Was macht ein erfolgreiches Citizen Science-Spiel aus? Wie steht es um die Wissenschaftskommunikation in Südkorea? Studien zu diesen Fragen stellen wir im Rückblick für den Januar vor.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Januar 2017
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse aus der „Science of Science Communication“. Wenn Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine Email oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
“An investigation of player motivations in Eyewire, a gamified citizen science project”
von Ramine Tinati, Markus Luczak-Roesch, Elena Simperl und Wendy Hall in Computers in Human Behavior
Die vier Forscher der Universität Southampton untersuchen in ihrer Studie das Citizen Science-Spiel Eyewire. Im Vordergrund steht die Frage nach der Motivation der Teilnehmer.
Bei Eyewire handelt es sich um ein Projekt, bei dem sich Bürger über eine Webseite an der Erforschung des menschlichen Gehirns beteiligten können. Konkret geht es darum, Hirnareale in 3D-Darstellung von funktionellen Magnetresonanztomographien zu identifizieren. Durch Kombination mit maschinellem Lernen erhoffen sich die Betreiber so neue Erkenntnis darüber, wie visuelle Reize verarbeitet werden. Angereichert ist die Plattform mit spielerischen Elementen (Stichwort “Gamification”): So kann man unter anderem Punkte sammeln, und es gibt Bestenlisten und Wettbewerbe.
Methode: In der Studie werden Daten zum Nutzerverhalten auf der Plattform zwischen Januar 2012 und August 2014 mit einer Umfrage unter den Spielern kombiniert. Von den etwas über 98.000 registrierten Nutzern beteiligten sich 1.505 an der Befragung. Um zu kontrollieren, ob diese etwa 10 % repräsentativ für die Gesamtheit der Nutzer steht, wurde die tatsächliche Nutzungsdauer mit den Antworten im Fragebogen verglichen.
Ergebnisse: Die Forscher identifizieren 18 Motivationsfaktoren. Am häufigsten wurde der Wunsch genannt, etwas zum Projekt beizutragen (~20 % der Antworten), gefolgt vom allgemeinen Interesse an Wissenschaft (~18 %) und Spaß (~14 %). Weitere Eigenschaften, die man normalerweise mit einem guten Spiel verbindet, spielen scheinbar keine große Rolle. Nur wenig Teilnehmer beschrieben Eyewire als “süchtig machend”, “herausfordernd” oder “schön”.
Die Autoren fassen die Motivationsfaktoren in größeren Gruppen zusammen: “Etwas beitragen und Wissenschaft”, “Lernen und persönliche Interessen”, “Gemeinschaft und Kommunikation” und “Spielen und Unterhaltung”. Diese vier Gruppen setzen sie dann mit den Features von EyeWire in Beziehung und versuchen gleichzeitig allgemeinere Prinzipien abzuleiten. Es ist nicht sinnvoll die daraus resultierende Tabelle hier zu reproduzieren, stattdessen sei auf Seite 22 des Artikels selbst verwiesen.
Schlussfolgerungen: Tinati et al. folgern aus ihren Beobachtungen, dass ein nachhaltiges Engagement in Citizen Science-Projekten eine geeignete Plattform, eine ansprechende Aufgabe und eine Community “mit einem gewissen Grad an Geselligkeit und einem gemeinsamen Ziel” (S. 18) erfordere.
Gamification sei dabei eine Möglichkeit sowohl Teilnehmer anzusprechen, die extrinsisch motiviert sind – also z. B. durch den Wettbewerb mit Anderen – als auch solche, die intrinsisch motiviert sind, etwa durch die Aufgabe selbst. Spielerische Elemente seien aber nicht der Hauptgrund für die Beteiligung an Eyewire, sondern ein komplexes Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren, “including the desire to contribute to the project and science in general, self-learning and interest in the subject domain, community belonging, alongside the entertainment value of a gaming narrative.” (S. 23)
Einschränkungen: Die Autoren selbst geben zu, dass die Umfrage nur bedingt repräsentativ ist, da zwar alle Nutzer von Eyewire teilnehmen konnten, es letztlich aber nur 10 % auch taten. Zudem wurde nur ein einziges gamifiziertes Citizen Science-Projekt untersucht. Es ist also nur eingeschränkt möglich, die Ergebnisse zu verallgemeinern.
The gap in scientific knowledge and role of science communication in South Korea
von Jeong-Heon Chang (CHA University, Südkorea), Sei-Hill Kim (University of South Carolina, USA), Myung-Hyun Kang (Hallym University, Südkorea), Jae Chul Shim und Dong Hoon Ma (Korea University, Südkorea) in Public Understanding of Science
Mit der Rolle von Wissenschaftskommunikation bei der Verbreitung von wissenschaftlichem Wissen in Südkorea befassen sich fünf Forscher in der Januar- Ausgabe von Public Understanding of Science.
Methode: Das Forscherteam wertete eine Umfrage des südkoreanischen Ministeriums für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit aus. Die 2011 durchgeführte Befragung widmete sich der öffentlichen Wahrnehmung einer Reihe von Gesundheits- und Wissenschaftsthemen. Letztlich beantworteten 1001 Personen die Online-Fragebögen vollständig. Laut den Verfassern ist diese Stichprobe repräsentativ für Südkorea. Abgefragt wurden die Mediennutzung sowie das Wissen zu Fakten, wissenschaftlichen Methoden und die Einschätzung des eigenen Wissens. Grundlage ihrer Forschungsfragen ist die Wissenskluft-Theorie von Tichenor et al., die besagt, dass der Wissenszuwachs durch den Konsum von Massenmedien vom sozioökonomischen Status abhängt. Sprich, wer mehr verdient, nutzt andere Medien und hat damit die Chance, mehr Wissen zu erwerben.
