Seine Forschung an Explosivstoffen für die Wehrtechnik wird oft nicht nur kontrovers, sondern negativ gesehen, sagt Thomas M. Klapötke. Im Interview erklärt er, warum seine Forschung an energetischen Materialien wichtig ist und welche Kommunikationshürden er überwinden muss.
„Kriegsforschung“ – so lautet der Vorwurf
Herr Klapötke, Sie forschen am kontrovers diskutierten Thema Explosivstoffe. Dazu zählen Geschosse, Raketentreibstoffe oder Pyrotechnika, die in der Wehrtechnik eingesetzt werden. Wie offen können Sie über Ihre Forschung sprechen?
Ich kann genauso offen über meine Forschung reden wie meine Kollegen auf dem gleichen Stockwerk, die in der Pharmazie arbeiten. Wer Forschung für eine Firma oder eine staatliche Institution durchführt, unterliegt gewissen Geheimhaltungsvereinbarungen. Das ist aber keine Eigenschaft der Wehrtechnik, sondern hängt beispielsweise damit zusammen, ob eine Substanz bereits patentiert oder publiziert ist. Sobald ein Explosivstoff patentiert ist, kann ich natürlich darüber reden.
Welcher Kritik an Ihrer Arbeit müssen Sie sich aussetzen?
Unsere Forschung wird oftmals nicht nur kontrovers, sondern negativ gesehen. Mir wird oft vorgeworfen, wir würden Kriegsforschung machen. Dem möchte ich widersprechen. Wir betreiben Forschung für die Wehrtechnik. Dabei arbeiten wir ausschließlich mit der Bundeswehr und anderen NATO-Partnern zusammen. Damit bleibt unser Wissen innerhalb des Verteidigungsbündnisses, zu dem wir selbst gehören. Ich kann verstehen, wenn jemand pazifistische Ansichten hat und jegliche wehrtechnische Forschung ablehnt. Dann muss man aber auch konsequent sein, die Bundeswehr abschaffen, aus der NATO austreten und hoffen, dass es gut geht. Solange wir Teil der NATO sind und im Bündnisfall nicht nur uns selbst, sondern auch die befreundeten Nationen verteidigen müssen, muss aus meiner Sicht für die Wehrtechnik geforscht werden. Es wäre unverantwortlich, den eigenen Streitkräften nicht das beste Material an die Hand zu geben, das zur Verfügung steht.
Werden Sie auch persönlich angegangen?
Ja, das kommt hin und wieder vor. Der extremste Fall war eine Morddrohung per E-Mail. Körperlich bin ich zum Glück noch nie angegriffen worden. Verbal hat man mich bei einem Vortrag in den neuen Bundesländern einmal sehr angegangen.
Wenn viel über unser Arbeiten oder unsere Forschungsmittel in der Presse steht, nehmen auch die Anfeindungen zu. Es ist ein Auf und Ab – wie eine Wellenbewegung.
Wie gehen Sie mit Protesten um?
Bei harschen, verbalen Angriffen habe ich es bis jetzt immer auf sich beruhen lassen. Wenn die Proteste friedlich sind, stelle ich mich natürlich der Diskussion. Vor zwei Jahren war in einer meiner Vorlesungen ein Protest von Aktivistinnen und Aktivisten vom Bündnis „Kriegsforschung stoppen“ geplant. Sie wollten die Lehrveranstaltung mit Transparenten und Megaphonen stören. Daraufhin habe ich angeboten, meine Vorlesung auf eine halbe Stunde zu beschränken und anschließend eine Diskussion zuzulassen. Nach der Diskussion waren wir so wenig einer Meinung wie vorher. Aber ich stelle mich natürlich der Kritik und akzeptiere auch, dass jemand einen anderen Standpunkt hat. Es ist mir allerdings wichtig zu erklären, warum ich meine Forschung für richtig und gut halte.
Hat die öffentliche Aufmerksamkeit Einfluss auf Ihre Forschung?
Wie beeinflussen Sie mit Ihrer Kommunikation das Verständnis für Ihre Forschung in der Öffentlichkeit?
