Das neue TechnikRadar 2024 untersucht erstmals Trends in den Technikeinstellungen der Bevölkerung im Längsschnitt und vergleicht die Ergebnisse früherer Erhebungen. Soziologieprofessorin Cordula Kropp ordnet die neuen Erkenntnisse im Interview ein.
“Kontext und Krise verändern die Einstellungen zu Technologien”
Frau Kropp, das TechnikRadar 2024 hat die Ergebnisse der bisherigen Umfragen seit 2017 vergleichend ausgewertet. Was sind die aus Ihrer Sicht überraschendsten Ergebnisse dieser ersten Langzeitstudie?
Zunächst einmal habe ich mich darüber gefreut, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Wahrnehmung von Technik systematisch abgenommen haben. Es gibt zwar immer noch Unterschiede, zum Beispiel sind Frauen eher bereit, ökologisch zu handeln als Männer. Aber tendenziell sind die Unterschiede kleiner geworden, vor allem was die Techniknähe und die Bewertung von Technik insgesamt betrifft.
Überraschend ist jedoch, dass sich die Unterschiede zwischen den Altersgruppen in fast jeder Hinsicht vergrößert haben. Die ältere Generation zeigt sich im Vergleich zu früheren Befragungen relativ konstant: Sie will mitreden, ist einerseits technikkritisch, erwartet aber andererseits von technischen Entwicklungen Potenziale für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und für das eigene Leben. Die jüngere Generation ist in dieser Hinsicht gespalten und die Ergebnisse schwanken stärker über die Befragungszeiträume. Insgesamt betrachten die Jüngeren den Klimawandel zuletzt als deutlich weniger ernstes Problem als die Älteren, wollen am wenigsten über technische Entwicklungen mitreden und erwarten sich von diesen auch am wenigsten Zwänge.
Darüber hinaus wird seit langem diskutiert, ob es sich bei der Einstellung zur Technik um ein Persönlichkeitsmerkmal handelt, also ob jemand grundsätzlich technikaffin oder technikavers ist. Wir beobachten im Vergleich der vier Befragungen, dass Technikeinstellungen stark vom Anwendungskontext und der eigenen Betroffenheit abhängen, diese Einstellungen aber keine generellen Persönlichkeitsmerkmale darstellt.
Am deutlichsten wird dies am Beispiel von Robotern in der Pflege. Die meisten Befragten sehen in Pflegerobotern eher ein Risiko als einen Nutzen. Dies geht auf eine Angst vor dem Verlust von menschlicher Zuwendung, der Abhängigkeit von Geräten und vor einem allgemeinen Kontrollverlust zurück. Trotz des Personalmangels in der Pflege werden die Risiken von Pflegerobotern höher eingeschätzt als ihr Nutzen. Das gilt vor allem für Personen, die aufgrund ihres Alters oder von Krankheiten am ehesten von einem Robotereinsatz in der Pflege betroffen sein können. Die gleichen Personen betrachten aber einen Robotereinsatz im Bauwesen als nützlich.
Woran liegt diese Kontextabhängigkeit der Technikeinstellungen aus Ihrer Sicht?
Aus dem TechnikRadar 2020 wissen wir, dass viele Menschen die Fähigkeit, Technologien zu kontrollieren, eher bei den produzierenden Unternehmen sehen als in der Politik. Der Robotereinsatz in der Pflege hängt damit von der Bereitschaft der Unternehmen ab, diese auch patientengerecht zu gestalten. Diese Abhängigkeit der Technikeinstellungen vom Anwendungskontext deuten auch darauf hin, dass sich Menschen gerne selbst mit Technik auseinandersetzen. Ihre Einstellungen hängen nicht primär von Alter oder Einkommen ab, sondern davon, ob sie die Technologie oder das Gerät im privaten oder Arbeitskontext nutzen müssen, ob sie es freiwillig gewählt haben oder ob der Datenschutz gewahrt bleibt.