Ergebnisse: Chang et al. versuchen vier Forschungshypothesen und -fragen zu beantworten:
1. Menschen mit höherer Bildung haben mehr Wissen über Wissenschaft als weniger gebildete.
Tatsächlich, so die Forscher, steigt das Wissen über wissenschaftliche Fakten mit dem formalen Bildungsgrad. Allerdings sei bei der Einschätzung des eigenen Wissens kein Unterschied feststellbar. Dies deute darauf hin, dass weniger gebildete Personen ihr eigenes Wissen über Wissenschaft überschätzen. Damit zeigten sich in Südkorea die gleichen Ergebnisse wie in anderen Ländern.
2. Gibt es einen Unterschied zwischen Bürgern mit hohem und niedrigem Bildungsgrad bei der Nutzung verschiedener Kanäle der Wissenschaftskommunikation?
Bei der Nutzung verschiedener Informationsquellen über Wissenschaft habe sich gezeigt, dass Personen mit höherer Bildung eher (Online-) Zeitungen und Social Media nutzen, während Personen mit niedriger Bildung das Fernsehen bevorzugen.
3. Personen, die sich in den Massenmedien viel über Wissenschaft informieren, haben auch einen höheren Wissensstand.
Bezüglich der Lerneffekte gebe es einen positiven statistischen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Online-Zeitungen und dem wissenschaftlichen Wissen in allen drei untersuchten Dimensionen. Anderen Medien hingegen würden nur die Einschätzung des eigenen Wissens erhöhen. Bei Sozialen Medien habe sich sogar ein negativer Effekt gezeigt, der dazu führt, dass sowohl das Wissen zu wissenschaftlichen Fakten und Methoden abnimmt, während die Einschätzung des eigenen Wissens steigt.
Die fehlenden Effekte der Nutzung von traditionellen Zeitungen erklären sich die Autoren mit der oberflächlichen Wissenschaftsberichterstattung in südkoreanischen Zeitungen.
4. Sind Lerneffekte von verschiedenen Formen der Wissenschaftskommunikation beeinflusst vom Bildungsgrad?
Ja, so die Antwort der Forschergruppe. Zumindest würden Personen mit niedrigerer Bildung durch Fernsehkonsum signifikant mehr über wissenschaftliche Methoden lernen. Damit könnte Fernsehen dazu beitragen, wenn auch nur in diesem Bereich, die Wissenskluft zu schließen. Bei Onlinezeitung hingegen zeige sich das genaue Gegenteil: Vor allem gebildete Menschen würden durch deren Konsum einen Wissenszuwachs erfahren. Soziale Medien bilden auch hier wieder einen Sonderfall. Ihre Nutzung zeige vor allem bei wenig Gebildeten eine höhere Einschätzung des eigenen Wissens, während sich dieser Effekt bei Personen mit hohen Bildungsabschlüssen nicht nachweisen ließ. Laut Chang et al. könnten Soziale Medien also zu einer Überschätzung des eigenen Wissens führen.
Schlussfolgerungen: Die Autoren beurteilen vor allem das Fernsehen positiv, was das Vermitteln von Wissen betrifft: Es könne bei weniger gebildeten Menschen große Lerneffekte auslösen. Woran genau das liege, müssten aber weitere Studien zeigen.
Bei Online-Zeitungen hingegen zeigten sich zwar – wahrscheinlich aufgrund der Möglichkeit zusätzliche Informationen zu verlinken – Wissenszuwachs bei Fakten, Methoden und der Selbsteinschätzung; dies allerdings nur bei Personen mit hohen Bildungsabschlüssen. Chang und Kollegen vermuten, dies liege daran, dass ähnlich wie bei klassischen Zeitungen auch online Textbeiträge dominieren und visuelle Darstellungsformen im Gegensatz zum Fernsehen eher selten vorkommen.
Soziale Medien hingegen führten, wie oben angesprochen, zu falschen Einschätzungen des eigenen Wissensstands. Obwohl die Nutzer hier nicht viel Wissen gewönnen, glaubten doch diejenigen mit niedrigem Bildungsstand, dass sie in den Sozialen Medien viel lernten: “Given that people do not actually gain much factual or procedural substantive knowledge from social media, those with lower education seem to falsely believe that they are learning a lot from social media, fostering their perceptions that they are more knowledgeable than they truly are.” (S. 12)
Bezüglich der unterschiedlichen Dimensionen von wissenschaftlichem Wissen habe sich gezeigt, dass Faktenwissen und Wissen zu Methoden unterschiedliche Dinge sind, die unabhängig voneinander sind. Zudem scheinen Südkoreaner aus den Massenmedien eher etwas über Methoden als über Fakten zu lernen.
Einschränkungen: Die Studie kommt zu zahlreichen interessanten Befunden, insbesondere der vermutete Zusammenhang von Sozialen Medien und der Überschätzung des eigenen Wissensstands verdient weitere Untersuchungen. Dennoch gibt es einige Schwächen, auf welche die Forscher zum Teil selbst hinweisen: Aufgrund der Methodik lassen sich zwar Korrelationen, aber keine Kausalitäten feststellen. Man erkennt also nur Zusammenhänge, weiß aber nicht, wo der Verursacher zu finden ist. Mögliche weitere Einflussfaktoren, wie persönliche Interessen der Mediennutzer, wurden nicht einbezogen. Die Daten sind außerdem relativ alt und – logischerweise – kulturspezifisch. Auch inwiefern sich Bildung allein am Schul- bzw. Universitätsabschluss festmachen lässt, sei dahingestellt.