Ich habe den Eindruck, dass die Medien meine Forschung hauptsächlich negativ darstellen. Wenn ich aber einen fachlichen Vortrag für die Öffentlichkeit halte und erkläre, warum ich das mache und warum ich es für notwendig halte, ist das Feedback neutraler. Nicht alle, aber einige der Zuhörerinnen und Zuhörer räumen danach ein, dass sie nachvollziehen können, warum ich in diesem Feld forsche, auch wenn sie es selbst nicht machen würden. Diese neutralere Sichtweise zu vermitteln, klappt auch teilweise – so mein Eindruck.
Unterstützt Sie jemand bei Ihrer Kommunikation?
Ich kann mich an die Pressestelle der Universität wenden, sofern ich möchte. Die kann mich dazu beraten, wozu ich eine Stellungnahme abgeben oder wo ich besser nicht hingehen sollte. Das ist natürlich eine gewisse Unterstützung, aber letzten Endes bin ich als Lehrstuhlinhaber selbst verantwortlich für das, was ich tue, und muss das auch kommunizieren.
Warum haben Sie sich für die Forschung an Explosivstoffen entschieden?
Dass wir an Explosivstoffen forschen, hat aus meiner Sicht zwei wichtige Gründe.
Erstens möchte ich jungen Menschen, die neu in das Gebiet einsteigen, die Möglichkeit und Befähigung geben, mit solchen Substanzen umzugehen. Gerade weil diese energetischen Substanzen ein hohes Gefahrenpotenzial in sich bergen. Damit sind meine Absolventinnen und Absolventen gut darauf vorbereitet, in der Industrie oder der Wehrtechnik mit ähnlichen Substanzen zu arbeiten.
Der zweite Grund, der für mich persönlich noch wichtiger ist, ist der Wissenserwerb. Es geht darum, neue Substanzen zu entwickeln, die eine höhere Leistung bringen, mehr Energie freisetzen, aber auch sicherer zu handhaben sind, um Unfälle beim eigenen Personal zu verhindern. Zusätzlich ist das Bestreben, weniger umweltbelastende und weniger toxische Substanzen zu entwickeln, um den Schaden bei Personal und Umwelt zu minimieren.
Hätten Sie rückblickend gern ein anderes, weniger kontroverses Forschungsthema gewählt?
Nein. Wenn ich noch mal vor der Entscheidung stünde, würde ich genau das Gleiche machen. Ich halte es für richtig und wichtig. Wir sind die einzige deutsche Universität, die auf diesem Gebiet arbeitet. Deswegen halte ich es fast für noch wichtiger als damals, als ich mich dafür entschieden habe.
Wäre es eine Option für Sie ins Ausland, zum Beispiel nach Großbritannien oder in die USA zu gehen, wo Ihre Forschung akzeptierter ist?
Nach meiner Habilitation in Berlin habe ich meinen ersten Lehrstuhl in Großbritannien – in Schottland – gehabt. Mit der Einstellung, dass es gut ist, an Explosivstoffen zu forschen, bin ich nach Deutschland zurückgekehrt. Mittlerweile bin ich schon seit zweiundzwanzig Jahren in München und habe seither drei Rufe von ausländischen Universitäten erhalten. Ich habe mir das lange durch den Kopf gehen lassen und bin dann bewusst hiergeblieben. Manches ist im Ausland einfacher: Die Forschung an Explosivstoffen wird dort zum Beispiel nicht so kritisch gesehen. In vielerlei Hinsicht ist man in Deutschland aber immer noch freier in seiner Forschung und hat langfristige Perspektiven. Es hat beides Vor- und Nachteile. Schlussendlich habe ich mich aus wissenschaftlichen Gründen entschieden, in Deutschland zu bleiben. Sowohl die Forschungslandschaft als auch die Vernetzung ist hier gut – aber auch der wissenschaftliche Nachwuchs. Man ist selbst nur so gut wie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und diese sind, aus meiner Sicht, in Deutschland im Durchschnitt besser als in Großbritannien oder den USA. Das macht das Arbeiten in Deutschland sehr attraktiv.