Wissenschaftskommunikation ist mehr als „Lehre für die Massen“: In seiner Replik auf Oliver Czulos Gastbeitrag vom 28. April schlägt Mikrobiologe Jens Jäger statt der Integration der Wissenschaftskommunikation in die Lehre ein Punktesystem vor.
Kommunikation sollte nicht mit Lehre konkurrieren
Ist Wissenschaftskommunikation einfach eine „Lehre für die Massen“? Um ihr Lehrdeputat zu erfüllen, sollten Forscherinnen und Forscher wählen können, ob sie Studierende im Hörsaal unterrichten, oder stattdessen etwa in einem populärwissenschaftlichen Blog der Allgemeinheit von ihrer Arbeit berichten. So argumentiert Oliver Czulo in seinem Beitrag auf Wissenschaftskommunikation.de vom 28. April. Aus mehreren Gründen halte ich das für problematisch.
Die Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation sind viel breiter als die der Lehre – und hören meist völlig freiwillig zu – und zwar nicht aufgrund einer Studienordnung, die das vorsieht. So kommen die Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation meist auch nicht pünktlich c.t. in den Hörsaal oder den Seminarraum, sondern lassen sich in der Fußgängerzone, vor dem Fernsehbildschirm oder im Smartphone-Browser abholen. Wissenschaftskommunikation erfordert daher andere Fähigkeiten als die Hochschullehre – bei einigen Überschneidungen. Daher wäre ein Anrechnen des einen auf das andere unfair gegenüber den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie ihrem Publikum.
Oliver Czulo zitiert eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Deutschen Hochschulverbands unter Hochschullehrerinnen und -lehrern, derzufolge die Befragten immer mehr Zeit mit administrativen Tätigkeiten verbringen. Zu Recht sind sie damit unzufrieden, schließlich werden sie eigentlich für Forschung und Lehre bezahlt – und haben sich ihren Beruf deshalb ausgesucht.
Daraus allerdings abzuleiten, dass die Wissenschaftskommunikation in der Kategorie „Lehre“ besser aufgehoben wäre, ist ein gefährlicher Trugschluss. Jan Martin Wiarda schreibt dazu in seinem Blog über diese Umfrage:
„41 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen die Befragten (…) inzwischen mit [administrativen Aufgaben]. Bei einer ähnlichen Umfrage 1976/77 lag dieser Wert noch 15 Prozentpunkte niedriger. Frappierend ist, dass unter dieser Explosion (…) nicht die Forschung gelitten hat, ihr Anteil am Zeitbudget stieg sogar leicht von 23 auf 25 Prozent. Was in den Keller ging, war das Engagement für die Lehre: von 42 auf 27 Prozent, während parallel das formale Lehrdeputat stieg und die Zahl der Studenten nach oben schoss. Unter Druck scheint sich nochmal deutlicher zu zeigen, wo die wahren Prioritäten der meisten Hochschullehrer liegen.“
Eine Vielzahl von Zielgruppen
Die Wissenschaftskommunikation nahezu vollständig den Forschenden selbst zu überantworten, wäre auch in einem anderen Aspekt fahrlässig. Sie hat sich in den letzten Jahren zunehmend spezialisiert – so sehr, dass sich ganze Institute mittlerweile mit ihr als Forschungsgegenstand beschäftigen. Gemeinsam mit den verwandten Feldern Wissenstransfer und Wissenschafts-PR bedient die Wissenschaftskommunikation in den unterschiedlichsten Formaten eine Vielzahl an Zielgruppen, vom altbekannten Tag der offenen Tür für alle bis zum Webinar für Abgeordnete oder dem Webtool für Landwirtinnen und Landwirte. Meist sind es Mitarbeitende der Kommunikationsabteilungen, die diese Formate entwickeln. Sie geben sie an Kommunikatorinnen und Kommunikatoren anderer Einrichtungen weiter und lernen von diesen wiederum dazu. Sie schlagen sie dann oft ihren forschenden Kolleginnen und Kollegen vor, die sie aufgreifen und umsetzen – oder auch nicht.
