Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Februar 2024

Beziehen sich frauenfeindliche Memes auf wissenschaftliche Ergebnisse? Welche Arten von Fehlinformationen zu Covid-19-Impfungen kursieren in YouTube-Videos in der Schweiz? Und wie bilden sich in der Pandemie unterschiedliche Formen von Wissenschafts-Öffentlichkeiten heraus?

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

Fehlinformationen in Impf-Videos auf YouTube

Informationen in YouTube-Videos können Menschen bei Entscheidungen zu Gesundheitsthemen beeinflussen – beispielsweise bei der Frage, ob sie sich impfen lassen oder anderen Empfehlungen der Gesundheitsbehörden folgen. Welche Arten von Fehlinformationen über Covid-19-Impfungen in YouTube-Videos in der Schweiz verbreitet werden, haben Edda Humprecht von der Universität Jena und Sabrina Heike Kessler von der Universität Zürich untersucht.

Methode: Zunächst suchten die Forscherinnen nach Akteur*innen aus der Schweiz, die auf YouTube Fehlinformationen auf Deutsch oder Französisch veröffentlichten und unter anderem über eine große Reichweite verfügten. Über Verweise in den Videos und Links im Kommentarbereich haben die Forscherinnen weitere Konten mit ähnlichen Inhalten identifiziert, die auch von Deutschland, Österreich oder Frankreich aus betrieben wurden. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse untersuchten sie insgesamt 450 deutsch- und französischsprachige Videos mit Fehlinformationen zu Covid-19-Impfstoffen, die zwischen Juli 2020 und November 2021 veröffentlicht wurden. Als Fehlinformationen definierten sie Aussagen zum Thema, die durch Informationen von Behörden, Organisationen oder von Faktenprüfer*innen widerlegt werden konnten.

Videos mit teilweise falschen Informationen hatten mehr Aufrufe, Likes, Dislikes und Kommentare als solche mit völlig falschen Informationen.
Die Forscherinnen überprüften, ob die Aussagen der jeweiligen Videos zum Thema Impfen frei erfunden oder nur teilweise falsch waren. Das Hauptthema der Videos wurde erfasst und die Themen Sicherheit, Wirksamkeit, Nebenwirkungen, wissenschaftliche Evidenz und die Sprecher*innen kodiert. Außerdem hielten die Forscherinnen fest, ob die Videos Elemente von Verschwörungstheorien enthielten und ob darin Kritik an Eliten (etwa Politiker*innen oder Mediziner*innen) geübt oder Bezüge zur Wissenschaft hergestellt wurden. Die Videos wurden nach Genre kategorisiert und Benutzerreaktionen (Likes, Dislikes und Kommentare), emotional ansprechende Bilder und inhaltsbezogene Elemente (zum Beispiel Links zu Anti-Impf-Webseiten) erfasst. Die Schwelle zwischen weniger und häufiger angesehenen Videos legten die Forscherinnen bei 20.000 Aufrufen fest.

Ergebnisse: Völlig falsche Informationen traten häufiger auf (61 Prozent) als teilweise falsche Informationen (39 Prozent). Beide Arten von Fehlinformationen kamen am häufigsten in Meinungsvideos vor, weniger in Erklärvideos oder Interviews. Videos mit teilweise falschen Informationen hatten mehr Aufrufe, Likes, Dislikes und Kommentare als solche mit völlig falschen Informationen. Hinweise auf Verschwörungserzählungen und Vorwürfe staatlicher Kontrolle, Profitgier und Panikmache fanden sich häufiger in Videos mit völlig falschen Informationen. Auch Behauptungen zu Nebenwirkungen und der Sicherheit der Impfungen sowie antielitäre Äußerungen fanden sich häufiger in völlig falschen Videos.
Videos mit mehr als 20.000 Aufrufen enthielten rund 54 Prozent teilweise falsche Informationen und knapp 46 Prozent völlig falsche Informationen. Bei Videos mit mehr als 150.000 Aufrufen waren 60 Prozent der Informationen teilweise falsch und 40 Prozent völlig falsch.
Videos mit mehr als 20.000 Aufrufen hatten mehr Nutzerreaktionen und zeichneten sich durch viele Hyperlinks (zum Beispiel zu Anti-Impf-Webseiten), emotionalisierende Bilder und Kommerzialisierung aus.