Dieser anwendungsbezogene Einstellungswandel lässt sich besonders gut am Beispiel Datenschutz zeigen. Während der Corona-Pandemie sahen viele den Datenschutz als Hindernis für die Problemlösung und stuften ihn in unseren Befragungen als weniger wichtige Zukunftsaufgabe ein. Viele Forschende dachten, dass die Pandemie die Einstellung der Menschen zum Datenschutz nun grundsätzlich ändern würde, da viele digitale Technologien als nützlich bewertet wurden.
Doch nach der Pandemie kehrten alle Gruppen zu ihrem Ausgangsniveau in Sachen Datenschutz zurück und betrachteten ihn wieder als eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft. Diese Erkenntnis zieht sich durch alle Befragungen des TechnikRadars. Es gibt eine Debatte, eine Krise, wie die Energiekrise oder die Probleme der Deutschen Bahn, und prompt werden die Risiken höher eingeschätzt, wenn die bestehenden Systeme nicht gut funktionieren. Die beiden interessanten Erkenntnisse sind also: Kontext und Krise verändern die Einstellungen zu Technologien.
Wie kann man solche Krisensituationen für Technik- und Wissenschaftskommunikation nutzen?
Wir sehen seit Jahrzehnten, dass die Menschen Krisen schnell vergessen, sobald sie überwunden sind. Am Beispiel der Corona-Pandemie gab es eine sehr starke gesundheitsorientierte Kommunikation, die gleichzeitig sehr homogen war. Das hat zu einer Polarisierung und Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung geführt. Impfgegner*innen wurden schnell pauschal kritisiert und es gab keine Offenheit, über Impfrisiken zu diskutieren.
Krisenkommunikation muss aber mit Ungewissheiten umgehen. Christian Drosten hat in seinem mehrfach ausgezeichneten Podcast “Coronavirus-Update” diese Unsicherheiten immer sehr transparent, aber eben nur aus seiner eigenen Sicht dargestellt. In vielen Medien wurden seine Aussagen als Handlungsanweisungen aufgegriffen, wodurch diese transparente Offenlegung von Unsicherheit und Ambivalenz verloren ging. In der Krisenkommunikation könnte man stärker auf die Technologie in ihrem Anwendungskontext eingehen und die Ungewissheiten bewusst aufgreifen. In der Risikoforschung wissen wir seit langem, dass die Dinge oft ambivalent, unsicher und komplex sind. Eine monologische Kommunikationsstruktur kann nicht alle Zielgruppen erreichen und provoziert Abwehr. Daraus sollten wir lernen.
Einer der aufsehenerregendsten Ergebnisse des TechnikRadars 2024 ist die stark abnehmende Priorisierung des Klimaschutzes bei den 16- bis 24-Jährigen. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?
Die genaue Aussage in der zugrunde liegenden Umfrage lautet: “Der Erhalt einer intakten Umwelt macht es erforderlich, dass wir alle unseren Konsum einschränken.” Dieser Aussage stimmt die jüngste Kohorte der Befragten zwischen 16 und 34 Jahren am wenigsten zu. Untersuchungen zeigen, dass sich die junge Generation mit der Frage konfrontiert sieht, welche Zukunft ihr in Bezug auf Infrastruktur, Kapital, Schulden und Umweltverschmutzung hinterlassen wird. Ich kann mir vorstellen, dass unsere Fragenformulierung, „macht es erforderlich, dass wir alle unseren Konsum einschränken“ eine Abwehrhaltung hervorgerufen hat, schließlich haben die jungen Menschen bisher am wenigsten zur Umweltzerstörung beigetragen.
Zudem zeigt der World Inequality Report 2022, dass die einkommensstärksten zehn Prozent der Deutschen sechsmal mehr Emissionen verursachen als die untere Hälfte der Bevölkerung, das einkommensstärkste Prozent sogar zwanzigmal mehr als die untere Hälfte. Auch diese immense Ungleichheit zwischen jüngeren, meist noch weniger einkommensstarken und wohlhabenden, älteren Bevölkerungsgruppen, kann dazu führen, dass junge Menschen die Forderung nach Konsumverzicht ablehnen, weil sie der Meinung sind, dass sich vor allem diejenigen einschränken sollten, die die Probleme verursacht haben. Ältere Menschen sind dagegen eher bereit, einem Konsumverzicht für alle zuzustimmen, insbesondere die über 65- und 75-Jährigen. Auch Frauen sind eher bereit, ihren Konsum einzuschränken als Männer.
