Warum lehnen Menschen Wissenschaft ab? Wie entwickelt sich Vertrauen zu Forscherinnen und Forschern? Und hilft Twitter bei der Verbreitung neuer Erkenntnisse in der Bevölkerung? Das untersuchten die Studien in unserem aktuellen Forschungsrückblick.
Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im April 2018
In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Ergebnisse aus der Forschung zur Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.
Wissenschaftsskepsis neu vermessen
Weshalb lehnen manche Menschen – laut einigen Prognosen von Medien und Politik werden es immer mehr – wissenschaftliche Erkenntnisse ab? Die Vorstellung, dass allein mangelndes Wissen negative Einstellungen zur Wissenschaft begünstigt (das sogenannte Defizitmodell), gilt als überholt. Es reicht also nicht, diese Menschen mehr oder besser zu informieren. Um Wissenschaftsskeptiker umzustimmen, braucht es ein besseres Verständnis dafür, warum genau sie der Wissenschaft die kalte Schulter zeigen. Forscher um Melanie Morgan von der Purdue University entwickelten nun einen Fragebogen, der genau das herausfinden soll.
Methodik: Um eine Skala zu konstruieren (die Negative Perceptions of Science Scale, zu Deutsch etwa: „Fragebogen für negative Sichtweisen auf Wissenschaft“), durchforsteten die Wissenschaftler zunächst die Literatur über Einstellungen zu Wissenschaft. Zudem baten sie rund 400 Studierende ihrer Universität, mögliche Gründe dafür aufzuschreiben, warum jemand negative Überzeugungen in Bezug auf Wissenschaft oder Wissenschaftler haben könnte. Daraus destillierten sie eine Sammlung von 45 Statements. In zwei weiteren Studien mit insgesamt 1.000 Probanden verfeinerten und verkürzten sie diese Liste, um zur finalen Version des Fragebogens zu gelangen. Um die einzelnen Fragen zu Kategorien zusammenzufassen, nutzten sie das Verfahren der Faktorenanalyse. Dabei werden Items danach sortiert, wie ähnlich sie sich laut den Antwortmustern der Teilnehmer sind.
Ergebnisse: Die fertige Skala besteht aus 20 Statements, zu denen Probanden ihre Zustimmung oder Ablehnung mitteilen sollen. Je fünf Items bilden eine Kategorie oder Subskala, die für eine bestimmte Begründung einer negativen Sicht auf Wissenschaft steht:
- Wissenschaft ist unehrlich. Hierzu zählen Aussagen wie „Forscher fälschen oft Daten, um ihre Ergebnisse zu manipulieren“ und „Die meisten Wissenschaftler sind politisch voreingenommen“. Auch die Idee, dass Forscher käuflich seien, fällt in diese Kategorie.
- Wissenschaft ist kompliziert. Diese Statements drehen sich um die Aussage „Wissenschaft ist zu komplex, um sie zu verstehen“. Desinteresse an Wissenschaft zählt hier ebenfalls dazu.
- Wissenschaft ist ketzerisch. Wer auf dieser Subskala hohe Werte erreicht, stimmt Sätzen zu wie „Wenn die Menschen der Heiligen Schrift vertrauen würden, wüssten sie alles, was sie wissen müssen“ oder „Religiöse Schriften (z. B. die Bibel) sind die letztgültige Erklärung dafür, wie die Welt funktioniert“.
- Wissenschaft ist begrenzt. Dies spielt darauf an, dass Forschungsergebnisse stets mit Unsicherheit behaftet sind. „Wissenschaft kann nicht alles erklären“ und „Wissenschaft hat bedeutende Einschränkungen“ sind beispielhafte Items.
Dabei fiel auf, dass die Ergebnisse auf den einzelnen Subskalen auch dazu passten, wie die Teilnehmer weitere Statements einschätzten, in denen es um konkrete wissenschaftliche Fachgebiete ging. Wer etwa die ketzerische Seite der Wissenschaft betonte, stimmte auch eher der Aussage zu, die Erde sei in Wahrheit erst wenige tausend Jahre alt. Hohe Werte auf der Dimension „Wissenschaft ist begrenzt“ gingen mit einer größeren Furcht vor gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln einher.
Schlussfolgerungen: Die Abneigung gegenüber Wissenschaft hat verschiedene Dimensionen. Der neu entwickelte Fragebogen kann zumindest vier dieser Faktoren messen. Das Instrument könnte damit für die weitere Forschung interessant sein, um die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse differenzierter zu erfassen als bisher. Auch für Praktiker ist der Fragebogen relevant: Denn um Wissenschaftsgegner zu überzeugen, könnte es den Autoren zufolge ratsam sein, mindestens eine oder besser mehrere der vier Dimensionen in der Kommunikation aufzugreifen und entsprechende Befürchtungen zu entkräften.