Wären die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitgehend allein verantwortlich für die Kommunikation ihrer Arbeit, sehe ich die große Gefahr, dass einige Zielgruppen nicht mehr angesprochen würden – weil die Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler lieber Formate für Erwachsene als für Kindern anbieten, weil die Chemieingenieurinnen und -ingenieuren kein Interesse an Blogs haben, oder weil man sich im Institut für Geologie vor der Kamera unwohl fühlt. Ohne fach- und methodenkundige Vermittlung durch die Kommunikationsabteilungen bliebe es dabei und die genannten Formate würden schlicht nicht stattfinden. Im schlimmsten Fall träfe das vor allem solche Formate, die sich an unterrepräsentierte Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation richten, weil diese schwieriger und umständlicher zu erreichen sind. Um das geforderte, bisher theoretische „Wisskomm-Deputat“ zu erfüllen, wäre am Ende ein Format für eine gut erschlossene Zielgruppe eben einfacher.
Die Lösung liegt, ganz unspektakulär, im sinnvollen Miteinander der Kommunikationsabteilungen und wissenschaftlichen Einheiten. Die Kommunikationsabteilungen liefern Impulse zu Themen und Formaten der Wissenschaftskommunikation und begleiten die Maßnahmen organisatorisch. Dafür benötigen sie Sensibilität für Formate und Zielgruppen, fundierte Fachkenntnisse aus den Wissenschaftsdisziplinen und ausreichende Ressourcen, um die Forschenden effizient bei ihrer Kommunikation zu unterstützen.
Denn die Forscherinnen und Forscher liefern das, worüber nur sie verfügen: die Inhalte, die überhaupt kommuniziert werden. Gemeinsam mit Fachleuten entwickeln sie daraus eine gelungene Wissenschaftskommunikation, die allen Beteiligten nutzt.
Hier liegt das Problem, das bisher weder die Bundesforschungsministerin, noch die Organisationen des Wissenschaftssystems lösen konnten. Die meisten sind sich einig, dass Wissenschaftskommunikation eine wichtige Aufgabe ist, eine mit geradezu gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Wie man sie allerdings auf der Prioritätenliste der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter nach oben befördert, ohne deren Karrieren im häufig eher schwerfälligen (internationalen) Wissenschaftssystem zu verlangsamen – dazu hören wir zu wenig. Für Wissenschaftskommunikation gibt es schließlich noch weniger geeignete Metriken als für Forschung.
Nicht Output, sondern Input messen
Möglicherweise ist es daher zielführender, nicht den Output aus, sondern den Input in die Wissenschaftskommunikation zu messen. Studierende erhalten schließlich für ihre Leistungen auch Punkte nach dem European Credit Transfer System (ECTS), die vom theoretischen Arbeitsaufwand für eine Lehrveranstaltung inklusive ihrer Vor- und Nachbereitung abhängen.
Entsprechend könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Konzeption und Durchführung von Maßnahmen der Wissenschaftskommunikation und verwandter Felder Punkte erhalten, die Berücksichtigung bei Berufungs- und Einstellungsverfahren finden. Für welche Formate es wie viele Punkte gibt, könnten Stakeholder in der geplanten „FactoryWisskomm“ beantworten, die sich im Auftrag des BMBF um die Weiterentwicklung des Feldes kümmern soll. Kriterien können dabei die Anzahl erreichter Menschen, die Ansprache einer bisher vernachlässigten Zielgruppe und der zeitliche Aufwand für Vorbereitung und Durchführung sein.
Dieser Punkteansatz würde auch den Stellenwert der Kommunikationsabteilungen verändern: Welche Forschungseinrichtung hat die „besten Köpfe“, die ihren forschenden Kolleginnen und Kollegen besonders hochwertige Kommunikationsformate ermöglichen? Welche Einrichtung hat im letzten Jahr pro Kopf stark kommuniziert und die Öffentlichkeit besonders nachhaltig informiert? Wer verlässt sich auf Bewährtes, wer schafft Neuartiges? Die Wissenschaft beantwortet solche Fragen für die Forschung, für Lehre und Wissenschaftskommunikation bisher jedoch nicht.
Wenn das Punktesystem auch Lehre über das Deputat hinaus erfassen würde, könnten Forschende selbst entscheiden, ob sie sich weitergehend in Lehre oder Wissenschaftskommunikation engagieren – oder in beidem. Und wenn beim Gedanken an ein Punktesystem zur Quantifizierung des eigenen Arbeitsaufwands jetzt manch einem kalte Schauer über den Rücken laufen, dann ist dies vielleicht ein guter Anlass, das System für Studierende zu überarbeiten und es für alle Beteiligten gerechter zu machen.
Gastbeiträge spiegeln nicht die zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.