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass Fehlinformationen zum Thema Covid-19-Impfungen durch unterschiedlich starke inhaltliche Verzerrungen geprägt waren. Dabei kamen Videos mit völlig falschen Informationen häufiger vor und waren von Anspielungen auf Verschwörungstheorien, Anti-Elitismus und Fehlinformationen über Nebenwirkungen und Sicherheit von Impfstoffen geprägt. Solche Videos zielen laut der Forscherinnen darauf ab, Zweifel und Misstrauen zu schüren.

Dass reichweitenstarke Videos häufiger emotionalisierende Bilder nutzen, ist laut der Forscherinnen eine bewusste Taktik.

Besonders besorgniserregend sei jedoch, dass Videos mit teilweise falschen Informationen eine größere Reichweite hatten und auch häufiger kommentiert und mit „Gefällt mir“-Angaben versehen wurden. Die Forscherinnen schließen daraus, dass solche Formen von Fehlinformation möglicherweise tückischer und einflussreicher sind – zumal Plattformen und Faktenprüfer*innen teilweise falsche Inhalte schlechter identifizieren und entfernen könnten. Aufgrund der wissenschaftlichen Verweise und der subtileren Anspielungen würden sie möglicherweise als glaubwürdiger wahrgenommen. Dass reichweitenstarke Videos häufiger emotionalisierende Bilder nutzen, ist laut der Forscherinnen eine bewusste Taktik, um bei den Zuschauer*innen Interesse zu wecken und Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen.
Es sei wichtig, differenziert auf Fehlinformationen zu reagieren, schreiben die Forscher*innen. Dazu gehöre, digitale Kompetenzen  zu fördern, die Produktion korrekter Inhalte zu unterstützen, sowie die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsbehörden und Social-Media-Plattformen zu stärken.

Einschränkungen: Die Studie beschränkt sich auf eine einzelne Plattform und eine Stichprobe von 450 französisch- und deutschsprachigen YouTube-Videos. Möglicherweise sind die Ergebnisse nicht auf andere Plattformen und andere Länder beziehungsweise Sprachen übertragbar.

Humprecht, E., Kessler, S. H. (2024) Unveiling misinformation on YouTube: examining the content of COVID-19 vaccination misinformation videos in Switzerland. Front. Commun. 9:1250024. doi: 10.3389/fcomm.2024.1250024

Wie sich frauenfeindliche Memes auf Wissenschaft beziehen

Um ihre Theorien zu unterstützen, beziehen sich Rechtsextreme auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Forschungsergebnisse werden missbraucht oder eigene Pseudoforschungen produziert. Auch frauenfeindliche Ideen und Vorstellungen von männlicher Überlegenheit würden in Verbindung mit rassistischen Vorstellungen gebracht, schreiben Nicole Iturriaga und Aaron Panofsky von der University of California Irvine mit Kushan Dasgupta von der University of Louisville. Die Forscher*innen haben untersucht, wie sich frauenfeindliche Memes auf der Plattform 4chan Wissenschaft aneignen, um ihre Aussagen zu belegen und zu untermauern. Sie zeigten, wie Rechtsextreme Memes zum Thema Gender Science produzieren und diskutieren.

Methode: Das untersuchte Phänomen bezeichnen die Forscher*innen als „Gender Science Fan Fiction“ – unter Rückgriff auf den Begriff der Fan-Fiction: Geschichten, die sich Fans von existierenden Werken ausdenken und sich dabei auf darin vorkommende Charaktere oder Handlungen beziehen. Die Forscher*innen verweisen darauf, dass Fan-Fiction auch kurze Formen wie zum Beispiel Beiträge in Message-Boards annehmen kann. Sie konzentrieren sich auf Memes von der Plattform 4chan, einer Website für Diskussionsforen, auf der Nutzer*innen anonym Beiträge veröffentlichen können. Die Forscher*innen suchten über Suchbegriffe wie „Frauen“, „Feminismus“ und „Fortpflanzung“ Threads, die in den Jahren 2018 bis 2020 erstellt wurden, und identifizierten darin gepostete Memes. Auswählt wurden drei Beispiele und 45 Threads aus dem „Politically Incorrect”-Forum von 4chan. Die untersuchten Memes ordneten die Forscher*innen drei Themenbereichen zu.

Beispiel für ein frauenfeindliches Meme von 4chan, das Nicole Iturriaga, Aaron Panofsky und Kushan Dasgupta analysiert haben: „White Nationalist Chad and Incel Unite Meme“. Abbildung aus der Publikation „Feminist retroviruses to white Sharia: Gender “science fan fiction” on 4Chan“.