Einschränkungen: Die Forscher rekrutierten ihre Probanden für den faktorenanalytischen Teil der Fragebogenkonstruktion über Amazons Paneldienst „Mechanical Turk“. Es ist deshalb möglich, dass ihre Stichprobe bestimmte Besonderheiten aufwies, etwa in Bezug auf die Technikaffinität und den sozioökonomischen Status der Versuchspersonen. Eine Validierung der gefundenen Faktorenlösung an einer stärker bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe steht somit noch aus. Zu bedenken ist auch, dass die vier Faktoren zwar stark mit konkreten wissenschaftsfeindlichen Annahmen korrelieren; die Veröffentlichung liefert jedoch keine Hinweise darauf, wie sich die Ergebnisse der Teilnehmer in den vier Subskalen selbst ursächlich erklären lassen.
Der Ursprung des Vertrauens
Viele Forscher und Politiker beklagen aktuell ein fehlendes Vertrauen in die Wissenschaft (siehe vorherige Nachricht). Doch unklar ist bislang, wie dieses Vertrauen überhaupt entsteht. Der Politologe Matthew Motta von der University of Minnesota veröffentlichte nun eine Längsschnittstudie, in der er untersuchte, wie das Zutrauen von Erwachsenen in Klimaforscher mit ihrem Interesse an Wissenschaft in der Jugendzeit zusammenhängt.
Methodik: Motta wertete Daten aus einer amerikanischen Langzeit-Jugendstudie aus, der Longitudinal Study of American Youth. 1987, als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 12 und 14 Jahren alt waren, wurden neben vielen anderen Dingen auch ihre mathematischen Fähigkeiten, ihre wissenschaftliche Kenntnisse sowie ihr Interesse an Wissenschaft erhoben. 2011 standen dieselben Probanden, mittlerweile 36 bis 38 Jahre alt, erneut Rede und Antwort. In dieser Befragung sollten sie unter anderem angeben, wie sehr sie Informationen über den Klimawandel vertrauen, die von der NASA, staatlichen Quellen oder dem Weltklimarat (IPCC) kommuniziert werden.
Ergebnisse: Ein starkes wissenschaftliches Interesse als Teenager ging mit einem größeren Vertrauen in die Klimaforschung 24 Jahre später einher. Dies galt unabhängig von den politischen Überzeugungen und der Religiosität der Teilnehmer. Wissenschaftliches Wissen im Jugendalter hatte nur bei politisch liberal eingestellten Versuchspersonen einen positiven Einfluss auf das spätere Vertrauen, mathematische Fertigkeiten dagegen keinen.
Schlussfolgerungen: In der Adoleszenz werden die Weichen für das Erwachsenenleben gestellt – das gilt diesen Daten zufolge auch für das Vertrauen, das Menschen in die Wissenschaft haben. Um künftige Generationen nicht zu Wissenschaftsskeptikern werden zu lassen, sei daher die Förderung von wissenschaftlicher Neugier in der Schulzeit ratsam, so Motta.
Auffällig ist, dass nur das Interesse der jugendlichen Teilnehmer eine Rolle spielte, nicht aber ihre wissenschaftlichen Kenntnisse. Dies stimmt mit früheren Studien überein, die zeigen, dass nur bei politisch liberalen US-Amerikanern die wissenschaftliche Bildung mit den Einstellungen gegenüber Wissenschaft zusammenhängt. Konservativ eingestellte US-Bürger dagegen haben generell weniger Vertrauen in Wissenschaftler, auch wenn sie selbst eine solide wissenschaftliche Bildung vorweisen können.
Einschränkungen: Die Erkenntnisse beziehen sich nur auf das Vertrauen in die Klimaforschung und das auch nur in den USA, die insbesondere bei der Bedeutung der politischen Orientierung für das Vertrauen in Wissenschaft eine Sonderstellung einnehmen. Die Analyse bezieht sich auf eine um das Jahr 1974 herum geborene Kohorte – später Geborene könnten insbesondere der Idee des menschengemachten Klimawandels gegenüber generell aufgeschlossener sein. Es kann durch das Forschungsdesign auch nicht sichergestellt werden, dass wissenschaftliches Interesse ursächlich das spätere Vertrauen in Forschung beeinflusst. Denkbar wäre auch, dass nicht erfasste, dritte Variablen dem Zusammenhang zugrunde liegen.
Lesen Laien dank Twitter mehr Fachartikel?
