Die Kinder-Uni ist ein Klassiker in der Arbeit mit jungen Zielgruppen. Die Kölner Bildungsforscherin Susanne Kretschmer hat das Format in ihrer Dissertation untersucht und erklärt, wie Vorlesungen auf Kinder wirken.
„Kinder sind oft ein besonders kritisches Publikum“
Frau Kretschmer, Sie haben 2017 das Format der Kinder-Uni untersucht und darüber promoviert. Warum haben Sie sich wissenschaftlich mit diesem Angebot beschäftigt?
Als meine eigenen Kinder diese Veranstaltungen besucht haben, fiel mir auf, dass es in der Wahrnehmung des Formats einen deutlichen Widerspruch gab: Die teilnehmenden Kinder, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und auch die Eltern waren im Allgemeinen sehr zufrieden. Doch viele Expertinnen und Experten aus der Pädagogik und den Erziehungswissenschaften haben sich von Beginn an negativ über Kinder-Unis geäußert. Ihre Kritik stütze sich aber nur selten auf empirische Erkenntnisse. Mit meiner Studie wollte ich etwas zu einer evidenzbasierten Bewertung des Formats beitragen.
Woran entzündet sich denn die Kritik?
Das kommt auf die theoretische Herangehensweise an. Aus Sicht der Lerntheorie kann man etwa fragen, wie groß und wie nachhaltig der Wissenszuwachs durch so eine Veranstaltung ist. Im Diskurs der Bildungswissenschaften wurde oft behauptet, das sei ja ein oberflächliches Format und die Kinder würden dort für PR-Zwecke der Hochschulen instrumentalisiert. In Deutschland gibt es ja ohnehin traditionell große Vorbehalte gegen die Popularisierung von Wissenschaft – da wirken Nietzsche und Adorno noch nach. Ich fand es jedoch immer am interessantesten, Kinderunis als eine Spezialform der öffentlichen Vorlesung zu betrachten. Also etwas, was die Universität als Raum des Nachdenkens und der Forschung für die Öffentlichkeit öffnet.
Wie sind Sie in Ihrer Untersuchung vorgegangen?
Ich habe mit der Studie mehrere Ziele verfolgt. Zum einen wollte ich mit Hilfe einer Fokusgruppe die Perspektive der Kinder beleuchten und herausfinden, was sie selbst an dem Format spannend finden. Zum anderen habe ich analysiert, wie die Dozierenden das Format ausfüllen, also welche Art von Vortrag sie halten. Und schließlich habe ich einige der teilnehmenden Forschenden dazu befragt, wie sie die Kinderuni in ihr professionelles Selbstbild einordnen.
Das war erwartungsgemäß unterschiedlich. Ich habe versucht, in der Fokusgruppe Kinder mit möglichst unterschiedlichen familiären Hintergründen zu versammeln. Es waren schließlich zehn Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren, gleich viele Jungen und Mädchen. Es zeigte sich zum Beispiel, dass die wissenschaftlichen Vorkenntnisse der Kinder sehr wichtig dafür waren, wie sie die Inhalte der Veranstaltung verarbeiteten. Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern waren zum Beispiel erst einmal stark mit dem Setting „Universität“ beschäftigt. Für die war es etwas Neues, sich mit Wissenschaft auseinanderzusetzen. Kinder, die bereits zu Hause viele Sachbücher lesen und sich Naturdokumentationen im Fernsehen ansehen, konnten dagegen gleich inhaltlich einsteigen. Aber: Das Interesse war in beiden Fällen gleich hoch.
Welche Effekte hatte der Besuch der Kinder-Vorlesung?
Vor allem bei den Grundschulkindern war es so, dass die Veranstaltung ihre Vorstellungen davon beeinflusst hat, was Wissenschaft eigentlich ist und was Forschende tun. Viele von ihnen hatten zuerst gar keine konkrete Vorstellung davon oder kannten nur das Stereotyp von Forscherin oder Forscher mit Kittel im Labor. Um solche Konzepte zu verändern, ist der persönliche Kontakt zu Forschenden in diesem Alter sehr wichtig. Danach sagten sie beispielsweise: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind wie Detektive, die etwas Unbekanntes herausfinden wollen!
In jedem Fall blieb einiges hängen, selbst bei Vorlesungen, die mir eher „trocken“ vorkamen. Ab ungefähr neun Jahren konnten Kinder auch theoretische Konstrukte verstehen – entgegen der klassischen Lehrmeinung nach Piaget, der meinte, abstraktes Denken fängt erst mit zirka elf Jahren an. Generelle Aussagen sind aber schwierig, weil die Bandbreite an Vorkenntnissen wie gesagt sehr groß war. Es gab Kinder, die sich noch nie intensiv mit Forschung beschäftigt hatten. Und dann gab es solche, die Forscherin oder Forscher als erklärtes Berufsziel hatten. Da sieht man dann einen unterschiedlichen Wissenszuwachs durch eine Kinder-Uni. Grundsätzlich ist jedoch mein Eindruck, dass Erwachsene unterschätzen, was Grundschulkinder schon verstehen und behalten können. Im Gegenteil, Kinder sind oft sogar ein besonders kritisches Publikum. Sie schätzen auch, dass in der Kinderuni Themen und Wissensgebiete behandelt werden, die in der Schule nicht vorkommen, wie zum Beispiel speziellere Themen aus der Biologie, Chemie, Geschichte oder Geografie.