Ergebnisse: Bei der Untersuchung fiel schnell auf, dass die frauenfeindlichen Memes eine besondere Art von Zitier- und Aneignungspraxis aufwiesen. Sie führten fast immer echte Studien an, die jedoch keinen inhaltlichen Bezug zu den angeführten Themen hatten.

  1. Raubtierfeministinnen: In einem der Memes wird behauptet, dass Feminismus durch ein Retrovirus verursacht wird, das Gehirne von Frauen angreift. Dadurch seien sie nicht mehr in der Lage sind, Oxytocin zu produzieren – ein Hormon, das mit Empathie oder mütterlicher Bindung in Verbindung gebracht wird. Das Meme nutzt Grafiken, Diagramme und wissenschaftliche Sprache. Es gibt einen Bezug zu echten Studien, die daraus abgeleiteten Behauptungen sind allerdings pseudowissenschaftlich. 
Im Thread heißt es zum Beispiel, dass das Virus eine Biowaffe sei, die Frauen dazu bringe, Ehe und Mutterschaft zu hassen. Auch wird das Virus mit einem Anstieg von Homosexualität und Kannibalismus und dem Wunsch „Weiße zu vernichten“ in Verbindung gebracht. Auf diese Weise wird auf weiße, nationalistische Diskurse Bezug genommen.
 Als Lösung wird beispielsweise vorgeschlagen, Frauen auszurotten und künstliche Gebärmütter und Sexroboter zu nutzen. Die Wissenschaft soll Lösungen für eine Welt ohne Frauen finden. Auch werden klassische antisemitische Vorurteile auf weiße Frauen bezogen. Es wird argumentiert, dass sie der „wahre Feind der weißen Rasse“ seien – aufgrund ihrer Illoyalität, der Vorenthaltung von Sex und ihren feministischen Einstellungen.
    Die Wissenschaft soll Lösungen für eine Welt ohne Frauen finden.
  2. Frauenkörper und Reproduktion: Dieses Genre von Memes erklärt unter Bezug auf vorgeblich wissenschaftlichen Erklärungen, warum Frauen biologisch minderwertiger seien als Männer. Eines der Memes suggeriert, dass Frauen aufgrund der mangelnden Dichte ihrer Synapsen minderwertige Gehirne hätten. Dazu werden Studien über Alzheimer und synaptische Verbindungen zitiert, die sich jedoch nicht mit geschlechtsspezifischen Unterschieden befassen. Obwohl das Meme nicht explizit rassistisch ist, kommt es im Thread zu rassistischen Reaktionen. Beispielsweise geht es um Genetik und die „Reinhaltung von Rassenlinien“ im Zusammenhang mit der synaptischen Dichte. Die wahrgenommenen biologischen Unterschiede führen zu dem Argument, dass Frauen völlig nutzlos seien und Ehen mit Jungfrauen arrangiert werden müssen, um die „weiße Blutlinie“ zu schützen. 
Bei einem anderen Meme dieses Genres geht es das Phänomen des Mikrochimärismus, das falsch interpretiert wird. In Studien geht es um die Aufnahme von DNA eines Fötus in den Körper der Mutter. In dem Meme wird jedoch fälschlicherweise behauptet, dass die DNA von Frauen durch das Sperma ihrer unterschiedlichen Sexualpartner dauerhaft beeinflusst werde. Wissenschaft wird hier auch mit Argumenten gegen Feminismus und vorehelichen Sex verknüpft. Alle Zitate stammen aus wissenschaftlichen Arbeiten, in denen es jedoch um andere Fragestellungen geht. Als Lösung wird Sex mit Jungfrauen propagiert. Auch wird vor weißen Frauen gewarnt, die Sex mit nicht-weißen Männern oder Juden gehabt haben.
  3. Politische Ideen: In einem weiteren Meme geht es um die Idee, eine Art „weiße Scharia“ einzuführen. Zwangsheiraten dienen als Strategie, einen weißen Ethnostaat aufzubauen. Dabei bezieht sich das Meme auch auf „wissenschaftliche“ Ideen. Ein Tipp lautet: „Führen Sie eine positive, wissenschaftlich fundierte Eugenik-Politik ein (…)“. Auch in diesem Thread werden Jungfrauen fetischisiert. Pädophilie wird als funktionale und logische Notwendigkeit gesehen, um die Prioritäten in Bezug auf die Reinheit der Fortpflanzung aufrechtzuerhalten und die „Ansteckung“ mit Feminismus zu begrenzen.
    Die Forscher*innen zeigen, dass es auf 4chan einen geschlechtsspezifischen, hasserfüllten wissenschaftlichen Diskurs gibt, den sie „Science Fan Fiction“ nennen.

