung in verschiedenen Ländern der Erde zusammenhängen.
Methodik: Die Forschenden nutzten Daten des „International Social Survey Program“, einer jährlichen, weltweiten Befragung zu gesellschaftlichen Themen. In den Jahren 2008 und 2010 ging es dabei auch um die Einstellung zur Wissenschaft. Insgesamt hatten fast 77.000 Personen in 41 Ländern die Frage beantwortet, ob „die moderne Wissenschaft mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt“. Das setzten Noy und O’Brien mit dem höchsten erreichten Bildungsabschluss der Befragten in Beziehung, aber auch damit, wie viel Forschung und Entwicklung in ihrem Land betrieben wird, gemessen unter anderem an der Zahl der auf diesem Sektor Beschäftigten pro tausend Einwohnern.
Schlussfolgerungen: Formale Bildung ist auch laut dieser Studie wichtig für eine positive Einstellung zur Wissenschaft. Allerdings darf der kulturelle Kontext dabei nicht vernachlässigt werden, denn in Ländern, die nicht zu den forschungsstärksten gehören, ist ein schwächerer Zusammenhang zu beobachten. In Staaten, die größeren Wert auf Rationalität und Individualismus legen, könnte der Kontakt mit Wissenschaft – etwa im Schulunterricht – sich stärker auf die Meinungsbildung auswirken, mutmaßen die Forschenden; vielleicht sei aber auch der Unterricht qualitativ besser.
Einschränkungen: Die allgemein gehaltene Frage, ob Wissenschaft mehr schadet oder nützt, ist ein eher grobes Einstellungsmaß. Es kann, wie auch die Forschenden schreiben, von den Teilnehmenden unterschiedlich interpretiert werden, zum Beispiel auf gesellschaftlicher oder aber auf individueller Ebene. Um die Schulbildung zu untersuchen, nutzten die Forschenden ein System mit sechs Stufen, um Vergleichbarkeit herzustellen. Inhaltliche oder feinere Unterschiede in den Schulsystemen weltweit konnten so aber nicht in die Auswertung einfließen.
Mehr Aktuelles aus der Forschung:
An Citizen-Science-Projekten nehmen oft die „üblichen Verdächtigen“ teil: weiße, gebildete und bereits von Wissenschaft begeisterte Menschen. Eine Studie aus den Niederlanden zeigt nun, wie sich mit gezielter Rekrutierung mehr Diversität bei den eigenen Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern erreichen lässt.
Wer ist in den Augen der Öffentlichkeit eigentlich Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler? Dieser Frage sind Forscherinnen in den USA nachgegangen. Ergebnis: Einen Doktortitel in Biologie oder Chemie brauchte es schon, um beim Thema Klimawandel ernst genommen zu werden – vor allem von konservativen Befragten. Liberaler eingestellte Teilnehmende waren dagegen etwas stärker bereit, auch Lehrerinnen und Lehrern, Studierenden oder interessierten Laien einen Expertenstatus zuzuschreiben.
DNA-Abstammungstests sind wissenschaftlich umstritten, was ihrer Popularität aber keinen Abbruch tut. Was aber passiert, wenn rechtsextreme und rassistische Personen mit für sie überraschenden und herausfordernden Ergebnissen eines Gentests konfrontiert werden? Das haben Forscher per Recherche in einem US-Forum für „weiße Nationalisten“ untersucht.
Die Kurzmeldungen zur Wissenschaftskommunikationsforschung erscheinen alle 14 Tage im Panoptikum.