Inwiefern sind sie besonders kritisch?
Kinder bringen eine große Neugier mit, aber sie merken sofort, wenn man sie nicht ernst nimmt. Sie wollen auf Augenhöhe mitreden, Fragen stellen und ihre Erfahrungen einbringen dürfen. Wenn ihre Fragen oder auch der als Frage formulierte Titel der Veranstaltung nicht beantwortet werden, finden sie die Vorlesung doof. Das überrascht manche der Professoren und Professorinnen, die vorher nur mit Erwachsenen gearbeitet haben. Natürlich gibt es auch die Kinder, die gar nichts mit Wissenschaft anfangen können und denken, „Das ist nichts für mich, ich mache lieber Sport“. Das man nicht alle abholen kann, egal wie viel Mühe man sich gibt, ist klar.
Es gibt verschiedene Herangehensweisen. Manche Dozentinnen und Dozenten geben sich Mühe, das Ganze komplett kindgerecht zu gestalten. Die wählen dann beispielsweise schon beim Thema nicht eine aktuelle Forschungsfrage aus ihrem Fach, sondern referieren beispielsweise allgemein über das Thema Gold. Weil das etwas ist, was Kinder interessiert. Andere dagegen versuchen, gleich die Systematik ihres Fachs darzustellen.
Ist eine Herangehensweise für Kinder besser geeignet als die andere?
Es gibt aus meiner Sicht einen wissenschaftlichen Kern, von dem man sich nicht zu weit entfernen sollte, wenn man glaubwürdig bleiben möchte. Es spricht zwar einiges dafür, sich etwa bei der Themenwahl am Interesse der Kinder zu orientieren – aber man sollte stets die wissenschaftliche Herangehensweise im Blick behalten. Zuviel Show ist auch gar nicht nötig, denn Kinder haben ganz von selbst Spaß, wenn sie etwas interessant finden. Man muss da nicht in die Trickkiste greifen oder sensationelle Beispiele finden, um Wissenschaft unterhaltsamer oder spannender wirken zu lassen. Die Kinder-Uni kann da feiner, sozusagen wissenschaftsnäher arbeiten, als es beispielsweise in den Massenmedien der Fall ist. Es darf dabei natürlich nicht zu abstrakt zugehen, sondern möglichst anschaulich. Hier liegt meiner Meinung nach noch großes Potenzial für die Didaktik und für die Popularisierung von Wissenschaft: Wie kann ein komplizierter Sachverhalt so dargestellt werden, dass die wesentlichen Elemente nicht verfälscht werden und dennoch gut verständlich sind?
Das hängt stark davon ab, wie die Universität die Veranstaltung konzipiert. An der Uni Bonn, die ich für meine Studie untersucht hatte, ist das Ganze eher als „öffentliche Vorlesung für Kinder“ gedacht und weniger als Maßnahme der Wissenschafts-PR. Deshalb überwiegen in den meisten Vorträgen die wissenschaftlichen Inhalte. Andere Veranstalter, beispielsweise die Universität Wien, setzen den Schwerpunkt auf die Partizipation und die Diskussion gesellschaftlich relevanter Fragen. Da geht es dann weniger um die Abbildung eines wissenschaftlichen Fächerkanons, sondern darum, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an aktuelle Probleme herangehen.
Ihre Studie von 2017 war bislang die letzte wissenschaftliche Publikation zu Kinder-Unis. Warum gibt es so wenige Veröffentlichungen zu diesem Thema?
Ein Grund ist sicher, dass sich kein etablierter Forschungszweig damit beschäftigt und es in der Wissenschaft aktuell keine Diskussion mehr über das Format gibt. Auch in der Praxis herrscht kein allzu großes Interesse an dieser Forschung, wie ich feststellen musste. Viele, die das Format selbst nutzen, wollen sich nicht theoretisch oder wissenschaftlich damit beschäftigen. Das ist schade. Mich würde insbesondere interessieren, wie solche Veranstaltungen biografisch auf das Wissen und die Einstellungen zu Wissenschaft wirken. Das ist natürlich aufwendig zu untersuchen! Aber meiner Meinung nach sollte man auch popularisierende Formate ernst nehmen und deren Wirkung auf die Öffentlichkeit nicht unterschätzen.