Schlussfolgerungen: Die Forscher*innen zeigen, dass es auf 4chan einen geschlechtsspezifischen, hasserfüllten wissenschaftlichen Diskurs gibt, den sie „Science Fan Fiction“ nennen. Zweitens arbeiten sie heraus, dass dieses Phänomen Ergebnis einer rechtsextremen Weltvorstellung ist. Wissenschaftliche Diskurse werden genutzt, um Behauptungen über die Vorherrschaft weißer Männer und die grundsätzliche Unzuverlässigkeit von Frauen zu unterstreichen. Was wissenschaftliche Bezüge betrifft, unterscheiden sich rassistische und frauenfeindliche Argumentationen. Während sich erstere auf existierende wissenschaftliche Forschung beziehen, zitieren letztere vor allem wissenschaftliche Studien, in denen es eigentlich um ganz andere Themen geht. Beide Diskurse seien jedoch untrennbar miteinander verbunden, schreiben die Forscher*innen. Denn sie beruhten auf Ideen weißer Vorherrschaft, der Notwendigkeit von Rassentrennung und einer Unterstützung des Patriarchats.

Die Forscher*innen schließen aus ihren Ergebnissen, dass 4chan-Nutzer frauenfeindliche, antifeministische und pro-patriarchalische „Wissenschaft“ nutzen, um Internetkulturen, wie Incels („involuntary celibate men“, unfreiwillig im Zölibat lebende Männer), für das rechtsextreme Glaubenssystem zu rekrutieren. Verbindungen innerhalb der rechtsextremen Online-Gemeinschaft seien der Hass auf weiße Frauen, rassistische Ängste vor demografischen Veränderungen und der Bezug auf die Wissenschaft.

Wissenschaftliche Fanfiction kann für rechtsextreme Gruppen ein wichtiger Mobilisierungsfaktor sein.
Die Kommunikationskultur auf 4chan ist durch Ironie und Sarkasmus geprägt. Die Nutzer*innen können also jederzeit behaupten, dass sie „nur einen Scherz“ gemacht hätten. Die Ergebnisse deuteten jedoch darauf hin, dass versucht werde, das gesamte Board mit frauenfeindlichen Ideen zu überziehen, schreiben die Forscher*innen. Sie fordern, reaktionäre Fangemeinschaften und wissenschaftliche Fanfiction ernst zu nehmen. Denn dabei handele es sich um Diskurse, die für rechtsextreme Gruppen ein wichtiger Mobilisierungsfaktor sein können.

Einschränkungen: Die Studie beschränkt sich auf eine Reihe ausgewählter Memes, die tiefergehend analysiert werden. Möglicherweise wird dadurch nicht die gesamte Breite an unterschiedlichen frauenfeindlichen Memes auf 4chan abgedeckt. Um den Diskurs und seine Bezüge zum Rechtsextremismus besser zu verstehen, könnte der Vergleich mit anderen Plattformen aufschlussreich sein.

Iturriaga, N., Panofsky, A., & Dasgupta, K. (2024). Feminist retroviruses to white Sharia: Gender “science fan fiction” on 4Chan. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625241228160

Performative Öffentlichkeiten in der Pandemie

Wie verstehen Menschen Wissenschaft und wie verhalten sie sich ihr gegenüber? Das hat ein Forschungsteam um Helena Machado von der University of Minho, Portugal, Cláudia de Freitas von der University of Porto, Portugal und Amelia Fiske von der Technischen Universität München im Kontext von Kontroversen rund um die Covid-19-Pandemie untersucht. Die Forscher*innen beziehen sich dabei auf das Konzept der Performativität. Darunter verstehen sie die Art und Weise, wie Menschen sich selbst als zugehörig zu bestimmten Arten von Öffentlichkeit identifizieren, indem sie sich mit anderen Akteur*innen identifizieren oder sich von ihnen abgrenzen.

