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Kommunikationsmodell Populismus?

Wissenschaftskommunikation und Politik haben das gleiche Problem: Die Massenkommunikation organisiert sich neu. Die Sozialen Medien bieten die Plattform dafür. Ein Gastbeitrag über Filterblasen, Vertrauen und was die Auflösung des Sender-Empfänger-Modells bedeutet.

Die Wissenschaftskommunikation befreit sich mit den neuen Impulsen des Siggener Kreises von einer spezifischen Filterblase: Anlässlich des March for Science zeigte sich, dass man nicht über Wissenschaft, ihre Vermittlung an die nichtwissenschaftlich ausgebildete Öffentlichkeit und den Stellenwert von Wissenschaft und Forschung für die Gesellschaft reden kann, ohne dabei den politischen Raum mitzudenken. Der Grund liegt auf der Hand: Es sind dieselben Prozesse, welche einerseits die Demokratie aushöhlen und andererseits das Vertrauen in die Wissenschaft erodieren. Was stets und prompt mit Sozialen Medien als eine der Ursachen erklärt wird, ist nur das Faktum. Dahinter steckt viel mehr: Die digitale Revolution, mit der sich völlig neue Wege der Kommunikation und Information für alle Lebensbereiche herausbilden.

Die Umkehrung von Push und Pull

Wie man davon überrascht werden kann, zeigte sich bei der Brexit-Abstimmung, den US-Wahlen oder den AfD-Wahlergebnissen. Die Demoskopie unterschätzte systematisch das Momentum, das in dieser Bewegung steckt. Sie hatte die stramm konservativen, bis dato Nichtwähler bzw. sich als schweigende Mehrheit verstehenden Wähler, nicht auf dem Schirm. Diese hatten aber mit dem Internet ihr Werkzeug gefunden, sich massenhaft zu verständigen, Meinung zu machen und die Wahlen zu drehen. Sich direkt gegen die Wissenschaft zu wenden, wie die Regierungen in den USA, der Türkei, Polen oder Ungarn, oder wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse etwa zum Klimawandel oder dem Nutzen von Impfungen anzuzweifeln und das mit alternative Fakten zu begründen, passte recht gut in das – bereits vorhandene – Weltbild dieser Wählerschaften. Das Neue an diesem Populismus-Phänomen ist nicht nur seine Massenwirksamkeit, sondern vor allem die veränderte Gewichtung der Pole, wie wir in den Helmholtz Blogs bereits ausführlicher argumentiert haben. Bisher war es so, dass die Parteien ein Programm (Angebot) vorlegten, das die Wähler annehmen oder ablehnen konnten (Nachfrage). Mit den Sozialen Medien dreht sich tendenziell die Gewichtung um: Die potenziellen Wähler stellen sich selbst als Angebot für eine bestimmte Politik dar (push) und die Politik reagiert darauf. Stephen Bannon hat mit Breitbart sehr präzise gezeigt, wie man daraus ein Geschäfts- und Politikmodell machen kann (pull).

Filterblasen – meine Überzeugung gegen deine

Die Aufregung um alternative Fakten, Filterblasen, Verschwörungstheorien und angeblich verspieltes Vertrauen in „die Eliten“ berührt auch die Wissenschaftskommunikation. Auch hier ist es so, dass wir schon immer mit vorgefassten Weltbildern zu tun hatten, genau wie in der Politik. Neu ist, dass diejenigen, die bisher wissenschaftsskeptisch oder offen wissenschaftsfeindlich waren, sich jetzt organisiert zu Wort melden können. Information und Kommunikation (die immer bipolar zu denken sind) funktionieren jetzt sofort viral mit der Folge, dass die daraus entstehende Quantität in eine neue Qualität der Meinungsäußerung umschlägt. Die bisherigen Wissenschaftsbarometer von Wissenschaft im Dialog zeigen im zeitlichen Verlauf von 2014 bis 2017 nicht, dass der Wissenschaft weniger Glauben geschenkt wird. Sehr wohl aber werden die Nicht-Glaubenden lautstärker. Und auf dieses Angebot geht das Netz ein: Wenn Suchmaschinen beim Begriff „Impfen“ gleich bei den ersten Adressvorschlägen die Webseiten ideologischer Impfgegner vorschlagen, ist das ein reales Abbild der stattfindenden Information/Kommunikation im Netz, auch wenn es von lernfähigen Algorithmen zusammengestellt wurde. Kurzum: Push und Pull funktionieren noch, aber genau anders herum. Das ist die eigentliche gesellschaftliche Substanz der Sozialen (sic!) Medien. Dass die Populisten das eher als andere verstanden haben, stellt Politik und Wissenschaftskommunikation vor ein strukturähnliches Problem. Wie die Politik muss auch die Wissenschaft zeigen, dass sie in der Lage ist, auf die neuen, globalen Probleme mit Lösungen zu antworten, und dass ohne sie diese Lösungen nicht formuliert werden können.

Vertrauen verspielt? Eliten in der Krise?

Die schleichende Erosion des Gemeinwesens und (mit ihr) der Wissenschaft basiert also auf dem massiven Auftritt vorgefasster Meinungen. Angesichts diffuser Zukunftsängste in der Gesellschaft versprechen die Populisten, dass alles wieder so wird, wie es früher auch nie war. Sie sprechen damit nur die von ihren Wählern verlangten Vorurteile und Unwahrheiten aus. Filterblasen und Echokammern sind eben nicht die Mechanismen, welche Fake News und Verschwörungstheorien befeuern. Umgekehrt: Verschwörungstheoretiker und Falschnachrichtengläubige wissen sehr wohl, dass es eine andere Welt gibt, wie Dan Kennedy in seinem Beitrag über Medienauswahl darlegt. Aber man kann diese andere Welt (analog: diese andere, evidenzbasierte Wissenschaft) als eine beliebige Sichtweise von vielen interpretieren; wichtig ist nur, dass man den Gleichgesinnten signalisiert: Ich ticke wie du, und wir sind viele. So zeichnet es Michael Seeman in seinem Beitrag über Digitalen Tribalismus und Fake News nach.

Quantitative Schlagkraft erhält dieser Sachverhalt durch die Technologien der Digitalen Revolution. Daraus jetzt einen generellen Vertrauensverlust für Wissenschaft, Medien und Eliten zu formulieren, scheint uns im Moment noch ein wenig zu panisch, liegt perspektivisch aber durchaus im Bereich des Möglichen. Wie Überzeugungen zustande kommen, ist die eine Frage. Wie man durch diesen Überzeugungspanzer dringen kann, um die Wahrheit über das Impfen, die Ursachen und Folgen der Migration, den Klimawandel, … in die Köpfe zu bringen, ist eine ganz andere Frage. Die angedeutete neue, umgepolte Kommunikationsstruktur, die mit ihr einhergehende Meinungsbildung und das daraus resultierende Handeln erfordern auch für das Verhältnis von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien eine grundlegende Analyse und, wo nötig, auch eine Neugestaltung.

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.