Wie steht es dann im Umkehrschluss um den Wunsch nach Mitgestaltung, auch gerade mit Blick auf Alter und Geschlecht?
Das Thema ist gerade vor dem Hintergrund aktueller Wahlergebnisse äußerst spannend. Die Überzeugung, durch Partizipation viel bewirken zu können und Selbstwirksamkeit zu erfahren, ist bei den Älteren am höchsten und bei den Jüngeren am geringsten ausgeprägt. Das ist natürlich ein alarmierender Befund.
Früher wurde Partizipation oft als der Jungbrunnen der Demokratie bezeichnet. Doch heute ist die junge Generation nur schwer davon zu überzeugen, dass sie durch Partizipation tatsächlich Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nehmen kann. Am Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart untersuchen wir das Partizipationsverhalten junger Menschen und stellen fest, wie schwierig es ist, diese Altersgruppe für die verschiedenen Formate der Partizipation zu gewinnen.
Das gilt auch für partizipative Formate der Wissensproduktion wie Reallabore oder Zukunftswerkstätten. Und wir hören immer wieder, dass junge Menschen die Wahrscheinlichkeit, mit ihrem Engagement gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, als gering einschätzen. Das ist aber nicht gänzlich neu. Es war schon immer so, dass vor allem ältere Menschen und eher Männer davon überzeugt sind, dass sie durch Partizipation etwas bewirken können.
Welchen Auftrag sollte die kommunizierende Wissenschaft aus den Ergebnissen des TechnikRadars ableiten?
Der erhobene Zeigefinger, der auch die Corona-Kommunikation geprägt hat, hat sich letztlich als wenig produktiv erwiesen. In der Umfrage haben wir ein weiteres Item, das abfragt, wie gut sich die Befragten informiert fühlen. Im Jahr 2017 stimmten nur sieben Prozent der Aussage zu, dass die Bürger*innen von der Regierung ausreichend über wichtige Technikfolgen informiert werden. Inzwischen ist dieser Wert auf rund 16 Prozent gestiegen, allerdings wiederum gegen den allgemeinen Trend, ist er in der jüngsten Befragtengruppe gefallen. Die Wahrnehmung der Informationslage hat sich also insgesamt verbessert und die Bereitschaft, den Entscheidungsträger*innen zu vertrauen, ist gestiegen, aber nicht bei den jüngeren Befragten.
Diskussionen mit Expert*innen über diese Ergebnisse legen nahe, dass die Wissenschaft zielgruppengerecht kommunizieren muss und verstärkt die Debatte über Ungewissheiten suchen muss. Gleichzeitig muss die Wissenschaftskommunikation die Lebenswirklichkeit der Bevölkerung berücksichtigen. Notwendige Veränderungen in der Mobilität, zum Beispiel die Frage, ob man mit dem Auto oder mit der Bahn fährt, liegen auf der Hand, sind aber oft schwer umsetzbar. Die Wissenschaftskommunikation muss dies berücksichtigen. Es nützt nichts, den Menschen immer wieder zu sagen, was sie tun oder lassen sollen, wenn die Infrastruktur dafür nicht ausgelegt ist.
Die Evidenz der Klimaforschung ist gigantisch, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber die Erwartung, die sich daraus ergibt, ist immer noch, dass die Konsument*innen in ihren Entscheidungen die richtige Wahl treffen. Gleichzeitig leben wir unter infrastrukturellen Bedingungen und sind Werbekampagnen ausgesetzt, die genau das Gegenteil von uns verlangen. Wir brauchen eine Wissenschaftskommunikation, die gemeinsam mit ihren Adressat*innen nach Lösungen sucht.
Dieser Beitrag wurde redaktionell unterstützt von Jana Fritsch.
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TechnikRadar 2024: Was die Deutschen über Technik denken – Das TechnikRadar von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Körber-Stiftung und ZIRIUS – Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart ist eine regelmäßige, bundesweit repräsentative Befragung, die nach sozialwissenschaftlichen Standards entwickelt und mit Methoden der empirischen Sozialforschung ausgewertet wird.