Methode: Die Forscher*innen führten im Rahmen der Studie „Solidarity in Times of a Pandemic“ (SolPan(+)) zwischen August und Dezember 2021 qualitative Interviews mit 209 Personen in sechs Ländern: Österreich, Bolivien, Deutschland, Italien, Mexiko und Portugal.
Dabei ließen sie sich von der Wissenschafts- und Technikforschung (Science and Technology Studies) inspirieren, die sich mit der Vielfalt lokaler, kontextualisierter Verständnisse von Wissenschaft und Technologie befasst. Ihr Ziel ist zu erforschen, wie unterschiedliche Öffentlichkeiten im Kontext der Covid-19-Pandemie entstehen. Dazu nehmen sie drei kontroverse Themen in den Blick: Covid-19-Impfungen, Wissenschaftskommunikation in den Medien und die jeweiligen Interaktionen zwischen Regierung und Wissenschaft. Die Teilnehmenden wurden mit Hilfe von Schneeball- und Zufallsstichproben über Websiten der am SolPan(+)-Konsortium beteiligten Universitäten und Forschungsgruppen sowie über E-Mail-Listen, soziale Medien und persönliche Kontakte rekrutiert. Da sich die Fragen nicht direkt auf die Wahrnehmung der Wissenschaft durch die Öffentlichkeit bezogen, wurden die Interviews induktiv analysiert, um für die Forschungsfrage relevante Daten auszuwählen. Zunächst wurden die Interviews aus den einzelnen Ländern getrennt ausgewertet und dann in Teamdiskussionen zusammengeführt.

Einige verwiesen auf die Notwendigkeit, vorsichtig zu sein und grenzten sich vom Etikett der „Verweiger*innen“ ab.

Ergebnisse: Die Studienteilnehmenden identifizieren sich mit verschiedenen Akteur*innen (Bürger*innen, Wissenschaftler*innen, Ärzten und Ärztinnen, Medien, politischen Entscheidungsträger*innen) im jeweiligen Diskurs und grenzten sich von anderen ab. Beim Thema Impfen reichten die Haltungen von einer Befürwortung der Impfung und einer Pro-Wissenschafts-Haltung bis hin zu einer kritischen Haltung zur Impfung. Teilnehmende, die ein unkritisches Verhältnis zur Wissenschaft hatten, bezeichneten Ungeimpfte häufig als Impfskeptiker*innen und attestierten ihnen antiwissenschaftliche Überzeugungen, Ignoranz und fehlende Bildung. Die Befürwortung von Impfungen wurde hingegen mit moralischer Korrektheit assoziiert, weil sie dem Gemeinwohl diene. Auch Menschen in Gesundheitsberufen, die sich weigerten, sich impfen zu lassen, wurden kritisiert, weil ihnen eine besondere Verantwortung zugeschrieben wurde.
Andere Teilnehmende holten unterschiedliche wissenschaftliche Informationen ein, bevor sie sich impfen ließen, oder stellten wissenschaftliche Ansätze in der Pandemie in Frage. Einige verwiesen auf die Notwendigkeit, vorsichtig zu sein und grenzten sich vom Etikett der „Verweiger*innen“ ab.

Unter beiden Gruppen gab es Teilnehmende, die sich mit alternativem medizinischem Wissen, beispielsweise indigenen Ursprungs, auseinandersetzten. Die Forscher*innen beschreiben die von ihnen identifizierten Positionen gegenüber den Impfungen als nicht binär, sondern formbar und fließend.

Beim Thema Wissenschaftskommunikation in den Medien wiesen Teilnehmende darauf hin, dass die Ungewissheit im Zusammenhang mit Covid-19 zu einer Flut von widersprüchlichen Informationen führte. Einige zeigten sich verwirrt, während andere proaktiv handelten, um sich im Informationslabyrinth zurechtzufinden. Teilnehmende sagten, dass die Unsicherheiten der Wissenschaft deren Glaubwürdigkeit beeinträchtigte. Andere wiederum verwiesen auf die unausweichlichen Unsicherheiten wissenschaftlichen Wissens und zeigten Bereitschaft, verschiedene Informationen einzuholen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

Einige zeigten sich verwirrt, während andere proaktiv handelten, um sich im Informationslabyrinth zurechtzufinden.
In Bezug auf die Interaktionen zwischen Regierung und Wissenschaft zeigte sich, dass das Vertrauen in die Regierung nicht unbedingt mit dem Vertrauen in die Wissenschaft zusammenhängt. Politische Ansichten von Forscher*innen, ihr Wunsch nach Medienpräsenz und wirtschaftliche Interessen beispielsweise von Pharmaunternehmen waren Faktoren, die zu Misstrauen in die Wissenschaft führen können. In Deutschland zeigte sich grundsätzlich ein hohes Vertrauen in Expert*innen, die die staatlichen Maßnahmen wissenschaftlich begleiten, teilweise aber auch kritische Haltungen. In Mexiko sorgten starke Inkonsistenzen im Regierungshandeln sowohl für misstrauische aber auch für vertrauensvolle Öffentlichkeiten – je nach politischer Zugehörigkeit.