Frei im Netz verfügbare Forschungsarbeiten bieten theoretisch die Chance, dass jeder interessierte Bürger direkt auf wissenschaftliche Erkenntnisse zugreifen kann. Doch werden Fachartikel überhaupt außerhalb der Wissenschaftsgemeinde rezipiert? Dieser Frage widmeten sich Forscher um Juan Pablo Alperin von der kanadischen Simon Fraser University in einer aktuellen Feldstudie.
Methodik: Die Wissenschaftler analysierten die Verbreitung von Open-Access-Aufsätzen auf Twitter. Diese Plattform nutzen Forscher nicht nur besonders gerne für die direkte Kommunikation untereinander, sie bietet gleichzeitig die Möglichkeit, mit wissenschaftlichen Laien ins Gespräch zu kommen. Im Speziellen untersuchten Alperin und Kollegen 11 Artikel der frei zugänglichen Fachzeitschriften BMC Evolutionary Biology und BMC Biology, die im Jahr 2014 erschienen waren und bis Mitte 2016 mindestens 50-mal auf Twitter geteilt wurden.
Die insgesamt 1.590 Tweets (davon 546 eigenständige und 1.044 reine Retweets) gingen auf 1.240 identifizierbare Twitter-Nutzer zurück. Durch eine Analyse der Follower aller dieser Nutzer versuchten die Forscher herauszufinden, ob die Tweets größtenteils innerhalb eines Netzwerks blieben (also nur unter Accounts geteilt und rezipiert wurden, die sich größtenteils gegenseitig folgen), oder ob die Information auch „entferntere“ User erreicht, die nicht Teil dieser Netzwerke sind.
Ergebnisse: 10 der 11 wissenschaftlichen Arbeiten wurden zum überwältigenden Teil nur innerhalb eines deutlich erkennbaren Netzwerks geteilt, in dem die User stark untereinander verbunden waren. Diese Netzwerke unterschieden sich in ihrer Größe und ihrer Dichte, also dem Ausmaß, in dem sich alle Nutzer gegenseitig folgten. Weniger als ein Fünftel der Personen, die über die Forschungsaufsätze twitterten, stand außerhalb eines solchen Netzwerks. Nur bei einem Artikel lag diese Zahl bei 30 Prozent.
Schlussfolgerungen: Die meisten wissenschaftlichen Aufsätze erreichten auf Twitter eine schon etablierte, sich größtenteils gegenseitig folgende Community. Es sei naheliegend, dass es sich dabei um Forscherinnen und Forscher handele, die in dem entsprechenden Gebiet arbeiten würden und daher gut untereinander vernetzt seien, so Alperin und Kollegen. Selbst sehr häufig auf Twitter geteilte Artikel würden daher wohl hauptsächlich innerhalb der Scientific Community bleiben – ihre Verbreitung habe sich zwar auf einen neuen Kanal verlagert, dadurch würden aber nicht bedeutend mehr Nichtwissenschaftler erreicht als früher.
Theoretisch ist denkbar, dass in den gefundenen Netzwerken Wissenschaftler und interessierte Laien bereits miteinander vermischt sind. Dies würde aber nur dann zu den Daten passen, wenn die Forscherinnen und Forscher den Bürgern auch überwiegend zurückfolgten – andernfalls würden sich die Netzwerke nämlich nicht als Klumpen darstellen, sondern eher sternförmig verlaufen. Ansätze einer solchen sternförmigen Verbreitung, die laut den Forschern als Anzeichen einer Diffusion von Originalarbeiten auch hinter die Mauern des Elfenbeinturms gewertet werden kann, fanden sich zum Beispiel für ein Paper über den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Krebs. Hier gab es Multiplikatoren, die außerhalb oder am Rande des Hauptnetzwerks standen, und über die auch weniger gut vernetzte User erreicht wurden. Diese Multiplikatoren identifizierten die Forscher auch tatsächlich als beispielsweise einige Buchautoren, die populäre Bücher zum Thema Ernährung schreiben und viele nichtwissenschaftliche Follower haben.
Einschränkungen: Die Analyse bezog sich nur auf wenige Artikel, die alle aus der Biologie stammten. Die Wissenschaftler untersuchten zwar die Dichte und die Struktur der jeweiligen Netzwerke, die unter sich blieben. Sie werteten aber nicht systematisch aus, ob es sich bei den Nutzern tatsächlich um Wissenschaftler oder um andere Akteure handelte, was häufig im Profil der Nutzer zu erkennen ist. Allerdings wäre es tatsächlich unwahrscheinlich, dass Originalarbeiten nur unter gut miteinander vernetzten interessierten Laien, nicht aber unter Wissenschaftlern geteilt werden.