Schlussfolgerungen: Die in der Studie identifizierten Wissenschafts-Öffentlichkeiten reichen von unterstützenden bis zu fragenden, von verwirrten bis zu proaktiven und von vertrauensvollen bis zu misstrauischen. Einige Teilnehmer*innen stellten sich als Laien-Expertenöffentlichkeit dar, die sich selbst informierten und selbstständige Urteile fällten. Die Teilnehmendem zeigten auch unterschiedliche Ansichten über die Natur wissenschaftlicher Erkenntnisse, die von absoluter Gewissheit und Stabilität bis hin zu unvermeidlicher Unsicherheit reichte. Auch was das Vertrauen in wissenschaftliche Expertise angeht, zeigte sich ein differenziertes Bild. Glaubwürdigkeit wurde häufig damit in Verbindung gebracht, das Expert*innen frei von politischen, Reputations- und Finanzinteressen waren.
Die Forscher*innen schlussfolgern, dass sich die Ansichten der Teilnehmenden auf Werte beziehen, die in den spezifischen Kontexten ihres Alltagslebens Sinn machten. Die unterschiedlichen Formen persönlicher und kollektiver Identifikation und Abgrenzung – was die Forscher*innen die Performativität von Öffentlichkeiten nennen – zeige auf diese Weise, wie epistemische Überzeugungen über die Natur wissenschaftlicher Erkenntnisse mit sozialen und kulturellen Zugehörigkeiten vermischt sind.

Einschränkungen: Die Studie zielte nicht darauf ab, zwischen den Ländern zu vergleichen. Für einen systematischen Vergleich wären deshalb weitere Studien sinnvoll. Auch um herauszufinden, mit welchen sozialen oder kulturellen Faktoren die jeweiligen Einstellungen zusammenhängen, wäre weitere Forschung nötig.

Machado, H., de Freitas, C., Fiske, A., Radhuber, I., Silva, S., Grimaldo-Rodríguez, C. O., Botrugno, C., Kinner, R., & Marelli, L. (2024). Performing publics of science in the COVID-19 pandemic: A qualitative study in Austria, Bolivia, Germany, Italy, Mexico, and Portugal. Public Understanding of Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09636625231220219

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Wie stellen Personen, die den Hashtag #WomenInSTEM nutzen, Facetten ihrer Identität auf Social Media dar? Jocelyn Steinke und Amanda Coletti von der University of Connecticut haben zusammen mit Christine Gilbert von der Stony Brook University 300 Instagram-Posts untersucht. Eine charakteristische Form der Selbstpräsentation sei, Geschlechterstereotypen entgegenzuwirken. Gelegentlich würden diese aber auch subtil unterstrichen, schreiben die Forscherinnen. Auch das Selbstverständnis als Frau im STEM-Bereich und Lifestyle-Themen werden häufig thematisiert. 

Welche Rolle die Geschlechtsidentität für die Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen spielt, hat Nahyun Kim von der Drexel University in den USA zusammen mit Chris Skurka und Stephanie Madden von der Pennsylvania State University getestet. Die Forscher*innen untersuchten, wie unterschiedliche Arten von Beiträgen von Klimawissenschaftler*innen auf Social-Media-Kanälen wahrgenommen werden. Die Befragten mochten Wissenschaftler*innen eher, wenn sie persönliche statt politische Informationen preisgaben. Sie hielten sie jedoch für kompetenter, wenn sie etwas Politisches teilten und mochten weibliche Wissenschaftler*innen mehr als männliche. 

Wie hoch ist das öffentliche Vertrauen in die Wissenschaft? Zu dieser Frage haben Viktoria Cologna von der Harvard University und Niels Mede von der Universität Zürich die Studie „Trust in Science and Science-Related Populism“ (TISP) angestoßen, an der Forschungsteams aus vielen verschiedenen Ländern beteiligt sind. Inzwischen wurden zwei Preprints veröffentlicht. Einer widmet sich den Wahrnehmungen von Wissenschaft, Wissenschaftskommunikation und Einstellungen zum Klimawandel. Im zweiten Preprint geht es um das Vertrauen in Wissenschaftler*innen und ihre gesellschaftliche Rolle in 67 Ländern. Die Befragung von mehr als 71.000 Personen zeigt, dass in den meisten Ländern eine Mehrheit Wissenschaftler*innen vertraut und der Meinung ist, dass die Forschenden stärker in die Politikgestaltung einbezogen werden sollten.